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Deutschland: Spätsommer des Deutschen Rassismus

Eine neue Welle von rassistischen Ausschreitungen flutet ganz Deutschland. Nicht nur im Osten, sondern auch in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz wurden in den letzten Monaten und Wochen Flüchtlingsheime angezündet und Jagd auf MigrantInnen gemacht. Verantwortlich dafür sind längst nicht nur Neonazis. Die Migrationspolitik der Deutschen Regierung und der EU tragen ebenso dazu bei. (Red.)

von Peter Nowak; aus Telepolis

Täglich gibt es neue Meldungen über Angriffe auf Einrichtungen, die für die Aufnahme von Geflüchteten vorgesehen sind. Gestern kamen die Meldungen aus dem brandenburgischen Nauen. Derweil überschlagen sich die Medien mit Meldungen über die Schande von Heidenau. Der Bürgermeister sieht aber vor allem den Ruf des Ortes beschädigt. Er beklagt nun, dass der Ort fortan mit dem Ruf leben muss, eine Neonazi-Hochburg zu sein.
Schon vor zwei Jahrzehnten sahen die Bürgermeister von Rostock, Mölln, Hoyerswerda und Mannheim-Schönau den Ruf “ihrer” Städte und nicht die angegriffenen Menschen als das Hauptopfer rechter Angriffe. Diese Namen markierten vor zwei Jahrzehnten die Spur des damaligen deutschen Nachwende-Rassismus. Vielen waren sie schon längst entfallen.
Doch in den letzten Jahren haben antirassistische Initiativen in vielen dieser Orte an die Jahrestage der Anschläge und pogromartigen Auseinandersetzungen gedacht und den Kampf für einen “Gedenkort” aufgenommen. Noch vor zwei oder drei Jahren hätten es sicher auch die meisten der daran beteiligten Aktivisten als unverantwortliche Panikmache abgelehnt, die Verhältnisse der frühen 90er Jahre einfach auf die Jetzt-Zeit zu übertragen. Doch ist diese Einschätzung im Spätsommer des deutschen Rassismus fast einen Jahr nach dem Beginn der Pegida-Aktionen noch haltbar?

Ist Merkels Besuch in Heidenau Antirassismus?

Einen Unterschied zwischen damals und heute gibt es auf jeden Fall. Kanzlerin Merkel hat angekündigt, die angegriffene Flüchtlingsunterkunft in Heidenau zu besuchen und wird dafür von der Grünen-Vorsitzenden Simone Peters gelobt. Tatsächlich hatte Helmut Kohl immer abgelehnt, die Stätten der rassistischen Auseinandersetzungen zu besuchen. Doch das bedeutet zunächst einmal nur, dass Kohl an diesen Punkt keinem Sinn für Symbolpolitik hatte.
Dass er Symbolpolitik generell ablehnte, lässt sich nicht sagen. Schließlich hat er 1985 sehr wohl Sinn für deutsche Symbolpolitik gezeigt , als er den damaligen US-Präsidenten Reagan zu einem Besuch auf einen Kriegsgräberfriedhof in Bitburg einlud, auf dem neben NS-Opfer auch SS-Angehörige begraben sind. Kohl und seine Berater waren sich aber sehr wohl bewusst, dass der Besuch einer von Rechten angegriffenen Flüchtlingsunterkunft keine Symbolpolitik in deutschem Interesse möglich macht.
Das könnte heute anders sein und hier müsste auch eine Antwort auf die Frage ansetzen, ob und was sich jenseits der rechten Angriffe hierzulande geändert hat. Da ist in erster Linie das Interesse von führenden Industriekreisen zu nennen, einen Teil der Geflüchteten als nützlich für die deutsche Wirtschaft zu betrachten. Damit sind dann die gut ausgebildeten Menschen gemeint, die in einer alternden Gesellschaft, wo der Arbeitskräftemangel keine Zukunftsvision mehr ist, eine wichtige Rolle spielen können.
Eine generelle Ablehnung jeglicher Einwanderung wirkt sich schon in naher Zukunft negativ auf den Standort Deutschland aus. Dass ist allen Wirtschaftsanalysten klar und es stellt sich die Frage, ob nicht hierin auch die schnelle Implosion der AfD [Alternative für Deutschland] zu begreifen ist. Ideologisch hätten sich manche Protagonisten vom wirtschaftsliberalen und vom nationalkonservativen Flügel schon zusammenraufen können, und AfD-Analysten wie Sebastian Friedrich haben aufgezeigt, dass sie es in der Vergangenheit auch taten.
Doch die Interessen der deutschen Wirtschaft und eine nationalkonservative Abschottungspolitik harmonieren nicht zusammen. So zeigte sich auch hier einmal mehr das Primat der Ökonomie und in diesem Fall hatte es sogar begrenzt zivilisatorische Wirkungen. Das bezieht sich nicht nur auf das Zurechtstutzen der AfD. Man braucht nur einige der sehr differenzierten Artikel in der FAZ [Frankfurter Allgemeine Zeitung] zu Konflikten in einer Suhler Unterkunft für Geflüchtete lesen, wo als Hauptproblem ein überbelegtes Heim und nicht die vermeintlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Differenzen der Menschen, die dort zwangsweise leben müssen, angesprochen werden.
Vor zwei Jahrzehnten wären in der FAZ ganz andere Töne zu lesen gewesen. Das ist keine antirassistische Aktion, sondern schlicht der Tatsache geschuldet, dass das deutsche Standortinteresse und die plumpe Ausländer-Raus-Rhetorik in Widerspruch geraten sind. In diesem Kontext kann Merkel in Heidenau noch einmal verdeutlichen, dass Deutschland solche Übergriffe nicht dulden wird.
Ob dann wie im berühmten Antifasommer 2000 auch juristisch gegen einige derjenigen, die sich besonders penetrant gegen Geflüchtete on- oder offline positionierten vorgegangen wird, ist noch offen. Es ist allerdings durchaus denkbar, wenn der rechte Rand die Ansage nicht ernst nimmt, dass das deutsche Standortinteresse auch mal gegen sie durchgesetzt wird. Till Schweiger hat ja schon mal recht populistisch den Vorschlag gemacht, ganz eifrige Rassisten mal für eine Nacht einzusperren und sie dann mit der Auflage zu entlassen, sich nicht mehr in der Nähe neuralgischer Orte aufzuhalten.
Aber selbst wenn es nicht bei reiner Symbolpolitik bleibt und der neuen deutschen Erweckungsbewegung die staatlichen Instrumente gezeigt werden, darf das nicht mit Antirassismus verwechselt werden.

