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Rape Culture bekämpfen!

Der Begriff rape culture stammt aus dem englischen Sprachraum. Er beschreibt ein Phänomen, über das in den USA derzeit viel diskutiert wird. In Europa ist dieser Begriff noch nicht so weit verbreitet. In Amerika hat es rape culture möglich gemacht, dass ein Mann, der sich öffentlich abwertend über Frauen äussert und zu sexuellen Übergriffen bekennt, zum Präsidenten gewählt werden konnte. Offensichtlich beschränkt sich dieses Phänomen keineswegs auf den amerikanischen Kontinent. Gewisse Mitglieder der SVP stehen Mr. Trump in puncto Sexismus in nichts nach.

von BFS Frauen

Rape culture führt dazu, dass Frauen* (mehr) benachteiligt werden und (mehr) sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Es ist ein mächtiges Phänomen, das Menschen stark beeinträchtigt. Deshalb ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, es sichtbar zu machen und sich bewusst zu werden, welche massiven Auswirkungen rape culture tagtäglich auf Frauen* hat.

Was ist rape culture?

Rape culture heisst auf Deutsch „Vergewaltigungskultur“. Sie bezeichnet eine gesellschaftliche Haltung, die Männer grundsätzlich als triebgesteuerte Wesen hinstellt, während Frauen* als Verführerinnen* betrachtet werden. Rape culture hat sehr viele Aspekte. Es ist die Haltung in den Köpfen der Menschen, die dazu führt, dass Männer Frauen* vergewaltigen, die dazu führt, dass wir sexuelle Gewalt beinahe schon als etwas Normales betrachten. Rape culture ist, dass Gewalt für sexy und Sex für gewalttätig gehalten wird.
Rape culture ist aber auch ein strukturelles Problem und eine besonders perfide Ausdrucksform des Patriarchats. Sie findet in den mächtigsten Institutionen aller Länder statt. Sie äussert sich im Justizsystem, das die Verurteilung von Vergewaltigern fast unmöglich macht, bei den Unis, die lieber Täter schützen, als Frauen* einen sicheren Ort für ihre Ausbildung zu bieten und in den Wirtschaftsinstitutionen, die Frauen* zu Objekten und somit für jederMANN verfügbar machen.
Natürlich möchten wir auch darauf hinweisen, dass nicht nur Frauen* vergewaltigt werden. Männer werden vergewaltigt. Kinder werden vergewaltigt und Transmenschen werden sogar überdurchschnittlich häufig vergewaltigt. Kein „aber“ – alle Vergewaltigungen sind auf das Schärfste zu verurteilen. Die häufigste Form stellt die Vergewaltigung von Frauen* durch Männer dar. Die folgenden Ausführungen beziehen sich darum, wenn nicht anders angegeben, auf diese Variante.

Rape culture in unserem Alltag

Wir sind so sehr von rape culture umgeben und haben diese bereits so sehr internalisiert, dass wir genau hinsehen müssen, um sie zu erkennen. Ist sie eine*r aber erst einmal aufgefallen, sieht man sie plötzlich überall. Ganz im Sinne von „sex sells“ begegnen wir ihr immer wieder in der Werbung. Übersehen wird dabei das Detail, dass die Darstellungen oftmals eben nicht nur Sex zeigen, sondern auch Gewalt gegen Frauen*. An diese Verbindung haben wir uns bereits so gewöhnt, dass es uns in vielen Fällen gar nicht weiter auffällt. So werden denn Vergewaltigungs- und Erniedrigungsdarstellungen herbeigezogen, um alles Mögliche zu verkaufen, von der Calvin Klein Jeans bis zum Ketchup.

Auch in die Populärkultur hat rape culture schon lange Einzug gehalten. Besonders bekannt für sexistische und gewaltverherrlichende Inhalte ist der Hip Hop, jedoch gibt es in beinahe allen Genres Lieder mit höchst problematischen Texten. So veröffentlichte beispielsweise die deutsche Punkband Zaunpfahl ein Lied mit dem klangvollen Namen „Ob sie will oder nicht“.
In Filmen sind Gewaltdarstellungen alltäglich. Besonders auffallend ist auch hier die Verbindung von Sex und Gewalt. Es erscheint uns völlig normal, dass Mann Frau* in Momenten grösster Leidenschaft die Kleider zerfetzt, sie gegen eine Wand schleudert, festhält, etc.

