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B² – Von Beauvoir zu Butler

Mit viel Interesse haben wir die ersten Ausgaben von outside the box Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik gelesen und können nur zustimmen, dass feministische Debatten und Kämpfe auch innerhalb linker Strukturen nach wie vor unabdingbar sind. Daher wünschen wir der Redaktion und den Helferinnen viel Erfolg. (Red.)


von: Kristina Biene; aus: outside-mag.de

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katharina marximmixer auch outside-mag.de

Eine kurze Geschichte der feministischen Philosophie

Die Geschichte, die es hier zu erzählen gilt, ist kurz. Und das ist ein erstes Merkmal unserer Protagonistin, der feministischen Philosophie – sie ist verdammt jung. Viele Expertinnen versichern, dass sie vor genau 60 Jahren geboren wurde. Geburtstort: Paris. Schauen wir also, 1949 durch ein Schaufenster, vielleicht um uns im Spiegel zu betrachten und sehen stattdessen oder dementsprechend Das andere Geschlecht, 900 Seiten stark, dank Simone de Beauvoir auf die Welt gekommen. Ein Buch, das sich auf langen und unterschiedlichen Wegen darum bemüht, dieses scheinbare Mysterium „Frau“ einzukreisen und dabei die ausgetretenen Pfade der Psychoanalyse, der Biologie und des historischen Materialismus mitgeht, um deren Grenzen aufzuzeigen und um am Ende seines eigenwilligen Trampelpfades quer durch das weite Feld der Geschichte und Theorien über „die Frau“ zu dem Fazit zu kommen: „MAN wird nicht als Frau geboren, man wird es“ 1 . Aber ehe wir mit unserer Kurzgeschichte beginnen, könnten strittige Stimmen bereits hier eingreifen und fragen, mit welchem Recht wir uns schon auf den Straßen von Paris befänden. Die Frauengeschichte habe längere Wege hinter sich gebracht und dabei Philosophie produziert! In den Zimmern der Romantikerinnen etwa, Rahel Varnhagen, Karoline von Günderrode und Caroline Schlegel, die sich in Briefen über dieses Schicksal und Stigma „Frau“ austauschten. Und überhaupt, Mittelalter, zum Beispiel Margareta Porète, die sich zwischen Mystik und Philosophie bewegte oder aber die Antike, die jede Menge weibliche Gelehrte, Dialektikerinnen und Pythagoreerinnen kannte.
Um auf die Jugendlichkeit der feministischen Philosophiegeschichte zu bestehen, ließe sich zum einen anmerken, dass es zwar schon viele feministisch-philosophische Ansätze vor 1949 gegeben hat, diese aber Rufe ohne Echo blieben. Sie wurden nicht aufgenommen, von einer Bewegung, die sich auf sie rückbezogen hätte. Zum anderen muss zwischen feministischer Philosophie und weiblichen Philosophinnen unterschieden werden. Zwar wurde die feministische Philosophie vor allem von Frauen geschrieben, nicht jede Philosophin macht sich dagegen die feministische Philosophie zum Schwerpunkt. Was aber ist es dann, was die feministische Philosophie zur feministischen Philosophie macht? Das einzige, was klar zu sein scheint ist, dass es keine klare Definition gibt. Stattdessen also ein Dunstkreis von Stimmen und Texten, die aber eines gemeinsam haben, die kritische Thematisierung des Geschlechterverhältnisses und die damit einhergehende Forderung, dass die Kategorie des Geschlechts in die Philosophie konsequent eingeführt werden soll. Feministische Philosophie will dabei gerade nicht Teildisziplin der traditionellen Philosophie sein, als Feigenblatt fungieren, das das unliebsame Thema Geschlecht ab- und damit bedeckt. Sie hat sich größere Ziele gesteckt, die unmittelbar mit ihren beiden Quellen verbunden sind, der traditionellen Philosophie und der modernen Frauenbewegung. Alle feministischen Philosophinnen beziehen sich auf eine bestimmte philosophische Richtung, eine theoretische Folie, auf der und in Abgrenzung zu der sie ihre Thesen entwickeln. Während Simone de Beauvoir durch die existenzialistische Brille schaut, sieht Luce Irigaray das Geschlechterverhältnis aus psychoanalytischer Perspektive und Judith Butler wiederum interpretiert die Welt poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch.
