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Deutschland: Organisieren und Kämpfen bei Amazon (Teil 1)

Christian K. arbeitet seit 10 Jahren als Amazon-Lagerarbeiter in Bad Hersfeld in Hessen. Dort wurde das erste Amazon-Lager in Deutschland eröffnet. Er ist in der Gewerkschaft ver.di engagiert als Vertrauensmann, in der Tarifkommission und im Betriebsrat, und aktiv bei Organisieren – Kämpfen – Gewinnen, ein Projekt, das zur Vernetzung von Aktivistinnen und Aktivisten in den Betrieben und Gewerkschaften beitragen möchte, um eine starke Stimme für eine bewegungsorientierte Gewerkschaftspolitik zu schaffen. Christian hat am Anderen Davos 2019 in Zürich über die Arbeitskämpfe bei Amazon gesprochen. Wir veröffentlichen hier seine Intervention. (Red.)

von Christian K.


hier gibt es den Workshop mit Christian am Anderen Davos 2019 zum Nachhören:


Amazon international und in Deutschland

Zuerst Allgemeines zu Amazon: Amazon ist laut eigenen Angaben der weltgrösste online-Versandhändler. Doch schon diese Information muss relativiert werden, weil es in China viel grössere online-Versandhändler gibt. Ausserhalb Chinas jedoch trifft dies auf jeden Fall zu. Interessant ist dabei aber, dass Amazon nicht nur in dieser Sparte tätig ist, sondern mittlerweile in vielen anderen Bereichen auch, beispielsweise im Cloud Service, also der Bereitstellung von Rechen- und Speicherkapazität, wo unter anderem auch die US-Regierung und Geheimdienste ihre Daten auf deren Servern speichern. Dann ist Amazon auch ins Streaming-Geschäft eingestiegen. Filme und Musik können über die Amazon Streaming-Dienste bezogen werden, beziehungsweise Amazon produziert sogar seine eigenen Filme. Amazon macht den Buchverlagen Konkurrenz und löst sie nach und nach ab, indem sie eigene ebooks rausbringen. Amazon ist auch in das Robotics-Geschäft eingestiegen, sie haben eine Roboterfirma aufgekauft, die moderne Technologie erfindet und herstellt, um Lager zu betreiben. Sie betreiben electronic payment, also eine Art Bank, durch die man elektorinisch zahlen kann. Es gibt mittlerweile sogar eine eigene Amazon-Währung. Und Amazon zielt darauf ab, den Logistiksektor zu erobern, und dies nicht nur für das eigene Geschäft, sondern es geht darum, die Postdienste mit eigenen LKW-Flotten und eigenen Fluglinien abzulösen.

Was man sonst noch so hört von Jeff Bezos (CEO) – sie fantasieren in den USA ziemlich viel rum, auch wenn man nicht genau weiss, was davon umgesetzt wird – ist die Gründung von Krankenkassen, zunächst für die eigenen Beschäftigten, was fatal wäre. Und das eigentlich gefährliche ist an Amazon meiner Meinung nach, dass sie eine Unmenge an Daten über zig Millionen von Menschen weltweit sammeln. Das klingt zuerst mal harmlos, aber Amazon kann Zusammenhänge herstellen über data mining, über Menschen und Menschengruppen. Daraus kann Amazon Informationen über uns und über eine Masse an Menschen ziehen, Informationen, die wir selber von uns gar nicht kennen.

Arbeiter*innen in Leipzig begrüssen den Arbeitskampf in Werne, 2009

Werfen wir einen Blick auf Amazon in Deutschland. Deutschland stellt den zweitgrössten Markt für Amazon dar nach den USA. Der jährliche Umsatz beträgt rund 15 Milliarden Euro und Amazon wächst jährlich bis zu 30 Prozent. Dieses Wachstumsziel wird intern bei uns ziemlich aggressiv propagiert.

