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Der Ausverkauf der Städte

Explodierende Mieten und wachsende Wohnungsnot: Der neoliberale Umbau der Städte bedroht immer mehr Menschen. Um sich ihm wirksam entgegenzustellen, sollte man die Ursachen dieser Entwicklung kennen.

von Max Manzey; aus marx21

Über 10.000 Zwangsräumungsklagen pro Jahr werden in Berlin eingereicht. Eine Studie der Humboldt-Universität macht den Gipfel des Verdrängungseisbergs sichtbar: Wer die Miete nicht mehr aufbringen kann, wird von der Staatsgewalt geräumt – und das immer häufiger.

Die Gentrifizierung unserer Städte

Doch meist kommt Verdrängung ohne Gerichtsvollzieher aus. Nach und nach verwandeln sich ehemalige Arbeiterviertel in Mittel- und Oberschichtsbezirke. Menschen mit geringem Einkommen finden nur noch Wohnungen am Stadtrand. Dieser »Gentrifizierung« genannte Prozess ist Teil einer umfassenden Veränderung unserer Städte.
Die häufig über Jahrzehnte gewachsenen Kiezstrukturen in den Innenstädten werden mit rasender Geschwindigkeit zerstört und durch anonyme Büroanlagen, Einkaufszentren und Luxuswohnungen ersetzt. In Berlin stiegen die Angebotsmieten zwischen 2009 und 2014 um 56 Prozent – in manchen Gegenden, zum Beispiel in Kreuzberg, verdoppelten sie sich sogar. Hamburg, München und Frankfurt verzeichnen schon seit Jahren drastische Mietsteigerungen, aber auch kleinere Städte wie Augsburg oder Kassel (jeweils Steigerungen um 50 Prozent) sind betroffen. Der Deutsche Mieterbund geht davon aus, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. In Deutschland wächst die Wohnungsnot für Geringverdienende, Transferleistungsbeziehende und Studierende. Während durchschnittlich 28 Prozent des Einkommens für die Miete ausgegeben werden, sind es bei armutsgefährdeten Haushalten 50 Prozent und bei armutsgefährdeten Ein-Personen-Haushalten sogar 59 Prozent.

Der Wohnungsmarkt im Kapitalismus

Die Ursache dafür liegt in der Funktionsweise des Wohnungsmarkts. Wie jede Ware hat eine Wohnung im Kapitalismus sowohl einen Gebrauchswert (Schlafen, Kochen, Rückzugsort) als auch einen Preis. Während die Mieterinnen und Mieter vor allem am Gebrauch interessiert sind, zählt für die Vermieter letztendlich nur der Gewinn, den sie durch Vermietung oder Verkauf erzielen können. Wohnungen sind für sie eine Kapitalanlage wie jede andere auch; Ziel ist es, eine möglichst hohe Rendite zu erlangen.

Deshalb legen private Investoren ihr Geld in den profitträchtigsten Wohnungsmarktsegmenten an und es entsteht ein ständiger Druck, den Profit durch Mieterhöhungen und Luxussanierung zu erhöhen. Aus der Marktlogik ergibt sich, dass die Nachfrage nach günstigen Wohnungen nicht erfüllt wird und Wohnungsnot für Geringverdienende im Kapitalismus die Regel und nicht die Ausnahme ist. Deshalb kommt es zu Gentrifizierung und Verdrängung. Der Stadtsoziologe Andrej Holm definiert Gentrifizierung als einen »stadtteilbezogenen Aufwertungsprozess, bei dem immobilienwirtschaftliche Strategien der Inwertsetzung und/ oder politische Strategien der Aufwertung den Austausch der Bevölkerung für seinen Erfolg voraussetzt«.
Das bedeutet, dass die Verdrängung der einkommensschwachen Bevölkerung bewusst vorangetrieben wird, um höhere Zinsen einzustreichen.

Die Ursachen der Gentrifizierung

Stadtforscherinnen und -forscher, die Gentrifizierung nur mit einem postmodernen Wandel von Lebensstilen erklären (»die Menschen wollen wieder in der Stadt wohnen«) und nicht mit den Profitinteressen der Wohnungsbesitzenden, verkennen auch, dass Gentrifizierung nicht erst ein Phänomen der sogenannten Dienstleistungsgesellschaft ist. Engels beschrieb diesen Prozess bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Schrift »Zur Wohnungsfrage«: »Das Resultat ist, dass die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte in den Umkreis gedrängt, dass Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind, denn unter diesen Verhältnissen wird die Bauindustrie, der teurere Wohnungen ein weit besseres Spekulationsfeld bieten, immer nur ausnahmsweise Arbeiterwohnungen bauen.«
Die Lobbyorganisation Haus und Grund behauptet, dass Neubau aktuell erst ab einer Kaltmiete von zehn Euro pro Quadratmeter rentabel sei. Gleichzeitig übernimmt beispielsweise das Jobcenter für Hartz-IV-Beziehende in Berlin nur fünf Euro Miete pro Quadratmeter. Hier wird die gesamte Misere deutlich: Während auf der einen Seite bezahlbare Wohnungen in Luxusappartments umgewandelt werden, findet Neubau nur für die Mittel- und Oberschicht statt.

