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Die netten Nazis von nebenan

Am Samstag, 1. August versammelten sich über 100 Neonazis in Schönenberg zu einem Rechtsrockkonzert. „Aufgeräumt“, „ruhig“, „nicht störend“ sei das grösste Nazitreffen der Schweiz seit Jahren im Zürcherischen Schönenberg gewesen. Die bürgerliche Presse übersieht dabei die eigentliche Bedeutung des Treffens.

von antifaschistischen AktivistInnen aus dem Raum Zürich

Faschistische Vernetzung und ihre Folgen

Medien und Politik verkennen die Dimension dieses neuerlichen Nazi-Treffens in der Schweiz. Tele Züri und 20 Minuten berichten hauptsächlich von den Bestrebungen der Nazis, das Festgelände im guten Zustand zu hinterlassen. Die Szene werde zu Unrecht verteufelt, meint ein anonymer Teilnehmer. In den Kommentarspalten äussern zahlreiche User Verwunderung über die vielen ausländischen BesucherInnen aus Österreich und Deutschland, welche das Fest offenbar anlockte. Nazis würden doch andere Nationen, ausser die eigene, verachten, fragten sich die User. Diese Annahme verkennt die Bedeutung der überstaatlichen Vernetzung der Neonaziszene (sowohl im deutschsprachigen Raum, als auch oftmals darüber hinaus). Es ist kein Zufall, dass die Waffe, welche für die mindestens neun Morde des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) benutzt wurde, über einen Schweizer Mittelsmann nach Deutschland kam. [1] Ausserdem: Der Mord an einem Rabbi am 7. Juni 2001 in Zürich ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Eine Verbindung zur NSU-Terrororganisation wurde vermutet, konnte aber bis heute nicht bewiesen werden. [2] Immer wieder werden transnationale Verwicklungen von Nazigruppen im Zusammenhang mit Gewaltakten aufgedeckt. Das sogenannte Blood and Honour Netzwerk, welches das Treffen in Schönenberg organisierte, ist in mehreren europäischen Ländern, vor allem in England, Deutschland und Skandinavien aktiv. Blood and Honour versteht sich selbst als elitäre Vorreiterorganisation um faschistisches Gedankengut zu verbreiten. Bewusst wird Rockmusik benützt um über dieses Medium die eigene Vernichtungsideologie zu transportieren. Deshalb kommt es immer wieder zu Nazikonzerten wie letzten Samstag in Schönenberg oder am 21. September 2013 in Ebnat-Kappel (SG).[3] In den meisten Ländern ist das Netzwerk verboten. Da dies hierzulande nicht der Fall ist, gilt die Schweiz unter Neonazis aus ganz Europa als „Konzertparadies“. Ein internationaler Event, wie dieses Wochenende in der Abgeschiedenheit von Schönenberg, ist der perfekte Ort für die Vernetzung unter den verschiedenen Nazifraktionen. Der „korrekte“ Ablauf des Treffens darf dabei nicht über die politischen Antriebe hinwegtäuschen.

Holocaustleugnung als Pflichtprogramm unter Nazis

Einige Medien scheinen zudem ein sehr naives Bild der Naziszene zu haben. So war in einem Bericht von Tele Züri zu hören, dass unter den Anwesenden auch „einige Holocaustleugner“ zugegen gewesen seien. Um in der Neonaziszene aber überhaupt Fuss zu fassen, ist eine Holocaustleugnung absolute Voraussetzung.
Auch darf man sich das Treffen in Schönenberg nicht als gemütliches Grillieren vorstellen: Sofern die Nazis nicht von der Polizei oder den Medien „gestört“ werden (in Schönenberg liess die Polizei das Treffen nach eigenen Angaben unbeobachtet), gehören „Sieg-Heil-Rufe“, „Hitler-Grüsse“ und verbotene Nazilieder zum Standardrepertoire einer solchen Veranstaltung.[4] Der Sänger der Band „Die Lunikow Verschwörung“ war früher Frontmann bei der in Deutschland mehrfach verurteilten Band „Landser“, die Textpassagen wie „Doch wir glauben nicht an des Führers Selbstmord / in unseren Herzen lebt er ewig fort. /Adolf Hitler – unser Führer, Adolf Hitler – unser Held“ von sich geben. Gut möglich, dass „Die Lunikow Verschwörung“ in der Sicherheit von Schönenberg die alten Landser-Klassiker spielte.