Vergewaltigungen beim Namen nennen

Rape culture äussert sich auch im euphemistischen, also beschönigenden, Sprachgebrauch rund um das Thema Vergewaltigungen. Das Wort Vergewaltigung ist in den Köpfen sehr negativ besetzt, man will damit nichts zu tun haben, niemanden vor den Kopf stossen. Die Folge ist häufig explizites Nicht-Nennen. Stattdessen werden verniedlichende und verharmlosende Umschreibungen verwendet.
Gerade in den Medien finden oft verharmlosende Begriffe Anwendung. So titelte eine amerikanische Zeitung: „Vielversprechende Karriere durch Jugendsünde zerstört”. Die Vergewaltigung versteckt sich hier hinter dem doch sehr harmlosen Wort „Jugendsünde“. Im Zentrum der Schlagzeile steht der „Schaden”, der dem Täter entstanden ist, in dem Fall dessen beeinträchtigte Karriere. Mit keinem Wort wird die Tat verurteilt oder das Leid des survivors[1] erwähnt. Häufig ist auch von Begriffen wie „unpassendes Verhalten“, „sexuelle Entgleisung“, etc. die Rede.
Dies ist nicht nur ein Affront gegen die betroffenen Frauen*, es ist auch höchst problematisch für die öffentliche Meinungsbildung. Denn unter anderem durch Sprache entsteht unser Bewusstsein. Wie wir etwas nennen, ist durchaus entscheidend dafür, wie wir es wahrnehmen.
Wie entscheidend die Wortwahl ist, konnte eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2000 eindrücklich aufzeigen. Von den befragten Studenten an einer Universität würden 30% eine Frau vergewaltigen, wenn sie wüssten, dass sie ungestraft damit davonkommen. Dagegen gaben 58% an, sie würden eine Frau unter denselben Bedingungen zum Sex zwingen. Aufgrund der unterschiedlichen Wortwahl verdoppelt sich fast die Zahl jener Männer, die zu einer Vergewaltigung bereit sind. Das Beispiel verdeutlicht: Die Angst vor dem Wort ist grösser, als die Hemmungen vor der Tat. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Dinge nicht schönzureden, sondern explizit zu benennen. Die Wörter, die wir verwenden, schaffen auch die Realität, die wir sehen.

Victim blaming

Ein Begriff, den man in Zusammenhang mit rape culture sehr häufig hört ist victim blaming. Frauen* werden dabei auf niederträchtige Art und Weise für ihre Vergewaltigung selber verantwortlich gemacht. Dies kann verschiedene Formen annehmen. Der Klassiker ist wohl der Spruch, der vielen sehr leicht über die Lippen zu kommen scheint, eine Frau* mit einer bestimmten Kleiderwahl „müsse sich halt auch nicht wundern“, wenn sie vergewaltigt wird. Nach dieser Logik hoffen sexy gekleidete Frauen geradezu darauf, von jemandem vergewaltigt zu werden. Hier wird besonders deutlich, wie Männer als ihren Trieben ausgelieferte Primaten betrachtet werden, während die Frauen*, seit Eva allesamt Verführerinnen*, durch ihr Auftreten diese Triebe steuern können.
Ein weit verbreiteter Irrglaube besteht darin, dass Vergewaltiger mehrheitlich nachts aus Büschen auf unbekannte, aber immer junge, hübsche Mädchen* springen. Dies entspricht in den meisten Fällen nicht der Realität. In 75% der Fälle kennen die survivors den Täter, in ungefähr einem Drittel der Fälle ist es sogar der (Ex-)Partner oder Ehemann. Dieses falsche Bild wiederum führt dazu, dass wir uns nicht vorstellen können, dass „ganz normale Männer“ vergewaltigen, dass dies auch älteren Menschen passieren kann oder dass auch Promis Vergewaltiger sind. In dieses stereotype Bild gehört auch die Annahme einer „typischen Reaktion“ des Opfers, wie beispielsweise, dass die Frau schreit und versucht wegzulaufen. Dies ist aber nicht immer der Fall. Es ist kaum vorherzusehen, wie unterschiedlich Menschen in Situationen höchster Belastung reagieren.

