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Griechenland: Kapitulation oder Bruch?

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit Stathis Kouvelakis. Dieser arbeitet am King’s College in London, ist Mitglied des Zentralkomitees von Syriza und eine der bekannten Personen der “Linken Plattform”, des linken Flügels von Syriza. Er macht eine Bilanz der bisherigen Regierungstätigkeit von Syriza und spricht über mögliche Auswege aus der Misere.* (Red.)


A beggar is seen with her child in central Athens
Syriza wurde gewählt, um konkrete Massnahmen gegen die Armut und die Verelendung der Gesellschaft zu treffen.

von Stahis Kouvelakis; aus ISL

Bürgerliche Medien in der BRD wie die FAZ behaupten, dass die Unterstützung für SYRIZA aus der griechischen Bevölkerung nachlässt. Kannst Du das bestätigen?

Ja, es stimmt. Die Unterstützung für die Regierung ist zurückgegangen. Aber sie ist immer noch auf einem hohen Niveau. Die Unterstützung hat nachgelassen, weil die wirtschaftliche Lage immer schlimmer wird; es gibt große Unsicherheit hinsichtlich dessen, was in naher Zukunft passieren wird, ob die Regierung in der Lage sein wird, Löhne und Renten auszuzahlen. Hier spielt mit herein, dass es der Politik der Regierung an innerer Kohärenz (Stimmigkeit) mangelt. Als klar wurde, dass die Europäer, die Troika, keinerlei Zugeständnisse machen würden, sprach die griechische Regierung von einer möglichen Einstellung der Schuldenzahlungen, einem möglichen Bruch. Sie nahm manchmal gegenüber den Europäern eine aggressivere Haltung ein. Dann aber wieder verhielt sie sich sehr milde und strich ihre Kompromissbereitschaft heraus. In einer Situation, wo die Verhandlungen in einer Sackgasse stecken, gehen von der Syriza-Regierung sehr widersprüchliche Botschaften aus. In der Gesellschaft kommt das so an, dass die Regierung keinen klaren Kompass bei ihrer Politik hat. Das, gepaart mit der sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage, erklärt den Rückgang der Unterstützung. Aber wie ich schon sagte, ist die Unterstützung für Syriza nach wie vor hoch – aus einem einfachen Grund: Die Menschen erkennen, dass von den Europäern auf diese Regierung sehr großer Druck ausgeübt wird, dass ein richtiggehender Krieg gegen die Regierung geführt wird. Die Leute sehen also, dass man diese Regierung unterstützen muss, die so aggressiv von den dominierenden Kräften innerhalb der EU angegriffen wird.

Damit sind wir schon bei der nächsten Frage. Die Politik der Tsipras- Regierung gegenüber den Gläubigerstaaten erscheint uns oft sehr widersprüchlich. Einerseits wird immer wieder die Bereitschaft zu Kompromissen bekundet, andrerseits immer wieder betont, dass eine Rückkehr zu den Memoranden mit der Troika nicht in Frage komme. Offenbar hat die Regierung bereits einige Gesetze im Sinne des Programms von Thessaloniki verabschiedet, andrerseits hat sie einige dieser Vorschläge wieder zurückgenommen. Wie beurteilst Du die Politik von SYRIZA?

Zunächst einmal: Es stimmt, dass die Regierung einige gute Maßnahmen getroffen hat, aber leider eben nur sehr wenige. Und diejenigen, die bisher im Parlament verabschiedet wurden, fallen sehr schüchtern aus im Vergleich zu dem, was im Programm von Thessaloniki erklärt wurde. Nehmen wir die Notfallmaßnahmen gegen extreme Armut: Sie machen nur ein Sechstel dessen aus, was in Thessaloniki vorgesehen ist: 200 Millionen anstatt 1,2 Milliarden. Damit kann man nur in sehr begrenzter Form bei den allerschlimmsten Fällen von Armut etwas Abhilfe schaffen. Die Regierung hat bisher nicht eine einzige Maßnahme getroffen gegen die Überbesteuerung von Haushalten mit unterem und mittlerem Einkommen. Die Regierung plant lediglich gewisse Erleichterungen bei der Abbezahlung in Form von Raten. Was den “ehrenvollen Kompromiss” bei den Verhandlungen mit den Gläubigerstaaten betrifft, so hat sich die Regierung in große Widersprüche verstrickt. Die Regierung geht von der Hypothese aus, dass ein Kompromiss möglich ist. Diese Hypothese erscheint angesichts der äußerst unflexiblen und aggressiven Haltung der Gläubigerstaaten immer weniger wahrscheinlich und realistisch. So erweckt die Regierung den Eindruck, dass sie nicht so recht weiß, was sie tun soll. Und wenn man nicht weiß, was man tun soll, wächst die Gefahr, dass man tut, was von einem verlangt wird. Und das würde bedeuten: Völlige Kapitulation vor den Forderungen der Gläubiger und der EU.