Die guten und die schlechten Migranten

Das hat Merkel bei einem anderen Symbolbesuch gestern in Duisburg-Marxloh, einem als Problemviertel bezeichneten Stadtteil, deutlich gemacht. Einerseits forderte sie Menschen mit Migrationshintergrund auf, sich verstärkt um politische Stellen und auch bei der Polizei zu bewerben. Hier übt sie sich also in deutscher Standortpflege und wird auch manchen besonders konservativen CDU-Wähler einiges abfordern, die sich noch nicht daran gewöhnen können, dass ein Polizist in Deutschland Ali Demirel heißen kann.
Dabei ist klar, dass nur ein kleiner Teil der “Menschen mit Migrationshintergrund” dazu rechtlich überhaupt in der Lage sind. Merkel hat auch keineswegs in Duisburg signalisiert, dass sie die gesetzlichen Grundlagen schaffen will, um diese Rechte ausweiten. Vielmehr hat sie angekündigt, die Menschen, die keine Hilfe benötigen, schneller abzuschieben. Damit werden Menschen, die aus den unterschiedlichen Gründen nach Deutschland migrieren, weil sie sich hier ein besseres Leben als in ihrer Heimat erhoffen, erneut aufgeteilt.
Die Menschen, die Gefahr für Leib und Leben nachweisen können, haben hier vielleicht eine Chance. Wer nur Armut und Hoffnungslosigkeit entliehen möchte, hat diese Hilfe nicht verdient und muss wieder gehen. Dass es statt um Hilfe um Rechte gehen müsste, die Menschen, die hier ihr eigenes Leben aufbauen wollen, unterstützen, kommt für Merkel und ihr Klientel gar nicht in Betracht. Daher gehören zu Merkels Konzept Abschiebelager in den unterschiedlichen Formen.
Die Abschiebelager für Menschen aus dem Westbalkan, die von der CSU vor einigen Wochen in die Diskussion gebracht wurden, sind hier mit einbegriffen. Es war der Historiker Wolfgang Wippermann, der in einem geschichtlichen Beitrag daran erinnerte, dass solche Abschiebelager in der Weimarer Republik schon einmal gebaut wurden, um unerwünschte Jüdinnen und Juden aus Osteuropa dort zu konzentrieren. Daher wurden diese Einrichtungen damals völlig unbefangen Konzentrationslager genannt.
Nach dem NS [Nationalsozialismus] werden diese Begrifflichkeiten nur noch vom rechten Rand verwendet. Hier wird auch die Hauptdifferenz zwischen der sogenannten politischen Mitte und den extremen Rechten deutlich. Letzere haben auch heute kein Problem damit, Geflüchtete und politische Gegner in Konzentrationslager zu wünschen. Erstere sprechen von Abschiebecamps und überlegen auch, die Grenzen wieder zu schließen, um unerwünschte Fremde abzuwehren.
Schließlich verfügte der damalige preußische SPD-Innenminister Wolfgang Heine am 1. November 1919 die Landesgrenzen zu schließen, um die Einwanderung von sogenannten Ostjuden zu verhindern. Solche Töne würde man heute selbst im extrem rechten Lager nur noch von einer Minderheit hören. Wenn es um Roma vom Balkan geht, ist die Forderung nach separaten Abschiebezentren durchaus auch im Spätsommer 2015 in Deutschland noch gesellschaftsfähig.

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