Systematische Vermutung einer Lüge

Berichtet eine Frau* von einer Vergewaltigung, kommt häufig sehr schnell der Verdacht auf, dass sie lügt. Dann werden die verschiedensten Begründungen herbeigezogen, beispielsweise sie wolle sich am betreffenden Mann für etwas rächen, ihn erpressen, sie schäme sich im Nachhinein für den zuvor einvernehmlichen Verkehr, weil sie vielleicht einen Freund habe, etc. Besonders stark kommt diese Tendenz zum Vorschein, wenn prominente Männer sexueller Nötigung und/oder Vergewaltigung bezichtigt werden. Dass ein gestandener TV-Promi wie Jörg Kachelmann oder jemand in einer verantwortungsvollen Position wie ex-US-Präsident Clinton vergewaltigt, kann sich einfach niemand vorstellen. Und wenn doch, dann hat sie bestimmt ein verdammt kurzes Röckchen getragen…
Diese systematische Vermutung, dass Frauen* bezüglich Vergewaltigungen lügen, ist auch rape culture. Man stelle sich stattdessen vor, jemand würde von einem beobachteten Überfall berichten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahrheit der Aussage angezweifelt würde, ist um einiges geringer. Gemäss Studien aus den USA ist die Rate an falschen Bezichtigungen bei Vergewaltigungstaten jedoch genauso niedrig, wie bei allen anderen Verbrechen. Je nach Studie beträgt diese zwischen 2% und 8%.
Wie bereits erwähnt, gehen Menschen davon aus, dass Frauen* durch gewisse Verhaltensweisen ihre Vergewaltigung selbst zu verschulden haben. Umgekehrt schliessen sie daraus, dass sich diese durch ein „richtiges Verhalten“ verhindern liessen. Hinweise wie „pass auf, wo du hingehst, welchen Weg du nimmst, ob es dunkel ist, ob Leute dabei sind, wer dabei ist, dass du nicht zu viel trinkst, wen du anschaust, wie du hinschaust, mit wem du tanzt, mit wem du Sex hast, mit wie vielen Leuten du Sex hast, etc.“ sind den meisten Frauen* zur Genüge bekannt. Der vermeintlich gut gemeinte Tipp, „Mach doch mal einen Selbstverteidigungskurs!“, bedient sich dabei einer Annahme, die verheerende Folgen haben kann: Nämlich, dass Frauen* durch entsprechende Achtsamkeit und Selbstverteidigungskurse Vergewaltigungen verhindern könnten. Leider stimmt dies nicht. Es muss davon ausgegangen werden, dass in der Schweiz circa jede sechste Frau* bereits einen sexuellen Übergriff erlebt hat. Alleine im Jahr 2015 wurden 532 Vergewaltigungen registriert (ja, das ist mehr als eine* pro Tag!) Das sind nur diejenigen, von denen man weiss. Und dies ist unabhängig davon, ob sie schwarz, klein, schlank, gross, asiatisch, beeinträchtigt, sportlich, weiss, dick, alt, heiss, rasiert oder geschminkt waren. Vergewaltigungen können allen widerfahren, denn die Schuld dafür tragen nur die Vergewaltiger und die Gesellschaft, aus der sie hervorgehen. Punkt.

Gina Lisa, Jolanda Spiess-Hegglin & Co.

