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Brasilien: Die Fussball-WM und soziale Proteste

Am 12. Juni 2014 wird unter den Augen der Weltöffentlichkeit die Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien eröffnet. Die Vermarktungsmaschinerie der FIFA und Sponsorenkonzerne, die WM in einem möglichst guten Licht darzustellen, läuft auf Hochtouren. Nur einem kleinen Teil der Fernsehzuschauer und –zuschauerinnen werden die unterdrückerischen und ausbeuterischen Bedingungen dieses „Fussballfestes“ bewusst sein.
von BFS Zürich
Die FIFA regiert, die Bevölkerung verliert
Grossveranstaltungen wie die Fussball-WM sind Felder gigantischer Investitionen und hoher Rentabilität. Für die Bau-, Sport- und Tourismuskonzerne locken traumhafte Gewinne. Die Investitionen der öffentlichen Hand in Brasilien sind enorm. 14,5 Milliarden Dollar werden in die von der FIFA angeordneten Stadienbauten und Infrastrukturprojekte investiert. Geld, das im Bildung- oder Gesundheitswesen fehlen wird. Damit wird die Fussball-WM 2014 die teuerste aller Zeiten. “Der Anteil an Privatinvestitionen beträgt 4,25 Mrd. Rl., also gerade einmal 6,7% davon. Der Rest wird direkt vom Bund, von den Gliedstaaten, den Städten oder über staatliche Kredite und somit von den brasilianischen Steuerzahlern getragen” (NZZ vom 23.08.2013). Dies obwohl Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff einst stolz verkündet hatte, dass die Kosten der WM überwiegend durch private Investoren gedeckt seien. Diese haben jedoch spätesten ihre Lektion aus der WM 2010 in Südafrika gelernt und gehen davon aus, dass sich die Stadien über die WM hinaus nicht profitabel betreiben lassen.
Die Arena Amazônia in der Kautschukmetropole Manaus ist zum Emblem für Brasiliens Masslosigkeit bei der WM-Vor-bereitung geworden: Ein Bau für 270 Millionen Franken, errichtet von einem deutschen Architekten, der «die einzigartige Flora und Fauna des Regenwaldes in der filigranen Dachkonstruktion» widerspiegeln will. Doch zu den Spielen des in der dritten brasilianischen Liga kickenden lokalen Fussballclubs kommen meist nur ein paar Hundert Zuschauer, während das neue Stadion Platz für 43’500 bietet. Niemand weiss, was man mit dem Bauwerk anfangen und wie man seinen Unterhalt finanzieren soll, wenn die vier in Manaus angesetzten WM-Spiele vorbei sind. Ein Richter hat vorgeschlagen, das Stadion in ein Gefängnis umzuwandeln“ (Tages-Anzeiger vom 12.04.2014).
Am 17. Juli 2013 schrieb die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel: “Dabei vergaß er (FIFA-Präsident Sepp Blatter) wieder zu erwähnen, dass sich die FIFA im Hinblick auf die WM wie eine Kolonialmacht aufführt. Brasiliens katzbuckelnden Politikern zwangen er und seine Verbandskollegen ein WM-Gesetz auf, Zehntausende Kleinhändler müssen ihre Plätze räumen für die Sponsoren der hohen FIFA. Das Gesetz ermächtigt Kommunen, für das Event mehr Schulden aufzuladen als sonst erlaubt. Das müssen diese auch, wenn sie die Vorgabe der FIFA für Stadien, Hotels oder Infrastrukturmaßnahmen erfüllen wollen”.money for education
Unter den 50 Millionen Armen Brasiliens gelten 13 Millionen Menschen als extrem arm und haben weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung.  Im Norden und Nordosten – dem Armenhaus Brasiliens –  leben fast doppelt so viele Menschen in absoluter Armut, wie im übrigen Land. 87 Prozent der Haushalte sind nicht an das Abwassersystem angeschlossen und 15 Prozent haben keinen Strom. Fast jedes sechste Kind muss arbeiten und 350‘000 Kinder und Jugendliche besuchen keine Schule. Im Bildungsbereich liegt Brasilien weit unter dem OECD-Durchschnitt: 600‘000 Kinder haben landesweit keinen Zugang zu Bildung.
