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USA: Die Obama-Illusion

Heute wird Donald Trump, der rassistische und sexistische Multimilliardär, als neuer Präsident der USA vereidigt. In den kommenden Monaten ist die US-amerikanische und internationale Linke gezwungen Antworten auf Trumps Politik zu finden und zu diskutieren, welche Perspektiven sich den sozialen Bewegungen in den USA bieten. Für die Linke ist dies aber auch der Zeitpunkt, an dem eine Bilanz über die Obama-Ära gezogen und insbesondere der Frage nachgegangen werden muss, was Obamas Präsidentschaft für die grösste soziale Bewegung bedeutete, welche die USA in den letzten Jahrzehnten erlebt hat: #BlackLivesMatter. Im folgenden Interview erklärt Keeanga-Yamahtta Taylor, Autorin des berühmten Buches »Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation« und Aktivistin von #BLM der ersten Stunde, was die Obama-Jahre für die schwarze Bevölkerung bedeuteten. (Red.)

Interview von George Ciccariello-Maher* mit Keeanga-Yamahtta Taylor**; aus Analyse&Kritik

Die Einleitung deines Buches trägt den Titel »Black Awakening in Obama’s America«. Das ist eine Referenz an Robert Allens Klassiker »Black Awakening in Capitalist America« von 1969. Mit seiner Aufmerksamkeit für das komplexe Zusammenspiel von Rasse und Klasse stellt es einen Vorgänger deines eigenen Buches dar. (1) In welchem Ausmaß siehst du deine Arbeit als eine Fortsetzung von Allens Analyse der Kämpfe einer früheren Generation?

Keeanga-Yamahtta Taylor: Allen erfasste die Fähigkeit der Schwarzen Bewegung, den amerikanischen Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Das Schwarze Erwachen war nicht nur eine Angelegenheit Schwarzer Menschen – es war eine Bedrohung des Systems selbst. Und das System reagierte dementsprechend. Allen widmete sich insbesondere den wiederholten Versuchen des Kapitals, die Schwarze Bewegung zu absorbieren, sich ihrer zu bemächtigen und – in manchen Fällen – zu kooptieren. Während der Nachwehen der Aufstände von 1966 und 1967, nachdem Schwarze Leute den Geschäftsverkehr mit Bränden und Plünderungen gestört hatten, gab es von Unternehmerseite aus eine gemeinsame Anstrengung, sich in Schwarzen urbanen Nachbarschaften als das freundliche Gesicht des Kapitals zu präsentieren. Manche Menschen begrüßten das Angebot an Geschäften. Von Schwarzen geführte Geschäfte und mehr Zugang zu amerikanischem Wohlstand waren verlockende Versprechen. Aber für die Mehrheit Schwarzer Menschen war es der Widerstand, der ihnen eine bessere Zukunft versprach.
Der Schwarze Wutausbruch von 2014 war nicht einfach eine Wiederholung der Ereignisse, die 45 Jahre vorher stattgefunden hatten. Es war eine Reaktion auf ungelöste Krisen, die Schwarze Arbeiter und Arme fortwährend begleiten. Unter Afroamerikanern hat es immer schon Klassenspannungen gegeben, aber sie vergrößerten sich in den späten 1960ern und in den 1970ern, als das politische Establishment und die Klasse der Unternehmer gemeinsam daran arbeiteten, eine Schwarze Mittelklasse zu schaffen. Diese sollte herangezogen werden, um Schwarze Städte und die Menschen, die in ihnen lebten, zu managen. Die Schwarze Bewegung heute ist in Teilen eine Antwort auf das Versagen dieser Strategie. Ihren spektakulärsten Zusammenbruch erlebte diese Strategie in Baltimore. Allen antizipierte diese Entwicklungen, wir können von ihm viel lernen.

Als Obama gewählt wurde, war ernsthaft die Rede von einem »postracial America«. Ein paar wenige Jahre später erscheint die Idee, dass wir race überwunden haben, wie die Punchline eines schlechten Witzes. Du verstehst Obama als Sinnbild für Schwarze Führung, die trotzdem »post-Schwarz« ist: aktiv beteiligt am Narrativ der Farbenblindheit, das uns dahin gebracht hat, wo wir heute sind. Wie erklärst du das, was du die »Illusion« der Obama Jahre nennst, und sind Schwarze Amerikaner aus diesem Schlummer »aufgewacht«?