Wir werden gleich flüchtige Blicke durch diese Sehhilfen werfen. Nicht weil die drei Philosophinnen die einzigen wären, sondern weil sie zum einen auf exemplarische Weise den Fokus auf die blinden Flecken dieser wichtigen philosophischen Schulen richten und zum anderen die theoretische Basis für die drei großen Wellen des Feminismus bilden. Beauvoir untermauert die Forderungen des Gleichheitsfeminismus, Irigaray stärkt den Differenzfeministinnen den Rücken und Butler wird als Vertreterin des third-wave-feminismus angesehen. Dabei schauen diese Theoretikerinnen trotz ihrer unterschiedlichen Brillen auf den gleichen Gegenstand, das Geschlechterverhältnis und dessen Thematisierung und Nichtthematisierung auf der philosophischen Spielwiese, die, wie könnte es auch anders sein, vorwiegend von Jungs besiedelt wird.
Es lassen sich grob drei verschiedene Ebenen ausmachen, auf denen die feministische Philosophie in die traditionelle eingreifen will. Zum einen werden philosophische Theoreme über das Geschlechterverhältnis einer Kritik unterzogen. Und da hat die feministische Ligue jede Menge zu tun, beginnen die männlichen und oftmals misogynen Ansichten über das Wesen der Frau ja unmittelbar mit dem Beginn der Philosophie, wenn wir diese in der Antike verordnen wollen.
Daran schließt unmittelbar die zweite Ebene an, auf der die Feministinnen die traditionelle Philosophie gegen den Strich bürsten. Sie hinterfragen all die scheinbar neutralen Begrifflichkeiten der Philosophie nach ihrem geschlechtsspezifischen Gehalt. Dabei liegt ein Hauptaugenmerk auf dem Begriff der Vernunft. Seit der Aufklärung gilt diese als die große Errungenschaft und als Wahrzeichen für das menschliche Wesen. Mensch und Mann werden dabei meist per Ergänzungstheorie gleichgesetzt. Demnach sei das naturhafte Wesen der Frau dem Mann bei der Menschwerdung dienlich, nicht aber umgekehrt. So bleibt die Frau, was Frauen viel zu oft waren und sind, ein diffuses Anhängsel im Dunstkreis eines männlichen Zentrums.
Die dritte Ebene ist der Spurensuche weiblicher Philosophinnen gewidmet. Es scheint kein Fachwissen über Philosophiegeschichte notwendig zu sein, um mit Sicherheit sagen zu können, dass sie eine Männergeschichte ist. Arendts Kommentar dazu: „es braucht ja nicht eine männliche Beschäftigung zu bleiben“2 gilt es zu ergänzen – die Philosophie ist voll von Philosophinnen, nicht aber ihre Geschichtsschreibung. Das Philosophinnenlexikon von Ursula Meyer kennt glatte 190 Frauen, von denen kaum eine bekannt ist und was man nicht kennt, scheint auch ohne Bedeutung zu sein. Diese übergroße und kaum bemerkte Leerstelle gilt es mit Namen und deren Ideen zu füllen. Dass diese Sisyphusarbeit zu keinem Ende kommen wird, ist gewiss. Nicht nur wegen der Unmengen an unbekannten Philosophinnen. Sondern auch aufgrund all der Leerstellen, die ungefüllt bleiben müssen, weil den meisten Frauen der Weg zur Bildung konsequent verschlossen wurde und so viele Gedanken und Texte nicht zur vollen Entfaltung kommen oder den Weg auf das Papier finden konnten.
