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Griechenland: Die Kapitulation von Syriza war vemeidlich

Über die Gründe für die Kapitulation von Tsipras vor den Gläubigern und die Arbeit der Linken in SYRIZA.

von Antonis Davanellos; aus SoZ
Antonis Davanellos ist Mitglied der Leitung von DEA (Internationale Arbeiterlinke), die Teil der Linken Plattform in SYRIZA war. Er war auch Mitglied des Zentralkomitees von SYRIZA. Nach der Verabschiedung des Dritten Memorandums verließen die Mitglieder der Linken Plattform SYRIZA und gründeten die LAE (Laiki Enotita – Volkseinheit), die bei den Wahlen im September 2,8% der Stimmen erhielt und damit an der 3%-Hürde scheiterte.*

Welche Schlüsse zieht ihr aus dem «Experiment SYRIZA» und eurer Arbeit als Linke in diesem Projekt?

Wir durchleben jetzt eine schwierige Zeit, die Zeit des Zusammenbruchs des Projekts SYRIZA, in dessen Aufbau die Linke sehr viel Energie gesteckt hat. Eine schwierige Phase auch für jene Linke, die SYRIZA verlassen haben, um die neue Organisation «Volkseinheit» aufzubauen, die bekanntlich bei den Parlamentswahlen im September eine Niederlage erlitten hat. In solch Zeiten überkommt insbesondere weniger erfahrene Genossen das Gefühl, dass alles verloren ist.
Sektierer nutzen so eine Lage auf ihre Weise. Sie verkünden, das Ziel, SYRIZA zu gründen und aufzubauen, sei von Anfang an falsch und für die Arbeiterbewegung von Grund auf schädlich gewesen. Aber das ist falsch. Wir sind sehr froh, ja sogar stolz auf die Rolle, die wir in der Zeit von der Gründung von SYRIZA 2004 bis zu ihrem Wahlsieg im Januar 2015 gespielt haben.
SYRIZA war ein konkretes Ergebnis des Klassenkampfs in Griechenland und der großen Anstrengungen eines Teils der Linken in Griechenland, gegen den Neoliberalismus und die Politik der Austerität Widerstand zu leisten. SYRIZA war auch ein Produkt der Antiglobalisierungsbewegung und der Antikriegsbewegung Ende der 90er/Anfang der 2000er Jahre, die beide in Griechenland riesige Ausmaße hatten. Im Verlauf dieser Kämpfe auf den Straßen und in den Betrieben wurde immer deutlicher, dass wir ein Werkzeug brauchen, ein Bündnis oder eine Partei, um die Kämpfe auch auf die wahlpolitische Ebene zu heben. Die Antwort war SYRIZA. Vom Anfang an spielte SYRIZA nicht nur auf Wahlebene, sondern auch in den Kämpfen der Arbeiterklasse während der Krise eine bedeutende Rolle.
SYRIZA löste in der Arbeiterklasse und in den unteren sozialen Schichten eine Welle der Hoffnung und in den Reihen der herrschenden Klasse eine Welle der Angst aus. Wer das nicht glaubt, möge die Mainstreampresse aus jener Zeit und vor allem in der Zeit vor den Wahlen vom Januar 2015 lesen…
Einer der wichtigsten positiven Beiträge von SYRIZA war ihre Rolle bei der Schaffung einer großen Schicht von fähigen linken Aktivisten und Kadern, die zu organisationsübergreifender Zusammenarbeit fähig und bereit waren. Damit konnte die Zersplitterung der Linken, die in vielen Ländern Europas und in den Nordamerika weit verbreitet ist, überwunden werden…
Diese Linke hat jetzt durch die Kapitulation von Tsipras eine Niederlage erlitten, aber sie ist daran nicht zugrundegegangen. In den kommenden Monaten wird sich dieses Spektrum neu gruppieren und ein neues Kapitel in der Geschichte der griechischen Linken eröffnen. Deswegen sind wir der Meinung, dass das, was wir in den letzten zehn Jahren getan haben, sehr nützlich war. Insofern haben wir da nichts zu bereuen.
