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Italien: Nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Am 4. März 2018 wurde in Italien gewählt. Mit dem Sieg der 5-Sterne-Bewegung (M5S) und der rassistischen Partei Lega von Matteo Salvini findet das Resultat zwar eine Kontinuität in der seit fünf Jahren vorangetriebenen Politik gegen die Rechte der Lohnabhängigen. Doch gleichzeitig erlebten die Demokratischen Partei (PD) von Renzi und Berlusconi’s Forza Italia einen massiven Konsensverlust. Den traditionellen Parteien wurde regelrecht eine Absage erteilt und somit eröffnet sich eine neue Phase der institutionellen Politik. Für Potere al Popolo – eine vor vier Monaten geborene linke Bewegung – eröffnen sich nun neue politische Räume, die es auszunutzen gilt.
Von Fabio Montale (Aktivist von Potere al Popolo)

Die Wahlresultate und die Unmöglichkeit, eine Regierung zu bilden

Die Wahlen vom 4. März 2018 haben die Destrukturierung der politischen Landschaft in Italien und einen weiteren Rechtsrutsch der institutionellen Politik bestätigt.
Die traditionellen politischen Parteien, welche in den letzten 25 Jahren die Politik dominiert haben, haben eine historische Niederlage erlebt: Der sozialliberale PD hat einen Stimmanteil von 18.72% erlangt (alle Angaben beziehen sich auf die Resultate des Parlamentes, nicht des Senats) und somit ihr Ziel verpasst, sich als stärkste Partei zu bestätigten. Nur in gewissen historisch „roten Regionen“ wie in die Toskana und in der Emilia Romagna konnte sie sich als stärkste Partei behaupten, sonst rutschte sie weit unter die 20% Marke. Die gesamte Mitte-Links-Koalition erlangte total 22.85%.
Berlusconi’s Forza Italia hingegen erlebte sein erwartetes politisches Revival nicht. Er erreichte nur 14.01% und wurde somit zum „kleinen Bruder“ der Lega von Salvini innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition, die gesamthaft 37% erreichte und somit am meisten Stimmen einholen konnte.
Die Gewinner dieser Wahlen sind sicherlich einerseits die rassistische Lega von Salvini, die mit 17.37% jegliche Erwartungen übertroffen hat und im Norden zur ersten politischen Kraft mit einem Anteil von 25 bis 32% in Venetien, in der Lombardei und in Friaul-Julisch Venetien gekrönt wurde. Aber auch in Mittelitalien und im Süden konnte die Lega überraschenderweise ihren Stimmanteil massiv vergrössern.
Andererseits hat aber auch die M5S diese Wahlen gewonnen mit ihrem historischen Resultat von 32.65% im italienischen Durchschnitt und mit einer massiven Präsenz im Süden des Landes: über 47% im ganzen Mezzogiorno, über 50% in gewissen Städten (53% in Neapel) und bis über 60% in gewissen südlichen Provinzen.
Diese Resultate haben den kurzen Regierungszyklus von der PD beerdigt. Der PD hat sich mit ihrer arbeiterfeindlichen Politik vom historischen Subjekt der Linken in den letzten Jahren vermehrt entfernt: Aufgrund der Arbeitsmarkt- und Rentenreformen (Jobs Act und „legge Fornero“) und der repressiven Sicherheits- und Migrationspolitik („decreto Minniti“) erkennen sich Arbeiter*innen, Frauen und Junge nicht mehr in dieser Partei. Übrig bleibt dem PD die traditionelle, eher ältere Generation von Linkswähler*innen.
Die „Proteststimmen“ äusserten sich in der Kräftigung von Parteien, die sich als „antisystemisch“ und „gegen die politische Kaste“ präsentieren. Tatsächlich waren 40% der M5S-Wähler*innen entweder frühere PD-Wähler*innen oder gehörten zu denjenigen, die nicht wählen gingen. Vor den Wahlen dachten wir, dass die M5S ihren Zenit erreicht hatte und dass ein „linker Raum“ geöffnet wurde, auch weil links vom PD nichts entstanden war (Liberi e Uguali – Frei und Gleich – kann als Kopie vom PD interpretiert werden, welche zwar die 3% Hürde nehmen konnten, aber mit einem Resultat von 3.39% sicherlich nicht feiern kann). Das Wahlresultat zeigt jedoch, dass der politische Raum, den wir als „leer“ interpretierten und mit unseren Inhalten füllten wollten, heute beim M5S liegt.
Dieses Wahlresultat stellt alle politischen Kräfte vor grössere Schwierigkeiten, da keine Partei oder Koalition die absolute Mehrheit erlangt hat und daher eigenständig eine Regierung bilden kann. Obwohl die M5S vor den Wahlen unterstrichen haben, dass sie mit keiner der „alten“ Parteien eine Regierung bilden wolle („Che se ne vadano tutti“ – „Sie sollen alle abhauen“ – war ihre Parole), öffnen sie sich – nicht wirklich überraschend – nun heute dieser Option. Der PD hingegen könnte eine Schlüsselrolle darstellen, sowohl in einer Koalition mit der M5S, wie auch mit der Mitte-Links-Koalition, da ihre Sitze im Parlament für beide Kräfte benutzt werden könnten, um eine Mehrheit zu bilden. Diese Option hängt jedoch sehr stark mit den Dynamiken innerhalb der Partei zusammen, da Matteo Renzi sich als politischer Leader zurückziehen wird und somit neue parteiinterne Konflikte entstehen. Eine Regierungsbildung wird es aber in den nächsten Wochen kaum geben, sodass wir uns auf einen „heissen Frühling“ vorbereiten können, denn es werden sich notwendigerweise neue politische und soziale Räume öffnen, in denen soziale Mobilisierungen möglich sind.

