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Schweiz: Ecopop und Entwicklungshilfe

Die Ecopop-Initiative, über die am 30. November 2014 abgestimmt wird, gibt vor, die sogenannte “Überbevölkerung” mittels “Entwicklungshilfe” lösen zu wollen. Wir publizieren hier eine Kritik an der kruden Vorstellung von “Entwicklungshilfe” der Initianten. (Red.)

von BFS Jugend Zürich

Die Ecopop-Initiative

Die Ecopop Initiative enthält in ihrer Angst vor Überbevölkerung nicht nur die Forderung zur Abschottung der Schweiz, sondern will auch weltweit dafür sorgen, dass die Bevölkerungszahlen sinken und somit den Migrationsströmen in den Norden an den vermeintlichen Wurzeln des Problems Einhalt geboten wird. Deswegen sollen 10 % der Schweizerischen Entwicklungsgelder in die Familienplanung gehen. Dieser Vorschlag verortet den Ursprung aller ökologischer Probleme bei der weltweiten Bevölkerungszahl und die Verschärfung des Misstandes beim Bevölkerungswachstum. Die Initiant*innen gehen in bevormundender, neokolonialistischer und sexistischer Weise davon aus, dass das Bevölkerungswachstum auf die angebliche Dummheit von Menschen (insbesondere Frauen) im globalen Süden zurückzuführen sei. Durch Aufklärung bezüglich Familienplanung und Zugang zu Verhütungsmitteln soll das geändert werden.
Diese Kurzschlüsse basieren auf einem (bewusst) falschen Verständnis von Ursache und Wirkung. Nur weil die zunehmende Umweltzerstörung zeitgleich stattfindet wie die Zunahme der Bevölkerung, heisst dies nicht, dass die Zunahme der Bevölkerung der Ursprung der Umweltzerstörung ist. Der Ursprung liegt in einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das auf Profitmaximierung ausgerichtet ist und somit auf einen möglichst hohen Konsum von jeglichen (oft sinnlosen) Produkten angewiesen ist. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ursachen von ökologischen Schäden findet man beispielsweise im Buch „Ökosozialismus – das geht!“[1].
Genauso wenig liegt der Ursprung für eine hohe Kinderrate lediglich bei mangelnder Bildung und mangelndem Zugang zu Verhütungsmitteln. In der Schweiz ist der Hauptgrund für den Rückgang der Geburtenrate in den letzten Jahrzehnten im Ausbau des Sozialversicherungssystems zu finden. Kaum jemand muss noch, so wie das früher üblich war, seine Eltern im Alter ernähren, respektive finanzieren. In Ländern in denen die Altersvorsorge schlecht oder inexistent ist, sind viele Kinder nach wie vor die beste Absicherung für das hohe Alter. Ecopop ignoriert also die sozialen Gegebenheiten in den von der Schweizer Entwicklungshilfe ausgewählten Ländern völlig.
Die Ideologie, welche von Ecopop vertreten wird, reduziert Frauen auf Gebärmaschinen, bei denen man sozusagen das Bevölkerungswachstum einstellen könne. Zwar wird kritisiert, dass Frauen oft nicht selbst entscheiden könnten, ob sie Kinder kriegen wollen, aber mit der Forderung die Geburtenraten ganzer Länder beeinflussen zu wollen, steht Ecopop in punkto Sexismus den kritisierten patriarchalen Strukturen in nichts nach. Und es geht noch weiter: pauschalisiert wird davon ausgegangen, dass in Ländern des Südens sowieso nur unselbständige, unterdrückte Frauen zu finden seien. Damit werden neokoloniale Stereotypen reproduziert.
Bereits in der Kolonialzeit sahen sich Menschen des Nordens dazu berechtigt über Massnahmen zu entscheiden, welche die Bevölkerung der Kolonien betrafen. Ecopop knüpft an diese rassistische Tradition an. Wir in der Schweiz hätten das Recht luxuriös zu leben und somit mehr Ressourcen zu verbrauchen, als die Menschen im globalen Süden. Und damit die Ressourcen für unseren Konsum weiterhin ausreichen, soll mittels Geburtenkontrolle dafür gesorgt werden, dass es nicht zu viele Arme gibt. Es wird in brauchbarere und weniger brauchbare (da arme) Menschen unterteilt. Die Ecopop-Initiative benützt das Instrument der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), um diese reaktionäre Ideologie in der Welt zu verbreiten. Dies gibt Anlass einen kritischen Blick auf die EZA zu werfen, und zu betrachten, welche wirtschaftlichen Interessen in der EZA – und allgemein „Hilfsgeldern“ die vom Norden in den Süden strömen– enthalten sind.
Heute wird „fortschrittlich“ versucht von Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen. Da wir aber meistens nur zwischen Unternehmen und Regierungen eine Zusammenarbeit feststellen können und selten eine Mitgestaltung der betroffenen Bevölkerung an den Entwicklungsprojekten vorhanden ist, benutzen wir bewusst den „rückschrittlichen“ Terminus Entwicklungshilfe. Im Gegensatz zu kooperativer Unterstützung beschränken sich grosse Teile der Entwicklungshilfe auf ein symptombekämpfendes, nicht nachhaltiges Helfen.

