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Eine Reindustrialisierung Europas und der USA?

Wenn wir von Industrialisierung, beziehungsweise in diesem Artikel ebenso von De- und Reindustrialisierung sprechen, dann meinen wir damit eine spezifische Veränderung der Produktionsweise. Dabei spielt insbesondere der Einsatz von Technik, meist in Form von Maschinen – in jüngerer Zeit spricht man auch von Robotern – eine entscheidende Rolle. So wird in der nachfolgenden Darstellung eines noch darzulegenden Reindustrialisierungsprozesses der so genannten Industriestaaten der Fokus auf dem Verhältnis von Arbeiter*innenklasse und dem Technikeinsatz und insbesondere auf den Veränderungen dieses Verhältnisses in den letzten Jahren liegen.

von BFS Zürich

Die klassenkämpferische Linke und die Industrie

Die Industrie und das zugehörige Industrie-Proletariat spielten in der Politik, aber auch in der Rhetorik der klassenkämpferischen Linken während Jahrzehnten eine herausragende Rolle. Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad der in der Industrie Beschäftigten war hoch, gleichzeitig nahmen diese in der Ästhetik der Arbeiter*innenbewegung, aber auch in der theoretischen Arbeit zum Kapitalismus eine entscheidende Rolle ein. Seit den 1970er Jahren jedoch veränderte sich diese enge Verbindung fundamental. Zum einen gab es weitreichende Umwälzungen in der Produktion selbst. Die klassische, fordistisch organisierte Fliessband-Produktion verschwand zusehends und die Automatisierung schritt in horrendem Tempo voran. In dieser neuen Arbeitsumgebung war Flexibilität gefordert, die Trennung von Kopf- und Handarbeit wurde zusehends verwischt, Kontrollen wurden internalisiert und Produktionsschritte zu „Projekten“ zusammengefasst. Zugleich wuchs der Dienstleistungssektor, was die Beschäftigungszahlen anbelangte, massiv und gewann so in den westlichen Ländern mehr und mehr an Bedeutung.
Zudem wurde die Produktion dort, wo sie weiterhin fordistisch am effektivsten zu organisieren war und nicht weiter automatisiert werden konnte, in Billiglohnländer verlagert. Die Beschäftigungszahlen des industriellen Sektors sanken in den Industriestaaten stark. Gleichzeitig führten heftige Angriffe der herrschenden Klasse auf die Gewerkschaften dazu, dass diese geschwächt und teilweise auch gänzlich zerschlagen wurden. Darunter litten insbesondere die Industriearbeiter*innen. Der Niedergang des klassischen Industrieproletariats und die Schwäche der Gewerkschaften gingen einher. Die klassenkämpferische Linke, spätestens seit dem Niedergang der Sowjetunion 1991 in einer tiefen Sinnkrise, suchte verzweifelt Antworten auf diese Veränderungen. Im Zuge des Aufstiegs der sogenannten „Neuen Linken“ nach 1968 gewannen denn auch andere Themen an Bedeutung. Umweltaspekte, Gleichberechtigung der Geschlechter oder der Kampf gegen den Neoliberalismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen wurden wichtiger. Das Thema Arbeit, und insbesondere spezifisch die Industrie, wurden nur noch sporadisch bearbeitet. Die theoretische Arbeit zum Thema blieb bedenklich überschaubar. Nur hin und wieder wird nostalgisch zurückgeblickt und der Arbeiter*innenästhetik nachgetrauert.

Entwicklung der Industrieproduktion

Doch stimmt es tatsächlich, dass die industrielle Produktion so stark an Gewicht verloren hat? Befasst man sich etwas genauer mit den Statistiken, so fällt schnell auf, dass es nicht so einfach ist. Im Jahr 2011 wurden in der Schweiz pro Kopf Industriegüter mit einem Wert von 12’400 Dollar hergestellt. Damit ist, laut dem neoliberalen Thinktank Avenir Suisse, die Schweiz das am stärksten industrialisierte Land der Welt.[1] Deutschland kommt immerhin noch auf 2/3 dieses Werts. Und doch sind seit den 1970er Jahren die Beschäftigungszahlen in der Industrie um mehrere Hunderttausend Arbeiter*innen zurückgegangen. Der Anteil der Industrie am BIP sank auf heute 22 Prozent, blieb jedoch seit den 1990er Jahren konstant auf diesem Niveau. Dies ist insbesondere auf die gesteigerte Produktivität zurückzuführen. Gerade in der industriellen Produktion wurden Stellen abgebaut, durch den Einsatz von neuen Maschinen und der Optimierung von Abläufen der wertmässige Output aber dennoch erhöht oder zumindest über längere Zeit konstant gehalten.
Die Industrie ist also weiterhin ein gewichtiger Teil jeder westlichen Volkswirtschaft. Damit ist dieser Sektor auch weiterhin Ort von Auseinandersetzungen zwischen den Besitzenden und den Arbeiter*innen. Gleichzeitig sehen sich die Arbeiter*innen dem ständigen Vergleich mit dem Lohnniveau anderer Weltregionen ausgesetzt. So sagt der Personalvorstand der VW-Gruppe in Deutschland: “In der deutschen Automobilindustrie liegen die Arbeitskosten bei mehr als 40 Euro pro Stunde, in Osteuropa sind es elf, in China gegenwärtig noch unter zehn Euro. Niemand glaubt ernsthaft, dass wir den Wettbewerbsnachteil dieses Hochlohnniveaus nennenswert verringern können.”[2]
Doch es scheint eine Lösung zu geben: Noch mehr Maschinen einzusetzen. Stolz rechnet derselbe Personalvorstand vor: „Für die heute bei Volkswagen eingesetzten Roboter kommt man bei einer Laufzeit von durchschnittlich 35.000 Stunden auf Gesamtkosten von 100.000 bis 200.000 Euro. Das sind drei bis sechs Euro pro Stunde – Kosten etwa für Instandhaltung oder Energiekosten inklusive.“[3]

Die Arbeiter*innen und die Maschinen

Das Verhältnis zwischen Mensch und Maschinen war und ist, gerade auch hinsichtlich der Arbeiter*innenbewegung, schon seit langem reichlich komplex. Zum einen bedeutet Automatisierung Fortschritt. Unangenehme, gesundheitlich schädigende und körperlich oder geistig zermürbende Arbeiten können mit maschineller Hilfe reduziert werden. Gleichzeitig sind Maschinen stets auch Konkurrenz. Die Geschichte dieses komplexen Verhältnisses beginnt bereits bei der aufkommenden Manufaktur, welche das Handwerk überflüssig machte. Grosses Können und langjährige Erfahrung im Handwerk wurden unwesentlich. Die Maschine übernahm zuverlässig die Führung im Fertigungsprozess. Der Arbeitskraft kam die Bedienung, Überwachung und Kontrolle zu. Doch damit war die Entwicklung nicht zu Ende. Weiterer technischer Fortschritt zielte immer auch darauf ab, die Anzahl der Lohnarbeiter*innen im Produktionsprozess so klein als möglich zu halten.
„Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als übermächtiger Konkurrent, stets auf dem Sprung, den Lohnarbeiter “überflüssig” zu machen. Als ihm feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom Kapital proklamiert und gehandhabt. Sie wird das machtvollste Kriegsmittel zur Niederschlagung der periodischen Arbeiteraufstände, Strikes usw. wider die Autokratie des Kapitals.“[4]
Maschinen konkurrieren also die Arbeiter*innen und helfen dabei, die Lohnkosten zu senken und die Ansprüche der Arbeiter*innenklasse tief zu halten. Dabei wird immer wieder versucht, eine Automatisierung der Produktion als eigentliche Win-Win-Situation zu verkaufen. So hat der VW-Vorstand in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsfunktionären einen Plan vorgestellt, wie man die Konkurrenzfähigkeit verbessern und die im Vergleich hohen Lohnkosten ausgleichen möchte. Die Antwort lautet: Roboter. Man möchte die Produktion automatisieren, dafür die verbliebenen Arbeiter*innen von intensiven und ermüdenden Tätigkeiten entlasten.
Wenn aber weniger Arbeiter*innen, gesamtgesellschaftlich gesehen, eine höhere Produktivität aufweisen, gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, wie die real existierende Menge an Arbeitskraft dennoch verwertet werden kann. Entweder sinkt die Beschäftigungszeit pro Person oder der Konsum pro Kopf muss gesteigert werden. Mittlerweile wird in der Schweizer Exportindustrie zumindest temporär wieder 45 Stunden in der Woche gearbeitet. Der gesteigerten Produktivität muss also ein erhöhter Konsum folgen. Und genau das sehen wir seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Gleichzeitig vermag der Konsum allerdings selten der Produktivitätssteigerung zu folgen, was zu Überproduktionskrisen führt.
Marx ging vor 150 Jahren davon aus, dass eine Automatisierung der Produktion unweigerlich dazu führt, dass die Arbeiten weniger Geschicklichkeit erfordern und sogar von Kindern verrichtet werden können: „Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsene aus der Fabrik heraus.“[5] Somit würde auch der Lohn sinken, da Kindern und Frauen ein geringerer Lohn gezahlt werden könne, diese aber der Bedienung von Maschinen durchaus befähigt seien. Diese Beobachtung mag in einer spezifischen Situation ihre Richtigkeit gehabt haben. In der aktuellen Phase der kapitalistischen Entwicklung stellt sich das Problem etwas komplexer dar. Etwas verkürzt kann gesagt werden: Es findet eine Zweiteilung der Arbeit statt. Zum einen gibt es immer mehr prekarisierte, schlecht bezahlte und meist befristete Arbeitsstellen in der Produktion. Zum anderen gibt in durchautomatisierten, hochkomplexen und vernetzten Produktionsstätten eine Reihe von sehr herausfordernden Aufgaben. Diese erfordern eine entsprechende Ausbildung, welche langwierig und teuer ist. Wie wir noch sehen werden, sind es genau diese Stellen, welche für Reindustrialisierungsprozesse von grosser Bedeutung sind.

Reindustrialisierung – was ist das?

Doch was sind eigentlich Reindustrialisierungsprozesse? Seit einigen Jahren wird im öffentlichen Diskurs vermehrt von einer Reindustrialisierung der westlichen Länder gesprochen. Dies beruht zumindest implizit auf der Annahme, dass der Prozess der Industrialisierung, welcher den Industrieländern ihren Namen gab, zumindest partiell in einem Gegenprozess endete, der durch den Wegzug und die Schliessung der Industrie charakterisiert war. An die Industrialisierung und die folgende Deindustrialisierung soll sich nun also eine Reindustrialisierung anschliessen.
Insbesondere in Deutschland und den USA, aber auch in Südeuropa, lassen sich tatsächlich Veränderungen beobachten, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden können. Nur eines vorweg: Die als Reindustrialisierung gefassten Prozesse sind sehr heterogen und beruhen auf sehr unterschiedlichen Entwicklungen. Nachfolgend seien deshalb einige dieser Entwicklungen kurz skizziert, ohne dass diese Liste einen Anspruch auf Vollständigkeit hätte.

1. Die Komplexität der Produktion und die hohe Produktivität
Die Produktion von hochtechnologischen Produkten, zu denen auch Autos gehören, wird immer komplexer. Die automatisierte Produktion, unzählige Zulieferfirmen, diverse Standorte und damit eine komplizierte Logistik mit Lieferketten, die anfällig auf Störungen sind, kennzeichnen die industrielle Produktion im 21. Jahrhundert.
Von entscheidender Bedeutung sind dabei Arbeitskräfte, die hochspezialisiert sind. Dazu sind entsprechende Bildungseinrichtungen und Ausbildungsanstrengungen notwendig. Viele Industrieländer haben ihr Bildungssystem gerade auf der Tertiärstufe in den letzten Jahrzehnten stark ausgebaut und bieten somit optimale Voraussetzungen, die benötigten Fachkräfte zu finden. Dazu kommt die Wichtigkeit der Forschung und die Notwendigkeit von Entwicklungsausgaben. Immer kürzer werdende Produktionszyklen und der Drang nach einem höheren Konsum erfordern immer stärkere Anstrengungen in der Erforschung und der Entwicklung neuer Produkte. Auch hier spielen Universitäten, aber auch private Forschungsinstitute, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aufgrund der kürzeren Reaktionszeiten ist eine Produktion möglichst nahe an den Forschungsinstitutionen und den Absatzmärkten von Vorteil.
Durch die spezifischen Ausbildung und dem damit erreichbaren hohen Automatisierungsgrad ist die Produktivität der spezialisierten Arbeiter*innen pro Arbeitsstunde deutlich höher als in so genannten Billiglohnländern. Dadurch wiederum steigt die Mehrwertrate an. Das heisst, dass der Anteil der geleisteten Arbeit, der für die Reproduktion der Arbeitskraft (also den Lohn) gearbeitet wird, sinkt. Trotz hohem Kapitaleinsatz für die Automatisierung der Produktion kann so die Profitrate von gewissen Branchen mit derjenigen in Billiglohnländern mithalten.