Neben dieser überdimensionalen Baustelle, der Kritik an der traditionellen Philosophie, hat die feministische Philosophie eine weitere Fundgrube, aus der sie ihre Kraft gewinnt, um sie für den erhofften Umbau der anderen zu verwenden – die moderne Frauenbewegung. Hier entsteht zum einen die Wechselwirkung zwischen feministischer Theorie und Praxis, zum anderen finden sich hier die ideellen Ressourcen, um an der Entwicklung der feministischen Philosophie selbst zu werkeln, anstatt sich ständig auf unliebsame Weise, mit ebenso unliebsamen, da frauenfeindlichen Theoremen herumzuschlagen.
Was ist die feministische Philosophie nun also? „Ein Philosophieren am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau“3, so Herta Nagl-Docekal. Auch wenn diese Begriffsbestimmung ebenso weit wie angreifbar ist, bietet sie doch eine erste Orientierung und macht deutlich, wohin es gehen soll. Zur Emanzipation von Frauen. Über den Inhalt dieses schillernden Begriffs streiten sich die feministischen Philosophinnen allerdings heftig und kommen nicht selten zu grundsätzlich unterschiedlichen Ansichten, wie sich im Folgenden zeigen wird.

Das andere Geschlecht – Simone de Beauvoir

„Was ist eine Frau? Schon beim Formulieren der Frage kommt mir eine erste Antwort. Es ist bezeichnend, dass ich sie überhaupt stelle. Ein Mann käme gar nicht auf die Idee ein Buch über die einzigartige Situation der Männer innerhalb der Menschheit zu schreiben“.4 So Beauvoir in der Einleitung ihres Buches Das andere Geschlecht, der streitbaren Bibel der feministischen Philosophie. Und damit ist nahezu schon alles gesagt. Als das Wesentliche, das Neutrale, die Norm, gilt der Mann, die Frau dagegen erscheint als das Andere, ihm Zuträgliche, Zugehörige, Unwesentliche. An diese erste Frage schließt sich die zweite unmittelbar an: Warum ist das so? Und für Existentialistinnen wie Beauvoir stellt sich diese Frage in dringlichster Form. Denn das Subjekt setzt sich, so die existentialistische Auffassung, indem es sich entgegensetzt, sich als das Wesentliche erfährt und die anderen als das Andere, das Unwesentliche, als Objekt. Dieses Verhalten gestaltet sich weniger schaurig und egoistisch als es vorerst den Anschein haben mag, denn das andere Subjekt oder Bewusstsein verfährt ebenso, wodurch im Idealfall eine gleichberechtigte Beziehung entsteht. Wie setze ich mich nun aber als das Wesentliche? Durch die aktive Überschreitung der Immanenz, des Körperlichen, des Gegenwärtigen, hin zu einem eigenen Entwurf meiner selbst, hin zur Transzendenz, wäre die existentialistische Antwort. Nur wenn ich mich, dank der Vielzahl an möglichen Seinsformen, entscheide und mein Leben tatsächlich als mein eigenes erfasse, es gestalte und Verantwortung für dieses übernehme, erlange ich den Status eines Subjekts. Frauen fliehen dagegen zumeist vor ihrer Freiheit. Statt sich selbst als das Zentrum ihres Lebens zu erfassen und es aktiv und autonom zu gestalten, verharren sie in der Immanenz. Die Frau sehe sich selbst mit dem männlichen Blick und bleibe damit die Andere, die sich bemüht, ihr Sein seinen Wünschen entsprechend zu formen, statt seinem Blick als gleichwertiges Gegenüber stand zu halten. Weshalb setzt nun also die Frau dem Mann, der sie als das Andere konstituiert, nicht ihr Selbst entgegen? „Weil ihr die konkreten Möglichkeiten dazu fehlen, weil sie