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Das Sparprogramm Railfit 20/30 der SBB

Mit der Abmagerungskur Railfit will die SBB bis 2020 1400 Arbeitsplätze streichen und jährlich 1,2 Milliarden Franken einsparen. Dass die Hauptlast dieses Sparprogramms auf die Arbeiter*innen und Angestellten der SBB fällt, wundert wohl niemand. Die SBB begründet ihren Plan mit der erhöhten Konkurrenz durch Fernbusse, Auto, Uber und Lastwagen und argumentiert, dass dank dem Abbau die Fahrpreise vorerst nicht erhöht werden müssen. Was das Sparprogramm konkret auslöst und weshalb es kein Einzelfall ist, werden wir im Folgenden etwas genauer beleuchten.

von BFS Zürich

Stellenabbau ist nichts Neues bei der Eisenbahn

Durch die Modernisierung und Umstrukturierung der SBB im Verlauf der letzten Jahrzehnte verschwanden viele Berufsgruppen oder deren Stellenanzahl wurde massiv verringert. In der Zeitspanne von 1964 bis zur Umwandlung zu einer Aktiengesellschaft 1999 wurden weit über 10‘000 Stellen abgebaut (von 43‘000 auf unter 30‘000 Stellen). 2004 zählte der Betrieb nur noch 28‘351 Stellen (inkl. Tochterunternehmen) und trotz der Umsetzung des Projekts „Bahn 2000“, dem grössten Angebotsausbau im Personenverkehr seit Jahrzehnten, wurde es nicht für nötig empfunden neue Stellen zu schaffen. Im Gegenteil, es wurden weiterhin Stellen abgebaut und somit ganz bewusst eine enorme Mehrbelastung der Arbeiter*innen in Kauf genommen.
Seit 2007, als Andreas Meyer den Posten des CEO der SBB übernahm, wurden neue Stellen geschaffen. Namentlich bei der Infrastruktur, da der Unterhalt des Schienennetzes über Jahre sträflich vernachlässigt wurde und auch der Verwaltungsapparat wurde weiter ausgebaut. Lokführer*innen, welche der Mehrbelastung im Personenverkehr entgegenwirken könnten, wurden aber nur wenige eingestellt. All dies trotz der enormen Steigerung an Personenfahrten von 222 Millionen Passagieren im Jahr 2000 auf 441 Millionen im Jahr 2015.
Auch wenn von einem angeblichen Stellenwachstum geredet wurde, muss man sich bewusst sein, dass die SBB hauptsächlich Umstrukturierungen vollzogen haben, denn Stellen gab es 2015 kaum mehr als noch 2001. Der grösste Teil dieses Wachstums wurde durch Tochterfirmen generiert, bei denen meist schlechtere Arbeitsbedingung als im Mutterkonzern herrschen.
Mit Railfit20/30 fährt die SBB-Chefetage nun, mit Hilfe der Beraterfirma McKinsey, erneut schwere Geschütze gegen die Arbeiter*innen auf. Wie viel die SBB für die Dienste des global tätigen Unternehmensberater bezahlt, bleibt ihr Geheimnis. Kein Geheimnis ist jedoch, dass das Unternehmen McKinsey dafür bekannt ist, dass Unternehmensberatung in erster Linie aus Abbaumassnahmen besteht.

Vom Stellenabbau sind alle betroffen

Trotz dem Mangel an genaueren Informationen weiss man, dass mit Railfit 20/30 in fast allen Bereichen eingespart werden soll. Tatsache ist, dass die SBB von den 1,2 Milliarden Franken, die sie jährlich einsparen will, alleine 500 Millionen auf die Arbeiter*innen abwälzt und zwar durch Stellen- und Sozialabbau.
Konkret ist ein Abbau von 1400 Stellen bis Ende 2020 geplant. Umgesetzt soll dies durch die natürliche Fluktuation werden. Wie auch sonst, denn ein Betrieb mit einem GAV, der Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen ausschliesst, wenn jemand seit mindestens vier Jahre im Unternehmen beschäftigt ist, kann fast nicht anders argumentieren als mit der natürlichen Fluktuation.
Diese Art des Personalabbaus ist schon länger Alltag bei den Bundesbahnen, denn Abgänge werden oft nicht mehr ersetzt. Im Falle von Railfit sprechen wir aber nun nicht nur von einzelnen Stellen, welche nicht ersetzt werden, sondern von 1400 innert vier Jahren. Dies führt unweigerlich zu einer enormen Mehrbelastung der verbleibenden Arbeiter*innen. Dass sich die daraus resultierenden schlechteren Arbeitsbedingungen auf die Qualität der Arbeit und auf die Sicherheit des Betriebes auswirken können, sollte wohl allen klar sein. Die Bereitschaft der SBB-Spitze auf Kosten der Sicherheit zu sparen ist untragbar und absolut fahrlässig.

