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Deutschland: Organisieren und Kämpfen bei Amazon (Teil 2)

Christian K. arbeitet seit 10 Jahren als Amazon-Lagerarbeiter in Bad Hersfeld in Hessen. Dort wurde das erste Amazon-Lager in Deutschland eröffnet. Er ist in der Gewerkschaft ver.di engagiert als Vertrauensmann, in der Tarifkommission und im Betriebsrat, und aktiv bei Organisieren – Kämpfen – Gewinnen, ein Projekt, das zur Vernetzung von Aktivistinnen und Aktivisten in den Betrieben und Gewerkschaften beitragen möchte, um eine starke Stimme für eine bewegungsorientierte Gewerkschaftspolitik zu schaffen. Christian hat am Anderen Davos 2019 in Zürich über die Arbeitskämpfe bei Amazon gesprochen. Wir veröffentlichen hier seine Intervention.

von Christian K.

 Hier geht es zum ersten Teil.

Die Wende

Mit der vorgeblichen Harmonie ging es weiter bis in die Jahre 2010 und 2011. Bis 2006 gab es noch minimale Lohnerhöhungen von jährlich 0.5 Prozent. Seither gab es aber nichts mehr und auch in jenem Jahr blieb die Lohnerhöhung aus, obwohl Amazon ein Wachstum von rund 50 Prozent aufwies. Die Stimmung war also relativ schlecht und es begann sich ein Unmut breit zu machen.

In jener Zeit begann die Gewerkschaft ver.di ein organizing-Projekt. Ver.di war in der Region schon in einem anderen Betrieb anwesend, in dem die Belegschaft auch schon organisiert war und für einen Tarifvertrag gestreikt hatte. Die Gewerkschaft betrachtete Amazon immer als ein gewerkschaftliches Niemandsland, doch einige Sekretäre wagten den Schritt und kamen mal an eine Betriebsversammlung. Sie erzählten uns vom Tarifvertrag, aber niemand verstand dabei etwas. Die Gewerkschafter kamen bei der Belegschaft nicht gut an, sie wurden als Externe angesehen. Niemand hatte gewerkschaftliche Erfahrungen und die Enttäuschung von der Politik war gross. Darum waren die Kolleginnen und Kollegen dann auch eher skeptisch.

Die Gewerkschaftsleute blieben aber hartnäckig, sind zu den Betriebsversammlungen gekommen und haben viel Ablehnung hingenommen. Einer hat dann an einer Betriebsversammlung folgendes gesagt: „Wir kennen eure Probleme nicht und wir haben auch keine Lösung dafür. Aber wir wissen, dass ihr Probleme habt und wir haben einen Raum und eine Kiste Bier. Wenn ihr darüber sprechen wollt, dann könnt ihr euch da treffen.“

Wir wissen ja, Bier kommt immer gut an, und so haben wir begonnen, regelmässige Treffen zu organisieren. Schnell wurde uns klar, dass unsere individuellen Probleme eigentlich von fast allen Kolleginnen und Kollegen geteilt wurden. Das muss man zuerst mal verstehen. 

Organisierung klingt zuerst einmal ja ganz leicht: Wenn man keine Lohnerhöhung bekommt, dann muss man sich organisieren. Aber wenn man in solchen Situation steckt, dann scheinen diese ganzen Probleme selbstverschuldet zu sein. Das vorherrschende Wirtschaftsmodell redet uns das täglich ein. Die Politik, die Presse, alle sagen uns: „Wenn du krank wirst, dann bist du selber Schuld. Wenn dein Lohn zu niedrig ist, dann ist es deine Schuld, warum warst du dann nicht an der Uni? Warum hast du nichts für deine Karriere getan?“

Es handelte sich also zuerst einmal um einen Selbstfindungsprozess, den wir untereinander hatten. Wir haben dann sehr schnell identifiziert, dass kollektive Probleme vorliegen, die lösbar sind, wenn wir uns irgendwie zusammentun. Mit dieser Erkenntnis sind wir also in den Betrieb rein und haben angefangen, uns untereinander darüber zu unterhalten. Angefangen hat das in der Kantine. Und wenn zwei, drei darüber reden, bekommen in einer Kantine noch zehn weitere Leute die Diskussion mit. Das ging dann ganz schnell, die Leute haben sich eingemischt. 

Anfänglich wurden nicht die grossen Probleme wie Lohn oder Tarifvertrag thematisiert, sondern es ging um das Raumklima und ähnliches. Durch diese Diskussionen begannen sich die Kolleginnen und Kollegen für die Gewerkschaft zu interessieren. Die Treffen wurden grösser und wir fingen an, eigene Flugblätter zu schreiben. Wir wollten keine vorformulierten Texte auf teurem Papier drucken, sondern wir wollten alles selber machen, auch wenn das Resultat nicht ganz so gut war. Das kam bei den anderen Kolleginnen und Kollegen gut an und wir hatten innerhalb kürzester Zeit eine relativ hohe Zahl an Gewerkschaftsbeitritten: In wenigen Monaten sind wir von 70 Altmitgliedern und 15 Aktiven auf über 400 Mitglieder angewachsen. 

Die basisdemokratische Organisationsform

Für uns war seit Beginn an wichtig, uns basisdemokratisch zu organisieren. Das war auch die Einstellung unserer organizer, denn sie sagten uns immer: „Wir machen nichts für euch, wir sind nur die Sekretäre. Wir schreiben die Protokolle oder stellen Geld zur Verfügung. Aber alles andere müsst ihr selbst machen.“ Das hat dann auch relativ gut geklappt.

Unser Ansatz hat auch viele angezogen, weil eben nicht irgendjemand von aussen kommt und für die Kolleginnen und Kollegen machen, sondern alles von uns selber getragen wurde. So haben wir dann auch erste Aktionen im Betrieb organisiert. Beispielsweise haben wir überall Klebezettelchen mit Fragen zum Betriebsalltag geklebt. So konnte alle sehen, dass für alle die gleichen Probleme vorherrschen im Betrieb. Das führte dann auch dazu, dass wir immer mehr Mitglieder wurden.

Dann haben wir begonnen, in der betrieblichen Öffentlichkeit Fragen an die Betriebsleitung zu stellen. Zuerst ging es um das Thema Befristung. Wir wollten von der Betriebsleitung wissen, wie viele Leute im Betrieb mit einem befristeten Vertrag arbeiten. So waren wir fähig, die Betriebsleitung in den Öffentlichkeit des Betriebs immer mehr in die Ecke zu drängen. Gleichzeitig war das ein Beweis dafür, das man keine Angst haben muss vor einer fristlosen Entlassung, wenn man Fragen stellt. Denn das wurde uns im Betrieb vermittelt: „Wer Fragen stellt, ist am nächsten Tag weg.“ Mit unseren Aktionen konnten wir immer mehr Leute dazu ermutigen, aus ihrem Schneckenhaus zu kommen.

Der Versuch der Vereinnahmung und die Urabstimmung

Wir konnten mit unseren Aktionen also über unsere Rechte im Betrieb informieren. Die Betriebsleitung hat aber sofort reagiert und versucht, die Leute dazu zu bringen, nicht an unsere Treffen zu kommen oder über den Betriebsrat die Probleme zu deponieren, sondern im direkten, individuellen Kontakt zwischen Arbeiter*in und Betriebsleitung. Doch die Betriebsleitung löste die Probleme nicht, vor allem das Lohnproblem nicht. Und so scheiterte ihr Versuch, den Konflikt zu dämpfen. Der Druck von der organisierten Belegschaft wurde immer grösser, denn die Kolleginnen und Kollegen wollten nach beim Beitritt zur Gewerkschaft endlich erste Resultate sehen. 

Und so kam es dazu, dass wir eine Urabstimmung organisierten. Wir hatten zuvor die Betriebsleitung aufgefordert, Tarifverhandlungen mit uns aufzunehmen, weil wir gemerkt hatten, dass mit einem Tarifvertrag gewisse Leistungen vertraglich garantiert wären. Ohne eine solche Regelung kann uns heute Amazon was geben und morgen wieder wegblasen. An der Urabstimmung haben sich dann über 90 Prozent für einen Streik ausgesprochen. Wir haben als Vorbereitung auf die Urabstimmung die komplette Belegschaft über den Inhalt eines solchen Tarifvertrags informiert.

Die ersten Streiks

So ist es also zu den Streiks gekommen, die auch basisdemokratisch organisiert waren. Zu Beginn gab uns die Gewerkschaft ver.di Streikdaten und Streikinhalte vor. Das hat uns aber nie gepasst, darum sind wir in die interne Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft gegangen und haben unsere Position vertreten: Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir die Streiks selber organisieren, das heisst selber entscheiden können, wann und wie oft wir streiken und was wir während des Streiks machen.

Die Auseinandersetzung mit ver.di dauerte einige Wochen, bis die Sekretäre als auch die bundesweiten Verantwortlichen einsehen mussten, dass sie selber nicht wussten, wie die Streiks bei Amazon organisiert werden können.

Am Anfang war dann unsere Idee, dass wir mit den Streiks keinen direkten wirtschaftlichen Schaden ausrichten sollten. Es ging vielmehr darum, Zeit zu gewinnen, um uns noch besser zu organisieren. Wir nutzten die Streiks, um Organisationstreffen abzuhalten, Diskussionen zu führen, Aktionen zu planen und weiter zu wachsen. 

Uns war auch gleich von Anfang an klar, dass wir nicht an einem einzelnen Standort gegen den Riesen Amazon Erfolg haben können. So haben wir begonnen, uns mit den anderen Standorten zu vernetzen, wo die Entwicklung sehr ähnlich war wie bei uns.

Als die Streiks losgingen, wurde unter den Kolleginnen und Kollegen auch sehr schnell klar, dass wir nicht nur betriebliche Probleme hatten, sondern auch politische. Da ist die Idee entstanden, nicht nur in unserer kleinen Streikbewegung zu bleiben, sondern uns auch mit anderen sozialen Bewegungen zu vernetzen. Seit Beginn an schliessen wir niemanden aus, sondern arbeiten mit allen Gruppen zusammen, die was bewegen wollen. Wir laden alle ein und fahren überall hin.

Die politische Vernetzung

Bei der EZB-Eröffnung in Frankfurt im 2015 war für uns beispielsweise ganz wichtig, bei Amazon zu streiken, weil das Arbeitsvolumen sehr gross war. So konnten wir mit unserer Gruppe zu den Demos hinfahren. Wir haben uns im Vorfeld natürlich mit der Blockupy-Bewegung vernetzt, wir haben sie zu uns eingeladen, sie hatten bei uns auch schon geholfen, die Tore zu blockieren. Und so versuchen wir eigentlich mit allen zusammenzuarbeiten.

Wir haben dann auch mit der internationalen Vernetzung begonnen, denn in Frankreich und Spanien gibt es Amazon schon länger und in Polen gab es die ersten Lagereröffnungen. Das begann alles damit, dass wir von einem Streik bei Amazon in Frankreich hörten. Wir haben uns ins Auto gesetzt und sind hingefahren, haben mit den französischen Kolleginnen und Kollegen diskutiert. Die Gewerkschaft ist kurz danach auch auf den Zug aufgesprungen und mittlerweile haben wir zwei jährliche internationale Treffen: Eines wird über die offiziellen Gewerkschaften organisiert, dort treffen sich vor allem Sekretäre; das andere ist ein selbstorganisiertes Treffen, an dem Kolleginnen und Kollegen aus Polen, Spanien und so weiter teilnehmen.


Hier geht es zum dritten Teil des Berichts.

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2 Kommentare

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