Syriza: Zu optimistische Erwartungen?

Glaubst Du, dass die Syriza Regierung zu optimistisch war hinsichtlich der Kooperations- und Kompromissbereitschaft einiger europäischer Regierungen wie Frankreich und Italien?

Ja, ich glaube, die Syriza-Regierung hatte da Illusionen. Aus drei Gründen: erstens, sie hatte geglaubt, dass das so offenkundige Scheitern der Austeritätspolitik bei den Europäern eine Bereitschaft zum Überdenken ihrer Haltung erzeugt hätte. Zweitens: Sie glaubten, dass die französische und die italienische Regierung den Forderungen Griechenlands gegenüber zugänglicher sein würden, weil sie selbst in ihren Ländern ein Abschwächen der Austerität wünschten. Drittens: Sie hatte Illusionen hinsichtlich der Haltung von Mario Draghi und der EZB. Sie dachte, dass die Politik der “Quantitative Easing” gegen die harte Linie von Schäuble gerichtet war. Sie unterstellten, dass es gewisse Widersprüche und Spannungen zwischen Schäuble und Draghi gebe, die man nutzen könne. All das erwies sich als falsch.
Was passierte, war folgendes: Als die politisch Mächtigen in EU und “Institutionen” erkannten, dass die Syriza-Regierung wirklich die Politik der Austerität in Frage stellte, rückten diese Kräfte noch viel enger als zuvor zusammen, um genau das zu verhindern.

Mir scheint es als ob es gerade die EZB ist, die für die Troika die Speerspitze bei den Erpressungen abgibt, indem sie durch ihre konkreten Maßnahmen gegenüber Griechenland den realen Druck ausübt.

Die EZB handelt wie eine selbstständige Macht. Sie agiert extrem politisch. Sie führt praktisch die Offensive gegen die Syriza-Regierung.

Du hast in deinem Vortrag festgestellt, dass die Stimmung in der griechischen Bevölkerung geteilt ist: Ein Drittel ist für eine Einigung um jeden Preis, ein Drittel für einen Bruch und ein Drittel sehr unsicher und schwankend. Was kann eine Syriza-Regierung tun, um mehr Menschen von der Notwendigkeit und Unumgänglichkeit eines Bruches mit der EU zu überzeugen?

Für die Regierung ist es jetzt das Wichtigste und das Vernünftigste, einfach die Wahrheit zu sagen. Und die Wahrheit ist schlicht und einfach: Die Europäer wollen schlicht keinen Kompromiss. Denn es liegt in der Natur eines Kompromisses, dass beide Seiten Zugeständnisse machen. Sie aber wollen keinerlei Zugeständnisse machen. Sie wollen die Syriza-Regierung zwingen, jene Art von Austeritätspolitik fortzuführen, wie sie von der Troika mit der Vorgängerregierung vereinbart wurde. Ja, sie will diese Politik sogar noch verschärfen. Es kommt ihnen darauf an, die Syriza- Regierung zu erniedrigen und sie politisch zu zerstören.
Die griechische Regierung muss den Leuten sagen: Wir haben alles versucht, was möglich ist, um zu einem Kompromiss zu kommen. Aber das erwies sich als nicht möglich. Jetzt bleibt uns nur noch die Wahl: Kapitulation oder Bruch. In dieser Situation ist die einzige akzeptable Lösung der Bruch. Also: Keine Unterwerfung, unterstützt uns und werdet aktiv.

