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G20: Afrika im Fadenkreuz

Die von der deutschen Bundesregierung im Rahmen der G20 angestoßene »Partnerschaft mit Afrika« markiert eine neue Etappe der kapitalistischen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents. Hintergedanke dieser Partnerschaft ist die Schaffung neuer Investitions- und Anlagemöglichkeiten für westliches Kapital. Aufgrund der interimperialistischen Konkurrenz zwischen den führenden Industrienationen und den aufstrebenden Schwellenländern (China, Indien, Brasilien), geht es dabei auch um einen Wettlauf um Einflussmöglichkeiten und Ressourcenzugänge auf dem Kontinent. (Red.)

von Samuel Decker und Thomas Sablowski*; aus Neues Deutschland

Im November 1884 lud der damalige Reichskanzler Bismarck zur Afrikakonferenz nach Berlin: Die europäischen Kolonialmächte und die USA verhandelten die Handelsfreiheit am Kongo und Niger. Das Abschlussdokument, die Kongoakte, markierte den Beginn einer neuen Etappe im Wettlauf der Kolonialmächte um die Aufteilung Afrikas.
In diesen Tagen findet wieder eine Afrikakonferenz in Berlin statt. Diesmal treffen sich Regierungsvertreter der G20-Staaten, um über eine »Partnerschaft mit Afrika« zu beraten. Die Bundesregierung hält in diesem Jahr den Vorsitz in der G20 und hat Afrika ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Die »Partnerschaft« mit afrikanischen Staaten soll offiziell zu Wirtschaftswachstum und Stabilität über die Grenzen der G20 hinaus beitragen. Durch die Kooperation mit interessierten afrikanischen Staaten sollen die Rahmenbedingungen für private Investitionen und Investitionen in die Infrastruktur verbessert werden. Die Bundesregierung will damit Arbeitsplätze für die Bevölkerung in Afrika schaffen – und so einen Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen leisten. Soweit die offizielle Darstellung. Die Ministerien übertreffen sich gegenseitig mit Konzeptpapieren, wie Afrika geholfen werden soll. Das Finanzministerium plädiert für einen »Vertrag mit Afrika« (Compact with Africa), das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat einen »Marshallplan mit Afrika« konzipiert und das Wirtschaftsministerium eine Initiative »Pro! Afrika«.
Die Konzepte haben allerdings nicht alle den gleichen Stellenwert. Das Finanzministerium hat neben dem Bundeskanzleramt in dem gesamten G20-Prozess eine Schlüsselrolle. Das wird daran deutlich, dass dieser in einen »Finance track« und einen »Sherpa track« gegliedert ist. Im »Finance track« wird unter Führung der Finanzministerien über die »harten« Themen wie Finanzmarktregulierung, Wirtschafts- und Finanzpolitik diskutiert. Im »Sherpa track« bereiten von den Staats- und Regierungschefs beauftragte »Sherpas« die Diskussion über die weiteren Themen wie Entwicklungspolitik, Klimapolitik, Arbeits- und Sozialpolitik oder Korruptionsbekämpfung vor. Den unter der Ägide des Finanzministeriums diskutierten »Compact with Africa« haben sich bereits Institutionen wie die Afrikanische Entwicklungsbank, der IWF [Internationale Währungsfonds] und die Weltbank zu Eigen gemacht. Er dürfte von größerer Bedeutung sein als der alleine vom BMZ ins Spiel gebrachte »Marshallplan mit Afrika«.

Warum eine Afrikakonferenz gerade jetzt?

Doch warum Afrika? Warum jetzt? Diese Frage lässt sich nur vor dem Hintergrund der ökonomischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte beantworten. In der Globalisierung des Kapitalismus unter der Ägide neoliberaler Wirtschaftspolitik war Afrika zunächst an den Rand gedrängt worden. Seit den 1970er Jahren spielte sich die Internationalisierung der Eigentums- und Investitionsstrukturen vor allem zwischen den Triade-Zentren USA, Westeuropa und Japan ab. Nach dem Zusammenbruch des »real existierenden Sozialismus« wurden Osteuropa, Russland und insbesondere China asymmetrisch in die globale Arbeitsteilung integriert. Der Anteil Afrikas am globalen Sozialprodukt und den internationalen Investitionsströmen nahm dagegen lange Zeit ab.
Das wiedererwachte Interesse an Afrika hat zum einen mit neuen Rivalitäten zu tun, die sich durch den Aufstieg Chinas und anderer »BRICS«-Staaten [Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika] während der neoliberalen Globalisierung entwickelt haben. Zwischen den alten kapitalistischen Zentren in Nordamerika, Westeuropa und Japan auf der einen Seite und den aufstrebenden »Schwellenländern« auf der anderen Seite ist ein Kampf um die Sicherung des langfristigen Zugangs zu Ressourcen und Absatzmärkten entbrannt. China, Indien, Brasilien und Südafrika betreiben längst ihre eigene Afrikapolitik. Konzerne aus diesen Ländern investieren in beachtlichem Umfang in Afrika, kaufen in großem Stil Land und Rohstoffe auf und machen westlichen Konzernen zunehmend Konkurrenz.
Zum anderen hängt der neue Wettlauf um Afrika mit den verschlechterten Verwertungsbedingungen des Kapitals zusammen, das seit dem Ausbruch der jüngsten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise dringend nach neuen Anlagesphären sucht. So gewinnt auch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Investitionen in Afrika an Bedeutung. Hinzu kommt noch der wachsende Druck durch die Migration, der die politischen Verhältnisse in der EU zunehmend zum Tanzen bringt. Die Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika wird zur notwendigen Bedingung für politische Stabilität in der EU. Es sind also eher die ökonomischen und politischen Probleme in Europa und im globalen Norden als die Zustände in Afrika, die das neue Interesse der Bundesregierung an diesem Kontinent erklären.