Ich will noch einmal betonen, dass wir als Revolutionäre mit unserer Teilnahme an der Gründung und am Aufbau von SYRIZA nicht die Illusion verknüpften, zusammen mit reformistischen oder halbreformistischen Teilen der Linken eine homogene Partei gründen zu können. Die schwierigste, aber auch die wichtigste Entscheidung, die wir in SYRIZA trafen, war die Entscheidung, unsere eigene Organisation, DEA, nicht aufzulösen. Wir taten das auch nicht in der «linken Phase» von SYRIZA, als es ein starkes Gemeinschaftsgefühl gab, das uns mit einschloss und das wir teilten. Selbst in dieser Phase lösten wir unsere Organisation nicht auf, weil uns klar war, dass es weiterhin strategische und politische Differenzen und im Klassenkampf Phasen geben würde, wo diese Differenzen große Bedeutung gewinnen würden. Wir wollten damit nicht nur unsere eigene politische Eigenständigkeit bewahren, sondern auch die politische Integrität und Unabhängigkeit vieler anderer Kader, die nicht Mitglieder von DEA waren.
Sehr früh schon, selbst in der «linken Phase» von SYRIZA, beharrten wir auf der Notwendigkeit, innerhalb der Partei eine linke Opposition, die Linke Plattform, zu organisieren. Nur deshalb waren wir in der Lage, die linken Kräfte innerhalb von SYRIZA schnell und zielgerichtet zu organisieren und Tsipras in der Zeit nach dem Wahlsieg das eine oder andere Zugeständnis abzutrotzen.
Perry Anderson, ein bekannter europäischer Marxist, schrieb im Juli 2015, der Kompromiss, den Tsipras mit der griechischen herrschenden Klasse und den europäischen Führern schloss, sei vergleichbar mit dem Betrug der SPD 1914, als sie im Reichstag den Kriegskrediten zustimmte. Die Reaktion der SYRIZA-Linken wiederum verglich er mit Liebknechts «Nein», das damals die «Ehre» der SPD-Linken sicherte.
Unsere prompte Reaktion auf die Kapitulation von Tsipras war nicht das Ergebnis der Arbeit eines Tages oder einer Woche. Sie war das Ergebnis des konkreten Kampfes in der Partei, den wir gemeinsam mit anderen Mitgliedern der «Linken Plattform» schon seit einiger Zeit führten, und zwar nicht im Verborgenen, sondern in aller Öffentlichkeit. Jeder wusste, dass es diese Auseinandersetzung in SYRIZA bereits seit drei Jahren gab. Die bürgerlichen Parteien und die bürgerliche Presse haben ja auch immer wieder darauf bestanden, der Rauswurf der «Linken Plattform» aus SYRIZA sei eine Voraussetzung für ihre Anerkennung von Tsipras als Regierungschef.
Heute zeigen sich die Früchte dieser Arbeit auf verschiedene Weise. Vor SYRIZA war die Linke zersplittert und sektiererisch. Unsere Arbeit in SYRIZA hat hier zu einer Veränderung beigetragen. In gewisser Weise ist selbst die Gründung von ANTARSYA [das radikale linke Bündnis, das sich weigerte, SYRIZA beizutreten] ein Ergebnis dieser Veränderung. Vor SYRIZA gab es ANTARSYA nicht. Die NAR [eine der Organisationen in ANTARSYA] hatte ihre eigene Vorfeldstruktur, ebenso die SEK [Sozialistische Arbeiterpartei, die Schwesterorganisation der britischen SWP; die SEK ist ebenfalls Mitglied von ANTARSYA]. Jede Gruppe der revolutionären Linken arbeitete gesondert von den anderen und hoffte, selbst zur dominierenden Kraft werden zu können.