Ein Grexit würde vermutlich eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Griechenland bedeuten. Für die griechische Bevölkerung könnte das noch größeres Leid bedeuten. Um diesen Weg dennoch zu gehen, braucht es eine große Leidensbereitschaft und es braucht auch ein politisches Bewusstsein, dass der Bruch nötig und unumgänglich ist. Mein Eindruck aus den Medien ist aber, dass die griechische Bevölkerung eher furchtsam, abwartend und passiv ist. Ich fürchte, dass es sehr schwierig sein dürfte, die griechische Bevölkerung für einen so folgenreichen Schritt zu gewinnen.

Ich stimme deiner Einschätzung der Situation nicht zu. Die Erfahrung der letzten fünf Jahre hat gezeigt, dass jedes Mal, wenn die griechische Bevölkerung gefordert war, konkret etwas zu tun, sie das auch getan hat. Als sie gefordert war, auf die Straße zu gehen und gegen das Memorandum zu kämpfen, so hat sie das getan – auf sehr beeindruckende Weise. Als es darum ging, die Plätze zu besetzen, hat sie das getan – über Wochen hin. Als es darum ging, eine radikale linke Partei zu wählen, die die einzige Alternative zu der sozialen Katastrophe war, so hat die griechische Bevölkerung das getan – trotz aller hysterischen Einschüchterungsversuche im Vorfeld der Wahlen. Wenn die Dinge den Menschen in der angemessenen Art und Weise dargestellt werden, werden die Menschen die Herausforderung annehmen. Denn das ist eine Frage des sozialen Überlebens und es ist auch eine Frage des nationalen Stolzes. Beide Aspekte sind wichtig. Der letztere Aspekt natürlich besonders in den weniger politisch klassenbewussten Sektoren der Bevölkerung.

Grexit und Plan B

Wie sollte dieser Bruch deiner Meinung nach aussehen?

Der wichtiges Punkt ist: Einstellung des Schuldendienstes. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Es ist absolut inakzeptabel, dass eine linke Regierung die Rücklagen öffentlicher Einrichtungen an sich zieht, um das Geld den Gläubigern zu geben. Dafür haben die Menschen nicht gestimmt, als sie Syriza ihre Stimme gaben. Die Regierung sollte auf der Stelle den Schuldendienst an die Gläubiger einstellen. Das heißt aber, dass man Banken und große Betriebe verstaatlichen, und Kapitalverkehrskontrollen einführen muss. Wenn man das tut, steht man bereits mit einem Fuß außerhalb der Währungsunion. Wir müssen zum Grexit, zum Verlassen der Eurozone bereit sein. Angesichts der aggressiven und feindseligen Haltung der EZB ist das praktisch unvermeidbar.

Die griechische Regierung hat den Regierungen und der Öffentlichkeit in den zentraleuropäischen Staaten immer wieder versichert: Es gibt keinerlei Bemühungen, einen Plan B vorzubereiten. Gibt es mittlerweile in der Regierung oder in Syriza Kräfte, die an einem solchen Plan B arbeiten?

Zunächst einmal: Es gab in Syriza die Illusion, wir könnten die Europäer dazu bewegen, unseren Anliegen gegenüber offener und zugänglicher zu sein, indem wir sehr nett sind und indem wir ihnen versichern, dass wir keinerlei Alternativen in Betracht ziehen. Aber das erwies sich als Illusion. Jetzt haben viele Leute innerhalb von Syriza ihre Meinung geändert. Sie sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Konfrontation und der Bruch unvermeidbar sind, wenn wir politisch oder auch schlicht als Menschen überleben wollen. Die Frage der Konfrontation, einschließlich eines Grexit, war immer Gegenstand einer recht intensiven Debatte innerhalb von Syriza. Eine beträchtliche Minderheit, etwa eine Drittel der Partei, war immer schon der Meinung, dass wir uns auf so eine Option vorbereiten sollten. Ich glaube, wir, die Linken, haben uns in dieser Debatte durchgesetzt. Ja, wir haben Leute, die an der Erstellung eines Alternativplans arbeiten, der prominenteste unter ihnen ist das Parlamentsmitglied Costas Lapavitsas. Das Ergebnis wird der Öffentlichkeit auch in den kommenden Tagen vorgestellt.

Und was ist mit Lafazanis?

Panagiotis Lafazanis ist der Minister für wirtschaftlichen Wiederaufbau und Umwelt und der führende Kopf der “Linken Plattform”. Er hat seine “roten Linien” in der Öffentlichkeit klar gemacht. Es ist keine Frage, dass es für ihn eine Unterwerfung unter die Bedingungen nicht geben kann, wie sie gegenwärtig von den Gläubigern verlangt werden.

