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Iran: Lehrer*innenstreiks gegen das Regime

Mitte November 2018 streiken die Lehrer*innen im Iran zum zweiten Mal im Schuljahr 2018/19. Nach den Angaben des Erziehungsministers gibt es in den iranischen Schulen mehr als eine Million Lehrer*innen und 12 Millionen Schüler*innen. Diese signifikante Zahl an Menschen kann die Gesellschaft auf ihre Forderungen aufmerksam machen und eine Bewegung auslösen, welche ihre Kritik nicht nur auf die Missstände im Bildungswesen beschränkt.

von Nima Pour Jakub*

Die Lehrer*innen im Iran kämpfen seit fast 70 Jahren für ihre Rechte. In den 1950er Jahren protestierten sie gegen ihre tiefen Einkommen und die schlechte Lebenssituation. Im April 1961 streikten die Lehrer*innen 11 Tage und am 1. Mai desselben Jahres schoss die Polizei auf die Demonstrant*innen vor dem Parlament. Dabei wurde Abolhasan Khan’ali, ein aktiver Lehrer, getötet. Seine Ermordung und das Gedenken an ihn bewegte grosse Teile der Gesellschaft und führte schliesslich zum Rücktritt der Regierung. Ihre Nachfolger waren gezwungen die Löhne der Lehrer*innen anzuheben.

Repression gegen Lehrer*innen

Als Ruhollah Musawi Chomeini [iranischer Ajatollah und zw. 1979 und 1989 Staatsoberhaupt] nach der antimonarchistischen Revolution 1979 die Macht eroberte, wehrten sich viele Lehrer*innen gegen das neue Regime und wurden deswegen verhaftet, gefoltert, ja sogar exekutiert. Diese Repression zieht sich bis heute hin. Am 9. Mai 2010 zum Beispiel wurde Farzad Kamangar, ein kurdischer Lehrer, im «Evin»-Gefängnis in Teheran hingerichtet. Seitherist er ein Symbol des Kampfes der Lehrkräfte.

In den vergangenen Jahren haben die Lehrer*innen ihren Kampf fortgesetzt. Dafür zahlten sie einen hohen Preis. Viele der aktiven Lehrer*innen wurden verhaftet und sassen lange Jahre im Gefängnis.

Momentan sitzen Mahmoud Beheschti Lagnroudi, Esmail Abdi, Mohammad Habibiund Abdolreza Ghanbari, alle Mitglieder des Lehrer*innenverbandes, in den Gefängnissen «Evin» und «Faschafoujeh» in Teheran. Letzte Woche wurde der aktive Lehrer Haschem Chastar in Maschhad vom Geheimdienst entführt, in die psychologische Klinik der Stadt gebracht und dort verhaftet. Während einer Versammlung, die seine Freiheit forderte, wurden Haschem Chastars Frau, seine Kinder und noch andere Aktivist*innen festgenommen. Er wurde nach 19 Tagen am 10. November 2018 endlich freigelassen. Am selben Tag wurde Abolreza Ghanbari ins Gefängnis «Rajai Shahr» in Karaj geschickt. Er hat als Protest einen Hungerstreik begonnen.

Ursachen der Streiks

Laut dem Erziehungsminister beträgt der Mindestlohn von Lehrer*innen im Iran knapp 80 Euro pro Monat. Lehrkräfte, die nicht offiziell vom Staat angestellt sind, bekommen sogar nur 18 bis 23 Euro pro Monat. Die Armutsgrenze im Iran liegt allerdings bei 236 Euro Monatseinkommen, sagte Hossein Raghfar, ein Regime-naher Ökonome. Nicht nur die Lehrkräfte, sondern das Schulsystem insgesamt ist hoffnungslos unterfinanziert. In vielen Dörfern findet die Schule sogar noch in Zelten statt.

Unter solchen Bedingungen und trotz starker Repression und den vielen Verhaftungen nach dem ersten Streik der Lehrkräfte am 14. und 15. Oktober 2018, hat der Koordinierungsrat der iranischen Lehrer*innenverbände am 13. und 14. November 2018 zu einem Streik aufgerufen. Das Statement dieses Rates forderte unter anderemkostenlose Erziehung, den Stopp der Gewalt an Lehrkräften und die Freilassung inhaftierter Lehrer*innen.


Das Foto entstand während dem Streik am 15. Oktober 2018 in der Stadt Langroud. Auf der Tafel steht: Freiheit für Esmail Abdi und Mahmoud Beheshti (zwei verhaftete Lehrer).

Schon im ersten Streik am 14. und 15. Oktober 2018 haben die Lehrkräfte das Ende der Privatisierung der Schulen und der Erziehung im Iran gefordert. Am Streik nahmen Lehrer*innen aus der Hauptstadt Teheran, aus den Grossstädten wie Täbris und Isfahan sowie aus den kleinen Dörfer, wo teilweise eine einzige Lehrkraft noch für die ganze Schule zuständig ist, teil. Die streikenden Lehrer*innen teilten ihre Bilder in sozialen Medien, womit sie über die Landesgrenzen hinausverbreitet wurden. Der Streik bewegte die Gesellschaft. Der Mut der Lehrer*innenschwappte auch auf die Schüler*innenschaft über und löste Proteste bei den Schüler*innen in Isfahan und Ahwaz aus. In der Woche darauf versammelten sich Schüler*innen vor den Erziehungsämtern dieser Städte und protestierten gegen die Vernachlässigung des Bildungssystems durch die Regierung.

Solidarität ist gefragt

Was die Lehrer*innen in den zwei Runden Streiks zeigten und der Fakt, dass die landesweit gut organisierte Bewegung in den letzten Monaten weiter gewachsen ist, wird umso wertvoller, wenn man sich der totalen Diktatur sowie der Gefahr von Gefängnis, Folter und Hinrichtungen unter dem gegenwärtigen iranischen Regime bewusst wird. Diese Bewegung muss international von Lehrkräften und deren Organisationen und Gewerkschaften unterstützt werden und als wichtiger Teil der iranischen Revolution für Freiheit und Gerechtigkeit ernst genommen werden.

*Nima Pour Jakub ist Menschenrechtsaktivist aus dem Iran und lebt seit sechs Jahren in derSchweiz.

Titelbild: Streikende iranische Lehrer am 13. November 2018.

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1 Kommentar

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