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Das Nein zur AV2020 und die Linke

Die Reform der Altersvorsorge „AV2020“ wurde heute, 24. September 2017, von der stimmberechtigten Schweizer Bevölkerung mit 52,7 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Auch wenn nun von der Sozialdemokratie verschiedene Schreckensszenarien skizziert werden, ist dieses Nein ein Sieg und kann als erster Schritt im Kampf für eine solidarische, umfangreiche und soziale Altersvorsorge dienen.

von BFS Zürich

Nicht die Rechte hat gewonnen…

Das Nein zur AV2020 kam an diesem 24. September nicht völlig überraschend. Verschiedene Umfragen haben bereits im Vorfeld gezeigt, dass die Abstimmung ganz knapp ausfallen wird. Nun wurde die Vorlage verworfen und die Befürworter*innen haben keine Sekunde gezögert, erste Horrorszenarien vorauszuahnen. Von Rentenalter 70 ist die Rede, von einer zerstörten AHV und einer Altersvorsorge, die ohne Umverteilung und Generationensolidarität funktioniert.
Dabei geht vergessen, dass es die Linke war, und zwar eine die diesen Namen noch verdient, die das Referendum gegen die von SP-Bundesrat Berset ausgearbeitete Vorlage aufgleiste. Mehrheitlich ohne grosse Apparate, Verbände oder Parteien im Rücken, wurden die notwendigen 50’000 Unterschriften gesammelt. Dies, weil die „Reform“ eben gar keine solche war, sondern der Versuch, die Leistungen in der Altersvorsorge abzubauen, die Pensionskassen mit ihrem Vermögen von fast einer Billion Franken zu stärken und das Rentenalter zu erhöhen. Insbesondere in der französischsprachigen Schweiz gelang es durch das Referendum, die unsozialen und unsolidarischen Aspekte der Reform in den Vordergrund zu stellen. Die Resultate insbesondere aus dem Kanton Genf sind dementsprechend eindeutig. Leider gelang es in der Deutschschweiz nicht im selben Ausmass, eine Kampagne für das linke Nein zu fahren und so wurden im Vorfeld immer wieder Stimmen laut, die ein Scheitern der AV2020 als alleinigen Sieg der SVP und der FDP interpretierten.

…die Sozialdemokratie hat verloren

Diese Verwirrung wurde dadurch verstärkt, dass SP und die grossen Gewerkschaften die Vorlage mit Vehemenz verteidigt haben. Damit zeigten diese einmal mehr, dass sie einen grossen Schritt weg gemacht haben von den Interessen derer, die sie eigentlich zu repräsentieren glaubten. War die SP (und mit ihnen die Grünen) schon vor Jahren davon abgekommen, in die Offensive zu gehen und beispielsweise eine wirkliche Verbesserung der Altersvorsorge erkämpfen zu wollen, so verhinderte der Widerstand der Sozialdemokratie in den letzten Jahren immerhin noch bedeutende Angriffe auf das Rentensystem. Man war bereit, die sozialen Errungenschaften bis zu einem gewissen Grad zu verteidigen. Dieses Mal aber war es die parlamentarische Linke, die die Erosion der Vorsorgewerke in Form der AV2020 mit grossem Engagement vorantrieb. Bundesrat Alain Berset (SP) sagte sogar in einem Interview, dass in der Vorlage alles drin sei, was sich die Bürgerlichen schon seit Jahren gewünscht hätten. Dafür haben sie nun die Quittung gekriegt.

