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USA: Die Demokratische Partei als Hindernis für den Aufbau einer sozialistischen Bewegung

In einem ersten Debattenbeitrag zur Strategie der amerikanischen Linken und ihr Verhältnis zur Demokratischen Partei betonte Dorian B., Aktivist der International Socialist Organization (ISO), den Aufschwung der sozialistischen Bewegung in den USA, der dank Bernie Sanders Präsidentschaftskandidatur für die Demokratische Partei ermöglicht wurde und im Erstarken der Democratic Socialists of America (DSA), dem linken Flügel der Demokraten, einen organisatorischen Ausdruck fand. In einem weiteren Beitrag von zwei Aktivisten der ISO wird diesem Enthusiasmus widersprochen. Sie plädieren für die Unabhängigen der Linken von der Demokratischen Partei und weisen auf die politischen Grenzen und Hindernisse hin, welche die Demokratische Partei beim Aufbau einer breiten sozialistischen Bewegung darstellt. (Red.)

von Alan Maass und Jeb Roesch*; aus socialistworker.org

Niemand dachte vor einer Woche, dass ein stolzes Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA) [die Rede ist von der 28-jährigen Alexandria Ocasio-Cortez; Anm. d. Red.] aller Wahrscheinlichkeit nach die jüngste Frau sein wird, die je im US-Repräsentantenhaus Platz nehmen durfte. Die dadurch ausgelöste, enthusiastische Diskussion innerhalb der amerikanischen Linken um die Bedeutung dieses Ereignisses wirft viele neue und alte Fragen (und mögliche Antworten) auf. […]

Die Beiträge von Dorian B. sowie von Jason Farbman und Zach Zill – sowie von Lesern von Socialist Worker [Zeitung der ISO] und Mitgliedern der International Socialist Organization (ISO) – sind sich im Allgemeinen einig, dass die Arbeiter*innenklasse politische Unabhängigkeit vom Zweiparteienduopol braucht, und dass die zukünftige Entwicklung der Linken einen Bruch mit den Demokraten erfordert.

So spannend ihr Sieg auch ist, Tatsache ist, dass Ocasio-Cortez damit nicht einverstanden zu sein scheint – zumindest nicht in diesem Stadium. Sie führte eine Kampagne, die eine Politik der Arbeiter*innenklasse und eine breite Vision des Sozialismus artikulierte, aber sie betonte auch die Idee, dass eine “andere Art von Demokraten” die Partei repräsentativer für die Werktätigen machen kann.

Sie ist eine Anführerin der “Justice Democrats”, welche Kandidat*innen in 38 Wahlen antreten lassen und deren Website die Leute einlädt, sich ihnen anzuschließen, um “die Partei zurückzunehmen”. Während sie alle eine progressive politische Plattform teilen, reichen diese Kandidaten von ehemaligen Obama-Beauftragten bis hin zu offenen Sozialist*innen wie Ocasio-Cortez. Sie wurde vom Brand New Congress rekrutiert, einem politischen Aktionskomitee, das von ehemaligen Sanders-Mitarbeiter*innen gegründet wurde. Cortez Kampagne wurde sowohl von diesen Einflüssen geprägt, wie auch von der DSA.

Wir beginnen mit diesem Punkt, nicht um oppositär zu sein, sondern um zu versuchen, das Gesamtbild zu verstehen. Die Aussicht auf eine Teilnahme an einer lebhaften und offen sozialistischen Kampagne innerhalb der Demokratischen Partei hat die Phantasie einiger ISO-Mitglieder und Socialist Worker-Leser beflügelt, die hoffen, dass dies helfen könnte, die Frage zu beantworten, die Jason und Zach stellen: “Wie kommen wir von hier zu einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiter*innenklasse?”

Es bleibt aber wichtig, bei der Bewertung der Möglichkeiten zu berücksichtigen, dass jeder Versuch in diese Richtung nicht nur mit einem Apparat der Demokratischen Partei rechnen muss, welcher Ocasio-Cortez mit bisher gedämpfter Feindseligkeit betrachtet, sondern mit Kandidat*innen, deren Strategie und Vision sich von unserem Ziel unterscheidet.

