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Spanischer Staat: Was wird aus Podemos?

Am 20. Dezember 2015 werden im Spanischen Staat Parlamentswahlen abgehalten. Die bereits institutionalisierte Bewegung Podemos versucht auf dem parlamentarischen Weg den Hoffnungen der Lohnabgängigen Ausdruck zu verleihen. Dass solche linken Regierungsprojekte Ansätze zu einer realen Verbesserung der Lebensumstände der durch Armut und Perspektivlosigkeit zermürbten Bevölkerung sein können, wird nach dem Debakel von Syriza von einem Teil der Lohnabhängigen bereits wieder in Frage gestellt. Die Frage nach alternativen, emanzipatorischen Lösungsvorschlägen gilt es daher weiter zu beantworten. Ein Interview mit Isabel Serra, Aktivistin von Podemos und Anticapitalistas. (Red.)

Frage: In den deutschen Medien wird berichtet, dass die spanische Wirtschaft einen Aufschwung erfährt. Entspricht dies den Tatsachen und was bedeutet das für die Bevölkerung?
Isabel: Die spanische Regierung hat ein Interesse an diesen Schilderungen und in der Tat enthalten sie auch etwas Wahres, aber viel grundlegend Falsches. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat neue Liquidität geschaffen, die einen leichten Anstieg der Beschäftigung und Investitionen der Unternehmen bewirkt hat. Trotzdem ist davon in Bezug auf die soziale Lage der Bevölkerung nichts zu merken. Der Beschäftigungsanstieg ist temporär und prekär, vor allem wegen der Änderungen im Arbeitsrecht durch die „Reformen“ aus dem Jahre 2012, die die PSOE (die sozialdemokratische Partei) an der Regierung, später auch die Regierung der PP (der konservativ-reaktionären Volkspartei) bewirkt hat. Dieser Beschäftigungsanstieg beschränkt sich im wesentlichen abermals auf … den Bausektor. Im Tourismus sind kaum Auswirkungen vorhanden. Es handelt es sich um das gleiche Modell, das wir in der Immobilienkrise gesehen haben, somit ist kein Wechsel der Wirtschaftspolitik zu sehen. Wir sehen also eine leichte Erholung durch die Politik der EZB, auch vor den anstehenden Parlamentswahlen, aber keinen grundlegenden Wandel.
F: Welche Auswirkungen hatten die jüngsten Ereignisse in Griechenland auf die Situation im Spanischen Staat? Gab und gibt es die Einsicht, dass die griechische und spanische Bevölkerung den gleichen Kampf kämpft?
A: Ich glaube, dass bis vor einem Jahr viele an einen Aufschwung und Ausweg aus der Krise glaubten. Aber seitdem gibt es mehr Sympathie und Mitgefühl für die griechische Bevölkerung, weil dort die gleiche Situation herrscht wie in Spanien. Seit einigen Monaten meint die spanische Bevölkerung aufgrund des Gefühls einer Besserung, sie werde durch die Politik der Troika weniger hart getroffen. Das heisst auch, dass es eine Zustimmung zu PolitikerInnen gibt, die nicht den radikalen Wandel vorschlagen, sondern moderatere Schritte. Es gibt aber schon das Gefühl, dass man zu den Ländern der europäischen Peripherie in Bezug auf die Austeritätspolitik der Troika gehört. Große Rückwirkungen wurden ausgelöst durch die Unterzeichnung des Memorandums durch Tsipras im Juli. Das ist für uns ein Problem in Spanien, weil es das Gefühl verstärkt, es gebe keine Alternative zur Politik der Troika. Weil es so aussieht, als hätte eine linke Regierung in der EU keine Möglichkeit, soziale Reformen durchzusetzen. Somit müssen wir unsere Schlüsse aus den Ereignissen in Griechenland ziehen, weil wir auch in Spanien die Macht der EU-Institutionen sehen können und sehen, dass wir in einem solchen Falle eine machtvollere Bewegung und eine besser organisierte Bevölkerung brauchen, als es in Griechenland der Fall war. Außerdem hätte man in dieser Situation im Juli in Griechenland einen Plan B benötigt.
F: Gab es eine Solidaritätsbewegung bzw. -aktionen mit Griechenland, sichtbare wie Initiativen, Demonstrationen, Kongresse etc.