Wie bewertest du die Kapitulation von Tsipras gegenüber den Geldgebern? War er wirklich dazu gezwungen, wie einige sagen?

Viele internationale Genossen, die mit der konkreten Situation nicht so vertraut sind, sind der Meinung, dass Tsipras sein Möglichstes getan hat, dass er sich dem Druck der europäischen Führer bis zum Schluss widersetzt hat. Das stimmt so nicht ganz. Der ursprüngliche Plan von SYRIZA – wie er auf der ersten Parteikonferenz beschlossen wurde – sah vor, mit der Sparpolitik sofort Schluss zu machen und das bestehende Memorandum nicht mehr anzuerkennen.
Das Programm von Thessaloniki enthielt konkrete Maßnahmen, die sofort nach den Wahlen und einseitig, d.h. ohne lange Diskussionen und Verhandlungen mit der Troika, in Angriff genommen werden sollten. Auch Tsipras erklärte zu der Zeit, Verhandlungen mit der EU werde es allein zum Thema Schulden geben.
Man könnte davon sprechen, dass Tsipras der Allianz von internationalen Institutionen und griechischer Bourgeoisie Widerstand geleistet hat, wenn die Regierung SYRIZA unmittelbar nach den Wahlen vom 25. Januar 2015 die Löhne und die Mindestrenten erhöht und Maßnahmen zur Verbesserung in den öffentlichen Schulen und Krankenhäusern getroffen hätte. Wäre das passiert, so wäre es sicher möglich gewesen, in der Arbeiterschaft und in weiten Teilen der Bevölkerung eine riesige Solidaritätsbewegung zur Unterstützung der neuen Regierung gegen die Erpressungsversuche der Geldgeber zu organisieren. Aber Tsipras setzte gleich von Anfang an seine Hoffnungen darauf, in Verhandlungen zwischen der Regierung, der herrschenden Klasse Griechenlands und den internationalen Institutionen einen Kompromiss zu erreichen.
Anfang Juli 2015 lautete die wichtigste Drohung von Wolfgang Schäuble: «Wenn ihr nicht in das Dritte Memorandum einwilligt, lassen wir euch hängen. Dann brechen die Banken zusammen und eure eigenen Leute werden euch zu Fall bringen.» Wie kam es so weit? Nach den Januarwahlen hat der Kopf des rechten Flügels von SYRIZA, Yannis Dragasakis, der Mann, in dessen Ressort das Bankenwesen fiel, mit seiner auf Kompromisse gerichteten Haltung den Weg für die Kapitalflucht von griechischen zu internationalen Banken aufgemacht. Sechs Monate später gehörte die Mehrheit der auf griechischen Banken angelegten Gelder Privatanlegern, nicht mehr Unternehmen. Fast 100% des Guthabens der griechischen Banken bestand nur noch aus kleinen Konten mit weniger als 10’000 Euro. Die Reichen hatten ihr Geld fortgeschafft. Doch Dragasakis und die Regierung schlugen keinen Alarm. Sie taten nichts, um den Kapitalabfluss einzudämmen.
Die zweite große Illusion der Tsipras-Führung war, sie könne durch Demokratie, durch Wahlen, durch bloße Übernahme der Regierung eines kleinen Landes den Kurs der Europäischen Union im Umgang mit der Krise ändern. Das war insofern bitter, als Tsipras es von Anfang an unterließ, mit konkreten Maßnahmen die offenkundigen Absichten der Europäer zu kontern. Nach der Vereinbarung vom 20. Februar 2015 war klar, dass Schäuble und die Troika auf ein Drittes Memorandum hinarbeiteten. Dennoch unterzeichneten Tsipras und Varoufakis die Vereinbarung. Und sie bedienten alle fälligen Schulden, ohne im Gegenzug auch nur einen Cent von der Europäischen Union zu bekommen. Es war klar, dass am Ende, wenn die Griechen den letzten Cent an die internationalen Kreditgeber abgetreten hatten, nur ein mieser Kompromiss rauskommen würde.
Das ist zugleich eine Antwort auf die Frage, ob Tsipras und der Kreis seiner engsten Vertrauten «Widerstand» geleistet haben. Tsipras hatte reformistische Illusionen hinsichtlich der Chancen, mit der herrschen Klasse Griechenlands und den internationalen Geldgebern einen Kompromiss erzielen zu können.
In dieser Zeit kämpfte die Linke in SYRIZA wirklich sehr hart darum, dass er endlich die in unserem Programm vorgesehenen Maßnahmen in die Tat umsetze: einseitige Maßnahmen, um die Krisenfolgen für die Menschen zu lindern; Einstellung des Schuldendienstes; Verstaatlichung der Banken etc. Das taten wir nicht parteiintern hinter den Kulissen, sondern öffentlich. Wir sagten ganz offen, dass Tsipras’ Kurs uns in die Niederlage führen werde.
Die Kapitulation vom 13. Juli 2015 war nicht objektiv unvermeidlich. Sie war das logische Ergebnis des politischen Kurses von Tsipras – eines Kurses, der ausschließlich auf Dialog und Konsens mit der griechischen Bourgeoisie und den europäischen Führungen setzte.
* Der Text ist Teil eines ausführlichen Interviews, das im Oktober 2015 unter dem Titel «The Left after SYRIZA» in International Socialist Review, der Zeitschrift der US-amerikanischen International Socialist Organization (ISO) erschien.

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