Was ist Entwicklungshilfe?

Der Begriff der Entwicklungshilfe grenzt sich in seinem Charakter von der Katastrophenhilfe und der humanitären Hilfe à la IKRK und den MSF[2] ab. Die humanitäre Hilfe und die Katastrophenhilfe agieren nach dem Prinzip: Dort wo es brennt soll was gemacht werden, damit das Ausmass einer humanitären Katastrophe möglichst gering bleibt. Sie charakterisieren sich durch einen kurzen bis mittleren zeitlichen Rahmen, denn die nachhaltige Entwicklung einer Region steht nicht im Fokus, sondern das Retten von Menschenleben. Daran gibt es moralisch gesehen wenig einzuwenden. In Katastrophensituationen brauchen Menschen Unterstützung. Soviel ist klar. Doch sobald die Krise ‚vorbei’ ist, hört die Unterstützung auf. Eines der Grundprinzipien des IKRK besteht darin, eine politisch neutrale Hilfe zu leisten, also unabhängig von den Interessen eines Staates möglichst vielen Menschen zu helfen. Damit sie dies möglichst flächendeckend machen können, entscheiden sie sich, keine Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Deshalb schweigen sie meistens bezüglich der vorgefundenen Bedingungen. Obwohl auch die MSF sich als neutral sehen, berichten sie von vorgefundenen Bedingungen. Dass dies im IKRK nicht möglich war, war der Hauptgrund für die Gründung der MSF. Das IKRK und die MSF sind nur zwei Beispiele von vielen Organisationen, die ihre Hilfe in einem zeitlich beschränkten Rahmen sehen.
Weiter gibt es viele Hilfsprojekte, bei denen nicht unbedingt eine unmittelbare Katastrophe vorliegt, sondern langfristig etwas aufgebaut werden soll. Dort kommen diverse kleinere und grössere NGO[3] ins Spiel. Zu den Bekanntesten zählen der WWF und World Vision. Nicht alle NGO können mit diesen beiden gleichgestellt werden. Es gibt auch eine Vielzahl an kleinen unabhängigen Projekten, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine nachhaltige Wirkung zu ermöglichen. Die Gelder der NGO stammen einerseits von Spenden einzelner Personen. Andererseits erhalten sie „öffentliche Zuschüsse“, das heisst staatliche Entwicklungsgelder.
Die staatlich gesprochenen Entwicklungsgelder werden in diverse Projekte investiert, offiziell meist mit dem Ziel die Armut zu bekämpfen. Hier spricht man von staatlicher Entwicklungshilfe bzw. ein wenig euphemistisch von Entwicklungszusammenarbeit. Als Beispiele hierfür kann man die OECD[4] oder die DEZA[5] betrachten. Die OECD-Staaten haben sich seit 1970 vorgenommen 0.7 % des BIP in Entwicklungshilfe zu investieren. Auch wenn die Mitgliedsstaaten nicht immer ganz 0.7 % ihres BIP einzahlen, ergibt dies heute alleine dadurch ca. 130 Milliarden USD pro Jahr an Entwicklungshilfe. In diesem Zusammenhang ist auch die Weltbank[6] zu nennen, welche Kredite (zwar teils zinslos) in gleicher Grössenordnung vergibt.
Die Entwicklungshilfe-Gelder kommen also von vorwiegend westlichen Staaten mit spezifischen wirtschaftlichen Interessen und internationalen Organisationen, die klare Interessen des internationalen Kapitals vertreten. Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss anderer imperialistischer Pole, wie z. B. China, welches seine Entwicklungshilfe in Afrika massiv vorantreibt. Zwischen 2000 und 2011 hat China 75 Milliarden USD in die Entwicklungshilfe für Afrika investiert, womit sie nur wenig hinter den USA liegen (90 Mrd. USD)[7].