Rückzug des Staates aus der Wohnungspolitik

Wegen dieser vom Markt erzeugten systematischen Ungleichheit griff der Staat in der Vergangenheit immer wieder ein, um den »sozialen Frieden« aufrechtzuerhalten. Durch kommunale Wohnungsunternehmen, den sozialen Wohnungsbau und das Wohngeld sollte insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Diese wohnungspolitischen Instrumente waren eine zentrale Säule der »Sozialen Marktwirtschaft« der Nachkriegszeit in Westdeutschland. In der DDR wurde die Wohnraumversorgung komplett staatlich organisiert. Auch die Genossenschaftsbewegung spielte lange Zeit eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Arbeiterklasse mit günstigem Wohnraum. Sie fand jedoch mit der Machtübergabe an die Nazis 1933 ein jähes Ende und erholte sich nicht mehr davon. Ab den 1980er Jahren hielt der Neoliberalismus Einzug in die deutsche Wohnungspolitik. Der Staat zog sich aus der Wohnraumversorgung zurück. Während es im Jahr 1987 in Westdeutschland noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen gab, waren es 2001 nur noch halb so viele. In den vergangenen zehn Jahren schrumpfte der Bestand bundesweit jährlich um 100.000 Sozialwohnungen. Auch die kommunalen Wohnungsbestände wurden stark abgebaut. Seit den 1990er Jahren wurden beispielsweise in Berlin 200.000 Wohnungen und in Sachsen 50.000 Wohnungen privatisiert. Der Ausverkauf der Stadt und das Ende der sozialen Wohnraumversorgung sind zentrale Gründe für die drastisch steigenden Mieten und die Wohnungsnot der Menschen mit geringem Einkommen.

Wirtschaftskrise und Wohnungsmarkt

Eine zweite Ursache für die schnellen Mietsteigerungen ist die Wirtschaftskrise. Der marxistische Geograf David Harvey beschreibt in seinen Büchern, wie Spekulationen mit Immobilien ein zentraler Hebel des Kapitals sind, um niedrige Profitraten auszugleichen und krisenhafte Einbrüche hinauszuzögern. Dabei können neue Spekulationsblasen entstehen, die dann wiederum die nächste Krise auslösen. Auch hier lohnt ein Blick in die Geschichte: Als es im Jahr 1848 zu einer der ersten Überakkumulationskrisen des noch jungen Kapitalismus kam, suchte der französische Staatspräsident Charles Louis Napoléon Bonaparte nach einer Lösung für dieses Problem. Um dem überschüssigen Kapital eine Anlagemöglichkeit zu geben, veranlasste er umfangreiche staatliche Infrastrukturmaßnahmen. Bahnstrecken wurden durch ganz Europa gebaut, der Bau des Suezkanals unterstützt, neue Häfen aus dem Erdboden gestampft und vor allem die Stadt Paris einer weitgehenden Transformation unterzogen. Im Jahr 1853 beauftragte Bonaparte, der sich mittlerweile zum Kaiser Napoleon III. hatte ausrufen lassen, den Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann mit der Umstrukturierung von Paris. Die Arbeiterviertel in der Innenstadt wurden abgerissen und prachtvolle Boulevards mit Konsummöglichkeiten für die herrschende Klasse und hochklassige Wohngebiete entstanden an ihrer Stelle. Dies band gewaltige Mengen an Kapital und Arbeitskraft und war so ein zentraler Hebel zur Stabilisierung des Kapitalismus. Arbeiterinnen und Arbeiter wurden aus dem Stadtzentrum vertrieben. Engels erkannte in diesem Vorgehen das Muster kapitalistischer Stadtentwicklung. Er bescheinigte der herrschenden Klasse, sie würde die Wohnungsfrage letztendlich immer durch die »Haussmann-Methode« lösen. Während der Zeit der Pariser Kommune konnten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter einige Jahre später noch einmal für kurze Zeit ihre Stadt zurückerobern.