A: Das ist etwas komplizierter. Seitdem Podemos sich gründete, gab es wichtige Verbindungen zu Syriza. Auch in der Presse wurden Vergleiche angestellt, nach dem Motto „Podemos ist wie Syriza“ – radikal links und populistisch; und was in Griechenland passiert, kann auch in Spanien passieren. Aber diese Verbindungen sind in den letzten Monaten nicht stark genutzt worden, auch weil ein großer Teil von Podemos (vor allem aus der Führung) denkt: Syriza hat ihre Probleme in Griechenland, wir hier in Spanien haben andere politische Situation, eine andere Ökonomie. Ich denke aber, dass wir in vieler Hinsicht in der Linken eine Debatte starten müssen, um unsere Lage neu zu überdenken. Es hat nur wenige, kleine Demos im Juli gegeben. Zum Beispiel haben in Madrid nur etwa 500 Menschen an einer Demo teilgenommen. In Bezug auf die griechischen Wahlen sind Teile von Podemos auf die Volkseinheit (LAE) orientiert gewesen, aber viele, vor allem in der Führungsgruppe, haben sich an die Seite von Tsipras gestellt. Die Führungsgruppe zieht es vor, zu den Problemen zu schweigen.
F: Wie ist die Zustimmung von Tsipras zum dritten Memorandum in Podemos und in der spanischen Linken allgemein diskutiert worden?
A: Die Debatte geht darum, ob es eine Alternative zur Zustimmung zum Memorandum gegeben hat oder nicht. Zum Teil wurde die Debatte moralisierend geführt: Ist Tsipras ein Verräter? Ich meine, es geht darum, was eine linke Regierung in dieser EU heute allein machen kann. Letztlich lief die Debatte darauf hinaus, ob man für oder gegen einen Ausstieg aus dem Euro ist. Wir denken, es geht nicht in erster Linie pro oder contra Euro, sondern eher darum: Austeritätspolitik – ja oder nein. Wir müssen uns auch klarmachen, was ein Ausstieg aus dem Euro bedeuten würde. Daher muss man sich einen Plan B überlegen, der auch die entsprechenden Risiken abschätzt.
F: In den letzten Monaten war im Zusammenhang mit Spanien viel von Podemos die Rede. Wie sieht es aber bei den sozialen Kämpfen aus? Gibt es sie noch oder sind sie zum Erliegen gekommen?
In 2015 hat es einige Mobilisierungen gegeben, beispielsweise von den Menschen im Erziehungssektor, dem Gesundheitsbereich etc., aber insgesamt hat es eine Verschiebung weg von den sozialen Kämpfen hin zu den Wahlkämpfen gegeben, die in den Kommunen anstanden. Dort engagierten sich viele Leute in Basislisten und andere in Podemos mit Blick auf die Regionalwahlen und die [für Jahresende] anstehenden Parlamentswahlen. Das sind die entscheidenden Gründe dafür, dass es zurzeit so wenige Aktionen gibt.
Die Beschäftigten von Vodafone sind im Streik und bekommen etwas Unterstützung von einigen Leuten. Auch die Entlassenen von Movistar bekommen von Menschen aus der Bewegung Unterstützung durch Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem von denen, die jetzt in parlamentarischen Gremien sind. Eine neue soziale Bewegung sind die „Euromarchas“ [neue europäische Märsche gegen Austerität etc., die am 15. Oktober in Brüssel angekommen sind], die sind aber noch nicht sehr stark entwickelt. Sie müssen sich aufbauen und eine Perspektive entwickeln. Ähnliches gilt auch für die Unterstützung der Flüchtlinge, da gibt es eine geringe Mobilisierung, eher kleinere Aktionen.
Die „Plataforma de Afectados por la Hipoteca“ [PAH, wörtlich: Plattform von Hypotheken-Betroffenen, unterstützt vorwiegend von Zwangsversteigerung bedrohte Betroffene der Krise, die ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können und denen Zwangsräumungen bevorstehen] existiert in fast allen Teilen von Spanien, da organisieren sich verschiedene Organisationen mit unterschiedlichen Perspektiven. Es gibt zurzeit weniger Räumungen, aber diejenigen, die noch stattfinden, werden im konkreten Fall von weniger Leuten direkt unterstützt. Dass liegt auch daran, dass sich die offiziell Verantwortlichen dieser Probleme annehmen. Beispielsweise bezieht der neu Alcalde (Bürgermeister) von Cádiz [José María González Santos, genannt Kichi] Stellung gegen die Räumung, indem er sich vor die Polizei stellt, wenn die anrückt. Das verändert natürlich auch die mediale Wahrnehmung der Räumungen. Das Interesse der Menschen wird dadurch auf die [parlamentarischen] Institutionen gelenkt. Das ist ein widersprüchliches Phänomen: Die Hilfe durch die Institutionen ist einerseits positiv für die Betroffenen, lässt aber auch die Notwendigkeit der eigenen Aktivitäten als weniger wichtig erscheinen.
Das Gespräch ist am Samstag, den 3. Oktober 2015, in Köln geführt worden. Die Fragen stellte Paul Michel.

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