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Österreich: Die SPÖ als Teil des bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftssystems (Teil 2)

Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) erzielte bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 zwar ein respektables Wahlresultat (zweitstärkste Partei mit 26,9%), welches jedoch den langfristigen Niedergang bestätigt. Im zweiten Teil unserer Analyse zur Situation in Österreich unter der neuen neokonservativen Regierung geht es um die Entwicklung der österreichischen Sozialdemokratie und deren Mitverantwortung für den Aufstieg der Rechten. (Red.)
Von Verena Kreilinger und Christian Zeller; aus aufbruch-salzburg.org
Die SPÖ verlor massiv Stimmen von enttäuschten ArbeiterInnen und Angestellten an die FPÖ. Zugleich gewann sie Stimmen relativ privilegierter Lohnabhängiger, vorwiegend AkademikerInnen, dazu, die vormals die Grünen gewählt haben. Sie gewann diese Stimmen nicht aufgrund ihres Programms, sondern weil viele Angehörige „gebildete Schichten“ nun plötzlich Angst vor einem ungeschminkten Rechtskurs bekamen.
Die Bewegung vieler ehemaliger WählerInnen der Grünen zur SPÖ ist jedoch kaum Ausdruck einer weiteren Rechtsverschiebung. Die Grünen stellten sich der neoliberalen und neokonservativen Offensive keineswegs konsequenter gegenüber als die SPÖ. Gemäß Analysen des Unternehmens Sora sollen neben ehemaligen 161.000 WählerInnen der Grünen, die nun die SPÖ vorgezogen haben, sogar 165.000 ins Lager von Kurz gewechselt haben. Das kann zwar als Rechtsrutsch gewertet werden, zeigt aber auch, wie fließend die Übergänge der Grünen ins konservative Lager sind.
Die verbreitete Wahl des „kleineren Übels“ ist nicht zuletzt Ausdruck des mangelnden Selbstvertrauens vieler Lohnabhängiger und der Feststellung, dass es seit Jahrzehnten keine Kraft gibt, die wirksam eine solidarische Politik vorschlägt. Gerade der Zerfall der grünen WählerInnenschaft offenbart, dass es die Grünen in ihrer 30-jährigen Existenz nicht geschafft oder nicht einmal versucht haben, sich gesellschaftlich zu verankern. Mangelndes Selbstvertrauen bedeutet auch mangelndes Vertrauen gegenüber politischer Organisierung und kollektiven Antworten.

Von der reformistischen Überwindung des Kapitalismus…

Lange ist es her, als die Sozialdemokratie noch für eine reformistische Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsweise einstand. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die internationale Sozialdemokratie und damit auch die SPÖ mit dem Kapitalismus arrangiert. Die SPÖ profilierte sich als Partei sozialer Reformen, nicht um den Kapitalismus zu überwinden, sondern um breiten Teilen der österreichischen Lohnabhängigen die Lebensbedingungen zu verbessern und diese mit dem kapitalistischen System zu versöhnen. Die sozialpolitische Reformagenda der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky 1970-83 stand für diese Vorstellungen des Wohlfahrtsstaats. Die neoliberale Wende seit den späten 1970er Jahren hinterließ zeitverzögert auch in Österreich ihre Spuren. Seit Mitte der 1980er Jahre, ausgeprägt seit der Übernahme der Kanzlerschaft und des SPÖ-Vorsitzes durch Franz Vranitzky 1986, verfolgte die SPÖ zunehmend eine Politik der sozialen Abfederung neoliberaler Konzepte. Sie betrieb zusammen mit der ÖVP die Durchsetzung einer sozialgefärbten Variante des Neoliberalismus, also einer Modernisierung der Kapitalherrschaft. Gleichzeitig trug die SPÖ aber Sorge, dass ihre Verbindungen zu den Gewerkschaften und die Strukturen der sogenannten Sozialpartnerschaft keinen Schaden erlitten.