ihre Bindung an den Mann als notwendig empfindet, ohne deren Reziprozität zu setzen, und weil sie sich oft in ihrer Rolle als Andere gefällt“5, antwortet Beauvoir. Ziel müsse es demnach sein, die Transzendenz, die Möglichkeiten des eigenen Lebensentwurfs, zu erobern. Dabei sind zwei Thesen zentral und hilfreich. Erstens: Die gegenwärtige Arbeitsteilung (Frau reproduziert mittels Küche und Kinder, Mann produziert außerhaus) ist keine naturgegebene Tatsache und muss von keiner Frau akzeptiert werden. Zweitens: Es besteht eine Differenz zwischen dem biologischen und dem gesellschaftlichen Geschlecht und dabei ist das biologische nur marginal an der Entstehung der Frau beteiligt. Viel größere Bedeutung gesteht Beauvoir dem sozialen Geschlecht, dem gender, zu. Die biologischen Tatsachen brauchen dabei keine gesellschaftliche Relevanz zu erfahren, wenn die Frau nicht auf die Immanenz und das Körperliche reduziert und die Transzendenz nicht mit dem Phallus identifiziert würde. Denn so gerät eine Frau, die ihre Möglichkeiten ergreift, die ein selbstgewähltes Leben zu leben versucht, unmittelbar in Konflikt mit der gängigen Vorstellung von Weiblichkeit, die sich gerade durch das Annehmen des männlichen Blicks, der Passivität und dem Verharren in der Immanenz auszeichne. Emanzipation nach Beauvoir meint dementsprechend, dass Frauen die Immanenz überwinden, sich als das Wesentliche konstituieren und sich damit dem Mann gegenüber gleichsetzen sollten. Männer wiederum stünden vor der Aufgabe, Frauen die Möglichkeit zu lassen, sich als Subjekte zu konstituieren. Immanenz und Transzendenz seien keine geschlechtsspezifischen Begriffe, auch dem weiblichen Geschlecht stehe der Weg zur Transzendenz prinzipiell offen und zu, wenn es sich von dem uneigentlichen Leben der Anderen verabschiede.

Das Geschlecht das nicht eins ist – Luce Irigaray

So wichtig Das andere Geschlecht für den Gleichheitsfeminismus war, so bedeutsam wurde es für den Differenzfeminismus, um sich abzugrenzen. Was sollte das bedeuten, die Transzendenz sei geschlechtsneutral und deshalb auch für Frauen zu erreichen? Ebenso wie die Vernunft und das dazugehörige Menschenbild nur scheinbar auf alle Geschlechter zutrafen, sei doch auch die Transzendenz, die Beauvoir so rosig vorschwebte, eine männliche, der sich die Frau anzugleichen habe. Weshalb wurde die Immanenz, das Körperliche, das Gegebene so negativ gesehen, weshalb die Schwangerschaft als reine Immanenz verkannt? Diese körperfeindlichen Anwandlungen des Existentialismus gelte es zu überwinden, ebenso wie die Gleichmacherei von Mann und Frau. Und überhaupt, was sollte diese ständige Dichotomie von Transzendenz und Immanenz? Damit würden die Frauen doch nur ein weiteres mal auf das Klischee der Natur und Körperlichkeit reduziert – was wir brauchen ist etwas ganz Neues und Anderes, fernab von diesen androzentristischen, männlichkeitsfixierten und vermeintlich geschlechtsneutralen Begrifflichkeiten! Mit solchen oder ähnlichen Verwünschungen und Wünschen mögen die Differenzfeministinnen Das andere Geschlecht in die Ecke geschmissen haben und begannen an und über andere Geschlechter zu schreiben, allen voran Luce Irigaray Das Geschlecht, das nicht eins ist. Einig war sie sich mit Beauvoir darin, dass das Männliche als das Neutrale und Wesentliche gesetzt werde, die Frau dagegen als das Andere.
