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USA: Trump ist nicht die Ursache, sondern das Symptom der Krise des US-Kapitalismus

Wie haben sich die Vereinigten Staaten unter der Herrschaft von Donald Trump bisher verändert? Was bedeutet seine Politik für amerikanische Arbeiter*innen? Im Interview mit sozialismus.ch erklärt Sherry Wolf, Aktivistin bei der amerikanischen International Socialist Organization (ISO), warum der Widerstand gegen den neuen US-Präsidenten von ausserhalb des etablierten Parteiensystems kommen muss und weshalb auch Obama gar nicht links war, wie er oft portraitiert wird. Auch wir haben unseren Widerstand gegen Trump angekündet mit einer Demo gegen seinen Besuch in der Schweiz, wo er am World Economic Forum (WEF) in Davos teilnimmt. Wir sagen: Trump not Welcome! Smash WEF! (Red.)

von BFS Zürich

Sherry Wolf[1]die Vereidigung von Donald Trump als Präsident der USA ist nun fast ein Jahr her – wie hat sich das Land seither verändert?
Sherry Wolf: Wir haben seit der Machtübernahme Trumps ein traumatisches Jahr mit vielen Schocks erlebt. Und jeden Tag erreicht uns eine neue Horrormeldung. Trumps neuster Streich: Er hat ganz Afrika sowie Haiti wortwörtlich als „Scheissländer“ bezeichnet. Allerdings haben diese Beleidigungen aus der Perspektive der Gegner*innenschaft auch einen Vorteil, nämlich ihre Ehrlichkeit. Haben sich frühere Präsidenten noch die Mühe gegeben so zu tun, als ob ihnen das Wohlergehen der arbeitenden Klasse in irgendeiner Form wichtig wäre, so gibt Trump völlig offen zu, dass ihm dieses komplett egal ist.
Diese Woche hat nach der Verabschiedung von Trumps Steuerreform der Detailhändler Wal-Mart die Stundenlöhne auf 11 Dollar erhöht – der Präsident verkauft dies als einen Erfolg seiner Politik für die arbeitende Bevölkerung. Ist diese ihm also wirklich egal?
Natürlich ist ihm diese egal. Mit dem Entscheid verschleiern sowohl Wal-Mart als auch Trump, dass es anderen Druck auf Wal-Mart gibt, der das Unternehmen zu Lohnerhöhungen zwingt. Konkret kämpft Wal-Mart aufgrund seiner schlechten Bezahlung mit einer hohen Fluktuation von Angestellten. Dieses Problem soll mit der Lohnerhöhung nun reduziert werden. Dass die Massnahme ausgerechnet jetzt kommuniziert wird, ist primär ein cleverer PR-Schachzug. Ausserdem lässt es sich in den USA sogar in günstigen, ländlichen Regionen nicht anständig von 11 Dollar pro Stunde leben. Dazu kommt, dass Wal-Mart seinen Angestellten kaum Vollzeit-Stellen bietet. Das Unternehmen ist also noch meilenweit von Arbeitsbedingungen entfernt, die in irgendeiner Form das Attribut „fair“ verdient hätten. Und last but not least, hat Wal-Mart diese Tage ausserdem eine grosse Anzahl von Angestellten entlassen.
Die Steuerreform hilft Arbeitnehmern also nicht – was bedeutet sie umgekehrt für „Corporate America“?
Wir stehen vor einer der grössten Verschiebungen des Reichtums in den USA, und zwar von unten nach oben. Durch wegbrechende Steuereinnahmen werden die sowieso schon eingeschränkten sozialstaatlichen Errungenschaften des Landes massiv weiter beschnitten werden.
Wie schnell werden die Leute die Auswirkungen eines solchen Abbaus zu spüren bekommen?
Unmittelbar! Trumps neuste Pläne beispielsweise gehen in Richtung eines deutlichen Abbaus der staatlichen Krankenversicherung für ärmere Menschen, die unter dem Namen Medicaid bekannt ist. Allerdings begannen die Angriffe auf die amerikanischen Wohlfahrtsprogramme bereits unter Bill Clinton, einem Demokraten.
Willst du damit sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob Demokraten oder Republikaner an der Macht sind?
