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Wieso Antirassismus immer auch antikapitalistisch sein muss

Die folgenden Ausführungen versuchen der stark ideologisch aufgeladenen Diskussion um Rassismus eine materialistische Grundlage zu geben, von welcher aus einige institutionelle Aspekte des Rassismus analysiert und erklärt werden können. Der moderne Rassismus kann nicht im luftleeren Raum verstanden werden, sondern muss im Kontext des globalen Kapitalismus betrachtet werden, von welchem er in vielen seiner Ausprägungen eine Funktion darstellt. Nur so kann die notwendige Verflechtung von antirassistischer Arbeit mit antikapitalistischer Praxis aufgezeigt werden. Parallel zu der marxistischen Faschismusanalyse, welche den Faschismus als „Waffe der Selbstverteidigung“ der Bourgeoisie beschreibt, lässt sich Rassismus als Werkzeug der Festigung der Herrschaft der Bourgeoisie verstehen – und zwar bis heute, wie uns die rechte Hetze und Sündenbockrhetorik gegen Geflüchtete zeigen. Dieser Ansatz möchte den Fokus weg vom Individuellen hin zum Strukturellen legen, und soll ergänzend zu weiteren Erklärungsmustern von Rassismus angesehen werden. Keinesfalls geht es um einen Anspruch auf Alleingültigkeit, oder darum, das überaus komplexe und dynamische Phänomen des Rassismus in ein statisches Erklärungsmuster zu zwängen.

von BFS Zürich

Die verschiedenen Formen von Rassismus, die wir heute kennen – staatlich-institutionell, pseudowissenschaftlich, wie auch individuell –, sind in vielerlei Hinsicht ein historisches Produkt des Kapitalismus. Zwar wird versucht, Rassismus als urmenschlich zu beschreiben, doch es gilt zu erkennen, dass dies bereits rassistisch motiviert ist, um die Idee von Rasse zu legitimieren und ihr einen Ursprung zuzuweisen.

Denn entsprechend materialistischer Betrachtungsweise wurde Rassismus nicht als abstrakte Ideologie erdacht und dann gesellschaftlich angewandt, sondern ist als institutionelle Praxis zur Generierung von Profit im Wandel zur kapitalistischen Produktionsweise historisch erwachsen, und hatte dann soziale Auswirkungen, schaffte soziale Realitäten. Nur dadurch, dass er in seiner systemstützenden Funktion derart erfolgreich war, wurde er zu einer gesellschaftlichen Konstante. Denn den Rassismus als ein pseudowissenschaftliches Hirngespinst abzutun, welches durch die reine Ablehnung von Rassenkonzepten in öffentlichen Debatten bekämpft werden kann, verschleiert die engen Zusammenhänge zwischen rassistischer Diskriminierung und den sozialen und ökonomischen Dynamiken des Kapitalismus in denen diese Diskriminierung stattfindet.

Rassismus und Sklaverei

Ein Blick auf die materiellen Umstände, unter welchen der wissenschaftliche Rassismus formuliert wurde, kann als Beispiel dafür dienen, wie soziale und ökonomische Einflüsse mit rassistischer Ideologie und Praxis zusammenhängen: Auf den als Privatunternehmen geführten Plantagen der frühen Kolonien der „neuen Welt” war unfreie Arbeit zunächst nicht auf Menschen einer gewissen Rasse beschränkt, hauptsächlich wurden weisse Unfreie eingesetzt. Im 17. Jahrhundert kam im Zuge der Aufklärung das Konzept der Menschenrechte auf, welches mit unfreier Arbeit unvereinbar war. Die Plantagenwirtschaft in den Kolonien war aber weiterhin auf Sklaverei angewiesen.

Aus diesem Widerspruch resultierte ein auf Rassen gestütztes Konzept von Sklaverei, und die parallele Formulierung eines wissenschaftlichen Rassismus, der die Entmenschlichung nicht-europäischer Menschen mit dem Ziel der Profitakkumulation legitimierte. Bei diesem Prozess handelt es sich nicht um einen koordinierten „Masterplan“, sondern um ein Zusammenspiel von wissenschaftlichen, ideologischen und ökonomischen Faktoren im Prozess der imperialistischen Expansion des europäischen Kapitals.