Im Gegensatz zu Beauvoir geht es Irigaray nun aber darum, dieses Andere als anderes anzunehmen, aufzuwerten und vor allem und zuallererst zu erforschen, da das Weibliche vom männlichen Blick, von der männlichen Schrift und Sprache verdrängt worden sei. Wie also können die weiblichen Schätze, die unter den männlichen Festungen seit Jahrhunderten vergraben gelegen haben, ge- und erfunden werden? Um Irigarays Antwort zu verstehen, müssen wir einen kurzen Blick durch ihre psychoanalytische Brille werfen, deren Doktrin vorerst von Lacan eingestellt worden war. Lacan unterscheidet zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen. Unsere kleine Geschichte muss sich damit begnügen, das Imaginäre als den Bereich des Unbewussten, des Vorsprachlichen und als Reich der grundlegenden Erfahrungen wie Begehren und Leiblichkeit zu fassen. Dieses Stadium findet seinen Anfang in der präödipalen und dualen Beziehung zwischen Mutter und Kind. Diese symmetrische Beziehung wird nun durch den Vater aufgebrochen und zu einem hierarchischen Dreieck umgeformt. Lacan erweitert dabei das Konzept des Ödipuskonflikts Freuds, indem er die Sprache mit ins Spiel bringt, die mit dem Vater in die duale Mutter-Kind- Beziehung und deren vorsprachliche Kommunikation hineinplatzt. Und mit der Sprache, mit dem Vater und dem Phallus beginnt die symbolische Ordnung, in der es kein spielerisches, leeres Sprechen und Lallen mehr gibt, sondern nur eine klare Zuweisung von Wort und Bedeutung. Die Sprache ist für die PoststrukturalistInnen deshalb von so großer Bedeutung, weil sich in ihr das Begehren ausdrückt. Nun stehe es aber um das weibliche Begehren innerhalb dieser Theorie verdammt schlecht, so Irigaray. Die Mutter bleibe Objekt und verharre im Imaginären, im Unbewussten, im Vorsprachlichen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Frauen nicht sprechen könnten, aber diese Sprache sei eine männliche, in der das weibliche Begehren keinen Platz finde. Das weibliche Imaginäre sei jedoch nicht, wie bei Lacan angelegt, eine Vorstufe zum patriarchal dominierten Symbolischen, sondern habe einen eigenen Wert, wie auch die weibliche Sexualität eine eigene sei, die eben nicht nur zur Befriedigung anderer ausgelebt werde. Das weibliche Imaginäre sei ein Raum, in der die Subjekt-Objektgrenzen noch nicht festgelegt seien. Die weibliche Identität sei, wie die Vagina, offen, durchlässig, ohne klare Grenzen. Emanzipation à la Irigaray bedeutet also die Entdeckung und Aufwertung der weiblichen Sexualität, des weiblichen Sprechens und des weiblichen Imaginären, um Frauen ein selbstbestimmtes Leben fernab der männlichen Hegemonie zu ermöglichen. Spätestens wenn Irigaray als Lösungsweg eine weibliche Religion und eine ebenso weibliche Ökonomie in Anschlag bringt, scheint es ratsam, in Deckung zu gehen und sich philosophischen Alternativen zuzuwenden.
Geschlechterpluralität statt zweidimensionaler Ödnis – Judith Butler
Judith Butler bleibt insofern der Tradition der feministischen Philosophie treu, als dass sie Philosophen und Psychoanalytiker auf ihren misogynen Gehalt hin hinterfragt und umdeutet. Vor allem aber geht sie gegen den Essentialismus und Biologismus der Differenzfeministinnen vor. Während bei Beauvoir der Schlüsselbegriff die Existenz ist, bei Irigaray die Differenz, ist es bei Butler die Konstruktion. Wie lässt sich das Geschlecht nun als Konstruktion denken? Butler nimmt die Trennung Beauvoirs von biologischem und sozialem Geschlecht wieder auf und vollführt damit eine Begriffsjonglage, wenn sie behauptet, sex sei gender und noch eine dritte Kategorie hinzufügt, das Begehren. Geschlecht besteht demzufolge erstens aus gender, dem sozialen