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Syrien: Der Fall Ost-Aleppos und die Strategie «teile und herrsche»

«Wir werden wiederkommen, oh Liebe.» Auf den Ruinen dessen, was einmal Aleppo war, hinterlassen Kämpfer für ein demokratisches Syrien einen letzten Gruß, bevor sie in die lange Kolonne grüner Busse steigen, die sie in ein Niemandsland westlich von Aleppo bringen wird. Unterzeichnet: 15.12.2016. Eine Liebeserklärung unter vielen anderen an diese Stadt, die einmal ein Zentrum gesellschaftlicher, musikalischer und kulinarischer Hochkultur war. Diese Stadt gibt es nicht mehr, nicht nur ihre Häuser, auch ihr soziales Gefüge ist zerstört.
von Angela Klein und Manuel Kellner; aus SoZ
Aleppo befreit? Im Westteil der Stadt (und in manchen Verlautbarungen von westlichen Linken) wurde der Sieg der russisch-türkischen Militäroperationen gefeiert, und sei es nur, weil manche meinten, das Morden werde damit ein Ende haben. Vielleicht hat es ein Ende, wer weiß, aber es wird die Grabesstille sein.
Und befreit von wem? Von «den Rebellen», wie es so schön pauschalisierend in den hiesigen Medien heißt? Diese Bezeichnung, die alle Unterschiede verkleistert und verkleistern soll, damit «Rebellen» umso einfacher mit islamistischen Gruppen gleichgesetzt werden können und unsichtbar wird, dass es eben kein «Kampf gegen den Terror» war, den das Assad-Regime da geführt hat, sondern der letzte, entscheidende Schlag gegen die Reste der syrischen Revolution. Schiitisch-fundamentalistische Milizen hatten freie Hand, noch während der Evakuierung vor allem Zivilisten zu terrorisieren, zu morden, zu vergewaltigen: Allein in der Nacht zum 13.Dezember sollen 82 Menschen umgebracht worden sein, darunter viele Frauen und Kinder. In einer Fernsehdebatte zwischen dem syrischen Politikwissenschaftler Salam Kawakibi und einem russischen Diplomaten sagte dieser: «Russland hat den Zivilisten vorgeschlagen, die Stadt zu verlassen, aber sie wollten nicht, also haben sie die Folgen selbst zu verantworten.»
Zeugenaussagen zufolge hielten sich am Ende nur etwa 300 Kämpfer von der Fatha al-Sham (ehemalige al-Nusra-Front, Teil des al-Qaeda-Netzwerks) in Aleppo auf, hingegen 7000 von einer Reihe anderer Gruppen, die in der Regel vormals der Freien Syrischen Armee (FSA) angehörten. Die FSA hatte gegen Ende 2013 den IS aus Ost-Aleppo vertrieben; dieser Stadtteil wurde dadurch zum Symbol einer säkularen und demokratischen Alternative in Syrien.
Dass sich das Assad-Regime mit ganzer Kraft auf die Beseitigung dieser Bedrohung konzentriert hat, hat eine innere Logik: Sie war die einzige, die der Aufteilung des syrischen Territoriums in Clanstrukturen etwas entgegensetzte, die einzige somit, die Assads Machtfundament wirklich in Frage stellte.
Der Fall von Ost-Aleppo besiegelt das Ende der syrischen Revolution und beseitigt den letzten Rest dessen, was vom «arabischen Frühling» übrig geblieben war – nach einer langen Phase der Agonie, die deutlich machte, dass der Kampf für die demokratischen Kräfte nicht zu gewinnen war. Zu früh wurde der Konflikt militarisiert und damit in eine Sackgasse geführt – eine Folge der brutalen Unterdrückung ursprünglich reiner ziviler Massenaktionen gegen das Regime in Damaskus, aber auch der von Anfang an massiven Einmischung ausländischer regionaler und globaler Mächte. Und trotzdem hätte Assad den Konflikt nicht für sich entscheiden können ohne das Eingreifen Russlands im Bündnis mit der Türkei, dem Iran und der Hizbollah – unter Duldung der USA und der mit ihnen verbündeten Golfstaaten. So hat sich am Ende alles gegen die demokratische Opposition verschworen; selbst von einem großen Teil der Linken wurde sie im Stich gelassen, weil sie zu unstrukturiert und in sich zu widersprüchlich war, als dass auf Anhieb eine «gute Seite» erkennbar geworden wäre.
Mit dem Fall von Ost-Aleppo hat Assad seine Kontrolle über die wichtigsten Städte Syriens wiederhergestellt – zu einem enormen Preis. 400’000 Menschen haben in den fünf Jahren Bürgerkrieg ihr Leben verloren, unzählige Städte und Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Hälfte der Bevölkerung ist geflohen. Lieber sollte das ganze Land in Flammen aufgehen, als dass Assad einen Zipfel seiner Macht abgegeben hätte.