In allen grossen Städten, in denen WM-Spiele ausgetragen werden – São Paulo, Curitiba, Fortaleza, Recife etc. ist es zu Zwangsumsiedlungen der verarmten Bevölkerung gekommen. Bis zum Anpfiff des ersten Spiels werden 170‘000 Menschen aus ihren Behausungen in den Slums vertrieben worden sein. Manchmal hatten sie nur 24 Stunden Zeit, ihre Häuser zu verlassen. Wer sich weigerte, wurde mit Polizeigewalt geräumt. Oder die Behausungen wurden ohne Vorwarnung abgerissen. Einige Schritte entfernt vom Stadium Corinthians in Sao Paulo, wo das Eröffnungsspiel stattfinden wird, haben mehrere Millionen Obdachlose ein Lager aufgebaut und verlangen Sozialwohnungen. Sie gaben dem  Camp den Namen „Volkspokal“.
Aufgrund der miserablen Gesundheitsversorgung grosser Teile der Bevölkerung lautet ein Slogan der brasilianischen Anti-WM-Bewegung folgerichtig: “Ist Ihr Kind krank? Bringen Sie es in ein Fussballstadion!
Auf den WM-Baustellen herrschen ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Die Arbeitssicherheit der Bauarbeiter auf den Baustellen ist nicht im Ansatz gewährleistet. Neun Arbeiter haben auf den Baustellen der WM-Stadien ihr Leben bei Arbeitsunfällen verloren. Hinzu kommen Hunderte von Verletzen. Die Bauarbeiter wehrten sich im Zeitraum von 2011 bis Ende März 2014 mit 17 Streiks auf 9 Stadien-Baustellen. Unter anderen auch  in Rio de Janeiro, Brasilia und Salvador de Bahia wo der Schweizer Versicherungskonzern „Zürich“ für die Sicherheit beim Bau der Stadien verantwortlich ist (siehe weiter unten). Im Stadion Marcanã in Rio de Janeiro traten am 17. August 2011 nach dem Unfall eines Bauarbeiters 1500 ArbeiterInnen in Streik. Sie forderten mehr Sicherheit auf der Baustelle und bessere Arbeitsbedingungen. Trotz einiger Erfolge der Arbeitskämpfe, sind die Hauptforderungen der Gewerkschaften weiterhin nicht erfüllt, wie existenzsichernde Löhne, anständige Unterkunft und Verpflegung sowie Krankenversicherung der ArbeiterInnen und ihrer Familien. Ende Februar wurde ein neues Gesetz verabschiedet, welches das Streikrecht drei Monate vor und während der WM in “Sektoren von speziellem sozialem Interesse”, unter anderem im Bausektor, einschränkt.
Die brasilianische Presse beschuldigt jedoch die Arbeiter, sie würden nicht “alles geben”. “Fussballkönig” Pelé hat zu behaupten gewagt, “der Tod eines Arbeiters ist normal; die Stadien müssen fertig gebaut werden”. Michel Platini – ehemaliger Fussballspieler und steinreicher Chef der UEFA mit Steuerwohnsitz in der Schweiz – forderte die Brasilianer am 26. April auf: “Reisst euch während eines Monats zusammen, beruhigt euch !”. Übersetzt heisst dies: hört auf, eure soziale Rechte einzufordern; macht keine Demonstrationen mehr; lasst die Besitzer und Herrscher des Fussballs in Ruhe, wir machen Geschäfte!
Auch FIFA-Boss Blatter setzt die Brasilianer im Sommer 2013 unter Druck. Mit Bezug auf die sozialen Proteste und Demonstrationen gegen die Fussball-WM erklärte er in einem dpa-Interview: “Wenn das nochmal passiert, also das Gleiche, dann müssen wir uns fragen, ob wir bei der WM-Vergabe falsch gewählt haben”.