Das Nein zur AV2020 als Signal

Die Ablehnung der Vorlage ist in diesem Fall nicht als grundsätzliche Ablehnung der Schweizer Stimmbevölkerung der solidarischen und unsexistischen 1. Säule gegenüber zu verstehen – und schon gar nicht als Ablehnung gegenüber einem Ausbau derselben. Immer wieder wurde die Beliebtheit und die Wichtigkeit der AHV für einen Grossteil der Bevölkerung sehr deutlich. Das Nein zur AV2020 kann stattdessen als Aufforderung verstanden werden, statt den Abbau voranzutreiben und diesen mit 70 Franken mehr pro Monat zu kaschieren, endlich das umzusetzen, was auch in der Bundesverfassung verankert ist: Die AHV muss existenzsichernd sein und zu einem würdigen Leben reichen!
Um solche Forderungen auf den Tisch zu bringen, ist der vorauseilende Gehorsam, wie ihn insbesondere die SP bei der Ausarbeitung der AV2020 gezeigt hat, der völlig falsche Weg. Wie kann eine Partei, die sich feministisch schimpft, überhaupt die Debatte darüber zulassen, ob das Frauenrentenalter angehoben werden sollte, solange weder Lohn- noch Chancengleichheit auch nur einigermassen umgesetzt sind, solange Frauen zum grossen Teil Teilzeit arbeiten und dabei massiv schlechter verdienen als Männer?
Wie kann eine Partei, die sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen glaubt, ernsthaft die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Finanzierung der AHV gutheissen? Die Mehrwertsteuer ist eine unsoziale und tiefe Einkommen überdurchschnittlich belastende Steuer, die nichts mit dem eigentlich reformistischen Gedanken der Vermögensumverteilung durch progressive Steuerpolitik zu tun hat. Dazu kommt, dass eine solche Erhöhung der MwST die Erhöhung der AHV-Renten um 70 Fr. zu einem grossen Teil gleich wieder aufgefressen hätte. Wie kann eine Vorlage überhaupt als progressiv gelten, welche die Macht der Pensionskassen, die in mehr als einem Fall vom Staat mit enormem Aufwand gerettet werden mussten, unangetastet lässt?
Wie die nächste Reform der Altersvorsorge aussehen wird, ist unklar. Klar aber ist, dass SP und Gewerkschaften endlich aufhören müssen, uns Lohnabhängige für dumm verkaufen zu wollen.

Linke Überlegungen zum Ausbau der Altersvorsorge sind notwendig

Für uns ist weiter klar: Eine Reform der Altersvorsorge kommt nur dann in Frage, wenn sie eine wirkliche Verbesserung bringt. Dafür ist es notwendig, mit einigen Prämissen, die mittlerweile auch in der Linken kaum mehr zur Debatte stehen, aufzuräumen:

  1. Die Annahme, die demographische Entwicklung mache eine weiterhin starke AHV quasi unmöglich, ist falsch. Wie wir bereits vor einigen Monaten in einem Artikel dargelegt haben, ist der demographische Wandel nur ein Vorwand. Wenn Produktivitätsfortschritte auch nur zu einem kleinen Teil in die Altersvorsorge, statt in die Taschen der Besitzenden fliessen würden, wäre die Finanzierung einer lebenssichernden AHV kein Thema.
  2. Das 3-Säulen-Modell ist ein bürokratisches, undurchsichtiges Ungetüm, das den Zwecken und Interessen des Kapital zu Gute kommt. Dadurch, dass nur noch Fachleute überhaupt das Gewirr der Vorschriften und Gesetze überblicken können. Der grosse Teil der Bevölkerung kann das System zwangsläufig nur oberflächlich begreifen. Es gehört daher radikal vereinfacht und die Macht der Pensionskassen und Lebensversicherer gebrochen.
  3. Parlamentsmehrheiten entsprechen nicht den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Das gute Abschneiden der AHV+-Initiative im September 2016 und der Sieg über die Unternehmenssteuerreform III im Februar 2017 zeigen, dass die Mischung aus Sozialabbau und Steuergeschenken für Reiche und Konzerne nicht mehr länger geduldet werden. Eine soziale und solidarische Altersvorsorge kann daher durchaus mehrheitsfähig sein, auch wenn uns Paul Rechsteiner (Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes) und Konsorten uns etwas anderes glauben lassen wollen.

Wenn diese Punkte wieder beherzigt werden, kann eine Reform der Altersvorsorge tatsächlich gelingen. Verschiedene Gedankenanstösse gab es bereits, insbesondere die Forderung von SolidaritéS oder kürzlich der PdA, die 1. und 2. Säule zu fusionieren. Auch wenn diese Vorschläge noch wenig ausgereift sind und eine solche angedachte Fusion grosse Probleme mit sich ziehen würde, so zeigen sie doch auf, dass verschiedene Szenarien, auch scheinbar undenkbare, endlich wieder Teil der linken Debatte um soziale Sicherheit werden müssen.
Für eine solidarische Altersvorsorge, für die die Reichen zahlen!