Wirtschaftliche Interessen

Warum investieren also alle global gesehen wirtschaftlich stark positionierten Mächte so viel in die Entwicklungshilfe? Und was für eine Systematik wird im Allgemeinen durch die Entwicklungshilfe ausgelöst? Es ist wichtig bei diesen Fragen nicht vereinfachend nur Imperialismus zu sehen. Trotzdem sind einige wirtschaftliche Interessen offensichtlich. Die grossflächige Erschliessung von Märkten und der Zugang zu möglichst vielen Ressourcen werden durch die Entwicklungshilfe massiv vereinfacht. Der Hebel der entstehenden Abhängigkeiten wird teils mehr oder weniger transparent ausgenutzt.
Analysiert man die Funktionsweise der Weltbank, kann man zahlreiche Beispiele sehen, die aufzeigen, welche Vorstellung von Entwicklung hinter der Ideologie der Weltbank steht. Sei es eine Ölpipeline in Ecuador oder ein Vorantreiben der Privatisierung der Wasserversorgung in Bolivien. Im Fokus steht immer die Entwicklung von Infrastruktur, welche es beispielsweise attraktiver macht für internationale Konzerne in der Region Ressourcen abzubauen. Je besser zum Beispiel Ölvorkommen im ecuadorianischen Teil des Amazonasbeckens per Pipeline mit einem Pazifikhafen verbunden sind, desto grössere Profitraten sind zu erwirtschaften, bzw. desto konkurrenzfähiger kann das Öl exportiert werden. Solche Beispiele lassen sich in beliebiger Anzahl finden.
Oder man nehme das Beispiel eines aufgebauten Spitals. Im Namen der humanitären Tradition wird ein Spital gebaut und von Ärzt*innen aus imperialistischen Ländern betrieben. Die Abhängigkeit beginnt also beim Know-How des Personals, welches als Teil der Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Auch wenn teils versucht wird Leuten vor Ort das Know-How weiterzugeben, findet oft ein sogenannter „brain drain“[8] statt und die Abhängigkeit bleibt bestehen. Nebst dem Wissen bleibt auch das Materialangebot welches ein Spital benötigt – von der Prothese bis zum Computertomographen – in der Hand der Entwicklungshelfer*innen, respektive der Wirtschaft imperialistischer Staaten. Die wirtschaftlichen Interessen einer Markterschliessung für die grossen Pharmakonzerne sind dabei auch nicht zu vernachlässigen.
Das Argument man müsse die grossen Konzerne anlocken, damit man das Wirtschaftswachstum ankurbeln könne und alle davon profitieren, trägt dem Charakter der grossen Konzerne keine Rechnung. Diese verfolgen eine extraktivistische Praxis: Rohstoffe werden möglichst unverarbeitet exportiert und in der „entwickelten“ Welt verfeinert. Damit dies möglichst profitabel ist, werden unter (wirtschaftlichem) Druck Gesetze in den Herkunftsländern der Rohstoffe geändert, damit weniger Steuern vor Ort bezahlt werden müssen. Durch dieses Preis- und Steuerdumping profitiert in den Herkunftsländern der Rohstoffe kaum jemand vom naturgegebenen Reichtum. Am wenigsten die Umwelt und dementsprechend die Gesundheit der Bevölkerung vor Ort.
In der Systematik einer Entwicklungshilfe, welche auf an Forderungen gebundene Darlehen basiert, kann keine Rede von Entwicklungs- „Hilfe“ sein. Man müsste eher von Entwicklungssteuerung sprechen. Um aus Abhängigkeiten zu entkommen braucht ein Land seine eigene Infrastruktur von der Rohstoffförderung über die Weiterverarbeitung bis zur Produktion von Gebrauchsgegenständen.
So bleibt die Frage: Was lässt sich machen? Lässt sich etwas ohne globalen wirtschaftlichen Systemwechsel machen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Von Krisenhilfe bei Naturkatastrophen und medizinischen Notfällen (wie jetzt bei Ebola) ist nicht abzuraten. Schliesslich geht es um Menschenleben. Doch darf der symptombekämpfende Charakter der Krisenintervention nicht vernachlässigt werden.[9] Eine Symptombekämpfung, deren Wirkung ganz klar einen beschwichtigenden Charakter für unser Gewissen in der „entwickelten“ Welt hat.
Eine nachhaltige, selbständige Entwicklung dieser Länder – mit dem Ziel eines würdigen Lebens für alle, frei von Mangel, Ausbeutung und Unterdrückung – kann nur möglich sein, wenn wir das globale wirtschaftliche System von Grund auf ändern. So lange Konzerne aus reichen Ländern und deren Regierungen die Volkswirtschaften der „unterentwickelten“ Länder durch Rohstoffextraktivismus, Marktprotektionismus im Norden usw. systematisch klein halten, gibt es für die Menschen im globalen Süden kein Entkommen aus der Misere. Es sei denn sie nehmen eine meist gefährliche Emigration auf sich. In der Hoffnung im Norden eine bessere Lebensgrundlage zu finden.