Besonders tragisch, aufgrund ihrer abschreckenden Signalwirkung, sind in diesem Zusammenhang die Fälle von prominenten Frauen*, die es gewagt haben, Anzeige zu erstatten und danach von der Öffentlichkeit in der Luft zerrissen wurden.
In Deutschland sorgte Gina Lisas Fall für Aufsehen. Das Model, bekannt für gewagte Outfits und ein sexy Auftreten, gab 2014 an, von zwei Freunden nach dem Ausgang mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt worden zu sein. In der öffentlichen Meinung verlor Gina Lisa dadurch schnell an Ansehen. Auch sorgten frühere Sexfilme sowie ihr offenherziges Image für ihre Diskreditierung in der öffentlichen Wahrnehmung. Obwohl ein Beweisvideo existiert, auf dem eine offensichtlich sedierte Gina Lisa zu sehen ist, die mehrmals deutlich verständlich „Nein“ sagt, führte der Prozess schliesslich nicht zur Verurteilung der Vergewaltiger. Stattdessen erhoben diese selbst Anklage und Gina Lisa wurde im November 2016 wegen falscher Verdächtigung verurteilt.
Ähnlich ist das Beispiel der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin. Auch sie wurde von den Medien durch den Dreck gezogen und in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht und diffamiert, nachdem sie eine Vergewaltigung durch einen anderen Politiker zur Anzeige gebracht hatte. In den Augen eines Grossteils der Bevölkerung hat sie jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Ende 2016 hat sie sich aus ihrer politischen Tätigkeit zurückgezogen. Schlussendlich endete auch dieser Fall nicht mit einer Verurteilung des Täters. Anzeigen gegen Spiess-Hegglin wegen übler Nachrede und Verleumdung sind noch hängig.
Man kann sich vorstellen, dass es victim blaming für Frauen*, die Vergewaltigungen erlebt haben, nicht einfacher macht, darüber zu sprechen und die Täter anzuzeigen. Eine Frau*, die über ihre Vergewaltigung spricht, riskiert nicht nur, dass ihr nicht geglaubt wird, sondern auch noch, dass man sie selbst dafür verantwortlich macht oder ihr böse Absichten unterstellt. Da viele survivors durch ihr Erlebtes ohnehin schon traumatisiert sind, ist es verständlich, dass es bei diesen Umständen viele vorziehen, zu schweigen. Die Folge dessen sind enorme Dunkelziffern und lächerlich tiefe Verurteilungsraten.

Rechtliche Situation in der Schweiz

Einen wesentlichen Anteil daran hat auch unser Rechtssystem. Ein kleiner Prozentsatz der Vergewaltigungen wird angezeigt und noch viel weniger führen tatsächlich zu Verurteilungen. Nur jeder fünfte Angeklagte wird verurteilt. In Achtzig Prozent der Fälle wird das Verfahren mangels Beweise eingestellt oder endet mit einem Freispruch. Wenn es dann doch zu einer Verurteilung kommt, sind die Strafen lächerlich gering. Für Betrug und für Verkehrsdelikte gibt es zum Teil höhere Strafen, als für Sexualdelikte. Jeder dritte verurteilte Vergewaltiger bleibt auf freiem Fuss, weil er seine Haftstrafe auf Bewährung absitzen kann. Nebst den oben bereits aufgeführten Befürchtungen tragen auch degradierende Befragungstechniken und das allgemein höchstbelastende Verfahren dazu bei, dass so wenige Vergewaltigungstaten angezeigt werden. Wie bei jedem Strafverfahren muss die Schuld der Täterschaft nachgewiesen werden können. Dies ist bei Vergewaltigungen ein sehr schwieriges Unterfangen, da es kaum eindeutige Beweise gibt. Insbesondere, wenn danach nicht sofort ein*e Ärzt*in aufgesucht wurde, ist ein solches Verfahren fast chancenlos.
Der Tatbestand der Vergewaltigung ist in der Schweiz nur dann erfüllt, wenn eine Penetration der Scheide stattgefunden hat. Eine erzwungene anale oder orale Penetration sowie das Eindringen mit einem Gegenstand gelten „nur“ als sexuelle Nötigung. Zudem muss die Frau* sich mindestens physisch gewehrt, geschrien haben und gewalttätig widerstandsunfähig gemacht worden sein. Ein „Nein“ reicht nicht aus. Dies ist natürlich höchst problematisch und schreiend ungerecht, da Frauen* sehr unterschiedlich auf solche Situationen reagieren und nicht alle dazu in der Lage sind, gemäss gewissen Normen zu handeln. Es zeigt aber auch das Versagen der Behörden, wenn es darum geht, verbindliche Gesetze festzulegen, unter welchen Umständen eine Vergewaltigung gegeben ist und diese mit angemessenen Strafen zu ahnden. Beispielsweise gilt in Frankreich eine Penetration jeglicher Art unter Anwendung von Gewalt, Nötigung, Drohung oder Hinterlist als Vergewaltigung und wird mit Freiheitsstrafen von 15 Jahren, in schweren Fällen von 30 Jahren verurteilt.

[1] Um eine bestärkende Position einzunehmen gegenüber Personen, die Vergewaltigungen erlebt haben, sprechen wir in diesem Zusammenhang nicht von „Opfern“, wie bei sonstigen verbrechen üblich. Stattdessen legen wir den Fokus darauf, dass die betroffenen Personen die Situation überstanden haben und nennen sie deshalb „survivors“, also „Überlebende“.

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2 Kommentare

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