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Grossbritannien: Lexit statt Brexit?

Am 23. Juni 2016 stimmt Großbritannien in einem Referendum über den Verbleib des Landes in der EU bzw. seinen Austritt aus derselben ab. Die Entscheidung, ein solches Referendum durchzuführen, war ein Zugeständnis von David Cameron, mit dem der Premierminister versuchte, die rechten Euroskeptiker in seiner eigenen Konservativen Partei zu beschwichtigen. Wie vorauszusehen war, hat dies nur zu einem Anstieg reaktionärer Stimmungen geführt. Doch wie steht die britische Linke zum EU-Austritt?
von Terry Conway*; aus SoZ
Nach den Kommunal- und Regionalwahlen am 5. Mai 2016, bei denen Jeremy Corbyns Labour Party generell gut abgeschnitten hat, hat die Kampagne zum Referendum an Fahrt aufgenommen.
Befürworter eines «Brexit», eines Austritts Großbritanniens aus der EU, wie der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson, legen mit zutiefst fremdenfeindlichen und rassistischen Tönen den Schwerpunkt auf die Frage der Einwanderung. Sie haben in den Meinungsumfragen zugelegt, nachdem Cameron lächerlicherweise behauptet hatte, der Austritt Großbritanniens aus der EU könne in einen «Dritten Weltkrieg» münden. Diese Art von Panikmache, zu der auch der IWF-Chefin Christine Lagardes Kommentare über die wirtschaftlichen Folgen eines britischen EU-Austritts gehören, ist ein gefundenes Fressen für die Brexit-Befürworter. Es scheint nicht unmöglich, dass sie das Referendum gewinnen – ein erschreckender Gedanke.
Doch nicht nur die Konservativen sind in dieser Frage tief gespalten, auch die Linke. Für den Verbleib in der EU gibt es eine linke Kampagne namens «Ein anderes Europa ist möglich» (AEIP), zu der Left Unity und die Grünen sowie vom linken Labour-Flügel John McDonnell, der Schatzkanzler des Schattenkabinetts, gehören. Auch die Organisation Socialist Resistance* (SR) unterstützt dies.
Die Kampagne AEIP ist auf einer völlig anderen Grundlage für den Verbleib in der EU als die Kampagne von Cameron. Sie tritt für ein soziales Europa der Menschen und für mehr Demokratie ein. Die linke Gewerkschaft der Feuerwehrleute stimmte auf ihrer Konferenz im Mai für die Position «In Europa bleiben, um Europa zu ändern». Die von Jeremy Corbyn für die Labour Party vertretene Haltung ist ähnlich. Corbyn sprach am 14. Mai auf einer Labour-Veranstaltung, auf der AEIP-Mitglieder auf dem Podium saßen, und richtete sein Feuer gegen die Cameron-Regierung.
Auch die Scottish National Party (SNP) unterstützt den Verbleib in der EU, allerdings aus einer enthusiastischen Pro-EU-Haltung heraus.

Die Unterstützer des Lexit

Gegen den Verbleib in der EU gibt es eine linke Kampagne, die sich Lexit nennt. Sie wird von der CPB [Kommunistische Partei von Grossbritannien, stalinistisch], der SWP [Sozialistische Arbeiterpartei, trotzkistisch] und einigen kleineren Gruppen unterstützt. Die SP [Sozialistische Partei, trotzkistisch] führt ihre eigene Kampagne für den Austritt.
Wahrscheinlich ist die Mehrheit derjenigen, die sich mit der radikalen Linken identifizieren, gegen den Verbleib in der EU. Selbstverständlich distanzieren sie sich von den fremdenfeindlichen EU-Gegnern, aber ihre Positionen werden von den rechten Stimmungen übertönt.
Zutiefst beunruhigend ist, dass einige Lexit-Vertreter der Frage wenig Bedeutung beimessen, in welcher Lage sich in Großbritannien lebende EU-Bürger befinden werden, wenn das Referendum einen Sieg der Brexit-Befürworter ergibt. Die SWP liegt falsch, wenn sie behauptet, dass «fast zwei Drittel der in Großbritannien lebenden Ausländer von außerhalb der EU kommen und nicht betroffen wären». Tatsächlich stammt die Mehrheit derjenigen, die im Land leben und keine britische Staatsangehörigkeit haben, aus EU-Ländern.
Abgesehen von den wirklichen Zahlen sehen die in Großbritannien lebenden EU-Bürger ihre Stellung gewiss in Gefahr, angesichts der rassistischen Dynamik des Mainstreams der Brexit-Kampagne, deren Erfolg die Situation für alle Migranten verschlechtern würde. Dies gilt für alle, deren äußere Erscheinung, Name oder religiöse Praktiken nicht dem reaktionären Mythos entsprechen, was heute im 21. Jahrhundert als «britisch» zu gelten hat.
Eine andere Frage, auf die sich manche linken Verfechter des Austritts konzentriert haben, betrifft das TTIP [Transatlantisches Freihandelsabkommen] und besonders die Auswirkungen, die dieses reaktionäre Abkommen auf das britische Gesundheitssystem, den National Health Service (NHS), haben würde. Selbstverständlich ist es absolut richtig, gegen TTIP zu sein, obschon die Kampagne in Großbritannien kein vergleichbares Ausmaß wie in Deutschland erreicht hat. Aber die Realität ist, dass TTIP eines aus einer ganzen Reihe von Freihandelsabkommen auf der Erde ist und ein rechtsorientiertes Großbritannien nach dem Brexit ganz scharf darauf wäre, einem solchen Abkommen beizutreten.

