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Dienstbotenunruhen

aus der Debatte 20 / Frühling 2012

Um 1900 wurde die «Dienstbotenfrage» lebhaft diskutiert. Von der bürgerlichen Seite wurde der Mangel an guten Dienstmädchen beklagt, während von Sozialreformern und Sozialdemokraten die Lage der Dienstmädchen als Teil der sozialen Frage diskutiert wurde. Die genauere Betrachtung der Dienstbotenfrage zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann bei der heute wichtigen Diskussion um die «Hausarbeiterinnen» des 21. Jahrhunderts behilflich sein.


«Wir begrüssen es auf das Freudigste, dass eine der am meisten ausgebeuteten, getretenen und geknechteten Schichten des weiblichen Proletariats zum Bewusstsein ihrer traurigen Lage zu erwachen beginnt, sich wider das ihr auferlegte Elend empört und den Kampf für eine ernste Besserstellung solidarisch aufnimmt.» Mit diesen Worten begrüsste die Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, die Gleichheit von Klara Zetkin die Versammlungen der Dienstboten in Berlin im Sommer 1899. Die Dienstmädchen waren zu dieser Zeit eine der grössten Gruppen der weiblichen Lohnabhängigen. Die meisten von ihnen arbeiteten als einzige Angestellte in einem bürgerlichen Haushalt.

Arbeit im bürgerlichen Privathaushalt

Der bürgerliche Lebensstil wurde insbesondere vom mittleren Bürgertum zelebriert, um sich klar gegen untere Schichten der Bevölkerung abzugrenzen. Viele definierten über den standesgemässen Lebensstil ihre Klassenzugehörigkeit, obwohl die finanziellen Mittel dafür nur knapp reichten. Das Dienstmädchen war für den bürgerlichen Lebensstil unerlässlich. So hatten um 1900 ungefähr zwanzig Prozent der Haushalte in Berlin ein Dienstmädchen eingestellt. Dieses hatte die Hausfrau von der schweren körperlichen Arbeit zu befreien und jederzeit zur Verfügung zu stehen. Die Hausfrau hatte immer gepflegt auszusehen und musste jederzeit bereit sein, spontane Gäste zu empfangen. Die Wohnung oder das Haus musste immer eine ruhige Behaglichkeit ausströmen und niemand sollte merken, dass da gearbeitet wurde. Da die Ehefrau in dieser Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern nicht mehr zum Familieneinkommen beitragen durfte, war eine ihrer wichtigsten Aufgaben die Repräsentation. Die Hausarbeit zu dieser Zeit war jedoch mit grosser körperlicher Anstrengung verbunden und ein Hausmädchen konnte sie nicht alleine verrichten. Die meisten Hausfrauen kaschierten darum möglichst, dennoch im Haushalt arbeiten zu müssen. Dies führte zu vielen Konflikten mit den Dienstmädchen, da diese ihre Arbeit nicht selbstständig ausführen konnten. Weitere Konflikte zwischen Dienstherr_innen und Dienstmädchen kamen auch von den Abgrenzungsstrategien der bürgerlichen Familien. Diese Abgrenzung zeigte sich beispielsweise darin, dass die Dienstmädchen die Reste der Dienstherr_innen oder qualitativ schlechtes Essen bekamen. Weiter war die Unterkunft der Mädchen oft sehr schlecht, sie schliefen zum Beispiel auf Hängeböden, welche in der Küche oder im Bad unter der Decke befestigt wurden.

Dienstbotenunruhen

In den Versammlungen der Dienstboten im Sommer 1899 meldeten sich die Dienstmädchen zu Wort und machten auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam. Sie forderten mehr Freizeit als alle zwei Wochen ein paar Stunden und sie forderten die Abschaffung der Gesindeordnung, die das Arbeitsverhältnis der Dienstboten als einziges Arbeitsverhältnis nicht im Gewerberecht, sondern im Polizeirecht regelte. Die Hausfrauen und die bürgerliche Presse reagierten mit Spott, Hohn und mit Drohungen. Und auch wenn die Versammlungen der Dienstmädchen keine Fortsetzung fanden, so war doch das Thema nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Es wurden Erhebungen zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Dienstmädchen erstellt, Zeitungsartikel, Broschüren und Bücher zum Thema der Dienstbotenfrage geschrieben. Die Dienstmädchen kamen aber meistens nicht mehr zu Wort. Ob gegen sie oder für sie geschrieben wurde, es wurde über sie geschrieben und nicht von ihnen selbst.

Klassenkampf?