Lass uns über die “roten Linien” reden. Hier in Deutschland gibt es dazu widersprüchliche Informationen. Es ist die Rede von der Mehrwertsteuer, Arbeitsgesetzgebung, den Renten, den Privatisierungen. Ist Syriza im Moment schon kurz davor, die roten Linien zu überschreiten? Wie bewertest Du die Situation?

Die Position der Regierung akzeptiert keine weiteren Kürzungen bei den Renten. Die Regierung ist dabei, einen wichtigen Teil der Arbeitsgesetzgebung, das Koalitionsrecht der Gewerkschaften wieder in Kraft zu setzen. Sie akzeptiert nicht die von den “Institutionen” geforderten Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer. Inzwischen akzeptiert sie aber Privatisierungen, wobei allerdings der Staat weiterhin Minderheitsanteile halten soll. Es ist eindeutig, dass die Europäer keine dieser Positionen akzeptieren. Und nicht nur das. Für die Europäer müssen die mit der Vorgängerregierung abgeschlossenen Vereinbarungen die Grundlage aller Diskussionen sein. Ja, sie wollen das sogar noch verschärfen. Was sie wollen, ist die vollständige Unterwerfung und Erniedrigung der Syriza-Regierung. Das kann natürlich nicht akzeptiert werden. Wenn Syriza das tut, fliegt die Partei auseinander.

Entwicklungspotentiale

Gibt es in Syriza eine Diskussion darüber, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU zu lockern, und anstatt dessen Beziehungen in Richtung BRICS-Staaten vor allem Russland und China zu aufzubauen?

Ja, es gibt in der Partei eine breite Übereinstimmung, dass wir die Verbindungen zu den von dir genannten Staaten verstärken. Festhalten muss man allerdings in diesem Zusammenhang: Es ist nicht dasselbe, Beziehungen mit einer linken Regierung etwa in Lateinamerika zu haben, mit der man viele politische und ideologische Gemeinsamkeiten hat, oder Beziehungen mit Russland, oder schlimmer noch, China zu pflegen. Für die Chinesen geht es einzig ums Geschäft. Sie verlangen ebenfalls Zugeständnisse. Im Falle Chinas geht es natürlich um Privatisierungen. Mit Russland ist es ein bisschen anders, weil für Russland geopolitische Aspekte eine große Rolle spielen. Deshalb könnte Russland eher bereit sein, eine positive Geste der Syriza-Regierung gegenüber zu machen – nicht zuletzt wegen der Lage rund um die Ukraine und wegen der sehr harten Haltung der EU in dieser Frage. Was Beziehungen zu Russland oder China angeht, so ist das schlicht “Realpolitik”. Es kann da taktisch bedingte Übereinkünfte geben, aber es gibt da keine politische Nähe. Das ist bei einigen lateinamerikanischen Ländern ganz anders. Aber die sind räumlich weit entfernt und sie haben momentan große interne Probleme.

In deiner Rede hast Du den Sektor der Landwirtschaft angesprochen. Du hast angedeutet, dass es hier einige Entwicklungspotentiale gäbe. Könntest Du das erläutern?

Griechenland ist das einzige Land in Europa, wo es ein Kleinbauerntum in nennenswertem Umfang noch gibt. Klein- und Mittelbauen machen immer noch 12 Prozent der Bevölkerung in Griechenland aus. In der griechischen Landwirtschaft gibt es kaum große kapitalistische Unternehmen. Die Landwirtschaft ist ein Sektor, in dem nach wie vor klein- und mittelbäuerliche Produktion vorherrschend ist. Die griechische Landwirtschaft wurde durch die Integration in die EU sehr stark geschwächt durch all die billigen Produkte des internationalen Agrobusiness.

Kannst Du ein Beispiel geben?