Drohende Rechtsverschiebung

Dies sind einige der Gründe, warum z.B die Organisation Socialist Resistance (SR), meint, dass es ein großer Fehler wäre, in diesem Referendum für den Austritt aus der EU zu stimmen, und ein Sieg des Brexit ernsthafte Folgen für Großbritannien und darüber hinaus hätte.
Der Grund ist nicht, dass die SR irgendetwas für die EU übrig hätte. Tatsächlich sind die Mitglieder der SR mit dem meisten einverstanden, was die Lexit-Kampagne über die EU sagt. Die EU ist ein gegen die Arbeiterklasse gerichtetes Konstrukt, das den Mitgliedstaaten helfen soll, die Arbeitskräfte effektiver auszubeuten und die neoliberale Agenda durchzusetzen.
Das wahre Gesicht zeigt die EU mit der Rolle, die sie in Griechenland spielt, wo sie die Bevölkerung im Namen der neoliberalen Agenda in die Armut treibt – und dasselbe wird sie jedem anderen Mitgliedsland antun, das es wagt, aus der Reihe zu tanzen.
Die SR ist prinzipiell für den Austritt aus der EU – aber das bedeutet nicht, das wir für den Austritt ungeachtet der Umstände und der Folgen eintreten!
Dieser Austritt wird nicht von einer linken Regierung vorgeschlagen, um sich etwa von einer von der EU aufgezwungenen Sparpolitik zu befreien. Bei dem Austritt, den das Brexit vorschlägt, handelt es sich vielmehr um einen Austritt, der Teil eines rechten, fremdenfeindlichen Projekts ist und nur ein rechtes, fremdenfeindliches Resultat haben kann.
Die Lexit-Kampagne argumentiert, der Austritt sei ein Weg, Cameron zu schlagen. Das Problem ist aber, dass noch weit rechtere Kräfte als Cameron, etwa Boris Johnson, in den Startlöchern stehen. Die Vorstellung, eine Mehrheit für den EU-Austritt beim Referendum würde in eine Labour-Regierung unter Corbyn münden, entbehrt jeder Grundlage – doch das ist es, was die Lexit-Kampagne suggeriert. Hier nimmt der Optimismus katastrophale Ausmaße an: Wann hat ein Sieg der Rechten jemals zu einem Vormarsch der Linken geführt?
Das Problem der Lexit-Kampagne liegt darin, dass ein «Lexit», d.h. ein «linker Austritt», nicht im Angebot ist. Das einzige Angebot für einen Austritt kommt von der harten Rechten, und die Folgen wären katastrophal, weil die gesamte politische Lage sich nach rechts verschieben würde. Das Ergebnis würde als Unterstützung für Rassismus und für eine einwanderungsfeindliche Politik gewertet (und dafür auch beansprucht).
Nicht nur hier, sondern in ganz Europa würde die Rechte gestärkt. Ein EU-Austritt unter den Bedingungen dieses Referendums würde den Kampf der Arbeiterklasse schwächen anstatt zu fördern.
Diejenigen auf der Linken, die unter diesen Umständen über eine Stimme für den Austritt nachdenken, sollten sich klarmachen, dass sie einen Weg gehen, der die Rechte und die Rassisten sowohl in Großbritannien als auch in ganz Europa stärken wird.
*Terry Conway ist führendes Mitglied von Socialist Resistance, Sektion der IV. Internationale in Großbritannien.

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1 Kommentar

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