Afrika hat von der G20 wenig Gutes zu erwarten

Bei der von der Bundesregierung und der G20 ausgerufenen »Fluchtursachenbekämpfung« ist daher Vorsicht geboten. Das Konzept für den »Compact with Africa«, das die Afrikanische Entwicklungsbank, die Weltbank und der IWF kürzlich beim Treffen der Finanzminister und Zentralbankchefs der G20-Staaten in Baden-Baden vorgelegt haben, lässt wenig Gutes für die Masse der Bevölkerung in Afrika erwarten. Es geht nicht etwa um mehr Entwicklungshilfe oder um die Bereitstellung besonders begünstigter Kredite für afrikanische Staaten, sondern vor allem um die Förderung privater Investitionen und Kredite zu marktüblichen Bedingungen. Statt für konkrete Projekte sollen öffentliche Gelder primär zur Auslösung und Absicherung privater Investitionen eingesetzt werden. Dabei zielen die Urheber des Konzepts vor allem auf Investitionen in die Infrastruktur.
Gegen Investitionen in die soziale Infrastruktur in afrikanischen Staaten wäre zunächst nichts einzuwenden. Viele Länder Afrikas sind überschuldet. Investitionen in das Gesundheits- und Bildungswesen, in die Wasser- und Stromversorgung oder in die Transportsysteme bleiben aus. Doch die Investitionsförderung à la G20 entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Sammelsurium neoliberaler Politikrezepte. So sollen Einnahmen für öffentliche Investitionen vor allem über die Mehrwertsteuer erhöht werden, die vor allem die Massen trifft, deren Nachfrage senkt und die soziale Ungleichheit verstärkt.
Mithilfe Öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) soll die Infrastruktur afrikanischer Länder als Anlagesphäre für privates Kapital erschlossen werden. Dabei plädieren die Autoren des »Compact« für eine internationale Standardisierung von ÖPP-Verträgen, um den Abschluss solcher Verträge zu beschleunigen und die Investitionsrisiken ein für alle Mal auf die Öffentlichkeit abzuschieben. Die öffentlichen Haushalte sollen so zur Absicherung der privaten Kapitalakkumulation langfristig in Dienst genommen werden.
Wie alle neueren Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, wie TTIP, CETA und TISA sieht der »Compact« vor, Investoren zu schützen. Dabei geht es nicht nur um das vielfach kritisch diskutierte Recht privater Investoren und Unternehmen, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie glauben, dass ihr »Recht auf Profit« durch irgendwelche staatlichen Maßnahmen und Gesetze eingeschränkt wird. Der »Compact« soll noch einen Schritt weitergehen: Bevor es überhaupt zu zeitaufwändigen und kostspieligen gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt, sollen Gesetzesinitiativen, die schlecht fürs Geschäft sind, verhindert werden. Als positives Beispiel gilt hier die Einrichtung einer Ombudsperson in Georgien, die die Interessen der Unternehmen vertritt und unmittelbaren Zugang zum Ministerpräsidenten hat. Es geht um eine Art »Frühwarnsystem«, um internationale Kapitalinteressen noch unmittelbarer in staatlicher Politik zu verankern.

Vor einer neuen Welle neoliberaler Strukturpolitik?

Anstatt um »Fluchtursachenbekämpfung« geht es also vor allem um eines: eine neue Welle neoliberaler Strukturpolitik zur kapitalistischen Durchdringung des afrikanischen Kontinents unter der Dominanz transnationaler Konzerne. Die politischen Formen und Verwertungsbedingungen des Kapitalismus haben sich seit der Berliner Afrikakonferenz von 1884-85 zweifelsohne gewandelt. Von einer uneigennützigen Afrikapolitik Europas und der USA kann aber auch heute keine Rede sein. Die Privatisierung der Infrastruktur und der Abbau von Handelsschranken werden letztlich neue Fluchtursachen schaffen. Daher ist es auch unvorsichtig seitens der organisierten Zivilgesellschaft, sich vor den Karren der deutschen Ministerien und der Berliner Afrikakonferenz der G20 spannen zu lassen.
Die Notwendigkeit, politische Alternativen und Allianzen jenseits der G20 zu suchen, ergibt sich auch vor dem Hintergrund der politischen Fragmentierung der G20. Die konfrontative Haltung der US-Regierung in Flucht-, Entwicklungs- und Klimafragen legt offen, was sich schon seit vielen Jahren abzeichnet: Multilaterale Regierungsforen, die seit dem Rio-Gipfel von 1992 von einem Hauch aufklärerischer Gestaltungsabsichten umweht wurden, sind kaum noch ein Vehikel progressiver Politik. Dagegen gilt es Kräfte zu stärken, welche grundsätzliche Alternativen zur Politik der G20 von unten entwickeln können.
*Samuel Decker ist Ökonom und bei der Organisation von Protesten gegen den G20 Gipfel im Juli 2017 in Hamburg beteiligt. Thomas Sablowski ist Referent für Politische Ökonomie der Globalisierung im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Beide Autoren haben vor kurzem die Studie »Die G20 und die Krise des globalen Kapitalismus« publiziert (Reihe »Studien« der Rosa-Luxemburg-Stiftung).

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