Menu Schließen

Geschichte der PKK: Von der stalinistischen Raupe zum libertären Schmetterling? (Teil 1)

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihr syrischer Ableger, die Partei der Demokratischen Union (PYD), erfreuen sich seit der erfolgreichen Eroberung des syrisch-türkischen Grenzgebietes ab 2011, sowie der heroischen Verteidigung der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê 2014 vor den Schergen des Islamischen Staates (IS), zunehmender Beliebtheit und Solidarität in linken Organisationen aller Couleur. In einer vierteiligen Artikelserie versuchen wir die historischen Ursprünge, die politischen Entwicklungen, die ideologischen Wandlungen, die Rolle der Frauen innerhalb der Partei und den aktuellen Charakter der PKK kritisch aufzuarbeiten. (Red.)

von Alex de Jong; aus intersoz.org

Die Belagerung Kobanês durch den Islamischen Staat (IS) bescherte der syrisch-kurdischen PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union), der führenden Kraft in den drei Enklaven oder Kantonen mit kurdischer Mehrheit im Norden Syriens, weltweite Aufmerksamkeit. Im November 2013 rief sie in diesen Kantonen die Übergangsregierung von “Rojava” aus.

Die PYD sagt, ihr Ziel sei der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mit gleichen Rechten für Frauen, in der die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen zusammenleben. Ideologische Inspiration für dieses Projekt sind die Ideen der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistan, PKK) und ihres Führers Abdullah Öcalan. Die PYD bestreitet, dass sie organisatorische Verbindungen zur türkisch-kurdischen PKK hat, aber sie wurde von syrischen PKK-Mitgliedern gegründet und behauptet, der gleichen Ideologie anzuhängen, wie die gegenwärtige PKK. Dieser Artikel untersucht zentrale Aspekte dieser Ideologie und ihrer Wandlung.

Wurzeln der PKK

Die Wurzeln der kurdischen Befreiungsbewegung finden sich in der Radikalisierung der 1960er-Jahre. Nach einem Militärputsch “fortschrittlicher kemalistischer” Offiziere kam es zu einer Anzahl fortschrittlicher Maßnahmen. Gewerkschafter und fortschrittliche Intellektuelle organisierten die Türkische Arbeiterpartei (Türkiye Işçi Partisi, TIP). Diese Partei vertrat wieder sozialistische Ideen, die der kemalistische Staat zum Tabu gemacht oder sogar verboten hatte.

Die TIP hatte relativ starke Unterstützung unter den türkischen Kurden. Die kurdischen Provinzen der Türkei waren immer ihre ärmsten Teile. Die rassistische staatliche Politik diskriminierte die Kurden; der Gebrauch der kurdischen Sprache war ein Verbrechen; der Gebrauch der Buchstaben x, q und w – sie existieren im kurdischen aber nicht im türkischen Alphabet – konnte verfolgt werden; Publikationen, in denen auch nur das Wort “Kurde” vorkam, wurden verboten. Der türkische Staat versuchte, die kurdische Minderheit zu assimilieren. In den späten 1960ern begann eine Anzahl kurdischer Mitglieder der TIP, die spezifischen Probleme der kurdischen Bevölkerung des Landes zu diskutieren.

Gleichzeitig kam es in der Türkei zum Wachstum einer neuen, militanten Linken. 1965 wurde die Föderation der Revolutionären Jugend der Türkei (Türkiye Devrimci Gençlik Dernekleri Federasyonu, kurz Dev-Genç) gegründet. Mitglieder von Dev-Genç organisierten Universitätsbesetzungen, protestierten gegen die Anwesenheit von US-Truppen, organisierten Solidarität mit ArbeiterInnen und bekämpften Faschisten auf dem Campus und in den Straßen. Auch Teile der Arbeiterbewegung radikalisierten sich. Aus diesem Ferment entstanden in den frühen 1970ern die ersten bewaffneten Gruppen.

Abdullah Öcalan begann sein politisches Leben in diesen radikal-linken Zirkeln. 1949 wurde er als Sohn einer armen Bauernfamilie geboren und wuchs in einer konservativen Umgebung auf. 1966 ging er zum Studium nach Ankara. Kurz vor Abschluss seines Studiums begann Öcalan, sich für Politik zu interessieren. Er besuchte politische Versammlungen und beteiligte sich an Protesten. 1971 gab es erneut einen Militärputsch; dieses Mal, um die radikale Bewegung zu zerschlagen. Die TIP wurde verboten und viele Aktivisten flohen aus dem Land. 1972 wurde Öcalan während eines Protestes verhaftet und zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Dort befand er sich in der Gesellschaft erfahrener Radikaler. Seine Verhaftung und die politischen Diskussionen im Gefängnis radikalisierten ihn weiter und er entschied sich, sich ganz der Politik zu widmen.