Obwohl Klara Zetkins Gleichheit die Dienstbotenbewegung «als Teil der revolutionären Kampfesbewegung des Proletariats für die Befreiung der Arbeit» begrüsste, waren die Versammlungen der Dienstboten nicht langfristig. Die Dienstmädchen traten weder den Gewerkschaften noch dem sozialdemokratischen Verein für die Interessen der Hausangestellten massenhaft bei. Dies, obwohl die Sozialdemokraten die Einzigen waren, welche auch im Reichstag für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Dienstmädchen eintraten. Waren die alten Vorurteile der Sozialdemokratie und Gewerkschaften vielleicht doch wahr und die Dienstmädchen nicht organisierbar? Waren sie wirklich so chaotisch, wie die Versammlungen beschrieben wurden? War die «Harmonieduselei», die im Artikel von Klara Zetkin den Dienstmädchen vorgeworfen wurde, der Grund, warum der Kampf gegen die Unterdrückung nicht fortgeführt wurde? Waren die Dienstmädchen doch kleinbürgerlich orientiert, wie viele in den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie annahmen?
Die Isolation der Dienstmädchen, die Arbeitszeiten, welche rund um die Uhr dauerten und das Streik- und Koalitionsverbot waren bestimmt wichtige Hintergründe, warum es für die Dienstmädchen schwierig war, sich zu organisieren. Aber es gab auch andere Gründe. Die Dienstmädchen Berlins hatten andere Strategien des Widerstands als die gewerkschaftliche Organisation, diese passten aber nicht in das Bild des Klassenkampfes der Sozialdemokraten und wurden daher auch nicht als Widerstand wahrgenommen.
Die Dienstmädchen Berlins wechselten durchschnittlich alle sechs bis neun Monate ihre Stelle. Durch die hohe Fluktuation und den Nachfrageüberschuss konnten die jungen Frauen Stellen, welche ihnen gar nicht entsprachen, schnell wieder verlassen. Durch die kurze Anstellungsdauer entzogen sie sich überbordenden Anforderungen seitens der Dienstherr_innen und weichten auch die Abhängigkeit etwas auf. Um den geringen Lohn etwas aufzubessern, war der «Marktgroschen» eine übliche Praxis: Die Marktverkäufer stellten den Dienstmädchen aufgerundete Quittungen aus, wobei der Rundungsbetrag an die Dienstmädchen ging. Von vielen Dienstherr_innen gefürchtet war auch der Tratsch und Klatsch der Dienstangestellten, hatten sie doch Einblick in das Privateste der bürgerlichen Familien und konnten durch das Streuen von Gerüchten dem Ruf der Familie entscheidend schaden. Mit solchen und ähnlichen Strategien versuchten die Dienstmädchen sich Spielräume und Entscheidungsmacht zu verschaffen.
Die Lebensbedingungen der Dienstmädchen wurden dadurch nicht massgeblich verbessert und es fanden auch keine kollektiven Aktionen mit diesem Ziel statt. Es waren individuelle Reaktionen auf konkrete Situationen, diese wurden aber massenhaft praktiziert und hatten so auch eine gewisse Schlagkraft.

Mädchen vom Land

Ein weiterer wichtiger Grund, warum sich die Dienstmädchen nicht kollektiv für ihre Interessen einsetzten war, dass das Dienstmädchendasein selbst eine Strategie darstellte. Der grösste Teil der Berliner Dienstmädchen kam nicht ursprünglich aus Berlin. Die zum Teil erst 15-jährigen Mädchen entstammten landwirtschaftlich geprägten Regionen und erhofften sich in der Stadt ein besseres Leben. Der Weg, ihre Familie zu verlassen und sich in der Stadt zu integrieren, führte über die Arbeit in einer Familie, wo Kost, Logis und das soziale Gefüge gesichert waren.
Viele der Dienstmädchen verliessen schon nach ungefähr fünf Jahren den Beruf. Viele heirateten und arbeiteten weiter in Haushalten, wohnten aber aufgrund der eigenen Familie nicht mehr bei den Arbeitgeber_innen und hatten so mehr Freiheiten und weniger lange Arbeitszeiten. Es gab aber auch jene, die in die Textilindustrie wechselten oder in den Dienstleistungssektor, wo sie als Hilfskraft bei einem Metzger oder Bäcker arbeiteten. In diesen Berufen konnten die jungen Frauen stärker über ihre Zeit verfügen, als es bei Dienstmädchen der Fall war. Zudem wohnten sie nicht mehr in einer Familie, welche ihnen vorschrieb, wie sie sich zu verhalten hätten.

Dienstmädchen des 21. Jahrhunderts

In der heutigen Debatte um die Hausangestellten stellen sich teilweise ähnliche Fragen wie vor hundert Jahren. Die Unsichtbarkeit und Isolation der Arbeitskräfte in Privathaushalten erschwert kollektive Strategien stark. Wie damals sind auch heute die Frauen, welche Haus- oder Pflegearbeit als Lohnarbeit leisten, meist Migrantinnen. Heute stellt sich hier die zusätzliche Frage der Illegalisierung dieser Frauen. Und im Unterschied zur Arbeiterbewegung der damaligen Zeit sollte Solidarität mit den Hausangestellten heute ihre eigenen Strategien berücksichtigen und die Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen.

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