Die sicheren Gewinner
Es ist stets das gleiche Spiel: Zahlreiche Länder konkurrieren um die Austragung der Fußball-WM. Sie versprechen sich: Wirtschaftswachstum, Investitionen und neue Arbeitsplätze. Diese Hoffnungen werden gezielt von der FIFA und ihrem Präsidenten, dem Schweizer Sepp Blatter als Anbieter geschürt. Die Realität sieht meist ganz anders aus, die Profiteure sind am Ende einige Konzerne und der Weltfußballverband selbst. Das hat die Fußball-WM in Südafrika bewiesen, die für das Land zu einer Katastrophe wurde, weil sich die FIFA im Vorfeld Narrenfreiheit hatte zusichern lassen. “Die Privilegien und Konzessionen, die wir der FIFA zugestehen mussten, waren schlicht zu hoch und zu erdrückend”, wird ein Sprecher der südafrikanischen Steuerbehörde in einer Studie des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH zitiert. Für die FIFA war die WM 2010 hingegen die erfolgreichste ihrer Geschichte: Sie machte einen Gewinn von rund 2.5 Milliarden Franken. FIFA-Chef Sepp Blatter bezeichnete sich danach als “glücklichsten Mann der Welt”. Die lokale Wirtschaft der Ausrichtungsländer profitiert kaum vom Grossanlass, so bauten in Südafrika vor allem deutsche Unternehmen an den Stadien und der Infrastruktur mit, allen voran der Weltkonzern Siemens. Die Investitionen flossen also gleich wieder aus dem Land ab. Statt einem erwarteten Gewinn von 700 Millionen Franken resultierte für Südafrika ein Verlust von 2,8 Milliarden Franken.fifa go home
“Dass die Fussball-WM 2014 für Brasilien das grosse Geschäft wird, ist zu bezweifeln. Die grossen Profiteure sind allerdings nicht die Brasilianer, sondern jene, welche die Fussballbegeisterung im Lande zu nutzen wissen. Dazu gehören vor allem die Sponsoren. Adidas zum Beispiel rechnet sich dank der WM für 2014 einen Umsatz von mehr als 2,6 Mrd. $ aus” (NZZ vom 23.08.2013). Ein Gewinner der Fussball-WM in Brasilien steht jetzt schon fest: Der Weltfussballverband hat nämlich bereits alle Verträge in trockenen Tüchern. 4 Milliarden Dollar wird das Turnier der Organisation laut deren Generalsekretär Jérôme Valcke in die FIFA-Kasse spülen – steuerfrei, versteht sich. Die FIFA ist weder in Brasilien noch in der Schweiz, wo sie als gemeinnützige Organisation geführt wird, steuerpflichtig. Bereits im Oktober 2011 wurde in Brasilien ein Gesetz verabschiedet, das auch die Partner der FIFA für vier Jahre umfassend von Steuern befreit. Dazu gehören Coca-Cola, Visa und Adidas.
“Mit der bevorstehenden Fussball-Weltmeisterschaft und dem riesigen Bedarf an Investitionen, vor allem in der Infrastruktur, figuriert Brasilien mehr denn je auf dem Radar von Schweizer Firmen” (swissinfo.ch, 14. Mai 2014). In Brasilien tätige Schweizer Unternehmen generieren 10 Milliarden Dollar an Jahresumsätzen. Und sie mischen beim Gerangel um Aufträge und Profite kräftig mit.
Der Schweizer Versicherungskonzern „Zurich“ ist verantwortlich für die Sicherheit beim Bau von vier Stadien: Itaquerão in São Paulo, Maracanã in Rio de Janeiro, Brasília Arena in Brasilia und Fonte Nova Arena in Salvador de Bahia. An den miserablen Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter der Stadien hat dies nichts verändert. „Ferner sei der Schweizer Versicherer in diverse andere Infrastruktur-Projekte involviert, die mit der WM in Zusammenhang stehen, sagt Werner Stettler, Geschäftsführer der Zurich-Filiale in Brasilien. Aus Gründen der Vertraulichkeit will er keine Zahlen über den Wert dieser Verträge preisgeben“ (swissinfo.ch, 14. Mai 2014).
Im Bausektor liefert die Geobrugg AG, die zur Gruppe Brugg mit Sitz im Kanton Aargau gehört, unter anderem Stahlstrukturen für das Stadiondach im Maracanã-Stadion, aber auch Schutzsysteme für verschiedene Infrastrukturprojekte im Umfeld der WM. Maria Teresa Soares, Chefin von Geobrugg Brasilien: “Im Land gibt es eine grosse Nachfrage für Infrastruktur-Arbeiten. Deshalb war Brasilien für unsere Tätigkeiten und unsere Investitionen prioritär”.