Viele DSA-Mitglieder teilen unser Ziel eine unabhängige Partei links der Demokraten zu schaffen, aber diese Position ist nicht einstimmig. Und diese Genoss*innen stehen einem Paradoxon gegenüber: Der Erfolg der sozialistischen Kandidat*innen, die für die Demokraten kandidieren, erhöht das Ansehen des Sozialismus, aber gleichzeitig stärkt es auch die Position derjenigen, die argumentieren, dass die DSA innerhalb der Demokratischen Partei bleiben sollte.

Dorian hat Recht, dass die Wiederbelebung des Sozialismus heute und besonders das explosive Wachstum der sozialistischen Organisationen, vor allem der DSA, ohne die populäre Kampagne von Bernie Sanders 2016 für die Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten nicht stattgefunden hätte.

Aber Sanders wäre eine der lautesten Stimmen – und sicherlich eine der effektivsten -, die sich gegen jeden Bruch mit der Demokratischen Partei zur Bildung einer unabhängigen linken Partei aussprechen würde.

Das soll uns weder davon abhalten uns mit der Popularisierung des Sozialismus, für die Sanders verantwortlich ist, zu identifizieren, noch uns für Themen und Kampagnen zu mobilisieren, zu welcher Sanders Initiativen vorschlägt, die wir unterstützen. Aber wir sollten auch anerkennen, wo unsere Politik und unsere Projekte sich unterscheiden.

Begeisterung und Kritik

Ist es “offensichtlich widersprüchlich”, wie Jason und Zach schreiben, von Sanders Erfolg oder Ocasio-Cortez Sieg begeistert zu sein, trotz unserer langjährigen Opposition gegen Kampagnen innerhalb der Demokratischen Partei?

Wir glauben nicht. Erstens ist der Sieg von Ocasio-Cortez offensichtlich eine willkommene Demonstration der Anziehungskraft sozialistischer Ideen, nicht nur der Ideen sozialistischer Kandidat*innen.

In einer etwas trostlosen Vorwahlsaison bekräftigte ihr Sieg, dass es Unzufriedenheit unter vielen Menschen gibt, die loyal für die Demokraten stimmen. Wenn es nicht so wäre, wäre unsere Aufgabe schwieriger.

Es ist kein Widerspruch, all dies zu feiern und gleichzeitig die Position der ISO aufrechtzuerhalten – und zwar basierend auf einer Bewertung der historischen Entwicklung und einer fortlaufenden Analyse, und nicht auf einer religiösen Befolgung einer Doktrin -, dass sich innerhalb der Demokratischen Partei kein revolutionäres sozialistisches Projekt aufbauen lässt. Wir würden uns vergeblich bemühen, die Linke aus einer Partei heraus aufbauen wollen, welche sich als Institution der Linken widersetzt.

Heißt das, dass wir uns von der sozialistischen Bewegung oder der Radikalisierung, die Kampagnen wie diejenige von Ocasio-Cortez vorantreibt, abschotten?

Wir müssen es den Leser*innen überlassen nach ihren Erfahrungen zu urteilen. Diese Website (socialistworker.org) ist gefüllt mit Berichten über die Zusammenarbeit innerhalb der Linken, welche die ISO, die DSA, die Sozialistische Alternative und andere Organisationen einbezieht. Man beachte die Anzahl der gemeinsamen sozialistischen Mobilisierungen, z.B. die gemeinsame Mobilisierungen vom 30. Juni 2018 [gemeint ist die Kampagne “Families Belong Together”, welche sich gegen die Praxis der Trump-Regierung richtet, minderjährige Migrant*innen von ihren Familien zu trennen; Anm. d. Red.]

Nichts davon wurde durch Meinungsverschiedenheiten über den Charakter der Demokratischen Partei behindert. […]

Unsere Diskussion über den nächsten Schritt brauche einen Kontext – und vor allem ein Verständnis für die zentrale Bedeutung der Siege um in unserem Kampf. Das ist es, was einige Genoss*innen in der DSA zu betonen scheinen, während sie mit der Analyse von Socialist Worker nicht einverstanden sind, dass die Begeisterung über den Sieg von Ocascio-Cortez mit den sozialen Bewegungen verbunden werden muss, um organisatorisch einen Schritt weiterzukommen.

“Ocasio-Cortez Sieg und ihre sofortige Berühmtheit zeigt, wie die arbeitenden Menschen auf klassenbasierte Politik reagieren”, schrieben Matt Stone und Jeremy Gong im Jacobin Magazine. “Jetzt, wo Millionen neugierig auf den Sozialismus sind, ist es unsere Aufgabe, so viele von ihnen wie möglich zu organisieren und zu mobilisieren – an der Wahlurne und darüber hinaus.”

Die Geschichte ist entscheidend

Also warum springen wir nicht auf die Kampagne auf und finden es heraus? Könnte die ISO nicht ein kurzfristiges Engagement in Kampagnen der Demokraten in Betracht ziehen? Nur, um in Zusammenarbeit mit verbündeten linken Kräften eine unabhängige Partei aufzubauen – und dann vermutlich auszusteigen?

Hier muss an die Geschichte der Linken und der Demokratischen Partei erinnert werden. Dies ist nicht das erste Mal, dass DSA-Mitglieder in den Kongress oder in ein politisches Spitzenamt gewählt wurden – der ehemalige kalifornische Abgeordnete im Repräsentantenhaus Ron Dellums und der ehemalige Bürgermeister von New York City, David Dinkins, sind zwei Beispiele.

Und die letzte Massenradikalisierung der 1960er und frühen 1970er Jahre führte zu einer viel größeren Zahl schwarzer Aktivist*innen, die an Wahlen teilnahmen, um mehr politische Macht zu gewinnen und die Linke zu konsolidieren. Das Ergebnis war vernichtend. Radikalere Kandidat*innen wurden daran gehindert, das Machtgleichgewicht zu verändern, und am Ende waren sie für die Überwachung der Sparmaßnahmen verantwortlich.

Die Linke ist dadurch nicht stärker geworden. Die Demokratische Partei aber schon.

Die Geschichte hat noch viel mehr zu bieten und soll in weiteren Beiträgen behandelt werden. Und die einzigartigen, neuen Elemente dessen, was jetzt geschieht, müssen gewürdigt werden. Denn die DSA ist nicht mehr die gleiche DSA, welche von David Dinkins aufgebaut wurde.

In diesem Zusammenhang empfehlen wir den Socialist Worker-Artikel “Left inside the Chicago machine” von Brian Bean und Tyler Zimmer zu lesen. Der Artikel dreht sich um einen der prominentesten Amtsträger der DSA, den Stadtrat von Chicago, Carlos Ramirez-Rosa.

Ramirez-Rosa ist einzigartig unter den gewählten Vertreter*innen Chicagos, weil er sich in einer von Demokraten geführten Stadt gegen die politische und wirtschaftliche Elite stellt. Dafür bezahlte er den Preis, und wird heute von Liberalen aus der Stadt und dem gesamten Establishment der bundesweiten Demokratischen Partei geächtet.

Aber angesichts der massiven Angriffe auf ihn, bei allen seinen politischen Vorstössen, musste Ramirez-Rosa Kompromisse eingehen. Als seine Hoffnung, der demokratische Kandidat für einen Sitz im Repräsentantenhaus zu werden, durch eine vereinte Aktion der demokratischen Parteimaschine (unter Anleitung von Cook County Commissioner Jesus “Chuy” García) vereitelt wurde, akzeptierte Ramirez-Rosa nicht nur das Unvermeidliche und schied aus, sondern unterstützte sogar Garcías nachfolgende Privatisierungs- und Sparpolitik, welche er ursprünglich entschieden ablehnte. Und all dies um das “progressive Lager” nicht zu spalten.