Wenn du in Athen in einen Supermarkt gehst, – die gehören zumeist internationalen Konzernen wie Carrefour – so findest du dort importierte Tomaten vor. Holländische Tomaten sind oft billiger als Tomaten aus der Umgebung von Athen. Das ist völlig absurd! Im Übrigen haben diese internationalen Konzerne ihre eigenen Lieferketten. Und die sind international. Da spielen griechische Bauern keine Rolle. Das hat viele Bauern entmutigt. Das gilt insbesondere für kleine Bauern, die über keine Möglichkeiten zur Vermarktung ihrer Produkte verfügen. Deswegen produziert der Agrarsektor in Griechenland deutlich unterhalb seiner Kapazitäten. Ein Grexit könnte der Produktion dieser Klein- und Mittelbauen einen beträchtlichen Impuls geben. Mit einer richtigen Politik könnte das in Richtung ökologischer Produktion entwickelt werden.

Gibt es andere Sektoren der griechischen Volkswirtschaft, wo du ebenfalls Entwicklungspotentiale siehst?

Da wäre der Tourismus zu nennen. Tourismus ist ja zwischenzeitlich der wichtigste ökonomische Sektor des Landes, da der Rest ja große Zerstörungen hinnehmen musste. Im Unterschied zu Spanien wird der größte Teil des Tourismussektors von kleinen und mittleren Betrieben geprägt, darunter viele Familienbetriebe. Viele Urlauber haben ja in Griechenland die Erfahrungen gemacht, dass das Haus, das sie für ihren Urlaub gemietet haben noch einer Familie gehört. Auch die meisten Restaurants sind noch in Familienbesitz. Nun im Rahmen dieser Memoranden gibt es Bestrebungen im großen Stil Investitionen transnationaler Konzerne in diesem Sektor voranzutreiben. Andrerseits gibt es auch im Tourismussektor Entwicklungsmöglichkeiten, aber nicht unter der Dominanz von Konzernen.

Internationale Solidarität

Die letzte Frage bezieht sich auf die internationale Solidaritätsbewegung. Mein Eindruck ist, dass die Bewegung in Deutschland sehr schwach ist. Am Anfang, nach dem Regierungswechsel, hatte ich die Hoffnung, dass wir etwas in Bewegung bringen könnten. Aber nach ca. drei Wochen abwartend interessierter Haltung der deutschen Medien, setzte dann wieder in großer Härte die Hetze ein. Deswegen sind wir kaum zu nennenswerten Mobilisierungen in der Lage. Ist man sich bei Syriza der Schwäche der internationalen Solidaritätsbewegungen bewusst? Wie kommt das bei euch an?

Natürlich ist das ein Thema. In Griechenland gibt es das Gefühl, politisch isoliert zu sein. Das ist für die Bevölkerung schwer zu ertragen. Was die Regierungen betrifft, so sind alle anderen europäischen Regierungen gegen die griechische Regierung. In Griechenland weiß man natürlich, dass die Tonlage in den Medien und bei den herrschenden Kräften den Griechen gegenüber sehr feindselig ist. Man weiß, dass alle Arten von Stereotypen die Runde machen: Die Griechen sind korrupt, sie zahlen ihre Steuern nicht, sie sind faul, kaum, das sie Geld haben, geben sie es schon wieder aus.
Deswegen haben sie auch ein feines Gespür dafür, wenn Solidaritätsdemonstrationen stattfinden. Ich glaube, dass Solidaritätsarbeit mit Griechenland in Deutschland eine schwierige Sache ist wegen der überwältigenden Dominanz einer feindseligen Grundstimmung. Andrerseits haben Linke eine gewisse Neigung, die Situation in Griechenland zu idealisieren. Das ist natürlich auch falsch. Wenn man die Widersprüche nicht sieht, wirst man/frau vielleicht alsbald von der Entwicklung der Verhältnisse überrascht und muss feststellen, dass die idealisierte Sicht der Dinge nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das kann tiefe Enttäuschungen nach sich ziehen. Völlig enthusiastische Menschen werden dann möglicherweise in tiefe Depression gestürzt. Das ist natürlich nicht gut.
Die Solidaritätsbewegung sollte die Situation und das in ihr steckende Potential in einer ausgewogenen und realistischen Weise darstellen. Um zum Ende zu kommen: Für mich ist die beste Art von Solidarität, wenn ihr die sozialen Bewegungen und den Widerstand in Deutschland selbst stärkt. Die beste Solidarität ist, wenn ihr Merkel und Schäuble die Opposition bietet, die sie verdienen. Vielen Dank für das Gespräch.
*Das Gespräch führte Paul Michel am 16. Mai 2015 in Berlin.

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