Als Obama gewählt wurde, glaubten 70 Prozent der Schwarzen Bevölkerung, dass Kings Traum wahr geworden war. Es gab enorme Erwartungen, dass ein Schwarzer Präsident eine wirkliche Verbesserung der Leben ganz gewöhnlicher Schwarzer Menschen bedeuten würde. Obama hatte diesen Glauben im Verlauf seiner Präsidentschaftskampagne kultiviert. Er verknüpfte seine Kandidatur mit anderen Aufschwüngen, die den Status quo erschütterten: Er sprach über die abolitionistische Bewegung (2), die Sit-Down-Streiks der 1930er, den Stonewall-Aufstand für die LGBTQ-Befreiung, und natürlich berief er sich auf die Bürgerrechtsbewegung und stellte seinen Wahlerfolg als die ultimative Frucht dieses Kampfes hin. (3) Aber von Beginn an war Obama darum bemüht, sich von Schwarzen Forderungen zu distanzieren, obwohl Schwarze Wähler der Grund für seinen Einzug ins Weiße Haus waren.
Obama hatte außer der Fähigkeit, eine neue Atmosphäre in Washington zu schaffen, sehr wenig versprochen, aber er lieferte noch weniger als das. Vielleicht sogar noch schlimmer war jedoch, dass er duldete, dass man Schwarzen Menschen kontinuierlich die Schuld für ihre eigene Lage gibt. Er spottete über die Ess- und Lesegewohnheiten armer Eltern und bediente sich rechter Mythen: über Schwarze Väter, über Studenten, die glauben würden, dass Erfolg gleichbedeutend sei mit »acting white«. Nicht nur verbesserte sich das Leben nicht, es verschlechterte sich sogar hinsichtlich Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung unter Schwarzen Menschen, Wohnsicherheit und anderer Barometer für Lebensqualität. Die ganze Zeit übersah Obama den tödlichen Status quo im Strafrechtssystem. All das ging im Sommer 2014 in Flammen auf, als Michael Brown in den Straßen von Ferguson ermordet wurde. Genug war genug.

Eine Gruppe rund um Adolph Reed hat dich kürzlich für folgende Behauptung kritisiert: »Wenn die Schwarze Bewegung in Gang kommt, wirft sie die gesamte Mythologie der Vereinigten Staaten – Freiheit, Demokratie und unendliche Möglichkeit – ins Chaos.« (4) Aber ist dieser Punkt – der, wie du schreibst, von Martin Luther King und Richard Nixon gleichermaßen geteilt wurde – nicht offensichtlich wahr? Von der Radical Reconstruction (5) über die Bürgerrechtsbewegung zu Black Lives Matter – ist es nicht einfach unbestreitbar, dass Schwarze Bewegungen immer auch eine katalysierende Wirkung auf antikapitalistischen Widerstand hatten, so wie weiße Vorherrschaft eine Stütze für den US-Kapitalismus ist?

Ganz offensichtlich ist das wahr, die negative Reaktion auf meine Aussage ist daher bizarr. Die US-amerikanische Gesellschaft ist zutiefst ideologisch – insbesondere weil sie so durchweg und umfassend ungleich ist. Die kleine Clique, die die Ressourcen kontrolliert, und die politische Klasse in diesem Land verlassen sich auf die eingeübten Mythen über soziale Mobilität, den amerikanischen Traum und die »besondere« und beispiellose Großartigkeit der Vereinigten Staaten. Diesen gesamten Gedankengang lässt die Schwarze Bewegung entgleisen. Wir reden hier über eine Bevölkerung, die versklavt hierher gebracht wurde und, als die Sklaverei endete, 100 Jahre mit rechtlichen Mitteln und einer Bürgerschaft zweiter Klasse unterworfen wurde. Während der letzten 50 Jahren wurde diese Bevölkerung in arme und unterversorgte Nachbarschaften ausgesondert, von der Polizei terrorisiert und überproportional häufig inhaftiert.
Wenn die Welt verstehen würde, wie Schwarze Menschen durch die USA schikaniert wurden, würde die Berechtigung dieses Landes, dem Rest der Welt seinen Willen aufzuerlegen, infrage gestellt werden, wie es auch nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Denn ihre Autorität lebt von der Selbstdarstellung als die beste Demokratie der Welt. Deshalb war die Schwarze Bewegung die Grundlage für die Entstehung anderer Befreiungsbewegung wie während der Revolte in den 1960er Jahren.