Geschlecht, das durch Nachahmung erlernt wird, und zweitens dem sex, dem geschlechtlichen Körper, der als sehr realer Effekt des genders aufgefasst wird. Dass wir unseren Körper als weiblichen erleben, ist demzufolge kein Geschenk irgendeiner Natur, sondern das Produkt einer unendlichen Kette von Zuschreibungen, die uns in die Köpfe und Körper geschrieben sind. Als dritten Aspekt führt Butler das Begehren ein und das wird zumeist als heterosexuelles bestimmt. Männer lieben Frauen und die lieben Männer, alles andere gilt als abnormal. Diese Zwangsheterosexualität erfordert die zwei Geschlechter, weil sich die Heterosexualität ja genau durch diese beiden Parts begründet. Auf der anderen Seite naturalisiert die Binarität der Geschlechter (d.h. es gibt genau zwei: m/f) die Zwangsheterosexualität. Das sind dann all jene Ammenmärchen vom Schlüssel und Schlossprinzip und den Kindern, die wir brauchen, um Gattung, Rasse, Nation, etc. weiterführen zu können. Dieser sich verstärkende Kreislauf von Binarität und Heterosexualität reguliert nun unsere Vorstellung von Geschlecht. Da haben wir einmal Körper mit Vagina, „weiblichem“ Verhalten, die auf Körper mit Penissen und „männlichem“ Verhalten stehen und umgekehrt. Punkt. Entweder Oder. Oder? Wer schon einmal im Ansatz diesem Raster nicht entsprochen hat, erfährt, wie aggressiv und restriktiv es von seinen WächterInnen bewahrt und verteidigt wird. Diese haben allerdings auch jede Menge zu tun, um sich selbst ihrem Ideal anzunähern. Push-Ups, Bodybuilding, Pille, Abmagerungs- und Haarentfernungstorturen zeugen davon. Butler nennt diese Phänomene Ausdruck des „konstitutiven Schwankens“, das Bemühen um das Erreichen eines Ideals, das immer missglücken muss, weil es den perfekten Mann und die wahre Frau einfach und zum Glück nicht gibt. Und darin sieht Butler nun eine Chance. Wenn das Geschlecht nie ist, sondern immer nur wird, durch den ständig wiederholten Akt der Bezeichnung und Bestätigung und sich diesem Ideal immer nur angenähert werden kann, dann können wir diese Kategorien auch unterlaufen, in dem wir Chaos ins Geschlechterdreieck bringen. Was ist ein weiblicher Körper, der sich als Mann empfindet und gibt und Männer begehrt? Ein weiblicher Schwuler? Was eine Person, deren Körper nicht dem Body Mass Index der Geschlechtsorgane entspricht? Wenn das Geschlecht eine Geschichte hat und keinen endgültigen, unumstößlichen Fluch oder Segen darstellt, dann hat es auch eine Zukunft, so Butlers Hoffnung und diese ist gestaltbar. An dieser Stelle, wurde Butler oftmals vorgeworfen, dass ihre Auffassung von Geschlecht beliebig sei. Soll das die Freiheit sein, dass ich mich heute als Frau deklariere und morgen als Mann? Ist das so einfach? Nein, ist es nicht. Das beweisen nicht nur die täglichen Angriffe auf Menschen, die sich den Geschlechterrestriktionen nicht beugen wollen oder können, sondern auch Butler selbst macht immer wieder deutlich, wie fest und unwiederbringlich uns Geschlechterbilder in Körper und Denken eingebrannt sind. Ziel dieser Theorie ist es nicht, „Männer“ und „Frauen“ zu negieren, sondern die Vorstellungen von Geschlecht so zu erweitern, dass das Leid und die Gewalt, die von der momentan so rigiden Geschlechternorm ausgehen, verringert werden.
Dieses Ziel, welches unter der Prämisse der Konstruktion von Geschlecht steht, macht schon deutlich, dass es nicht mehr um eine „wahre“, essentielle Weiblichkeit gehen kann, geschweige denn nur um „Frauen“. Stattdessen stehen all jene im Zentrum Butlers Theorie, die am Rand der Gesellschaft stehen und als Abnorme und Abartige vom herrschenden Diskurs gebraucht werden, um sich von diesen Anderen positiv abzugrenzen.
