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Rojava: Solidarität mit Afrin!

Seit letztem Samstag, 20. Januar 2018, bombardieren türkische Kampfflugzeuge die kurdische Enklave Afrin in Syrien. Afrin ist einer der Kantone der faktisch autonomen Region Rojava und galt bis vor kurzem als eine relativ stabile und sichere Region, die vom langjährigen Bürgerkrieg in Syrien verschont blieb. Die Kurd*innen der regierenden PYD und deren militärischer Arm, die YPG, versuchen dort, ihre Idee eines „demokratischen Föderalismus“ umzusetzen. Ein weiteres Mal werden sie gerade von allen Mächten in der Region verraten und sehen sich mit einem übermächtigen Feind, ausgestattet mit deutschen Panzern, konfrontiert.
von BFS Zürich

Die Türkei tut alles, um einen unabhängigen kurdischen Staat zu verhindern

Seit die Kurd*innen in Syrien unter den Augen der Weltöffentlichkeit den „Islamischen Staat“ zurückgeschlagen und weite Teile des Landes befreit haben, ist auch ihr politisches Projekt „Rojava“ weitherum wahrgenommen worden. Verhältnismässig demokratisch und grundsätzlich ethnisch durchmischt, steht Rojava doch in einer Kontinuität des kurdischen Strebens nach Unabhängigkeit, nach einem eigenen Staat, der ihnen seit langer Zeit verwehrt wird. Dies wiederum passt der Türkei unter dem autoritär regierenden Erdogan gar nicht. Wohl in erster Linie aus Angst, an den eigenen Landesgrenzen mit Fakten konfrontiert zu sein, die auch in der türkisch-kurdischen Bevölkerung das Verlangen nach politischer Freiheit und Unabhängigkeit nochmals bestärken, schiesst die Türkei bereits seit Monaten scharf gegen Rojava – im wahrsten Sinne des Wortes.
Neben kleineren militärischen Scharmützeln, die sich oftmals dann verschärften, wenn die YPG (beziehungsweise deren Mantelorganisation, die SDF – die Syrisch-Demokratischen Kräfte) militärische Erfolge gegen den IS vorweisen konnte, verschärfte sich die türkische Rhetorik in den letzten Monaten zusehends. Nun werden die Drohungen also wahrgemacht: Die Türkei greift Rojava aktiv an.

Hand in Hand mit Islamisten – gegen Afrin

Die türkische Militäroffensive stützt sich nur bedingt auf die Luftangriffe, die über das ganze Gebiet von Afrin in hoher Zahl und mit äusserster Brutalität geflogen werden. In einer grossangelegten Bodenoffensive mit bislang mindestens 6 unabhängigen Fronten dringen vor allem von der Türkei ausgebildete ehemalige FSA-Fraktionen nach Afrin ein. Die „Freie Syrische Armee“ bildete sich zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs hauptsächlich aus übergelaufenen Soldaten der offiziellen Armee, zersplitterte sich in den darauffolgenden Jahren aber zusehends unter dem Einfluss der mächtigen Geldgeber Katar und Türkei und aufgrund der an Stärke gewinnenden radikalislamischen Organisationen, die entweder Al-Qaida oder dem IS die Treue schworen.
Einige Gruppierungen der FSA haben bereits seit längerer Zeit ihren Kampf gegen das Assad-Regime komplett aufgegeben und liessen sich gegen Geld und Ausrüstung von der Türkei für ihre Zwecke einspannen. Die Soldaten, die nun als Besatzer-Armee nach Afrin eindringen, sind eine wüste Mischung aus Islamisten, Söldnern, türkischen Rechtsextremen und Spezialeinsatzkräften der türkischen Armee.

Der Traum vom grosstürkischen Reich

Auch wenn die türkische Armeeführung immer wieder betont, es gehe beim Einsatz in Afrin darum, eine „terroristische Bedrohung“ auszuschalten, liegen die langfristigen Ziele hinter der Militäraktion mit dem orwellschen Titel „Operation Olivenzweig“ tiefer. Die Propagierung eines grosstürkischen Reichs, das weit über die aktuellen Grenzen der Türkei hinausragt und in Anknüpfung an das Osmanische Reich den „Türken“ zu alter Grösse und Anerkennung verhelfen soll, ist wieder absolut en vogue in der türkischen Politik. In der aktuellen Offensive sind diese Ansprüche in Aussagen von Soldaten, aber auch in der Aufbietung von „osmanischen“ Musikkapellen zu sehen, die die Kämpfer bei Laune halten sollen.
Somit ist zu erwarten, dass die Türkei die eroberten Gebiete keinesfalls so schnell wieder hergibt. In der Region um Al-Bab, welche die Türkei 2017 im Kampf gegen den IS erobert hat – in erster Linie um ein Zusammenwachsen der zwei kurdischen Landesteile zu verhindern – baut der türkische Staat eine Infrastruktur auf, die das Gebiet fest an die Türkei bindet. Dasselbe ist zu befürchten, falls es der Türkei tatsächlich gelingt, Afrin einzunehmen.