Weltweite Spekulationen mit Immobilien

Derselbe Mechanismus lässt sich heute beobachten: Die niedrigen Profitraten und die krisenhafte Situation des Kapitalismus sind wesentliche Faktoren für die weltweite Spekulationen mit Immobilien weltweit und die damit einhergehende eingangs beschriebene tiefgreifende Transformation der Innenstädte. Laut einer Studie von Ernst & Young wurde in Deutschland kurz vor Beginn der Krise 2007 der Rekordbetrag von 65 Milliarden Euro in den Immobilienmarkt investiert.
Ein großer Teil dieser Gelder floss in den Aufkauf ehemals öffentlicher Wohnungsbestände. Auch in diesem Jahr werden voraussichtlich wieder 50 Milliarden Euro – vor allem in hochpreisige Immobilien und Umwandlungen – investiert werden (seit neuestem steigt auch das chinesische Kapital ein). Doch nicht nur die Geldmenge hat sich verändert, sondern auch die Akteure: Anstelle von regional handelnden Wohnungseigentümern sind es heute verstärkt große Immobilienfonds und Banken, die direkt auf dem Wohnungsmarkt agieren (»Finanzialisierung«) – in der Regel mit deutlich höheren Renditeerwartungen als die traditionellen Akteure.

Triebkräfte der aktuellen Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt

Der Rückzug des Staats aus der Wohnraumversorgung, die Privatisierung öffentlicher, günstiger Wohnungen und der Anstieg von Immobilienspekulationen im Zeichen der Wirtschaftskrise sind die zentralen Triebkräfte der aktuellen Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt. Da der kapitalistische Wohnungsmarkt nicht dazu in der Lage ist, der Wohnungsnot zu abzuhelfen, bietet nur die Dekommodifizierung, also der Entzug von Wohnungen aus dem privaten Wohnungsmarkt, und letztendlich die Vergesellschaftung von Wohnraum eine Lösung.

Widerstand gegen die neoliberale Stadtentwicklung

Doch die neoliberale Stadtentwicklung trifft auf Widerstand. Vom Kampf der Mieteninitiative Kotti&Co am Kottbusser Tor in Berlin bis zu den Protesten gegen die Bebauung des Gezi-Parks mit einem Einkaufszentrum in Istanbul: Die letzten Jahre waren weltweit von urbanen Gegenbewegungen geprägt, die sich gegen Mietsteigerungen und Verdrängung, gegen den Verlust gewachsener städtischer Kultur oder gegen die Bebauung von öffentlichem Raum und Grünflächen mit Luxusklötzen wehren. Der Soziologe Henri Lefebvre analysierte bereits in den 1960er Jahren, dass die sozialen Auseinandersetzungen um das »Recht auf Stadt« – also letztendlich um das Recht, selbst bestimmen zu dürfen, wie und wo wir in der Stadt leben wollen – eine zentrale Achse für zukünftige Klassenauseinandersetzungen sein würde. Dabei stehen diese Bewegungen vor großen Herausforderungen: Während der Kampf um höhere Löhne von – zumindest potenziell – durchsetzungsstarken Organisationen, den Gewerkschaften, vorangetrieben wird, sind stadtpolitische Initiativen von einer Fragmentierung der Kämpfe und einem geringen Organisationsgrad geprägt. Dies geht einher mit fehlenden Druckmitteln gegenüber den Hausbesitzern und Immobilienspekulanten – ein »Mietstreikrecht« gibt es nicht. Dennoch können die stadtpolitischen Initiativen – gerade auch wegen des niedrigen Grads von Institutionalisierung – zu Laboratorien von Widerstands- und Organisierungsformen mit großer Bedeutung für soziale Kämpfe in anderen Bereichen werden.

Der Kampf um das »Recht auf Stadt«

Die Linke, groß und klein geschrieben, steht heute vor der Aufgabe, Teil dieser Bewegungen zu werden und auf Augenhöhe daran mitzuwirken. Der Kampf um das »Recht auf Stadt« bedeutet, zu Ende gedacht, nichts weniger als den Bruch mit dem Kapitalismus. Dieser kann jedoch nur möglich werden, wenn die unterschiedlichen sozialen Bewegungen der Arbeiterklasse zusammenwirken. DIE LINKE sollte darum Teil der gewerkschaftlichen und stadtpolitischen Auseinandersetzungen sein, einen Beitrag zur Verknüpfung dieser Bewegungen leisten und auf der Straße den Slogan »Hoch mit den Löhnen, runter mit den Mieten« als Ausgangspunkt einer sozialistischen Perspektive begreifen.

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