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Syrien: Which side are you on?

Seit März 2011 protestierten im Zuge des «arabischen Frühlings» hunderttausend SyrerInnen gegen das diktatorische Regime von Bachar el-Assad. Die Proteste wurden zusehends in die Logik des Krieges gezogen, in deren Folge 27 000 Menschen getötet wurden und über 1,5 Millione

n ihre Heimat verlassen mussten.


Im vorwärts Nr. 31/32 wurden zwei Texte zu den Geschehnissen in Syrien abgedruckt. Es handelt sich einerseits um die Position der Partei der Arbeit Schweiz (PdAS), andererseits um den von der Kommunistischen Jugend (KJ) lancierte «Appell für Frieden in Syrien!» Wir werden in diesem Beitrag eine Replik zu diesen zwei Positionen formulieren. Diese Diskussion bekommt in Anbetracht eines Aufrufs von SyrerInnen und politischen Organisationen zu einer «Solidaritätsdemonstration mit der syrischen Bevölkerung» eine konkrete Dimension.
Die Situation in Syrien

Die Gründe für den Aufstand der SyrerInnen liegen in einer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Situation des Landes. Bachar el-Assad ist im Jahre 2000 als Nachfolger seines verstorbenen Vaters an die Macht gekommen. Er hat die neoliberalen Gegenreformen, die schon Mitte der 1990er Jahren eingeläutet wurden, drastisch akzentuiert. Die Folgen waren frappant: Eine neue korrupte Allianz zwischen Besitzenden sowohl aus dem privaten wie auch aus dem staatlichen Sektor um die Baath-Partei dominierten die öffentlichen Strukturen. Minimale Wohlfahrtsprogramme, wie beispielsweise die Subventionen für Nahrungsmittel, wurden rapide abgebaut. Die Verarmungswelle traf insbesondere die Bauern, die in die Städte flüchteten.
Schon damals kam eine neue Generation von laizistischen Opponenten des Regimes auf. Sie organisierte sich, wurde aber schon bald wieder unterdrückt. Durch die Ereignisse in Tunesien und Ägypten 2011 lebte sie wieder auf und organisierte sich erneut. Das war der Ursprung eines Aufstandes, der sich zum Ziel gesetzt hat, Syrien von einer antisozialen und repressiven Herrschaft zu befreien.
Allerdings wurde die soziale Bewegung – deren Zusammensetzung von Anbeginn an sehr heterogen war – nach und nach in einen Konflikt zwischen verschiedene Fraktionen der herrschenden Klasse gezogen. In der heutigen Logik des Krieges scheint es ausserordentlich schwierig, dass sich ein Widerstand mit sozialrevolutionärer Ausrichtung noch formieren könnte. Auf der einen Seite stehen Assad und seine Schergen, die von Iran, Russland und China unterstützt werden, auf der Anderen eine höchst fragmentierte Opposition, die in weiten Teilen wie etwa die «Freie Syrische Armee» auf die Hilfe der Türkei, Saudi-Arabien und Katar zählen können, während im Hintergrund die USA, Grossbritannien und Frankreich mitwirken.
Imperialismus und Antiimperialismus

Wieso ergreifen heute KommunistInnen zumindest implizit Partei für das Assad-Regime? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die Ideologie des Antiimperialismus genauer anschauen. In der Linken findet oft eine falsche Diskussion zu Imperialismus und Antiimperialismus statt. Diese basiert meist auf ein vereinfachtes Bild der kapitalistischen Verhältnisse. Statt die weltweiten Beziehungen der Nationalstaaten zu einem bestimmten Punkt des kapitalistischen Zyklus zu reflektieren, wird mit vereinfachenden Stadientheorien hantiert. Man greift dabei gerne auf die Imperialismus-Theorie von Lenin zurück. Man muss Lenin dabei allerdings zugutehalten, dass er seine Theorie für die proletarische Emanzipation entwickelte. Diese Dimension geht heute bei den antiimperialistischen Planspielen fast immer verloren.
Rosa Luxemburg kritisierte die Vorstellungen Lenins deutlich. In ihrer Junius-Broschüre wies sie darauf hin, dass der Imperialismus eben nicht bloss die Beherrschung und Ausplünderung von rückständigen Nationen durch mächtige Kapitale ist oder dass es nicht hier einen altersschwachen und dort einen jungen noch progressiven Kapitalismus gebe, sondern dass der Kapitalismus eine weltweite Totalität darstellt. Sie schrieb: «Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag.»
Ausgehend von dieser Analyse ist es verfehlt, den Westen als imperialistisch und Teile des Ostens als antiimperialistisch zu bezeichnen, bloss weil diese Länder im internationalen Wettbewerb gegen die Interessen des Westens agieren. Sowohl die internen sozialen Kämpfe wie auch die Interventionen im Ausland zeigen, dass die Regierungen im Iran, in China und in Russland Interessen verfolgen, die ihre kapitalistische Entwicklung ankurbeln und ihrer Position in der internationalen Konkurrenz dienen.
Was heisst das für uns?

Wer sich also aus antiimperialistischer Sicht gegen die Intervention der NATO ausspricht, soll gleichzeitig die realen imperialistischen Interventionen des Irans (Brigaden und «Snipers» im Dienste von Assad) und Russlands (Waffenlieferungen an Assad) in Syrien verurteilen. Gleichzeitig dürfen wir die Prioritäten nicht auf eine einfache Verurteilung von Interventionen setzen – denn die haben auf jeden Fall katastrophale Folgen, unabhängig davon, auf welcher Seite sie passieren. Es muss uns um Formen der Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten gehen, denn der Antiimperialismus ist kein Ziel an sich, vielmehr ist er das Ergebnis unserer Unterstützung für die Emanzipation der ProletarierInnen. Entsprechend stellen wir uns nicht auf den Standpunkt dieses oder jenes Nationalstaates oder dieser oder jener Fraktion der herrschenden Klasse, sondern fragen immer konkret nach der Entwicklung und dem internationalen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen.
Heute stützt sich die syrische Opposition auf ein breites Netzwerk aus lokalen Komitees und Gruppen, die der Bevölkerung den Zugang zu Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Hilfe zu versichern versuchen. Ohne diese grundlegenden Formen der Selbstorganisation der Bevölkerung wäre angesichts der massiven Militarisierung des Konflikts die humanitäre Katastrophe schon längst vollbracht. Wer diese Kräfte sind und was ihre politische Perspektive ist, das lässt sich in der momentanen Situation aber nur schwer in Erfahrung bringen, zumal sie höchst zersplittert sind und teilweise in direktem Widerspruch zueinander stehen. Als KommunistIn muss man sich aber vielleicht auch die eigene Schwäche eingestehen und sich nicht aufführen wie ein bedeutender Staatsmann, der in der zwischenstaatlichen Konkurrenz etwas zu sagen hätte. Und so gilt es, sich mit den anti-diktatorischen und sozialrevolutionären Kräfte in Syrien – so marginal und isoliert sie zur Zeit auch sein mögen – zu solidarisieren.
Aus: vorwärts, die sozialistische Zeitung, 28. September 2012

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