Öcalan fühlte sich jedoch in keiner der existierenden Gruppen heimisch, weder in den türkischen noch in den kurdischen. Die türkische radikale Linke, die mehr oder weniger vom kemalistischen Nationalismus und der Theorie der Revolution in Etappen beeinflusst war, vernachlässigte oft die Unterdrückung der Kurden oder bestritt sogar, dass das ein Problem sei. Oft inspiriert von der kubanischen Revolution und dem Maoismus, sahen viele die Türkei als “Neo-Kolonie” der USA und setzten sich eine “national-demokratische Revolution” als Ziel. Durch sie sollte die Beherrschung des Landes durch den Imperialismus gebrochen, es zu wirklicher nationaler Unabhängigkeit geführt und der Weg für eine zweite sozialistische Etappe der Revolution geebnet werden. Selbst wenn sie die spezifische Unterdrückung der Kurden anerkannten, dachten viele türkische Linke, dass man sich damit erst nach einer solchen national-demokratischen Revolution beschäftigen könnte. Und 1975 erlitt die traditionelle nationalistische kurdische Bewegung einen heftigen Rückschlag durch die Niederlage des Guerilla-Krieges im Irak, der von Mollah Mustafa Barzani, dem Vater des gegenwärtigen Präsidenten des irakischen Kurdengebiets, angeführt worden war.

Öcalan zog die Schlussfolgerung, dass weder die türkische Linke noch die traditionellen Nationalisten wie Barzani Vorkämpfer der Kurden sein könnten. Öcalan gründete seine eigene Gruppe, die die Auffassung des türkischen Soziologen Ismail Beşikçi übernahm, dass “Kurdistan” eine internationale Kolonie wäre, besetzt von der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien. Ab 1975 agitierte die Gruppe als Revolutionäre Kurdistans (Şoreşgerên Kurdistan, ŞK). Ihre wichtigsten Mitglieder waren Öcalan oft ähnlich: Kurden mit einem armen, ländlichen Hintergrund, die sich als Studenten radikalisiert hatten.

Anders als andere linke Gruppen verwendeten die ŞK keine Ressourcen für Publikationen. Sie rekrutierten vielmehr durch Einzelgespräche. Die Rekrutierungen konzentrierten sich auf arme, oft analphabetische Kurden mit ländlichem Hintergrund, die arbeitssuchend in die Städte gekommen waren. Nach einigen Jahren hatten die ŞK bescheidene Unterstützung in einigen der größeren Städte der kurdischen Region gewonnen. 1977 wurde die Gruppe als PKK reorganisiert und verabschiedete ein Manifest und ein Programm.

Diese Dokumente ähnelten stark den Stellungnahmen anderer “marxistisch-leninistischer” nationaler Befreiungsbewegung dieser Zeit. Sie erklärten, dass das unmittelbare Ziel der PKK eine “national-demokratische” Revolution zur Schaffung eines “unabhängigen und demokratischen Kurdistans” sei. Der Kampf nimmt die Form eines “Volkskriegs”, gestützt auf die bäuerliche Bevölkerung, an. Die führende Rolle hat die “Arbeiterklasse” geführt von der PKK. Bündnispartner dieser Revolution sind die “sozialistischen Länder”, Arbeiterparteien der kapitalistischen Länder und “die Befreiungsbewegungen der unterdrückten Völker der Welt”. Seine Feinde sind der türkische Staat, “die einheimischen feudalen Kollaborateure” und “die imperialistischen Mächte hinter ihnen”. Nach der national-demokratischen Revolution wird der Kampf mit dem Ziel einer sozialistischen Revolution fortgeführt werden.[1] Das Programm war stark von maoistischen Ideen beeinflusst, die Sowjet-Union aber nicht als “sozial-imperialistisch” charakterisiert. Die herrschenden Parteien sowohl der Sowjet-Union als auch Chinas wurden wegen “revisionistischer” Politik kritisiert.

Volkskrieg

Es gab andere Gruppen mit ähnlicher Ausrichtung. Die PKK war außergewöhnlich, da sie die Organisierung des bewaffneten Kampfes zur unmittelbaren Aufgabe machte, ohne eine vorgeschaltete Phase des Aufbaus politischer Unterstützung für ihn. Auch die Klassenzusammensetzung der PKK war verschieden. Laut dem Kurdistanexperten Martin van Bruinessen, war die PKK “die einzige Organisation, deren Mitglieder fast ausschließlich aus den untersten sozialen Klassen kamen – entwurzelte, halb-gebildete Jugendliche aus Dörfern und Kleinstädten, die wussten, wie es sich anfühlte, unterdrückt zu sein, und die Aktion statt hoch entwickelter Ideologie wollten”.[2]

Zuerst begann die PKK gegen die traditionelle kurdische Elite, die Aghas, “feudale” Großgrundbesitzer, vorzugehen. Die PKK kämpfte an der Seite rebellierender Bauern und verlor dutzende von Mitgliedern bei Zusammenstößen mit den Milizen der Großgrundbesitzer. Bei der Bestimmung ihrer Ziele ließ sich die PKK nicht von sozialem Antagonismus leiten, sondern von der Politik der Aghas: unterstützten sie die nationale Bewegung oder nicht. Zur gleichen Zeit bekämpften sich linke türkische und kurdische Gruppen untereinander. Bei solchen Kämpfen wurden Dutzende getötet. Die PKK war sowohl Initiator als auch Opfer solcher Gewalt.