[1] Klaus Engert: Ökosozialismus – das geht! Köln: Neuer ISP Verlag, 2010
[2] Das IKRK (Internationales Komitee des roten Kreuzes) fokussiert seine Arbeit auf Humanitäre Hilfe. Die MSF (Médecins Sans Frontières) sind eine Art Abspaltung vom IKRK, die ihre Arbeit auf die medizinische humanitäre Hilfe bei Naturkatastrophen fokussieren.
[3] NGO (Non Government Organisation) heisst übersetzt auf Deutsch Nichtregierungsorganisation.
[4] Die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) umfasst 34 Mitgliederstaaten, welche sich den Werten der Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft verschrieben haben. Es findet eine Koordination der staatlichen Entwicklungsarbeit statt, wobei die Mitgliederstaaten ihre Autonomie bewahren.
[5] Über die DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) laufen die schweizerische Entwicklungs- und humanitäre Hilfe.
[6] Die Weltbank wurde als Instrument zur Finanzierung des Wiederaufbaus nach den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg geschaffen.
[7]„Chinesische Entwicklungsfinanzierung in Afrika ist fast so hoch wie die der USA“: http://www.uni-heidelberg.de/presse/news2013/pm20130515_afrika.html
[8] Brain drain wird das Phänomen genannt, dass Leute die in „unterentwickelten“ Gebieten durch den Westen Zugang zu Bildung erhalten, damit auch die Möglichkeit haben anderswo ihr Leben aufzubauen und deswegen diese „unterentwickelte“ Region verlassen.
[9] Der Grund warum Ebola nicht in Europa ausbricht, sondern in Ländern wie Sierra Leone, liegt unter anderem in mangelnder Infrastruktur, da fast alles im Bürgerkrieg der 90er Jahre zerstört wurde. Weitere Gründe werden im Artikel https://sozialismus.ch/artikel/international/2014/afrika-ebola-armut-und-rassismus/ erläutert.

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