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1 Kommentar

  1. Urs Zuppinger, Lausanne

    Vielen Dank für diese hellsichtige und meiner Ansicht nach notwendige Stellungnahme zur Ablehnung der Reform der Altersvorsorge „AV 2020“ vom 24. September 2017.
    Der allerletzte Abschnitt des Beitrags stört mich allerdings. Wenn die Forderungen von SolidaritéS und der PDA , die 1. Und die 2. Säule zu fusionieren nur Denkanstösse wären, könnte ich damit leben. In Wirklichkeit handelt es sich um voreilig vorgetragene Textvorschläge für die baldige Lancierung einer Volksinitiative, die in den vorgesehenen Formen nicht umsetzbar sind. Dies kann den beiden Organisationen vielleicht erlauben, im politischen Marketing innerhalb der Linken ein paar Punkte zu schinden. Eine politisch und sozial akzeptable Umorientierung der schweizerischen Altersvorsorge kann damit aber nicht glaubwürdig in Gang gebracht werden. Dass dies nächstens gelingt, ist in dieser Sache nach meinem Dafürhalten entscheidend für die Zukunft, und zwar als erstes innerhalb der politischen und gewerkschaftlichen Kreise, deren Ablehnung des Berset-Pakets auf der Einsicht beruht hat, dass das 3 Säulensystem mit der Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer und der Frauen heute endgültig nicht mehr vereinbar ist.
    Nach dem was ich weiss, hat die BFS hier einen Denkvorsprung, den es jetzt in die Diskussion zu werfen gälte. Es wäre deshalb an der Zeit, die zu diesem Thema seit langem angekündigte Broschüre zu publizieren. Schade, dass im letzten Abschnitt des BFS-Kommentars zum Abstimmungsresultat vom 24. September nicht darauf hingewiesen wurde.
    Ich bin überzeugt, dass sich in dieser Frage mit dem Abstimmungsresultat vom 24. September eine Veränderung der Perspektive ergeben hat.
    Eine Zusage zum Berset-Paket wäre eine Zusage gewesen zur Weiterfahrt im verrotteten, wieder einmal notdürftig geflickten, aber für die lösungsbedürftige Bevölkerung offensichtlich immer weniger zweckmässigen Vehikel des Dreisäulensystems und dies hätte es schwierig gemacht, weiterhin grundsätzliche Alternativen zu erörtern.
    Aus den am 26. September publizierten Meinungsumfragen bei der Abstimmungsbevölkerung geht hervor, dass das Berset-Paket durch die Frauen und die Jungen zu Fall gebracht worden ist. Ich kann auf Grund meiner Teilnahme beim Unterschriftensammeln und an der Abstimmungskampagne hinzufügen, dass ein sich erweiternder Kreis der Bevölkerung während der Abstimmungsdebatte über das Berset-Paket erfasst hat, dass die zweite Säule ein Fass ohne Boden ist.
    Hinzu kommt, dass das Abstimmungsresultat des 24. Septembers in Sachen Altersvorsorge eine längere Phase der politischen Verunsicherung eröffnet hat, während der es legitim sein wird, grundsätzliche Alternativen zur Diskussion zu stellen. Um anzukommen, müssen diese aber technisch fundiert sein, denn jedermann hat heute verstanden, dass die Umsetzung einer grundsätzlichen Reform in jedem Fall Riesenprobleme stellen wird.
    Aus all diesen Gründen, macht es keinen Sinn, die Diskussion kurzfristig auf schlecht fundierte Vorschläge für Volksinitiativen zu beschränken. Sinnvoll wäre hingegen, dass die progressiven Organisationen, die das Referendum ergriffen und durchgezogen haben, der Frage: Wie weiter? eine Bilanztagung widmen würden. Geht es bei dem in der WOZ vom 28.September für Anfang Dezember angekündigten „Rentenkongress“ um etwas Derartiges? Ich kann es nur hoffen.
    Darüber hinaus könnte ich mir als Perspektive die Lancierung eines Vereins vorstellen, der sich der Verstärkung der ersten Säule und der Marginalisierung der zweiten Säule widmet und zu diesem Zweck Lösungsvorschläge entwickelt und Aktionen durchführt, mit dem Ziel schweizweit kollektive und individuelle Anhänger zu gewinnen und die Entwicklung der Debatte um diese Fragestellung möglichst tiefgreifend zu beeinflussen. Unter total anderen Voraussetzungen und mit total anderen Zielsetzungen stelle ich mir etwas Ähnliches vor wie den „Verein Alpeninitiative“ oder den Verein „Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz“.

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