Amazon betreibt in Deutschland zehn bis zwölf grosse Lager. Die Zahl ist nicht so genau, weil sich im Moment sehr viel bewegt, fast wöchentlich ist Amazon in den Zeitungen und kündigt die Eröffnung neuer Lager an. Tatsächlich sind mittlerweile auch zwei davon von Robotern betrieben. In den Lagern arbeiten im Durchschnitt 2000 bis 4000 Kolleginnen und Kollegen. Um die Nachfrage des deutschen Marktes zu bedienen, betreibt Amazon weitere Lager in Polen und Tschechien, die noch viel grösser sind. So werden rund 55% der deutschen Nachfrage aus Polen bedient.

Wie in den herkömmlichen Lagern, gehören zu unseren Tätigkeiten: die Warenannahme; die Warenerfassung in die Datenbank des Systems; Wareneinlagerung, also die Lagerung der Waren an bestimmte Orte. Es handelt sich hierbei um ein chaotisches Lagerhaltungssystem, wir können also mehr oder weniger selbst entscheiden, in welches Regal wir die Ware stellen und entsprechend das Fach abscannen. Bei Amazon werden die Waren also nicht nach Produktgruppen geordnet. Schliesslich haben wir noch die Kommissionierung, das sogenannte Picken: Wenn eine Bestellungen reinkommen, holen wir die entsprechenden Waren aus den Regalen und packen sie in die bekannten Amazon Kartons ein.

Rund herum gibt es natürlich noch die Support-Tätigkeiten: die Personalabteilung, die Technikabteilung, die IT, die Inventur und die Qualitätsabteilung.

Zu den Arbeitsbedingungen bei Amazon

Die Presse hat schon sehr viel über die Arbeitsbedingungen bei Amazon in Deutschland berichtet. Ich selber habe 2009 bei Amazon begonnen zu arbeiten. Damals lag der Einstiegslohn bei 8.50 Euro. Das gehörte nach OECD-Messungen zum Niedriglohnbereich. Tatsächlich gab es seit 2006 keine Lohnerhöhungen mehr, auch wenn die Inflation in dieser Periode bei 10 Prozent lag.

Rund 80 Prozent der Kolleginnen und Kollegen waren damals nur befristet beschäftigt. Es handelte sich dabei um kurze Befristungen, die sich über einen längeren Zeitraum von bis zu zwei Jahren ausdehnten. Jeweils am letzten Arbeitstag nach der letzten Schicht wurde mitgeteilt, ob der Beschäftigte eine Festanstellung erhalten würde oder gehen musste. Die Arbeiter wurden mit weiteren 500 Kolleginnen und Kollegen in einen Raum gerufen, und dort wurde die Entscheidung kommuniziert.

Auch herrschte damals ein hoher Leistungsdruck bei Amazon. Das lag zum einen daran, dass die Arbeitsverhältnisse befristet waren und erwartet wurde, dass man in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl an Waren pro Stunden schaffe. Zum anderen wird man stark kontrolliert, da wir ja mit dem Computer und Scanner arbeiten, die in Echtzeit unseren Arbeitsrhythmus auswerten. So weiss Amazon in Seattle oder sonst wo auf der Welt, wer wie viel arbeitet, was wiederum Druck auf die Arbeitenden erzeugt. Wir haben zwar keine Akkordverträge, denn diese sind im deutschem Recht verboten. Die Befristung suggeriert jedoch, dass du einen bestimmten Rhythmus haben musst, willst du nicht entlassen werden. In anderen Ländern, wo die Rechte nicht so ausgeprägt sind wie in Deutschland, da gibt es tatsächlich auch noch Akkordverträge. Die polnischen Kolleginnen und Kollegen haben uns zum Beispiel erklärt, dass sie entlassen werden, wenn sie vier Mal die vorgegebene Zahl nicht erreichen.

Zudem herrscht eine sehr hohe Fluktuation bei Amazon. In unserem Standort arbeiten zurzeit 3500 Arbeiterinnen und Arbeiter, seit der Eröffnung des Lagers sind aber insgesamt schon 18.000 Leute beschäftigt gewesen.