…zu dessen Modernisierung

Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben eine große Mitverantwortung für die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Neoliberalen und Neokonservativen. Sowohl eine reformorientierte als auch eine antikapitalistische Linke kommt nicht darum, die desaströse Bilanz der Sozialdemokratie und der mit ihr verbundenen Gewerkschaften kritisch zu reflektieren, um wieder sicheren Grund unter die Füße zu kriegen. Wir führen hier fünf wichtige Punkte an, über deren Konsequenzen wir verstärkt nachdenken sollten:

  • Die SPÖ, wie die ganze Sozialdemokratie in Europa, hat sich bereits seit Jahrzehnten weitgehend dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit unterordnet und trug tendenziell nationalistische Standortdiskurse mit.
  • Die SPÖ und ihre Schwesterparteien in Europa hielten lange Zeit an der Verteidigung des Sozialstaates, ein Erbe vergangener Kämpfe und der glorreichen Phase des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg, fest. Nachdem die Verteilungskämpfe aufgrund sinkender Produktivitätszuwächse härter wurden, verschrieben sie sich einem Modernisierungskurs im Dienste des exportorientierten Kapitals. Der britische Premierminister Blair und der deutsche Bundeskanzler Schröder trugen diese Orientierung Ende der 1990er Jahre auf die Spitze. Obgleich nicht so konsequent, ging die SPÖ einen ähnlichen Weg. Der im Januar 2017 mit großem Pomp vorgestellte Plan A war kein sozialdemokratisches Reformprogramm, sondern ein Modernisierungsprogramm, das die Interessen der exportorientierten Industrie sozial gestalten und einbetten wollte.
  • Das Führungspersonal der SPÖ hat sich in den Staatsapparat und im Management staatnaher Unternehmen integriert. Wer seine politische Praxis mit einer erfolgreichen Karriere im Staatsapparat, in der Arbeiterkammer oder als Manager eines „nahestehenden“ Unternehmens verbindet, wird kaum mehr bedingungslos für die Interessen der weniger privilegierten Lohnabhängigen einstehen. Die SPÖ hat die sozialen Bindungen in die Stadtteile, in den Gemeindewohnbau, in die Betriebe und zur ehemaligen gewerkschaftlichen Basis verloren. Die Parteiexponenten sind ein Teil der politischen Kaste. Sie unterscheiden sich darin kaum von den Spitzen der ÖVP und FPÖ. Es gilt zu überprüfen, inwiefern Teile der Sozialdemokratie sich mittlerweile zu einem Teil der herrschenden Klassen beziehungsweise ihrer Hilfstruppen assimiliert haben, nicht nur objektiv, sondern sich dieser auch selber zugehörig fühlen.
  • Die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften tragen eine umfassende Mitverantwortung für eine seit Jahrzehnten fremdenfeindliche und fragmentierende Arbeitsmarktpolitik. Die Gewerkschaften machen es sich zur Aufgabe, die österreichischen ArbeiterInnen und Angestellten in Konkurrenz zu eingewanderten Lohnabhängigen und zu jenen in anderen Ländern zu verteidigen. Nicht die Einheit und das gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen und Ausgebeuteten stehen im Vordergrund, sondern die kurzfristigen Anliegen derjenigen mit dem richtigen Pass.
  • Die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften entwickeln kaum ein Verständnis dafür, die ganze Klasse der Lohnabhängigen, also wirklich aller, die ihre Arbeitskraft mehr oder weniger prekär verkaufen müssen beziehungsweise vom Lohn ihrer PartnerInnen abhängig sind, zu verteidigen. Teilzeitarbeitende Frauen, Prekäre, Kleinstunternehmen bleiben vergessen.

Der Rechtsrutsch der SPÖ ist nicht einer ungünstigen Konstellation in deren Führung oder dem rein taktischen Kalkül dieser Führung geschuldet (obwohl das noch hinzukommen mag), sondern ist Ausdruck der kompletten Integration der SPÖ in das bürgerlich-kapitalistische Herrschaftssystem und der Aufgabe jeder Orientierung der SPÖ als soziale Reformpartei, geschweige denn als klassisch reformistische Partei, die den Kapitalismus noch überwinden wollte.
22. Dezember 2017

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