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Iran: Es geht um das gesamte Regime

Seit Donnerstag, 28. Dezember 2017, wird die Islamische Republik Iran von einer Welle sozialer Proteste erschüttert, wie sie seit der Bewegung gegen die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten im Juni 2009 nicht mehr dagewesen ist. Die gegenwärtigen Demonstrationen haben in Maschhad begonnen, der zweitgrößten Stadt des Landes im Westen, und sich dann auf zahlreiche iranische Städte und Gebiete ausgedehnt. Seit dem 28. Dezember finden jeden Tag Demonstrationen statt, sie wurden größer und haben inzwischen mehr als 40 Städte erfasst ‒ kleine, mittlere und große.
Von Babak Kia; aus alencontre.org

Die Unterschiede zu den Protesten 2009

Im Gegensatz zu der Mobilisierung 2009, die sich zunächst auf demokratische Fragen bezog, stehen nun soziale Fragen im Zentrum der Protestwelle, und Teheran ist nicht das Epizentrum des Protests. Ein weiterer großer Unterschied liegt darin, dass die jetzige Mobilisierung überhaupt nichts mit den „Debatten“ zu tun hat, bei denen die verschiedenen Fraktionen der Machthabenden gegeneinanderstehen. Die Proteste haben das gesamte Regime aufs Korn genommen.
Diese Demonstrationen sind zunächst einmal Ausdruck eines „wir haben die Schnauze total voll“ ‒ wegen der kontinuierlichen Verschlechterung der Lebensbedingungen, der Inflation, der Korruption des Regimes und seiner Würdenträger, die sich ganz beträchtlich bereichert haben. Wegen der Repressionsmaschinerie des Mullah-Regimes und der Revolutionswächter hat sich die Mobilisierung radikalisiert, sie richtet sich nun gegen die Institutionen und gegen die Symbole der Islamischen Republik. Die Slogans voller Feindseligkeit gegen den Obersten Religionsführer [und damit Staatsoberhaupt, Ali Chamene’i] und den Präsidenten der Republik werden massenhaft aufgegriffen und zwar in sämtlichen Städten, in denen die Bevölkerung auf die Straßen geht. Die Tatenlosigkeit der Behörden nach dem Erdbeben in Kermanschah (im Westen, 80 km von der Grenze zum Irak entfernt), das Mitte November 2017 etwa 500 Menschenleben gefordert hat, die Diebstähle und die Korruption haben die Feindschaft der Bevölkerung gegenüber den Machthabern nicht nur in dieser, sondern verschiedenen Regionen verstärkt, wo die Menschen sich mit den Tausenden identifiziert haben, die von der Katastrophe getroffen worden waren.
Die Demonstrant*innen scheuen sich nicht, die Porträts des Präsidenten der Republik Hassan Rohani, des gegenwärtigen Religionsführers Chamene’i oder von Chomeini anzugehen. Sie scheuen sich nicht, öffentliche Gebäude oder Fahrzeuge der Sicherheitskräfte anzugreifen, sobald das möglich ist.

Die Reaktion des Regimes

Die Staatsmacht hat schnell begriffen, dass diese Mobilisierung besonders gefährlich ist. Das Mullah-Regime hat allerdings mit seiner klientelistischen Politik der Verteilung der Erdölrente stets die Unterstützung durch bestimmte Teile der Bevölkerung „eingekauft“. Doch sind die Mittelschichten und die Armen einschließlich eines Teils der sozialen Basis des theokratischen Regimes von der Verschlechterung der Lebensbedingungen, der galoppierenden Inflation, den Versorgungslücken, der Massenarbeitslosigkeit, dem Elend und dem Fehlen von Hoffnung betroffen. Die „Geographie“ der Mobilisierungen zeigt an, dass sich diese Teile der Ärmeren abgelöst haben. Hieraus erklären sich vor allem die Demonstrationen in den Kleinstädten in der Provinz.
Die Staatsmacht versucht den Brand dadurch zu löschen, dass die Demonstrationen massiv unterdrückt und den Kommunikationsmitteln Zügel angelegt werden, vor allem den sozialen Netzwerken, die bei der Ausweitung der Proteste eine bedeutende Rolle spielen. Von den Sicherheitskräften, vor allem den Revolutionswächtern, gehen zahlreiche Provokationen aus. Sie infiltrieren die Demonstrant*innen, um es der Repression leichter zu machen. Es sind bereits zahlreiche Tote zu beklagen und in Teheran wie in der Provinz nehmen die Verhaftungen zu.
Während die Machthaber „die Feinde im Ausland“ beschuldigen, sie seien für die Lage verantwortlich, und behaupten, die Demonstrant*innen ließen sich manipulieren, tun sie so, als räumten sie die Legitimität der Diskussionen ein, die von der Straße ausgehen; es werden „Räume des Dialogs“ in Aussicht gestellt, damit die Forderungen der Bevölkerung geäußert werden können. Rohani hat verkündet, Kritik sei „ein Recht der Bevölkerung“. Das ist eindeutig ein Zeichen der Schwäche seitens der Staatsmacht. Allerdings vermag im Iran niemand an solche Versprechen zu glauben.

Die Wut der Bevölkerung

Die iranische Jugend, die Frauen, die Arbeitenden haben seit 1979 unter einem reaktionären theokratischen Regime zu leiden, das seine Gegner*innen unterdrückt, foltert, physisch und systematisch eliminiert.
Die Proteste der Bevölkerung stehen im Einklang mit dem hartnäckigen Kampf der iranischen Gewerkschafter*innen, die für die elementaren Arbeiter*innenrechte und für das Recht kämpfen, sich zu organisieren. 67 Gewerkschaftsverbände und internationale Gewerkschaftsnetzwerke betreiben eine Kampagne für die Freilassung von Resa Schahabi, den Vorsitzenden der Gewerkschaft Vahed (der Gewerkschaft der Beschäftigten der Busgesellschaft für Teheran und die Vororte). Sein Leben ist in Gefahr.[1] Es ist äußerst wichtig, dass die radikale und internationalistische Linke sich für die Unterstützung der gegenwärtigen Protestwelle im Iran mobilisiert. Die Solidarität muss breiter werden, damit das Mullah-Regime zurückgedrängt wird und damit all die, die im Iran für die Erfüllung der sozialen und demokratischen Forderungen und für den Sturz der Islamischen Republik kämpfen, Unterstützung bekommen.
Fussnoten

[1] Vgl. Erklärung des „International trade union network of solidarity and struggle“ vom 25. Dezember 2017, http://www.iran-echo.com/26122017_fr.html; http://www.laboursolidarity.org/Iran-Reza-Shahabi-must-be
Aus dem Französischen übersetzt von Wilfried. Die Untertitel wurden durch die Redaktion gesetzt.

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