Die Band Amok: Morddrohung und gewaltätige Übergriffe

Viel geschrieben wurde im Vorfeld des Konzerts über die Attacke auf einen orthodoxen Juden im Stadtzürcher Kreis 3 am 4. Juli 2015. Angeführt wurde der dutzende Personen umfassende Faschistenmob vom Sänger der Neonazi-Band Amok aus dem Zürcher Oberland, Kevin Gutmann. Er bespuckte den Juden, schrie ihn an, er solle nach Ausschwitz gehen. Einzelne Bandmitglieder wurden schon vor einigen Jahren wegen Schlägereien verurteilt. 2007 bedrohten sie in einem Lied den antifaschistischen Journalisten Hans Stutz mit dem Tode. Dieser erstattete Strafanzeige, was zum Verbot des Amok-Tonträgers führte. Um einer weiteren juristischen Verfolgung zu entgehen, behauptete Amok in den darauffolgenden Jahren lediglich „Soldatenlieder“ zu singen. Die neuerliche Attacke und das Konzert zeigen: Solche Neonazis mögen sich zurückziehen, wenn sie unter Druck geraten. Doch sie können jederzeit wieder in Aktion treten. Ebenfalls in den Schlagzeilen, zumindest in Deutschland, war vor kurzer Zeit Alexander Gorges, der teilweise – die Besetzung der Band ändert von Zeit zu Zeit – auch bei Amok spielte. Ein geplanter Waffendeal in Kassel, bei dem Gorges zwei halbautomatische Pistolen vom Kaliber 9 mm samt zugehöriger Munition kaufen wollte, konnte Ende Juli dank Recherchen von aktiven AntifaschistInnen aus Freiburg i. B. verhindert werden. [5] Lässt man Nazis sich also ungestört vernetzen, muss man mit Konsequenzen rechnen. Dieses Wochenende fand in Schönenberg eine der grössten Netzwerkveranstaltungen der deutschsprachigen Naziszene der letzten Jahre statt.

Die rassistische Hetze der Mitte- und Rechtsparteien bilden das Klima für die Nazis

Deutschland zeigt exemplarisch, wie jahrelange Hetze der etablierten Parteien CDU/CSU, aber auch von Vertretern der Sozialdemokratie (genannt sei u.a. Thilo Sarazzin), ein Klima des Hasses und der Gewalt gegenüber der ausländischen Bevölkerung erzeugen. Diese, auch in der Schweiz bemerkbare, „salonfähige“ Fremdenfeindlichkeit, die Hetze gegen angeblichen Asylmissbrauch, aber auch die Legitimierung von Stammtischparolen im Sinne von „das wird man wohl mal noch sagen dürfen“ bilden den Nährboden für Neonazi-Strukturen, welche wiederum bereit sind physische Gewalt gegen die ärmsten und schwächsten unserer Gesellschaft anzuwenden. In Deutschland kommt das beispielsweise dann zum Ausdruck, wenn rechtsextreme Täter Asylheime anzünden, getragen, beflügelt und legitimiert durch sogenannte „Bürgerproteste“ sowie durch eine Politik, die in der Zuwanderung ein „ernstes Problem“ sieht. In der Schweiz halten sich Gewaltakte von rechts, wie der oben angesprochene Übergriff in Zürich, momentan glücklicherweise in Grenzen. Das ist nicht zuletzt auch einer kontinuierlichen antifaschistischen Arbeit verschiedener linker Gruppierungen zu verdanken. Wenn aber die Hetze von rechts weiter zunimmt, neben der SVP nun auch die CVP beispielsweise Fronarbeit für AsylbewerberInnen fordert und man gleichzeitig die intensive europäische Vernetzung der Neonaziszene zulässt, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in der Schweiz wieder Notunterkünfte brennen und Menschen auf offener Strasse verprügelt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass es soweit kommt. Wehret den Anfängen! Es liegt an uns.

Kein Terrain den Neonazis – weder in Schönenberg noch sonst wo!

Für Sie als BewohnerInnen von Schönenberg sollte die Veranstaltung vom 1. August ein Weckruf sein. Scheinbar gibt es Personen in ihrem Dorf, die einen solchen Anlass nicht nur tolerierten, sondern ihn wohl auch logistisch und mit der Bereitstellung eines Lokals ermöglichten, und das Gedankengut teilen.
Anstatt wegzuschauen, stehen wir gemeinsam ein für eine solidarische und offene Gesellschaft. Machen wir den Mund auf, wenn wir ZeugIn rassistischer oder antisemitischer Vorfälle werden. Sagen wir Nein, wenn der menschenverachtende Faschismus versucht sich breit zu machen! Nie wieder Faschismus, nie wieder!
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[1] http://www.suedostschweiz.ch/politik/die-schweizer-waffen-connection-am-nsu-prozess
[2] Der selbsternannte Nationalsozialistische Untergrund ermordete zwischen 2000 und 2007 in Deutschland mindestens 9 Menschen, verübte mehrere Bombenanschläge und beging über ein Dutzend Raubüberfälle. Zudem gibt es einige Verbindungen der NSU-Zelle in die Schweiz: Die Tatwaffe der meisten NSU-Morde, eine Ceska-Pistole, hatte Anfang der neunziger Jahre in der Schweiz den Besitzer gewechselt. Zudem soll ein Mitglied der Terrorzelle laut der “Berliner Zeitung” 1998 oder 1999 aus einer Telefonkabine in der Schweiz telefoniert haben. Der Mann sei dabei abgehört worden. Im Urlaub auf Fehmarn sollen sie später in einem Auto mit Schweizer Kennzeichen unterwegs gewesen sein.
[3] http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/300-Neonazis-an-Konzert-in-EbnatKappel-/story/15185870
[4] Wie etwa 2005 im Wallis: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Blut-muss-fliessen-knueppelhageldick/story/13915032?print=yes&cache=9efAwefu
„Lasst die Messer flutschen in den Judenleib“, grölte das Publikum damals zu einem beliebten Neo-Nazi Song.
[5] https://linksunten.indymedia.org/de/node/149533 und http://www.hna.de/kassel/waffendeal-unter-neonazis-staatsanwaltschaft-kassel-ermittelt-5301962.html

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1 Kommentar

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