Seit Butlers Buch Gender Trouble tobt ein Sturm im feministischen Wasserglas. Was soll das bedeuten? Keine Frauen mehr? Was wird dann aus der feministischen Praxis? Nun haben die Frauen dank der zweiten Frauenbewegung gerade begonnen sich ein Selbstbewusstsein zu schaffen und nun kommt Butler und sagt, dass dieses hart erkämpfte Gut nicht mehr gebraucht wird? Ist das Ganze nicht einfach nur eine nette Theorie für die Luxusprobleme der „ersten“ Welt? Lässt diese Philosophie nicht all jene Frauen im Stich, die aufgrund ihres Frauseins diskriminiert, verfolgt, getötet werden? Butlers Antwort darauf: „Der Feminismus braucht die „Frauen“, aber er muss nicht wissen „wer“ sie sind!“.6 Demzufolge braucht es, solange es Frauenunterdrückung gibt, auch den Feminismus. Identitätspolitik ist also notwendig, wird aber immer Ausschlüsse produzieren und es muss eine der Hauptaufgaben des (Queer-) Feminismus sein, sich produktiv mit diesen auseinander setzen.
Die feministische Philosophie hat noch keine ihrer Baustellen beendet und auch Butler hat die Fundgruben vielmehr erweitert, denn verringert. Der dekonstruktivistische Ansatz und der 3-wave-feminism stellen sicher nicht die dialektische Aufhebung von Gleichheitsfeminismus und Differenzfeminismus dar und aus der Kritik an Butler entstehen neue Ansätze und Aufgaben. Vielleicht ist es ja gerade die relative Jugendlichkeit der feministischen Philosophie, die ihr Gründe und Kraft verleiht, um sich tief in die traditionelle Philosophie zu graben und hohe emanzipatorische Luftschlösser zu bauen. Bleibt zu hoffen, dass ihre Vertreterinnen einen langen Atem haben, um der feministischen Philosophie ein ebenso langes Leben zu ermöglichen.

Quellen:

Arendt, Hannah; Fernsehgespräch mit Günter Gaus, in: Lutz, Ursula (Hg.); „Ich will verstehen, Selbstauskünfte zu Leben und Werk“ München, 1998 (S. 44).
Beauvoir de, Simone: „Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau“. Hamburg 2002.
Benhabib, Seyla/ Butler, Judith/ Cornell, Drucilla/ Fraser, Nancy: „Der Streit um die Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart“. Frankfurt am Main 1994.
Butler, Judith: „Das Unbehagen der Geschlechter“. Frankfurt am Main 1991.
Butler, Judith: „Körper von Gewicht“. Frankfurt am Main 1993.
Butler, Judith: „Psyche der Macht“. Frankfurt am Main 1997.
Irigaray, Luce: „Das Geschlecht, das nicht eins ist“. Berlin 1979.
Lindhoff, Lena: „Einführung in die feministische Literaturtheorie“. Stuttgart 2003.
Meyer, Ursula / Bennent-Vahle, Heidemarie (Hrgs.): „Philosophinnen-Lexikon“. Leipzig 1997.
Meyer, Ursula: „Einführung in die feministische Philosophie“. Aachen 2004.
Nagl-Docekal, Herta: „Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven“. Frankfurt am Main 2000.
Villa, Paula Irene: „Judith Butler“. Frankfurt am Main 2003.
Kristina Biene Holme studiert in Leipzig, ist Mitglied bei Radio Island und organisiert die GenderKritikReihe mit.
1. „MAN kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (Großschreibung im Original; Simone de Beauvoir 1951: S. 256.) ↩
2. Hannah im Interview mit Günter Gauss 1964. http://www.youtube.com/watch?v=coAVzw4IPf8. (23.09.2009) ↩
3. Nagl-Docekal, Herta: Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 14f. ↩
4. Beauvoir, Simone de 2002, S. 11. ↩
5. a.a.O., S. 17. ↩
6. Butler, Judith. Ort der politischen Neuverhandlung. In: Frankfurter Rundschau, 27. Juli 1993, S. 10. ↩

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