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Polen: „Schwarzer Protest“ – eine gewaltige Frauenmobilisierung

Massive, in Polen so nie dagewesene Proteste haben das Parlament dazu gezwungen, seine Pläne zur Verschärfung des Anti-Abtreibungsgesetzes zu verwerfen. Die vorherrschende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat angesichts des Ausbruchs an kollektivem Zorn öffentlich kapituliert.

von Katarzyna Bielinska, aus l’Anticapitaliste

Das Gesetz von 1993, das in konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Kreisen als « Kompromiss » bezeichnet wird, ist eines der restriktivsten Gesetze in der Europäischen Union. Gemäss diesem Gesetz ist ein Schwangerschaftsabbruch nur erlaubt, wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr sind, bei starken Beeinträchtigungen des Embryos oder wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist. In der Realität sind aber selbst in diesen Fällen Abtreibungen kaum möglich; es wird versucht, das Prozedere künstlich zu verzögern, Abtreibungen werden unter Berufung auf eine sogenannte „Gewissensklausel“ abgelehnt, etc. Heimliche Abtreibungen florieren ebenso wie die Abtreibungsmigration: Gemäss den Schätzungen feministischer Organisationen, werden in Polen jährlich zwischen 80‘000 und 100‘000 Abtreibungen durchgeführt, von denen nur einige Hundert legal sind.
Bisher wurde von feministischen Organisationen kaum für die Verteidigung der Rechte der Frauen mobilisiert. Im März 2016 stand die traditionelle, seit 17 Jahren in Warschau stattfindende Demonstration anlässlich des internationalen Frauentages unter der Parole „Abtreibung zur Verteidigung des Lebens“. Eine Million Menschen haben sich daran beteiligt.

Auf der Strasse und bei der Arbeit mobilisiert

Am 23. September hat die Tagsatzung (die zweite Kammer des Parlaments), in der die PiS eine absolute Mehrheit hat, entschieden, eine Diskussion über einen ultrakonservativen Gesetzesentwurf der Organisation Ordo Iuris zu eröffnen. Das Gesetz sah ein absolutes Abtreibungsverbot und Gefängnisstrafen für Frauen, die dennoch abtreiben, vor. Gleichzeitig weigerte sich die Tagsatzung, das Projekt „Retten wir die Frauen“ genauer zu prüfen. Dieses hatte, inspiriert durch die Gesetzgebungen der meisten europäischen Staaten, zum Ziel, das aktuelle Gesetz zu liberalisieren und Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche zuzulassen.
Die Entscheidung der Tagsatzung löste eine immense Mobilisierung, vor allem von Frauen, im ganzen Land aus. Niemand hätte erwartet, dass der „Schwarze Protest“, symbolisiert durch schwarze Kleidung, ein solches Ausmass annehmen würden. Am Montag, 3. Oktober, fanden in 143 Städten und Dörfern Demonstrationen statt. In Warschau versammelten sich, trotz starkem Regen, zehntausende Personen auf dem Schlossplatz. Viele Frauen kleideten sich schwarz, als sie zur Arbeit gingen. Als Folge des Aufrufs zu einem Frauenstreik, inspiriert durch den Streik in Island von 1975, blieben einige Frauen der Arbeit fern, andere schränkten ihre Tätigkeitsbereiche ein, wie beispielsweise eine Sekretärin, die das Telefon nicht mehr abnahm.
Es ist entsprechend schwer die Teilnahme an den Protesten in ihren verschiedenen Formen zu messen. Gemäss den Medien haben ungefähr 100‘000 Personen alleine an den Demonstrationen teilgenommen. Spätere Untersuchungen von Milward Brown haben ergeben, dass 67% der Frauen und Männer die Proteste unterstützten.

Das Aufbäumen der demokratischen Rechte

Der Effekt dieser unerwarteten, massiven Proteste war völlig unvorhersehbar: die PiS zog ihre Zustimmung zum fundamentalistischen Projekt, dass sie zwei Wochen zuvor noch unterstützt hatte, zurück. Und am 6. Oktober wurde es von der Tagsatzung abgelehnt. Der Präsident der PiS, Jaroslaw Kaczynski, gestand der Tagsatzung, „dass er durch „Beobachtung der sozialen Situation“ zur Überzeugung gekommen sei, dass das Projekt von Ordo Iuris „nicht zweckmässig sei, sondern sogar kontraproduktiv“. Er deklarierte: „Die PiS ist nach wie vor für den Schutz des Lebens und wird sich weiterhin dafür engagieren, allerdings mit überlegten Aktionen, deren Charakter auch wirklich erlaubt, dieses Ziel zu erreichen.“ Die Premierministerin Beata Szydlo hat angekündigt, der Staat werde eine Sozialhilfe garantieren, die Frauen dazu ermutigen soll, Kinder mit einem Handicap dennoch auszutragen und grosszuziehen.
Die Kraft und das Ausmass dieser Proteste haben alle überrascht. Nach 25 Jahren „sozialen Friedens“, hat in diesem Jahr in Polen ein fundamentaler Wandel stattgefunden: Entgegen der autoritären Wahl der PiS, beginnt eine klassenübergreifende Massenbewegung zur Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten unter dem Namen Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOM) zu entstehen. An vom KOM organisierten Demonstrationen versammeln sich Zehntausende.
Der „Schwarze Protest“ ist eine weitere, wichtige Bestätigung dafür, dass die Tradition und Kultur der Massenbewegungen zur Verteidigung der demokratischen Rechte und Freiheiten im Begriff sind, wieder zu erwachen.
Übersetzt durch Jan Malewski, BFS Jugend ZH

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1 Kommentar

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