2. Die Flexibilität der Produktion
In den letzten 150 Jahren der kapitalistisch organisierten Produktion von Industrie- und Konsumgütern hat sich die Art und Weise der Produktion immer wieder verändert. Von der Manufaktur, über die fordistisch organisierte Massenproduktion von vornehmlich Konsumgütern, hin zur postfordistischen Produktion, wo wieder vermehrt in Teams gearbeitet wird, die Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit verwischt wird und die Stechuhr hinter „Projekten“ und „Prozessen“ verschwindet. Doch nicht nur das: In den letzten Jahrzehnten konnte beobachtet werden, dass sich Produktzyklen verkürzen, dass Mode- und Trenderscheinungen kurzfristiger werden und dass die Produktion vermehrt individualisiert passiert, beziehungsweise unzählige Kleinserien die ehemals standardisierten Grossserien ablösen. Gerade beim Kauf eines Autos gibt es mittlerweile Millionen von Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Extras, Ausstattungen und Gadgets.
Ein weiteres Beispiel ist die Textilindustrie. Nach einem jahrzehntelangen Rückgang der europäischen Textilproduktion, dem Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen und der Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer wie China, Indien oder Bangladesch scheint es seit einigen Jahren eine Trendwende zu geben. So rechnet man in Spanien damit, dass in den nächsten Jahren bis zu 100’000 Jobs in der Textilbranche neu entstehen könnten. Und sogar Grossbritannien will ein Stück vom Kuchen. In einem Plan zur Rückkehr der Textilindustrie spricht die britische Regierung von über 200’000 neu geschaffenen Jobs in den nächsten Jahren. Und dies, obwohl die Löhne weiterhin nicht einmal annähernd mit den Billiglohnländern mithalten können, auch wenn sich die Lücke durch die Krise und dem Sinken der Löhne in Europa verkleinert hat.[6] Der Grund liegt noch an einem anderen Ort: Die Lieferzeiten für Textilien, beispielsweise aus China, sind schlicht und einfach zu lang, um schnell und flexibel auf neue Trends reagieren zu können.[7] Die Flexibilität und das Reagieren auf Kundenurteile sind aber gerade in der Modeindustrie entscheidend geworden. Was die neuesten Trends sind, was sich durchsetzt und was verschwindet, sind entscheidende Informationen, die schnellstmöglich in die eigene Produktion einfliessen müssen. Ostasien ist für den europäischen Markt zu weit weg.

3. Veränderungen im globalen Lohngefälle
Die Automobilindustrie in den USA boomt. Nach langen Jahren der Depression setzen die Autobauer, und dabei nicht nur amerikanische Unternehmen, sondern auch europäische und asiatische, auf den Fertigungsstandort USA. Dabei spielen die gesunkenen Löhne die Hauptrolle. Doch sind diese Lohnsenkungen nicht einfach ein zufälliges Produkt, sondern das Resultat jahrzehntelanger Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter*innen in den USA. Gerade für die Regierung Obama und ihren Plan, die Aussenhandelsbilanz der USA massiv zu verbessern (sprich: die Importe im Vergleich zu den Exporten zu senken), spielt die Senkung der Löhne eine entscheidende Rolle.[8]
Die Gewerkschaften verhandeln dabei eher über Abstufungsmodelle anstatt die niedrigen Löhne anzugreifen und somit die Interessen der Arbeiter*innen zu vertreten. Volkswagen zahlt in einem Werk in den USA bereits nur mehr 12 Dollar die Stunde, während BMW in seinen Werken ungefähr 15 Dollar bezahlt. Gleichzeitig zu den Entwicklungen in den USA stiegen die Löhne in China in den letzten 10 Jahren kräftig an. Das Lohngefälle gleicht sich also an.
Die tiefen Löhne in den USA wiederum führen, gerade in so globalisierten Branchen wie der Automobilindustrie, unmittelbar zu Druck auf andere Regionen mit höheren Löhnen. So werden insbesondere die Arbeiter*innen der Automobilkonzerne in Europa dazu gedrängt „Flexibilität“ bei der Ausgestaltung ihrer Löhne zu zeigen, da ihre Werke sonst geschlossen und die Produktion gänzlich in Regionen mit tieferen Lohnkosten verlegt würden.
Seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 haben sich diese Prozesse noch verstärkt. Die Arbeitslosenzahlen sind hoch, gleichzeitig wird mit Kürzungen im sozialen Sektor der Druck auf die Lohnabhängigen weiter erhöht. Und die Krise ist nicht vorbei. Es wird auch zukünftig zu neuen und heftigen Angriffen auf die sozialen Errungenschaften der letzten hundert Jahre kommen und damit könnten das Lohnniveau und somit auch der Lebensstandard von Millionen Menschen in den industrialisierten Ländern weiter sinken.