Ramirez-Rosa mag das Gefühl haben, dass er keine andere Wahl hatte, als den Appell der “Einheit” zu den gegnerischen Bedingungen zu akzeptieren. Aber genau dies zeigt den starken Druck, der mit der Arbeit innerhalb der Demokratischen Partei einhergeht.

Eine Sackgasse für die Linke

Anstatt die Linke zu stärken, stärken solche Zugeständnisse die Idee, dass wir die Angriffe auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen akzeptieren sollten, welche uns durch die Arbeit “innerhalb des Systems” auferlegt werden. Und natürlich wird in solchen Fällen jeweils die Aufgabe, eine stärkere Basis für eine Alternative außerhalb der Demokratischen Partei zu schaffen, auf später verschoben.

Die Kompromisse, die notwendig sind, um innerhalb der Demokratischen Partei erfolgreich zu sein, enden nicht mit der Entscheidung, für die Demokraten zu kandidieren. Sie beginnen dort.

All diesem Druck wird auch Ocasio-Cortez ausgesetzt sein. Zwar öffnet ihr Sieg die Tür zu entscheidenen politischen Fragen – über politische Macht, politische Organisation, wie gewählte Beamte gegenüber sozialen Bewegungen zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings passiert dies in einer Zeit, in der die breitere Linke, die als Quelle der Stärke gegenüber der demokratischen Parteimaschine dienen könnte, noch schwach ist.

Wir wollen nicht andeuten, dass sie scheitern wird. Aber es wäre kurzsichtig nicht auf die Gefahr für die Linke hinzuweisen für den Fall eines enttäuschenden Ausgangs dieses Projektes: wenn nämlich die gewählte Sozialist*in zu Kompromissen gezwungen wird, ihre Rechenschaft gegenüber der Bewegung ungeklärt ist, und wo die Möglichkeiten zur Gründung einer unabhängigen linken Alternative wieder einmal aufgeschoben werden.

Deshalb halten wir es für unerlässlich, dass revolutionäre Sozialist*innen ihre Unabhängigkeit von der Demokratischen Partei bewahren.

Was nun?

Jason und Zach schreiben, dass “die Linke und die soziale Bewegungen sich Gedanken darüber machen müssen, wie sie die Energie kanalisieren wollen, um möglichst effektive Unterstützung zu bieten” für Initiativen, welche Ocasio-Cortez versprochen hat. Hier sind wir sind völlig einverstanden.

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie sozialistische Organisationen wie die ISO in Zusammenarbeit mit solchen Initiativen Kämpfe und Bewegungen von unten aufbauen können. Und dies wird den unvermeidlichen Versuchen des Demokratischen Parteiestablishment, Ocasio-Cortez zur Kapitulation zu zwingen, am wirksamsten entgegenwirken.

Nichts von diesem Aktivismus – und auch keine der Diskussionen, die wir mit Menschen führen wollen, die durch ihren Sieg angeregt und inspiriert wurden – wird unmöglich gemacht, wenn wir nicht an der Kampagne von Ocasio-Cortez oder an der Demokratischen Partei als Ganzes teilnehmen.

Hier ist es wichtig, dass unsere Visionen vom Erfolg von Ocasio-Cortez angeregt werden – bei der Suche nach den Möglichkeiten, die sich aus ihrer Kampagne für den Aufbau von Gegenmacht und für die Organisierung sozialer Bewegungen und der Arbeiter*innenklasse ergeben. Wir glauben, dass wir das auch tun können, wenn wir uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass diese Kämpfe und Organisierungsprozesse unabhängig von der Demokratischen Partei bleiben müssen.

*Alan Maass und Jeb Roesch sind Aktivisten der International Socialist Organization (ISO).

Der Artikel erschien am 4. Juli 2018 auf socialistworker.org. Übersetzung und leichte Überarbeitung durch die Redaktion.

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2 Kommentare

  1. Pingback:Über die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse | Maulwuerfe

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