In dieser Kritik steckt der Vorwurf, dass du irgendwie ein grob vereinfachendes Verständnis der Schwarzen Community besitzt, das Klassenwidersprüche negiert. Und dennoch widmest du – wie es auch Allen’s Kritik des Schwarzen Kapitalismus tut – ein ganzes Kapitel den »Black Faces in High Places«, in Anlehnung an einen starken Ausdruck von Amiri Baraka. Du lieferst eine beißende Kritik Schwarzer Bürgermeister von Carl Stokes bis zu Stephanie Rawlings-Blake und zeigst, wie gewählte Schwarze Führungspersonen auf Pragmatismus setzten und die Community verliert. Vor dem Hintergrund dieses falschen Wetteinsatzes setzt du auf das, was Malcolm X die »kleinen Leute« gegen die »großen Leute« nannte. Welche Rolle spielten die gewählten Schwarzen Amtsträger und ökonomischen Eliten historisch, und was ist ihre Rolle heute?

Die wichtigste Entwicklung für Schwarzes Leben in den letzten 45 Jahren war die Entstehung einer Schwarzen politischen Klasse. Ende der 1960er Jahre konnte der weiße Politikbetrieb mehrheitlich Schwarze Städte nicht mehr regieren. Das politische Establishment glaubte, dass gewählte Schwarze Beamte die Schwarze Revolte eindämmen und vor allem Kürzungen durchsetzen konnten, von denen weiße Funktionäre glaubten, dass sie selbst dies nicht mehr konnten. Jenseits einiger Ausnahmen war das bis zur Explosion in Baltimore im April 2015 weitgehend der Fall. Auch wenn Obama das beste Beispiel für das Versagen offizieller Schwarzer Politik ist, die Bedürfnisse gewöhnlicher Schwarzer Leute anzusprechen – es gibt Hunderte kleiner, lokaler Beispiele desselben Phänomens. Schwarze Funktionäre erhalten einen Status quo aufrecht, der institutionell rassistisch und außerstande ist, für Schwarze Menschen zu tun, was nötig ist.

Donald Trump hat die Wahl gewonnen – zu einem nicht geringen Anteil deshalb, weil arme Menschen aufgehört haben, die Demokratische Partei zu unterstützen, die sie nicht mehr repräsentiert. Entgegen der Behauptung der Akzelerationisten (6) ist das keine gute Sache. Aber die Realität ist, dass die Menschen von den Demokraten genug haben und auf die Straße gehen, um zu kämpfen. Was bedeutet das für den Schwarzen Widerstand und für die weitere Bewegung für einen revolutionären Wandel?

Ganz genau. Liberale erwarten von Armen und Arbeitern aller Rassen und Ethnizitäten, einfach zu leiden, aber im Stillen. Trump wird für die Arbeiterklasse eindeutig ein Desaster sein, aber die Demokraten waren ein Desaster in Zeitlupe. Die Ungleichheit hat zugenommen, ebenso wie Brutalität und Ungerechtigkeit. Das ist so, solange die Menschen weiterhin einer Partei, die darauf besteht, eine »Partei des Volkes« zu sein, erlauben, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu ignorieren und als Alternative nicht mehr anzubieten haben als keine Republikaner zu sein.
Aber wir sollten die Herausforderung, die Krise, die Trump für die Schwarze Bewegung und Arbeiter im Allgemeinen darstellt, nicht unterschätzen. Er bevölkert sein Kabinett nun mit Rassisten und Reaktionären, die die Uhr zurückdrehen wollen. Er möchte einen Anhänger der Rassentrennung zum Justizminister machen. Dieser Mann hat die Black Lives Matter Bewegung und die Gruppen, die sich in der Bewegung organisieren, für terroristisch erklärt. Das sind erhebliche Herausforderungen.
Erste Priorität hat momentan, dass die Linke wächst und ideologisch und politisch kampflustig ist. Wenn ich sage, dass die Linke wachsen muss, meine ich, dass unser Aktivismus nicht auf der Hoffnung basieren sollte, für die Demokraten 2018 den Kongress zurückzugewinnen oder »zurückzukommen« zu den guten alten Tagen des »normalen« langsamen Plätscherns des Neoliberalismus, im Unterschied zur Flutwelle, die Trump verspricht. (7) Wir müssen für etwas anderes kämpfen, einen anderen Weg aus dem Zwei-Parteien-Duopol finden. Auf der Straße müssen wir Trumps Agenda und der faschistischen Bedrohung, die durch ihn geweckt wurde, entgegentreten. Aber wir müssen auch eine politische Vision der Welt, die wir wollen, und die Art von Politik, die gewinnen kann, artikulieren.
Eine bessere Welt ist möglich. Sie heißt Sozialismus und erfordert einen multirassischen Arbeiteraufstand, organisiert nach solidarischen Prinzipien und mit Antirassismus als ihrem Kern. Wir müssen kämpfen, wie wir nie gekämpft haben. Unsere Leben und der Planet hängen davon ab.