4. Standortvorteile und lokale Produktion
Daneben gibt es noch weitere Gründe, die für die Produktion in den westlichen Staaten sprechen. Einerseits können damit Währungsschwankungen ausgeglichen werden. Da der für die Automobilindustrie durchaus wichtige nordamerikanische Markt mit Dollar bezahlt, ist es für die Produzenten unter Umständen sinnvoll, einen entsprechenden Teil ihrer Ausgaben ebenfalls in Dollar zu bezahlen.[9] Dass die Gefahr die von Währungsschwankungen ausgeht durchaus real ist, zeigen die Turbulenzen, nachdem die Schweizer Nationalbank im Januar 2015 die CHF-Euro-Untergrenze aufgehoben hatte.
Andererseits gibt es auch Gründe, die eher zur Imagepflege gehören. Marxistisch kann man diese Prozesse am besten mit dem Begriff der Warenästhetik fassen. Das Prädikat „Made in Switzerland“, aber auch ein „Made in the US“ kann Qualität versprechen. Weiter wird ein Unternehmen spezifisch mit einem Land verknüpft, womöglich sogar seine Anstrengungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen positiv zur Kenntnis genommen wird. Ein Beispiel dafür ist Apple, welche das Pro-Modell ihrer Computerreihe seit einigen Monaten wieder in den USA fertigen lässt. Dabei geht es, selbstverständlich dank der gesunken Löhne und der steuerlichen Vorteile, insbesondere auch darum, den Computer als „amerikanisch“ in Abgrenzung zum chinesischen Massenprodukt zu verkaufen.

Ausblick

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Zukunft? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. In Zeiten der Krise, die längst nicht vorbei ist, fallen Prognosen äusserst schwer. Anzunehmen aber ist, dass sich die Zweiteilung der industriellen Lohnarbeit in einen stark prekarisierten Teil einerseits und in hochspezialisierte Berufe andererseits weiter vertiefen wird. Damit wird es aber auch schwieriger, den Kampf für ein besseres Leben als gemeinsamen Kampf darzustellen. Es wird schwieriger gegen Werksverträge zu kämpfen und den Angriffen auf das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung entgegenzutreten. Es wird anspruchsvoller, gut verdienende und hoch spezialisierte Personen von ihrer Stellung im Produktionsprozess zu überzeugen und darzulegen, dass auch sie ausgebeutete Lohnarbeiter*innen sind.
Anzunehmen ist auch, dass sich die Reindustrialisierung fortsetzen wird. Auch wenn nicht alle Branchen davon betroffen sind, so werden einige sicherlich von den neuen Rahmenbedingungen zu profitieren suchen. Insbesondere die vernetzte Produktion, die Produktion von Klein- und Kleinstserien und die Flexibilisierung der Logistik werden Gründe liefern, die Produktion wieder vermehrt in der Nähe von Absatzmärkten zu organisieren.
Und was bei alledem nicht vergessen werden darf: Diese Entwicklungen sind kein Kampf zwischen industrialisierten Ländern und solchen auf dem Weg dazu. Dies ist und bleibt ein Kampf der lohnabhängigen Klassen dieser Welt gegen die besitzenden Klassen. Und dieser Kampf wird nicht in einem Land gewonnen. Ein auf Dynamik angewiesenes System wie der Kapitalismus sucht ständig neue Wege der Akkumulation Die sogenannte Reindustrialisierung ist einer davon. Dabei setzt der Kapitalismus immer wieder seine umwälzenden, zerstörerischen Kräfte frei. Dagegen hilft nur die umfassende internationale Organisierung der Arbeiter*innenklasse.

[1] NZZ-Webpaper Reindustrialisierung.
[2] Welt am Sonntag, Aufmarsch der Roboter, 1.2.2015.  http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article136989964/Aufmarsch-der-Roboter.html
[3] Welt am Sonntag, Aufmarsch der Roboter, 1.2.2015. < http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article136989964/Aufmarsch-der-Roboter.html>
[4] Marx, Kapital, Bd. 1 Kapitel IV.
[5] Marx, Kapital, Bd. 1 Kapitel IV.
[6] Die Welt, Spanien strickt am Comeback seiner Textilbranche, 2013, <http://www.welt.de/wirtschaft/article116931471/Spanien-strickt-am-Comeback-seiner-Textilbranche.html>
[7] Die Welt, Europas Textilindustrie nimmt es mit China auf, 2013, <http://www.welt.de/wirtschaft/article113314489/Europas-Textilindustrie-nimmt-es-mit-China-auf.html>
[8] WSWS, USA werden zum Billiglohnland, 2011, <https://www.wsws.org/de/articles/2011/09/bill-s30.html>
[9] Handelsblatt, Daimler weitet PKW-Produktion in den USA aus, 6.9.2014, <http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/mercedes-benz-werk-daimler-weitet-pkw-produktion-in-den-usa-aus/10662862.html>

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