Nein, soweit kann man natürlich nicht gehen. Aber man muss sich einfach bewusst sein: Unter Obama gab es bereits Massendeportationen von Einwanderern. Und als Präsident liess er die US-Armee insgesamt sieben Länder bombardieren. Ein Unterschied zwischen Trump und Obama ist jedoch – wie schon erwähnt – dass Trump gar nicht erst versucht, den Anschein zu erwecken, er meine es doch nur gut mit den Menschen. Ausserdem führt er seine Angriffe auf das Sozialsystem in bislang unbekannt hoher Geschwindigkeit durch.
Ist nicht gerade die Twitter-Kommunikation Trumps insofern auch ein Problem, als dass sie von seinen eigentlichen Taten ablenkt? Während die ganze Welt sich über einen Tweet aufregt, schafft Trump gleichzeitig die Sozialsysteme ab, senkt die Steuern für Reiche und kaum einer merkt es.
Absolut, denn Trump ist nicht die Ursache, sondern das Symptom der aktuellen Krise des amerikanischen Kapitalismus. Und wenn die herrschende Klasse der USA ein Problem mit Trump hätte, dann wäre sie ihn bereits losgeworden. Ich meine nicht mit Gewalt, sondern über eine Amtsenthebung durch das Parlament beispielsweise. Es gäbe ja genügend Beweise dafür, dass er sowohl ein Sexualstraftäter, als auch ein betrügerischer Geschäftsmann ist. Das würde ausreichen, um ihn seines Amtes zu entheben – wenn man denn wollte. Tatsache ist: Die herrschende Schicht Amerikas hätte Hillary Clinton aufgrund ihrer Nähe zur Wall Street vielleicht lieber als Präsidentin gehabt, doch hat sie sich mit Trump bestens arrangiert.
Wie sieht es aus einer feministischen Perspektive aus – ging es den USA unter Obama besser? Wie sieht es aus mit Rechten für Homosexuelle oder Transgender?
Achtung: Obama war erst ein Gegner des Konzepts einer Ehe für alle und äusserte sich zu Beginn seiner Präsidentschaft gegen die Einführung von zusätzlichen Schutzmassnahmen für Transgender. Erst aufgrund massiven Drucks von der Strasse änderte er seine Haltung. Als LGBT-Aktivistin war ich damals bei der Organisation von Protesten gegen Obama beteiligt. Letztlich gilt in den USA immer dieselbe Regel: Ohne Druck von der Strasse lassen sich keine Veränderungen bewirken.
Und wie steht es mit Obamacare, der Gesundheitsversicherung für alle Amerikaner*innen, die kam doch aus dem Parlament?
Ich gebe zu, dass Obamacare ein kleiner Fortschritt gegenüber dem vorherigen Zustand war. Doch dürfen wir nicht vergessen: Auch unter diesem Gesetz sind nach wie vor Millionen von US-Amerikaner*innen nicht krankenversichert. Mit einem Modell einer universellen Krankenversicherung, wie man dies aus gewissen Ländern Europas kennt, hat das nichts zu tun. Es ist somit nicht wirklich eine Versicherung für alle Amerikaner*innen. Ausserdem darf man bei der Diskussion um Obama nicht vergessen: Die Black-Lives-Matter-Bewegung zum Schutz von Afroamerikaner*innen entstand nicht gegen Präsident Trump, sondern unter der Herrschaft des ersten schwarzen Präsidenten der USA.
Wie ist die Situation heute, haben diese Proteste etwas bewirkt?
Leider zu wenig. Bis zum heutigen Tag (das Interview wurde am 12. Januar durchgeführt, Anm. d. Red.) sind 2018 in den USA bereits 33 Personen von der Polizei erschossen worden. Ähnlich sah es in den letzten beiden Jahren auch aus. Der Unterschied ist einzig: Obama äusserte sich wenigstens bedauernd und versuchte zu trösten. Trump streut dafür noch Salz in die Wunden.
Was an der Wahl Trumps irritiert: wieso haben die amerikanischen Arbeiter*innen überhaupt Trump gewählt, der doch so klar gegen ihre Interessen agiert?
Dass eine Mehrheit der amerikanischen Arbeiter *innen Trump gewählt hat ist ein Mythos. Seine Wählerbasis war das klassische Kleinbürgertum, die Mittelschicht, nicht die Arbeiter*innenklasse. Natürlich gab es gewisse Arbeiter*innen, die Trump, Bush oder auch Romney wählten. Doch blieb die Mehrheit der Arbeiter*innen bei der letzten Wahl zu Hause und wählte gar nicht. Die Wahlbeteiligung lag nur bei etwa 50 Prozent.