Anmerkungen:

1) Im Unterschied zum biologistischen Rassebegriff ist mit »Rasse« (engl.: race) hier eine soziale Konstruktion gemeint.
2) Die abolitionistische Bewegung war die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei.
3) Die Gewerkschaft United Auto Workers rief in den 1930er Jahren Arbeiter in der Autoindustrie zu erfolgreichen Sit-Down-Streiks auf, Höhepunkt der Welle von Arbeitskämpfen markierten die Streiks 1936 und 1937 in Flint in Michigan gegen General Motor.
4) Adolph Reed ist Professor für Politikwissenschaften und Mitbegründer der US Labor Party, die zwischen 1996 und 2007 bestand.
5) Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg erreichten im Süden Schwarze Politiker in der Republikanischen Partei zahlreiche Fortschritte wie 1869 das Wahlrecht für Schwarze Männer. Die Antwort rassistischer Organisationen wie des Ku-Klux-Klan waren gewaltsame Angriffe auf die treibenden Kräfte hinter diesen politischen Erfolgen.
6) Die theoretische Strömung des Akzelerationismus (Beschleunigung) läuft auf die Vorstellung hinaus, »der Kapitalismus würde notwendigerweise implodieren, wenn das Potenzial seiner Konzeptionen von Arbeit und Technologie nur stark genug weitergetrieben würde«, wie Jens Kastner in ak 613 schrieb.
7) 2018 finden in den USA Senatswahlen statt.

*George Ciccariello-Maher ist Professor für Politik und Global Studies an der Drexel Universität und Autor der Bücher »We Created Chávez« (2013), »Building the Commune« (2016) und »Decolonizing Dialectics« (2017). Er interviewte Keeanga-Yamahtta Taylor für das Magazin ROAR.

**Keeanga-Yamahtta Taylor ist Aktivistin von #BlackLivesMatter und der International Socialist Organization (ISO). Sie ist Professorin für African American Studies in Princeton und arbeitet zu Rassismus, Schwarzem Befreiungskampf und sozialen Bewegungen. Auf Deutsch erscheint ihr jüngstes Buch »Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation« im Mai 2017 im Unrast Verlag. Darin analysiert sie die historischen und politischen Hintergründe von Rassismus, sozialer Ungleichheit und Polizeigewalt in den USA. Für viele US-amerikanische Linke ist dies das wichtigste Buch des letzten Jahres gewesen. In »From #BlackLivesMatter to Black Liberation« trifft eine rücksichtslose Kritik alles Bestehenden auf den revolutionären Optimismus, der sich in den Straßen von Ferguson nach Baltimore und darüber hinaus zusammenballte. Keeanga-Yamahtta Taylor kritisiert die US-amerikanische Rhetorik der Farbenblindheit als Verschleierung der rassistischen Kontinuität und der Enteignung der Armen. Ihr Buch analysiert die Macht weißer Vorherrschaft, aber auch das Scheitern der Schwarzen Eliten und die »Illusion Obama«.

Das Interview erschien zuerst am 18.12.2016 auf www.roarmag.org. Übersetzung: Hannah Schultes

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