Sozialabbau als Angriff auf alle

Zusätzlich zu diesem Kahlschlag beim Personal will die SBB Sozialabbau betreiben. Sie hat angekündigt, sie wolle die Risikobeiträge der Pensionskasse nicht mehr alleine tragen und die Hälfte der Beiträge den Angestellten vom Lohn abziehen. Das würde eine Lohnkürzung von 0,8% bedeuten. Diese Änderung kann aber nur durch eine Reglementsänderung durch den Pensionskassen-Stiftungsrat erfolgen. Die Gewerkschaft SEV (Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband) besteht darauf, dass diese Verhandlungen mit ihm geführt werden müssen, da sie einen direkten Angriff auf den Lohn darstellen.
Man kann nur hoffen, dass der SEV, welcher mehr für seine Kompromissbereitschaft als für kämpferische Aktionen bekannt ist, an kommenden Verhandlungen den Mut finden wird, die Rechte der Arbeiter*innen auch gegen Widerstände der SBB-Leitung zu verteidigen.
Die SBB will auch bei der Berufsinvalidität sparen und hat die Vereinbarungen mit der hauseigenen Pensionskasse gekündigt. Berufsinvalidität liegt vor, wenn Arbeiter*innen der SBB aus gesundheitlichen Gründen für ihre bisherige oder für eine andere Tätigkeit bei der Bahn nicht mehr tauglich sind, aber trotzdem keinen Anspruch auf eine IV-Rente haben. Aufgrund dieser Vereinbarung erhielten Mitarbeitende ab 50, welche bereits 10 Jahre bei der SBB angestellt waren, im Falle einer Arbeitsuntauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen eine Rente zugesprochen.
Die SBB ist zwar bereit, eine neue Vereinbarung auszuhandeln, aber nur unter Bedingungen, welche voll und ganz zulasten der Mitarbeitenden gehen. Konkret heisst das, dass man neu erst ab 55 und mit 25 Dienstjahren ein Anrecht auf Rente hat. Damit entfällt aber für die SBB der Druck, betroffene Arbeiter*innen zu reintegrieren, denn mit der vorherigen Vereinbarung war eine mögliche Reintegration günstiger als der Übergang in die Berufsinvalidität.

Service Public sieht anders aus

Das Versprechen der SBB, dass die Kunden von diesen Sparmassnahmen nicht beeinträchtigt werden, ist eine glatte Lüge. Alleine der Abbau von circa 200 Stellen im Verkauf wird nicht unbemerkt vonstattengehen. An kleinen Bahnhöfen sind Billettschalter schon seit Längerem zur Seltenheit geworden. Zugbillette kann man nur noch am Automaten oder per App lösen und bei Fragen hilft keiner. Jedoch übernahmen an gewissen Bahnhöfen Migrolino, Avec oder die Post die Aufgabe des Ticketverkaufs. Somit hatte man wenigstens eine*n Ansprechpartner*in am Bahnhof. Doch mit dem neuen Sparprogramm soll auch damit bald Schluss sein.
Die Eisenbahn wird im allgemeinen immer unpersönlicher. Abgesehen vom fehlendem Personal an den Bahnhöfen werden je länger je mehr Züge nur noch unbegleitet geführt; sprich ohne Personal, abgesehen von der/dem Lokführer*in. Die wenigen Fälle, bei denen man doch noch jemanden in SBB-Uniform antrifft, sind bei Stichkontrollen oder Störungen.
Diese Entmenschlichung der Bahn tangiert nicht nur den Service, sondern auch die Sicherheit der Kunden. Und mit Sicherheit meinen wir natürlich nicht, dass zwei Securitas pro Zug Hilfssheriffs spielen, sondern eine fachliche und persönliche Betreuung der Zugreisenden in unterschiedlichsten Belangen.

Bewusste Desinformation seitens der SBB?

Betrachtet man den Informationsgehalt und die vorhandenen Widersprüche der Publikationen der SBB bezüglich Railfit, wird man fast genötigt an eine gezielte Desinformationskampagne zu glauben.
Die Angst der SBB vor einer grossen Mobilisierung der Arbeiter*innen und der Bevölkerung gegen das Sparprogramm, im Falle einer kompletten offenlegen ihrer Pläne, ist daher offensichtlich.
Trotzdem schuldet die SBB den Arbeiter*innen, welche sich tagtäglich für den reibungslosen Betrieb einsetzen, die Wahrheit. Denn die momentanen Pläne, wie mangelhaft die Informationen auch sein mögen, beziehen sich nur auf den Abbau bis Ende 2020. Wie sich Railfit20/30 auf die kommenden Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen im Jahr 2018 auswirken wird und was man noch alles bis 2030 erwarten muss, bleibt komplett im Dunkeln.