Weshalb gingen die Wähler*innen nicht an die Urne?
Weil sie die neoliberale Wall-Street-Politik von Hillary Clinton mit Abscheu erfüllte. Diese war keine Alternative. Darum blieben sie einfach zu Hause.
Hätten die Demokraten also Bernie Sanders als Kandidaten nominieren müssen?
Positiv an Sanders war, dass er einer grossen Masse den Begriff Sozialismus nahe gebracht und die Leute für soziale Anliegen mobilisiert hat. Sein grosser Fehler war jedoch, dass er der demokratischen Partei beigetreten ist. Seit Jahrzehnten ist diese der Friedhof der linken Bewegungen in Amerika. Immer, wenn eine Bewegung wie die von Sanders in die demokratische Partei eintritt, kollabiert sie kurze Zeit später. Auch hätte Sanders nach den verlorenen Vorwahlen auf keinen Fall Hillary unterstützen dürfen.
Du scheinst nicht sehr begeistert zu sein von Sanders.
Lass es mich so sagen. Sanders hat in seiner politischen Laufbahn immer eine sehr linke Rhetorik gepflegt, zumindest in Wahlkämpfen. Als gewählter Senator hat er dann aber beispielsweise Kriegskrediten zugestimmt. Sein Verhalten gleicht also dem vieler sozialdemokratischer Parteien in Europa. Einmal ins Amt gewählt, haben sie ihre linken Versprechen aus dem Wahlkampf zumeist schon wieder vergessen.
Zurück zu Trump: Wieso gab es trotz dessen Frauenfeindlichkeit viele Frauen, die ihn wählten?
Hierfür gibt es verschieden Ursachen. Tatsächlich gibt es leider Frauen, die frauenfeindliche Ideen akzeptieren und als normal internalisiert haben. Doch möchte ich auch betonen: So viele Frauen haben ihn gar nicht gewählt. Die Wahlbeteiligung betrug ja nur gut 50 Prozent. Von diesen Wähler*innen haben etwa 25 Prozent Trump gewählt, wobei davon wiederum die Hälfte Frauen waren. Somit macht der Anteil an Frauen unter den Trump-Wählern im Vergleich zu der Gesamtanzahl an Wahlberechtigten nur noch circa 12,5 Prozent aus. Nichtsdestotrotz muss man natürlich eingestehen: Diese Frauen sind auf eine Besorgnis erregende Art und Weise von ihren eigenen Interessen entfremdet.
Woher kommt diese Entfremdung?
Schuld an dieser ist das amerikanische Zweiparteien-System sowie die demokratische Partei. Dieser ist es nie gelungen, allen Menschen eine Krankenversicherung oder eine gute Bildung zu verschaffen.
Gibt es denn irgendeine Hoffnung auf Widerstand von ausserhalb des Systems?
Meine Hoffnung ist, dass aufgrund der aktuellen Polarisierung der US-Politik der linke Rand des politischen Spektrums klar gestärkt wird. Somit könnte tatsächlich eine Perspektive ausserhalb des Zweiparteien-Systems entstehen. Eine Rolle spielen hierbei Massenproteste wie derjenige gegen den „Muslim Ban“ von Donald Trump. An den Universitäten beispielsweise kam es zu Demonstrationen, wie man sie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gesehen hatte. Und solchen Widerstand braucht es wieder vermehrt!
Welche anderen Beispiele für solchen Widerstand gab es in letzter Zeit?
Die #metoo-Bewegung! Diese entstand direkt aus einer sozialen Bewegung heraus, nämlich dem „Women’s March on Washington“, der ein Protest gegen die Amtseinführung Trumps zum Präsidenten der USA war. Ohne den Women‘s March wäre #metoo wohl nicht möglich gewesen.
Das Interview wurde am 12. Januar 2018 im Rahmen des Anderen Davos, der Gegenveranstaltung zum WEF, geführt.
Fussnoten:
[1]Sherry Wolf ist Aktivistin der International Socialist Organization (ISO) in den USA und Autorin des Buchs “Sexuality and Socialism: History, Politics and Theory of Gay Liberation” (Haymarket Books, 2009).

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