Damals gab es auch noch keine ergonomischen Arbeitsplätze. Die Arbeitsorganisation von Amazon folge dem Prinzip des standard work: Weltweit und in jedem Lager sollten die Arbeitsplätze genau gleich aussehen, unabhängig von den Unterschieden in Grösse, Alter etc. der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Das ist auch eine Erklärung dafür, warum in den USA die Leute nicht länger als zwei Jahre bei Amazon arbeiten. In Deutschland hingegen kenne ich Kolleginnen und Kollegen, die jetzt schon seit 20 Jahren bei Amazon tätig sind. Eine solch monotone Tätigkeit, bei der auch der Kopf im Endeffekt ausgeschaltet ist, macht sich über all die Jahre bemerkbar. So sagen auch viele, dass man beim Einstempeln den Verstand an der Stempeluhr abgibt. Und die Unternehmensführung hat noch nie irgendein Gesundheitsmanagement entwickelt.

Auch die Raumorganisation ist für die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter nichts Gutes. In den Hallen, die sich über vier Fussballfelder erstrecken, sind die begehbaren Regalsysteme über vier Stockwerke eingebaut. Diese werden auch peak tower bezeichnet. Nur ist die Lagerhalle dafür nicht eingerichtet, denn das Regalsystem wurde nachträglich in die Lager eingebaut. Die Lagerräume sind beispielsweise nicht isoliert, wenn man dann im Sommer auf der obersten Ebene arbeitet, wird es brütend heiss, so dass die Leute reihenweise umkippen. Der Krankenwagen war eine Zeit lang auch täglich vor Ort.

Diese Arbeitssituation hat zu einer äusserst hohen Krankenquote geführt. Befristet Beschäftigte wurden offiziell weniger krank, das bedeutete aber, dass sie einfach entsprechend krank zur Arbeit kamen, weil von Amazon suggeriert wurde, dass bei Krankheit der Vertrag nicht verlängert wurde. Das gilt auch heute noch als Kriterium für die Vertragsverlängerung. Die Krankenquote lag zwischen 20 und 30 Prozent, in einzelnen Abteilungen sogar bei über 30 Prozent. In Deutschland liegt der Durchschnitt im Logistikbereich hingegen bei 5 Prozent. Und auch diese Quote wird auch schon als zu hoch kritisiert.

Wenn Kolleginnen und Kollegen von ihrer Arbeit erzählen, dann sagen sie auch, dass die Arbeiter im Endeffekte keine eigenständigen Entscheidungen treffen, sondern im Arbeitsprozess nur eine Lücke gefüllt wird, die keine Maschine füllen kann. In den Amazon-Lagern sind wir also nur Teil einer Maschinerie und führen nur das aus, was uns der Computer im Endeffekt befiehlt.

Zur Führungskultur bei Amazon

Die Leute, die früher bei Amazon gearbeitet haben, kannten damals ihre Rechte nicht. Wir hatten zwar einen Betriebsrat, der war aber weitgehend ignoriert und isoliert und wurde nicht aufgesucht von den Kolleginnen und Kollegen. Er hatte aber auch aufgrund der Rhetorik der Manager einen sehr kleinen Einfluss im Betrieb.

Es gibt sogenannte all hands bei Amazon. Dabei handelt es sich um eine Versammlung, an der alle Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen sitzen und der Chef erzählt von einer success story; oder davon, dass Jeff Bezos wieder 20 Milliarden mehr erwirtschaftet hat und die Aktien gestiegen sind.

Solche Momente haben wir jeweils hingenommen und viele Leute glaubten tatsächlich daran und applaudierten, weil die Geschichten so überzeugend präsentiert wurden. Ich kam damals aus einem anderen Betrieb, in dem Arbeitskämpfe auch an der Tagesordnung waren und erlebte eine solche erste Veranstaltung. Wir sassen alle auf Bierzeltbänken und der Chef hat unter anderem gesagt, dieses Jahr gäbe es zum siebten Jahr in Folge keine Lohnerhöhung. Aber irgendwo in den USA hätte ein neues Roboterlager aufgemacht und das sei ein grosser Fortschritt für uns alle. Tatsächlich stellten sich alle auf die Bänke und applaudierten. Und auch während den Versammlungen des Betriebsrates wurden keine Fragen gestellt von den Kolleginnen und Kollegen, alles schien sehr harmonisch zu funktionieren.


Hier geht es zum zweiten Teil des Artikels.

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2 Kommentare

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