Rassismus als Element der Spaltung der Lohnabhängigen

Und auch heute nehmen strukturelle Formen von Rassismus wichtige Funktionen im Kapitalismus ein: Zunächst lenkt rassistische Hetze von Problemen ab und bindet Energie und Wut von Menschen, die sich am Status Quo stören. Rassistische Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von Minderheiten verschleiern weitere Angriffe von oben auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der lohnabhängigen Mehrheit. Die Ursachen für die real existierenden, sozialen Unsicherheiten und Ängste (Arbeitsplatzverlust, Abbau des Sozialstaates etc.) werden durch die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft verursacht, und mit den rassistischen Angriffen verschärft. Rassistische Hetze dient als spaltendes Element, das die verschiedenen Schichten der Lohnabhängigen gegeneinander ausspielt und so einem solidarischen, kollektiven Kampf im Interesse aller Lohnabhängigen entgegenwirkt.

Rassismus in der Migrationspolitik

Antirassistische Solidarität muss somit ein Grundpfeiler linker Politik sein. Zurzeit fokussiert sich ein Grossteil des antirassistischen Kampfes gegen die „Festung Europa“. Europa schottet sich aber nicht komplett ab. Denn die Grenzen sind offen für alles, was der europäischen Wirtschaft nützt. Die „Festung“ versperrt weder den wirtschaftlich verwertbaren Arbeitskräften, noch dem weltweiten Kapitalverkehr (Investitionen u.a.) den Weg. Sie richtet sich nur gegen die Vertriebenen, versucht die Migration zu kontrollieren und zu kanalisieren, und sichert somit die europäischen Herrschaftsverhältnisse.

Diese „Grenzsicherung“ verursacht ein Massengrab an der EU-Aussengrenze, welches bewusst in Kauf genommen wird. Während die EU früher auf den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi setzte, so werden heute Milliarden der türkischen Regierung zugeschoben, damit die Menschen dort zurückgehalten oder gar in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden.

Dennoch ist die „Festung“ Europa aus verschiedenen Gründen gezwungen eine gewisse Anzahl Geflüchtete hinein zu lassen. Sind sie in Europa angekommen, werden sie gemäss der kapitalistischen Logik als billige Arbeitskraft verwertet. Der Zugang zu gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen, Bildungsmöglichkeiten oder gleichen Sozialhilfestandards bleibt ihnen verwehrt. Hingegen wird ihnen in der Schweiz angeboten, in sogenannten Beschäftigungsprogrammen zu arbeiten. Diese Beschäftigung ist für viele Geflüchtete eine willkommene Ablenkung von den Erinnerungen an Flucht und Krieg oder dem eintönigen Alltag in Asylunterkünften. Doch anstatt angemessen entlohnt zu werden, verdienen sie im Normalfall 150 Franken im Monat. Diese „Integration“ in die Arbeitswelt entspricht in Tat und Wahrheit schlicht einer krassen Ausbeutung migrantischer Lohnabhängiger.

Da die migrantische Arbeitskraft in dieser Form viel weniger „kostet“, werden gezielt staatliche Angebote, wie beispielsweise die Reinigung von öffentlichen Verkehrsmitteln, als Beschäftigungsprogramme ausgelagert. So werden Asylsuchende gegen andere Arbeitskräfte ausgespielt, welche zuvor für diese Arbeit normal entlohnt wurden. Gerade in einem Bereich, wo die Löhne sowieso schon zu tief sind, werden Geflüchtete als Lohndrücker*innen missbraucht. Dies ist weder im Interesse der Geflüchteten, noch im Interesse der übrigen Lohnabhängigen.

Antikapitalistische Perspektive

Somit wird auch ein struktureller Moment bei der Betrachtung der Anstellungsbedingungen von migrantischen Arbeitskräften in den heutigen Rassismusdiskursen offensichtlich: Ganz dem kapitalistischen Prinzip der Konkurrenz der Arbeitskräfte verhaftet, befördert er die Entsolidarisierung und Spaltung der Lohnabhängigen, und stabilisiert die Kontrolle der besitzenden Minderheit über die lohnabhängige Mehrheit. Die Erarbeitung antikapitalistischer Perspektiven muss also immer mit antirassistischer Arbeit verknüpft sein – und umgekehrt. Darüber hinaus muss das Zusammenwirken von Rassismus mit anderen Formen spezifischer Unterdrückungsmomente, etwa dem Patriarchat oder der Heteronormativität, analysiert und gemeinsam bekämpft werden. Nur wenn wir diese Kämpfe verbinden, können wir den Spaltungsversuchen von oben etwas entgegensetzen!

Text aus der Broschüre der BFS Zürich “Die Schweiz, das Asylwesen und der Rechtsrutsch – kritische Analysen aus linker Perspektive”.

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1 Kommentar

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