Weitere Schweizer Profiteure sind die Kaba-Gruppe mit Hauptsitz in Rümlang (biometrische Zutrittssysteme), Sulzer Chemtech (Chemietechnik-Sektor), “Wir rechnen mit einem Anstieg des Energieverbrauchs (Benzin und Gas), was eine Erhöhung der Investitionen in brasilianische Raffinerien bedeutet”. Und natürlich Nestlé, seit über 90 Jahren in Brasilien tätig, ist der Konzern durch “Garoto”, die verbreitetste Schokoladenmarke im Land, Sponsor der Fussball-WM. Um zur “offiziellen Schokolade” der WM 2014 zu werden, liess das Unternehmen 80 Millionen Franken springen – in die Kasse der FIFA.WO-AD481_BRAZIL_G_20101125175845
Rigorose Repressionsmaschinerie zur Sicherung der Profite
Die FIFA und ihre Sponsoren – Coca-Cola, McDonald’s, Adidas, Sony, Hyundai, Budweiser usw. – forderten von der brasilianischen Regierung  ein „Rahmengesetz“, welches die Städte, in denen die Spiele stattfinden werden, unter ausserordentlich strenge Überwachung stellt. Die Bedingung wurde von der Regierung akzeptiert und das Parlament hat ebenfalls zugestimmt. Konkret bedeutet dies: Eine rigorose Polizeiüberwachung um die Demonstranten zum Schweigen zu bringendas Verbot, in den Stadien und  ihrem Umfeld, etwas anderes als Budweiser, Coca-Cola und Hamburger von McDonald’s zu konsumieren. Ausserdem ist es den Strassenhändlern untersagt, in der Nähe der Stadien zu verkaufen. Somit zwingt die FIFA während eines Monats eine Art Ausnahmezustand auf. Gleichzeitig kann sich die Bevölkerung mit ihren tiefen Löhnen keinen Eintritt in die Stadien leisen.
Internationale Solidarität
Die vereinigte Aktionsplattform – welche in Sao Paolo am 22. März 2500 Vertreter aus allen Ländern versammelte – hat sich dazu verpflichtet, für die Rechte und Forderungen von verschiedenen Gruppen zu kämpfen. Dazu gehören:

  • Hunderttausende Menschen, welche von der im Dienste der Immobilienspekulanten stehenden Polizei aus ihren Häusern verjagt wurden.
  • Eine breite Schicht von Jugendlichen, die ein gutes öffentliches Schulsystem und kostenlose öffentliche Verkehrsmittel fordern
  • Arme Bewohner, welche von der Polizei unter dem Vorwand des „Kampfes gegen das Chaos und den Drogenhandel“werden.
  • Strassenhändler sowie Arbeiter und Arbeiterinnen und viele mehr.

Darüber und über vieles mehr wird Dirceu Travesso am 28. Mai an unserer Veranstaltung im Volkshaus berichten.vDies mit einem bestimmten Ziel: Es müssen Solidaritätsaktionen für den Widerstand der brasilianischen Bevölkerung organisiert werden. Selbstredend versuchen dies die Sponsorenkonzerne, Regierungen, Sportverbände und Medien zu verhindern. Diese Solidarität ist äusserst wichtig, gerade auch in der Schweiz. Die FIFA hat ihren Hauptsitz in Zürich und jener des IOC liegt in Lausanne. Letzteres überwacht schon sehr genau die Vorbereitungen der Olympischen Spiele, welche 2016 in Rio de Janeiro stattfinden werden.
Währenddessen sind in Katar, dem Austragungsort der Fussball-WM 2022, bereits über 400 nepalesische und philippinische Arbeiter aufgrund der sklavenhalterischen Arbeitsbedingungen gestorben. Ob in Brasilien, Katar oder der Schweiz – unsere Losung muss heissen: Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit für Millionen statt Milliarden für die FIFA und die Sponsorenkonzerne!

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2 Kommentare

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