Die Skrupellosigkeit des amerikanischen Imperialismus in der Zwickmühle

Der türkische Vorstoss hat gleichzeitig die in der Region stark präsente Militärmacht USA in eine unangenehme Situation gebracht. Zum einen möchte sie die Türkei, immerhin die zweitgrösste NATO-Armee, auf keinen Fall zu sehr verärgern und noch weiter vom Militärbündnis wegbringen, zum anderen waren die Kämpfer*innen der YPG die wichtigsten Kräfte gegen den IS. Sie haben die Hauptlast getragen, sie haben erfolgreich gekämpft und im Zusammenspiel mit der Luftüberlegenheit der USA den IS aus weiten Teilen Syriens gedrängt. Die USA dankte dies mit militärischer Ausrüstung und Ausbildung, baute mehrere Stützpunkte in Rojava und unterhält mindestens 2 Militärflughäfen auf deren Gebiet.
Jahrelang versuchte die USA – wie die gesamte NATO – dem Widerspruch zwischen den Sorgen der Türkei und der Kampfkraft der Kurd*innen aus dem Weg zu gehen, indem sie strikt zwischen der PKK und der YPG unterschieden. Die Türkei lehnte diese Unterscheidung schon seit jeher ab.
Auch jetzt, mit dem türkischen Angriff auf die YPG, bleiben die Reaktionen der USA und ihren europäischen Verbündeten verhalten. Die USA zieht ein weiteres Mal eine künstliche Trennlinie zwischen den von ihr unterstützten Kräften in Kobane und Cizîrê, den anderen beiden Kantonen von Rojava, und denjenigen in Afrin. Und kümmert sich damit nicht weiter um das Schicksal von Afrin.

Die Kurd*innen wurden ein weiteres Mal verraten und verkauft

Die YPG hat während der letzten Jahre immer wieder betont, dass sie für die gesamte Menschheit gegen die reaktionären und äusserst brutalen Banden des IS kämpfe. Ihr Kampf und ihre Opfer wurden dementsprechend wohlwollend zur Kenntnis genommen. Nun, wo der IS praktisch alle Gebiete verloren hat, scheinen die Leistungen der Kurd*innen bereits wieder nichts mehr zu zählen.
Russland hat alle ihre bis dato in Afrin stationierten Militärbeobachter kurz vor der türkischen Offensive abgezogen. Es wird davon ausgegangen, dass Russland sehr bewusst den türkischen Einmarsch erlaubt hat, um im Gegenzug beispielsweise in Idlib von der Türkei unterstützte Rebellen besser bekämpfen zu können.
Die USA wiederum haben nur leise davon gesprochen, die Türkei möge ihre Angriffe „eindämmen“. Sie liefert ihre Verbündeten damit ohne grösseren Widerspruch ans Messer. Gleichzeitig waren Bilder zu sehen, auf denen deutsche Leopard2-Panzer der türkischen Armee nach Afrin vordrangen. Panzer, die nach dem Willen der deutschen Regierung schon bald kampfwertgesteigert werden sollen.

Noch ist nichts entschieden

Der nun ausgebrochene Konflikt in Afrin fügt dem sowieso schon äusserst komplizierten und unübersichtlichen Geschehen im syrischen Bürgerkrieg eine weitere Dimension hinzu. Gerade auch weil die Kräfte- und Machtverhältnisse so kompliziert sind, ist es sehr schwierig zu sagen, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich der Krieg entwickeln wird.
Eine Frage wird sein, ob Erdogan mittlerweile von der türkischen NATO-Mitgliedschaft wirklich nichts mehr hält und die Stadt Manbij angreift. Dort sind vermutlich mehrere hundert US-Soldaten stationiert, welche SDF-Kämpfer*innen ausbilden. Bereits sind Meldungen von Luftangriffen auf umliegende Dörfer zu hören. Falls es wirklich zu einem direkten Konflikt zwischen türkischen und amerikanischen Soldaten kommen sollte, kann der Konflikt sehr schnell äusserst explosiv und unberechenbar werden.
Gleichzeitig muss klar sein, dass der US-Imperialismus noch nie ein vertrauenswürdiger Partner war. Die Interessen der USA in der Region kümmert das Schicksal der Kurd*innen nur wenig. Gerade deshalb ist es notwendiger denn je, kritisch aber solidarisch mit dem Projekt Rojava zu stehen und es hier und anderswo vor den Angriffen der verschiedenen reaktionären Kräfte – allen voran der autoritären Erdogan-Regierung – zu verteidigen!

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