Seinen perfidesten Coup haben viele gar nicht verstanden: seine Handhabung des sunnitischen, teilweise terroristischen, Islamismus zur Spaltung der Opposition. In der Manipulation religiöser und ethnischer Spaltungen hat er einige Erfahrung.
Assad hat sich selber immer als Verteidiger der herrschenden, arabischen alawitischen Minderheit gegen die sunnitische Mehrheit der Bevölkerung gesehen. Das hat ihn nicht daran gehindert, mit reaktionären sunnitischen Fundamentalisten in den früheren 2000er Jahren zu paktieren. Er erlaubte ihnen, Syrien als Operationsbasis für Angriffe gegen die US-amerikanische Besetzung des Irak zu nutzen. Als diese Besatzung endete und einige Jihadisten sich gegen Assad wandten, steckte er sie ins Gefängnis.
Als die Revolution 2011 begann, ließ Assad diese Leute zu Tausenden in der Hoffnung wieder frei, sie würden sich gegen die säkulare Opposition wenden, in Konkurrenz zu ihr treten und der Revolte damit eine sektiererische Wendung geben. Unter den Freigelassenen befanden sich auch Abu Muhammad al-Jolani, der spätere Führer von Jabhat al-Nusra; Zahran Alloush, der Gründer von Jaysh al-Islam; und Hassan Aboud, der Gründer von Ahrar al-Sham. Es war klassische Teile-und-herrsche-Politik, und sie hat funktioniert.
In ähnlicher Weise hat er auch die kurdische Führung manipuliert, indem er der PYD im Norden Syriens einen Streifen zur Selbstverwaltung überlassen und sie damit erfolgreich aus der ­Anti-Assad-Front rausgebrochen hat.
Man muss zugeben, dass die demokratische Opposition gegen Assad keine politische Antwort auf diese Spaltungsstrategie gefunden hat. Vor allem die Ignoranz gegenüber dem legitimen Bedürfnis des kurdischen Volkes nach Autonomie hat eine strategische Allianz mit einem auch militärisch wertvollen Partner verhindert. Stattdessen richteten sich die Hoffnungen immer wieder auf Hilfe von ausländischen Mächten, allen voran denen des Westens. Dieser Westen aber wiegte sich letztlich in Indifferenz. Er reagierte nicht, als Assads Soldaten in Panzern auf friedliche Demonstranten schossen. Er reagierte nicht, als bekannt wurde, dass Tausende Zivilisten gefangen gehalten und gefoltert wurden. Er reagierte nicht, als Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Er reagierte nicht, als Filme über Massaker in Umlauf gebracht wurden, um die Bevölkerung zu erschrecken. Er reagierte nicht auf die Bombardierung der Wohnviertel und Krankenhäuser. Der einzige erkennbare, bemerkenswerte Schub an Solidarität war das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in einigen Ländern wie Deutschland und Kanada, die den Flüchtlingen, und insbesondere den Syrern unter ihnen, eine würdige Aufnahme verschafften. Den westlichen Regierungen waren ihre guten Beziehungen zu den Ölstaaten wichtiger als eine demokratische Opposition.
Das Ergebnis von all dem ist, dass sich im Nahen Osten nun zwei Diktatoren mehr in den Vordergrund gespielt haben: Putin und Erdogan. Die Kontrolle über Ägypten ist schon lange wieder auf das Militär übergegangen. Die kurdische Selbstverwaltung in Rojava ist jetzt die einzige Kraft, die noch auf organisierte Weise einen demokratischen Ansatz verfolgt. Es ist damit zu rechnen, dass Erdogan seine neue Partnerschaft mit Russland dazu nutzen wird, um unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den IS auch die PYD zu zerschlagen.
Die zivile Widerstandsbewegung hatte vielerorts mit einer demokratischen Selbstorganisation der Zivilbevölkerung begonnen. Gegen das Assad-Regime wie gegen die islamistischen Kräfte und das konfessionelle Sektierertum ist die unzweideutige Orientierung auf Demokratie, säkulare Staatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und gleichberechtigtes Zusammenleben der Angehörigen aller Konfessionen und Bevölkerungsgruppen unerlässlich. Die Linke, vor allem in den vorherrschenden Industrieländern, ist aufgerufen, endlich wieder den Erfordernissen internationalistischer Solidarität gerecht zu werden – für humanitäre Hilfe für die vielen Opfer des Konflikts, für die großzügige Aufnahme und menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge, gegen Rüstungsexporte, gegen alle ausländischen Militärinterventionen, für die Unterstützung aller Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung, unabhängig von allen geopolitischen Erwägungen.

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