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Algerien: Protestwelle gegen das Regime

Das greise und autoritäre Regime in Algerien – repräsentiert durch den 82-jährigen Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika – steckt in einer tiefen politischen Krise. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom 18. April, zu denen Bouteflika zum fünften Mal in Folge antreten will, entwickeln sich nun die grössten Strassenproteste seit Ende des algerischen Bürgerkrieges 2002. Als die weltweiten Rohstoffpreise 2014 zu fallen begonnen haben, versiegten die Einnahmen des stark vom Öl- und Gasexport abhängigen Landes, was das Regime als Anlass weiterer einschneidender Austeritätsprogramme nahm. Die jahrelangen neoliberalen Strukturanpassungsprogramme haben ihre Spuren hinterlassen. Die Kaufkraft der Bevölkerung schwindet, die Arbeitslosigkeit ist enorm, das minimale staatliche Gesundheitssystem leidet an chronischer Unterfinanzierung, die Wohnungssituation und der Zustand der städtischen Infrastruktur ist prekär und Armut insbesondere in ländlichen Gegenden weit verbreitet. Gerade junge Menschen und Frauen sind überproportional stark von diesen sozialen Diskriminierungen betroffen. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass diese zwei sozialen Gruppen auch am stärksten in den aktuellen Protesten vertreten sind, die sich längst nicht nur gegen den Präsidenten richten, sondern weit darüber hinaus reichen. Wir veröffentlichen hier die Erklärung der Parti Socialiste des Travailleurs. (Red.)

von Parti Socialiste des Travailleurs (PST)

Nein zur Präsidentschaftswahl! Nein zur Kontinuität des Regimes! Für die Wahl einer konstituierenden Versammlung!

Die gigantischen Mobilisierungen der Bevölkerung in den letzten zehn Tage, die die autoritäre Macht von Bouteflika erschütterten, reichten nicht aus, um ihn vom fünften Mandat abzubringen.

Seine lang erwartete Antwort am Sonntag, 3. März 2019, erwies sich als einen schlechten Witz. Bouteflika will nicht nur ein fünftes Mandat, sondern er kündigt auch an, eine neue Verfassung und Wirtschaftsreformen einzuführen, die notwendigerweise ultraliberal sein werden, wie vom IWF und der Weltbank gefordert. Es geht natürlich darum, eine völlig zerrüttete und diskreditierte “demokratische” Fassade aufrechtzuerhalten, Zeit zu gewinnen, um das von der anhaltenden Revolte völlig verunglimpfte Regime neu zu organisieren und eine Art “kontrollierten Übergang” zu gewährleisten.

Demonstration in Algier am 1. März 2019.

Durch die Pirouette einer “nationalen Konferenz”, die weder gewählt noch legitimiert wird, schlägt das Regime einen Hauch von Konzessionen vor – nicht gegenüber den Menschen, die den Sturz dieses autoritären und antisozialen Systems fordern, sondern gegenüber der anderen oligarchischen und neoliberalen Fraktion der herrschenden Klasse, die seit längerem den Anspruch auf einen Teil der politischen Macht hegt. Diesen Anspruch scheint der Präsidentschaftskandidat dieser Fraktion, der ehemalige General Ali Laghdiri, zu unterstützen.

Die Parti Socialiste des Travailleurs (PST) fordert die kategorische Ablehnung dieser Präsidentschaftswahlen, die einzig der Kontinuität des Systems dient. Es steht weder Bouteflika und seiner Fraktion, noch den milliardenschweren Oligarchenbosse, die nur ihre Wiedereingliederung in die politische Macht fordern, noch den imperialistischen Mächten und ihren multinationalen Konzerne zu, über unsere Verfassung, unsere Freiheit, unsere wirtschaftlichen Entscheidungen und unser gesellschaftliches Projekt zu entscheiden! Es liegt an den Millionen von Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Frauen, Jugendlichen, Student*innen, armen Bauern und allen Armen, die der herrschenden Klasse gerade eine Lektion in Kampf und Mut erteilt haben, über ihre Zukunft zu entscheiden! Ja, es liegt an den Menschen, souverän zu entscheiden, denn sie sind die einzige Quelle der Legitimität!

Frauen spielen eine zentrale Rolle in den Protesten.

Deshalb ist es unerlässlich, unsere Mobilisierung aufrechtzuerhalten, die Schaffung einer demokratischen Selbstorganisation der Massen in den populären Bezirken, Arbeitsplätzen, Universitäten und wo immer möglich in Angriff zu nehmen. Denn damit ist es möglich, dass sich die Bevölkerung an der Debatte über die Modalitäten der Wahl einer souveränen, verfassungsgebenden Versammlung beteiligen kann, die für die Bestrebungen der Mehrheit unseres Volkes nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit repräsentativ ist. Gleichzeitig bleibt die Ausrufung eines Generalstreiks, um die von uns angestrebten Änderungen durchzusetzen, eine mögliche Option, die nicht ausgeschlossen werden sollte.

Unser Land befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Die Parti Socialiste des Travailleurs (PST) bekräftigt ihre nachdrückliche Forderung nach Einheit und dem Zusammenführen aller politischen und sozialen Kräfte und Energien, um die Bresche dieser möglichen demokratischen Öffnung zu vergrößern, die neoliberale Politik und den damit verbundenen wirtschaftlichen Selbstmord und die sozialen Katastrophen zu stoppen und darüber hinaus allen Bedrohungen und Belastungen durch imperialistische Mächte wirksam zu begegnen, um die Wahrung unserer Souveränität und nationalen Unabhängigkeit zu gewährleisten.

  • Nein zum 5. Mandat von Bouteflika, Nein zur Kontinuität des Systems und seiner illegitimen Institutionen!
  • Nein zur Präsidentschaftswahl vom 18. April, für die Wahl einer souveränen verfassungsgebenden Versammlung, die unsere demokratischen und sozialen Bestrebungen vertritt!
  • Für die Aufrechterhaltung der Mobilisierung und der Demonstrationen durch die Bevölkerung!
  • Für die Verteidigung unserer Souveränität und der nationalen Unabhängigkeit!

Algier, 3. März 2019

Übersetzung durch die Redaktion. Die Fotos stammen von befreundeten Aktivist*innen vor Ort, die wir 2018 in die Schweiz eingeladen haben.

Hier noch einige weitere Fotos von den Protesten in Algier (1.-3. März 2019):

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