Das Resultat von Potere al Popolo

Potere al Popolo erreichte im Schnitt 1.13% Wähler*innenanteil, d.h. über 372.000 Personen haben für uns gestimmt. Wir können es nicht verstecken: Nach vier langen Monaten, während denen wir unsere sozialen Aktivitäten intensiviert und eine harte Wahlkampagne geführt haben, waren wir enttäuscht, die 3% Hürde nicht überwunden zu haben. Wenn wir nun aber mit einer gewissen Distanz auf das zurückblicken, was wir alles gemacht haben in diesen Monaten, lassen wir uns vom Resultat nicht demotivieren, im Gegenteil.
In nur vier Monaten haben wir ein Netzwerk von Genoss*innen und Basisaktivist*innen im ganzen Land und darüber hinaus aufgebaut; wir haben über 150 territoriale Versammlungen lanciert, die nun auch über die Wahlen hinaus weitergeführt werden und die Frage diskutieren, wie wir Potere al Popolo weiter bringen können; wir haben über 50’000 Unterschriften gesammelt, um uns überhaupt an den Wahlen beteiligen zu können; wir haben mit einem nationalen Budget von 40’000 Euro (sic!) und trotz medialer Marginalisierung unsere prioritären Themen Arbeit, Gesundheit und Umwelt in die politische Debatte einbringen können; wir haben – nach dem rassistischen Amoklauf – zusammen mit anderen politischen Kollektiven eine wichtige antifaschistische Mobilisierung am 10. Februar 2018 in Macerata mit über 20’000 Menschen auf der Strasse organisieren können; und in den Quartieren und in den Städten, in denen unsere Kollektive anwesend sind (beispielsweise in Napoli Stadt und in gewissen Regionen der Toskana), haben wir zwischen 3 und 10% der Stimmen erhalten. Dies bestätigt uns also: Für eine Politik, die mit der Ordnung der Dinge brechen will, bleibt die Präsenz in den Territorien mit sozialen Aktivitäten und kollektiven Mobilisierungen zentral.

Über die Wahlen hinaus

Wir haben es vor den Wahlen gesagt und bestätigen es nun erneut: Potere al Popolo war kein elektoralistisches Projekt, sondern der Anfang einer langen politischen Arbeit, welche eine soziale und politische Zugehörigkeit wiederaufbauen, das Bewusstsein über die Notwendigkeit der kollektiven, direkten Aktion stärken und die kollektive Organisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten vorantreiben will. Abkürzungen dafür gibt es keine – und wir haben auch nie daran geglaubt, dass die Wahlen eine Abkürzung darstellen könnten. Wir befinden uns aber auch nicht in einer Situation, in der vereinigende soziale Mobilisierungen spontan entstehen: Die konföderalen Gewerkschaften entpuppen sich immer mehr als friedensstiftende Sozialpartner und die Basisgewerkschaften produzieren eine künstliche Trennung zwischen Sozialem und Politischem und isolieren sich somit vor Möglichkeiten breiterer Perspektiven.
In dieser Phase gilt es also, unsere Analyseinstrumente zum Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken zu schärfen, die soziale Praxis der gegenseitigen Hilfe (Mutualismus) und sozialen Mobilisierungen weiterzuentwickeln und zu vervielfältigen und weitere Schritte in der Organisierung und Strukturierung unserer Aktivitäten zu machen. Ein erster Schritt hierzu ist die nächste italienweite Versammlung von Potere al Popolo am 18. März 2018 in Rom: #indietrononsitorna (sinngemäss: Umkehren ist keine Alternative).

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