SEV und die Verteidigung der Rechte der Arbeiter*innen

Die Eisenbahner trugen vor 100 Jahren den ersten und einzigen Generalstreik in der Schweiz aufs Lande. Auch sonst spielten sie während des Streiks 1918 eine tragende Rolle. Daher überrascht es kaum, dass nach dem Streikabbruch vor allem gegen Eisenbahner Strafverfahren eingeleitet wurden. Aus den vielen kleinen Eisenbahner-Verbänden (Rangierarbeiter, Lokführer, Kondukteure etc.) wurde dann 1919 der SEV gegründet.[1]
Seit seiner Gründung 1919 trat der SEV nur selten wirklich kämpferisch auf. Obwohl es in den 1930er Jahren zu grossen Auseinandersetzungen wegen des enormen Personal- und Lohnabbaus kam, hielt sich der SEV an das gesetzlich verankerte Streikverbot für Eisenbahner.

Härtere Kampfmassnahmen nötig und zwar langfristig

Dieser Trend, auf harte Kampfmassnahmen zu verzichten, hielt bis 1996, als die SBB-Spitze bekannt gab mittels Lohnabbau jährlich 50 Millionen Franken einzusparen zu wollen. Daraufhin organisierte der SEV Grosskundgebungen mit tausenden Menschen in Bern. Sogar eine Blockade der Gotthardautobahn wurde damals in Erwägung gezogen. Ein Warnstreik konnte, trotz 81% Zustimmung bei der Urabstimmung, leider nicht realisiert werden, da über 40% der Mitglieder nicht am Urnengang teilnahmen.
Aufgrund des Drucks der SBB-Arbeiter*innen war sich die SBB-Spitze jedoch sicher, dass der Sparbeschluss beim Nationalrat nicht durchkommen würde. Daher änderte man gewisse Bedingungen, was aber nur eine andere Verteilung des Lohnabbaus bedeutete.
Obwohl man den Lohnabbau nicht verhindern konnte, wertete der SEV diesen Kampf als Erfolg, da man seine Mobilisierungsfähigkeiten unter Beweis stellen konnte und viel Knowhow erlangte.
Anschliessend an die Ereignisse des Jahres 1996 hiess es, man wolle, beziehungsweise müsse, die „Schönwetterstatuten“ überarbeiten, um die gesteigerte Kampffähigkeit und die gesammelte Erfahrung zu bewahren, was für die Zukunft verpflichtend sei. Schöne Worte denen aber leider wenige Taten folgten.

Umstrukturierung nach 1999

Die Ausgliederung der SBB aus der Bundesverwaltung 1999 und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft brachten viele Veränderungen mit sich. Zum einen wurde das Schienennetz für den Güterverkehr geöffnet, zum anderen begann man die SBB nach den Prinzipien des New Public Managements wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu führen. Die darauffolgende Aufteilung in Divisionen, welche der Produktivitätssteigerung dienen sollte, entfernte die Arbeiter*innen voneinander und schwächte so die Solidarität innerhalb des Betriebes. Dies führte unweigerlich auch zu einer Erschwerung von Mobilisierungen durch den SEV.

Brav und zu kompromissbereit

Natürlich will niemand dem SEV die Errungenschaften durch den GAV streitig machen. Trotzdem stehen wir vor dem Problem, dass der SEV, auch wenn er sich 1996 kurzfristig kämpferisch gab, heute viel zu brav und kompromissbereit ist.
Dieser Mangel an Kampfbereitschaft hat uns vermutlich schon 2007 die 39-Stunden-Woche gekostet und hätte, wäre die UNIA nicht in die Lücke gesprungen, 2008 beim Streik gegen die Schliessung der SBB-Werkstätten in Bellinzona zur Niederlage geführt.

Mobilisierung gegen Railfit

Trotz relativ hohem gewerkschaftlichem Organisationsgrad innerhalb der SBB hat der SEV keinen einfachen Stand. Vielen Mitgliedern fehlt die Bereitschaft sich aktiv am Kampf zu beteiligen. Daher versucht der SEV mit Informationsveranstaltungen zu Railfit20/30 die Arbeiter*innen aufzuklären und aufzuzeigen, dass alle von Railfit betroffen sind und daher eine divisionenübergreifende Solidarität nötig ist. Nur so kann es dem SEV gelingen auf breiter Ebene gegen das Sparprogramm zu mobilisieren.
Doch auch der SEV selber muss sich unter Beweis stellen, denn nur eine kämpferische Gewerkschaft, welche klar Position bezieht, wird die Arbeiter*innen auf Dauer mobilisieren können.

[1] Damals hiess er noch Schweizerischer Eisenbahnerverband; heute Schweizerischer Eisenbahn – und Verkehrspersonalverband.

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1 Kommentar

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