Als die Armee 1980 wieder putschte, war die PKK die stärkste kurdische Partei in der Türkei. Nach dem Putsch wurden Zehntausende verhaftet. Die türkische Linke war großen Teils nicht in der Lage, der Repression zu widerstehen. Unter den politischen Gefangenen befanden sich tausende von PKK-Mitgliedern und UnterstützerInnen. Viele von ihnen setzten den Kampf im Gefängnis fort, machten “Hungerstreiks bis zum Tod” oder begingen Selbstmord. Solche Opfer festigten die Reputation der PKK-Mitglieder als unbeugsame RevolutionärInnen.

Öcalan selbst entkam der Repression; kurz vor dem Putsch war er in den Libanon gegangen. Hier kam er in Kontakt mit der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas und anderen palästinensischen Gruppen. Die Palästinenser boten den Kurden wertvolles militärisches und organisatorisches Training und die PKK kämpfte mit ihnen gegen die israelische Armee, als diese 1982 in den Libanon einfiel. Zwischenzeitlich hatte Öcalan Kontakt mit dem syrischen Regime aufgenommen. Der PKK wurde gestattet, sich in Syrien zu stationieren. 1982 hatte die PKK mit der bedeutendsten kurdischen Rebellengruppe im Irak, Barzanis KDP, ein Abkommen geschlossen, das es der PKK erlaubte, in der Nähe der irakisch-türkischen Grenze Lager einzurichten. Ihre erste große militärische Aktion fand 1984 statt, als sie mehrere Kasernen angriff und zeitweise einige Dörfer kontrollierte.

Die Revolutionstheorie der PKK war zu dieser Zeit stark von der maoistischen Strategie des “langandauernden Volkskriegs” beeinflusst. In dieser Strategie ist der bewaffnete Kampf das zentrale Mittel zur Eroberung der Macht. Der bewaffnete Kampf findet auf dem Land statt und die Mehrheit der Kämpfer rekrutiert sich aus der Bauernschaft. Der Kampf wird von der Partei geführt, die angeblich die “proletarische” Führung repräsentiert und den Sozialismus als Ziel im Auge behalten soll, auch wenn das unmittelbare Ziel der Strategie eine “national-demokratische” Etappe ist.

Zwei Dinge unterschieden die frühe PKK von ähnlich denkenden Bewegungen: die Einschätzung der Geschichte der Kommunistischen Internationale und die Beziehung zwischen Partei und Guerilla-Armee. Die PKK übte heftige Kritik an der kritischen Unterstützung des Kemalismus durch die Sowjet-Union und die Komintern der frühen 20er-Jahre. In ihren Stellungnahmen warf die PKK der frühen Kommunistische Partei der Türkei (Türkiye Komünist Partisi, TKP) und der Komintern vor, Illusionen in das demokratische Potential des Kemalismus gehabt zu haben und sie hielt der Komintern Unkenntnis der lokalen Situation vor. Die Sowjetführung wurde beschuldigt, die nationale Sicherheit der Sowjet-Union über internationalistische und anti-imperialistische Prinzipien gestellt zu haben.

Die PKK war eine “Guerilla-Partei”. Ein weiteres Element, das sie von anderen Gruppen unterschied. Anstatt dem maoistischen Modell zu folgen, das eine klare Trennung zwischen der Armee und der Partei, die sie führt, vorsieht, waren die beiden Organisationen vermischt. Von Kadern, die keinerlei militärische Verantwortlichkeiten hatten, wurde erwartet, dass sie bereit waren, sich jederzeit den Guerillas anzuschließen. PKK-Führer Duran Kalkan bemerkte dazu: “Ein solcher Guerilla (!) vollzieht in ideologischem Sinne einen totalen Bruch mit der herrschenden Ordnung, er bricht gewissermaßen mit dem hierarchischen System des Staates und der Macht. Daher gab es auf dem 3. Kongress eine ernsthafte ideologische Erneuerung des Sozialismusverständnisses, die realsozialistische Linie der individuellen, familiären, kleinbürgerlichen Gleichberechtigung und Freiheit wurde überwunden.”[3]

Hier gehts zum zweiten Teil.


[1] PKK, Programm, Köln
[2] Martin van Bruinessen, ‘Between guerrilla war and political murder: the Workers’ Party of Kurdistan’, Middle East Report (1988) 153 (July – August), 40-42+44-46+50, there p. p 40, 41.
[3] Nikolas Brauns and Brigitte Kiechle, PKK. Perspektiven des kurdischen Freiheitkampfes: Zwischen Selbsbestimmung, EU und Islam, Stuttgart 2010, p. 57.

Ursprünglich veröffentlicht am 14. Juni 2018 auf der Seite der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO) aus Deutschland. Leichte Überarbeitung durch die Redaktion. Übersetzung durch W. Weitz.

Verwandte Artikel

1 Kommentar

  1. Pingback:Geschichte: Vor 70 Jahren kam es zum Bruch zwischen Stalin und Tito – Teil 1 ‹ BFS: Sozialismus neu denken – Kapitalismus überwinden!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert