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Viele sehen den Streik als Startpunkt und nicht als Ende der Mobilisierung

Der Frauenstreik in der Schweiz vom 14. Juni 1991 erregte weltweite Aufmerksamkeit. Die Losung hieß: «Frauen Basta, niente Pasta!» Das Beispiel fand 1994 Nachahmung in Deutschland. Und auch dieses Jahr wächst das Interesse am Schweizer Frauen*streik über die Landesgrenzen hinaus. Die Sozialistische Zeitung aus Deutschland führte das nachstehende Interview mit der Aktivistin Hannah aus der Schweiz. Hannah ist aktiv im Zürcher Frauen*streik-Kollektiv und Mitglied der Bewegung für den Sozialismus (BFS).

von Ute Abraham; aus sozonline.de

Fast 30 Jahre nach eurem großen Frauenstreik im Juni 1991 ruft ihr erneut zu einem solchen auf. Was hat euch dazu bewogen?

Seit 2016 können wir weltweit eine erstarkende feministische Bewegung beobachten. So war auch in der Schweiz die #MeToo-Debatte ein Anstoß zu öffentlichen Diskussionen und viele schauten gespannt auf die Streiks und Demonstrationen in Argentinien (#NiUnaMenos), den USA (#WomensMarch) und dem Spanischen Staat. Diese weltweiten Proteste führten zum einen zu Ablegern in der Schweiz wie dem Women’s March 2017 in Zürich, zum anderen zu einer Politisierung vieler junger Frauen.
Die Idee zu einem zweiten Frauen*streik kam dann aber vom Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB). Die noch immer anhaltende Lohnungleichheit von 20 Prozent sowie die ungleiche Verteilung der Hausarbeit waren die Hauptgründe für den Aufruf zum Streik.

Die Idee wurde in der Westschweiz sehr schnell aufgenommen. Ein überregionales Westschweizer Kollektiv hat ein Manifest geschrieben, das neben der Abschaffung des Lohnunterschieds auf viele weitere Punkte der Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen eingeht: Es behandelt Migration, Ökologie, Körper und Sexualität, Räume und Öffentlichkeit und vieles mehr. Ausgehend von diesen Arbeiten und der Gründung von Kollektiven in der Westschweiz wurden sehr bald auch in der restlichen Schweiz Streikkollektive gegründet.

Bei einer Arbeitsniederlegung spielen die Gewerkschaften eine wichtige Rolle. In Deutschland haben sie weder 1994 noch am Frauen*streiktag 8.März 2019 zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Wie sieht das in der Schweiz aus?

Das kommt sehr auf die Gewerkschaft an. Der SGB hat beschlossen, den Frauen*streik zu unterstützen, ruft aber nicht konkret zu Arbeitsniederlegung auf. Es gibt bei den einzelnen Gewerkschaften unterschiedliche Positionen: Während die Syna meint, der Streik sei nicht legal, die Frauen sollten die Arbeitgeber bitten, ihnen an diesem Tag frei zu geben, sagt die Unia, Frauen seien streikberechtigt, und der VPOD in Zürich ruft zu ein-, zwei-, dreistündigen, halbtägigen oder ganztägigen Streiks auf. Klar ist allen: Je mehr Frauen es sind, desto weniger haben wir zu befürchten.

Der DGB und seine Einzelgewerkschaften sagen, ein Streikaufruf sei illegal. Werden solche Argumente auch in der Schweiz aufgebracht und wie verhalten sich die Arbeitgeberverbände?

Wir haben in der Schweiz eigentlich ein Streikrecht. Es gibt aber ebenso eine Friedenspflicht, solang ein Betrieb dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellt ist. Das Streikrecht wurde bislang so ausgelegt, dass ein Streik sich mit konkreten Arbeitsforderungen gegen einen konkreten Arbeitgeber richten musste. Der VPOD vertritt aber den Standpunkt, dass die Forderungen konkret genug seien, um legal zu streiken. Somit kommt es auf die Branche und den Betrieb und auf die juristische Auslegung an, ob Frauen am Arbeitsplatz legal streiken können. Der Arbeitgeberverband spricht sich natürlich gegen den Streik aus und es kommen auch schon Drohungen: Die SVP-Vizepräsidentin und Chefin des Chemieunternehmens EMS, Martullo-Blocher, hat angekündigt, Frauen zu entlassen, die am 14.Juni streiken.

Wie habt ihr euch organisiert? Von einer feministischen Bewegung konnte ja lange Zeit nicht mehr gesprochen werden. Und welche Organisationen nehmen am Frauenstreik teil?

Mittlerweile gibt es in fast allen Kantonen Streikkollektive, in manchen sogar mehrere, sie funktionieren alle etwas unterschiedlich. Ich selber bin in Zürich aktiv, wo wir mit einer AG-Struktur arbeiten. Das heißt, es gibt das Zürcher Kollektiv, das sich einmal im Monat versammelt und wichtige Entscheidungen trifft (Manifestinhalte, Tagesablauf, gemeinsame Auftritte etc.), und dann haben wir verschiedenste Arbeitsgruppen, die mehr oder weniger ans Kollektiv gebunden sind. Diese AGs haben sich entweder berufsspezifisch (Betreuungsgruppe, Hochschulkollektiv etc.) oder themen- und aufgabenspezifisch (Manifestgruppe, internationalistisches Treffen etc.) gebildet und sind weitgehend autonom, tragen aber die Informationen und Ideen ins Kollektiv.

Auf der schweizweiten Ebene läuft vieles übers Netz. So haben wir eine schweizweite Webseite (frauenstreik2019.ch), wo versucht wird, alle Informationen zu sammeln. Es gibt eine nationale Koordination, die jedoch für die Ausgestaltung des Streiktags an den jeweiligen Orten nicht viel zu sagen hat. Am 10.März wurde auf einer schweizweiten Versammlung, an der über 500 Frauen teilnahmen, ein gemeinsamer Streikaufruf verabschiedet und die zwei fixen Zeitpunkte 11 Uhr und 15.25 Uhr bestimmt.

Was die unterstützenden Organisationen angeht, so ist der Streik sehr breit aufgestellt: Von Einzelfrauen, politischen Organisationen, Parteien über Gewerkschaften, Berufsverbände bis zu Kirchengemeinden und Frauenhäuser sind alle dabei. Bürgerliche und rechte Frauen, aus der SVP wie auch der FDP, sind nicht dabei, was lediglich aufzeigt, dass wir die richtigen Forderungen stellen und uns pseudofeministischen Standpunkte kein bisschen annähern werden.

Vereinigen sich alle Beteiligten unter einen gemeinsamen Streikaufruf oder gibt es jeweils spezifische Forderungen?

Auf der vorhin erwähnten schweizweiten Versammlung wurde ein gemeinsamer Streikaufruf verabschiedet. Dieser umfasst Armut, Lohnunterschiede, Care-Arbeit, Rassismus, Ökologie und Gewalt und benennt das kapitalistische System als eines der Hauptursachen für die Ungleichheit. Es ist somit als schweizweiter Appell relativ stark! In Zürich und in anderen Kollektiven gibt es trotzdem auch eigene Manifeste und Forderungen, was die Vielfalt der Bewegung nur bestärkt.

Die große Herausforderung eines feministischen Streiks ist, dass er über den Arbeitsplatz hinausgehen muss. Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, von Kinderbetreuung über Kranken- und Altenpflege, Haushalt oder der Platz von Frauen im öffentlichen Raum sollen sichtbar gemacht werden. Was habt ihr dazu geplant?

Es ist tatsächlich eine Herausforderung, Arbeit, die – um sie besser ausbeuten zu können – unsichtbar gemacht wurde und wird, sichtbar zu machen! Es sind verschiedenste Ideen aufgekommen und viele Aktionen in Planung. So wird z.B. dazu aufgerufen, Besen vor die Haustür zu stellen oder Pfannen und Laken aus den Fenstern zu hängen, um auf den Streik in der Hausarbeit aufmerksam zu machen. Auf die Unsichtbarkeit im öffentlichen Raum wurde schon mit Ideen wie dem Ändern von Straßennamen oder dem Verschönern von Statuen aufmerksam gemacht, und ich kann mir vorstellen, dass sich solche Aktionen auch am Streiktrag wiederholen werden.

Es wird außerdem auch dazu aufgerufen, nichts einzukaufen, also einen Konsumstreik durchzuführen. Zum einen, um auch auf die Rolle der Frau als Versorgungsverantwortliche für die Familie aufmerksam zu machen, zum anderen, um neben dem Streik in den Betrieben auf eine weitere Art die kapitalistische Wirtschaft anzugreifen. Es wird auch von Männern organisierte Kinderbetreuung geben, die ebenfalls rege genützt werden sollte, um sich der Betreuungsarbeit zu verweigern. Und außerdem werden wir so viele sein, dass man uns eh nicht übersehen kann!

Und die Männer?

An vielen Orten gibt es solidarische Männerkollektive, die den Frauen*­streik mit Kinderbetreuung, Essen und Berichterstattung unterstützen. Sie helfen uns schon bei den Vorbereitungen, indem sie bspw. die Kinderbetreuung während der Sitzungen oder die Übersetzung von Protokollen, Einladungen und Aufrufen übernehmen. An anderen Orten machen Männer auch in den Kollektiven mit und sind Teil der Planung.

Ich persönlich finde es am sinnvollsten, wenn sich Männer in solidarischen Kollektiven treffen und die Streikkollektive unterstützen, wo sie können. Sie sollten sich aber meiner Meinung nach nicht in die Planung von Aktionen und Streiks einmischen, denn es geht ja darum, dass Frauen sich selbst ermächtigen und ihre spezifische Unterdrückung benennen und aufzeigen können. An den Orten, wo sie am Streiktag dabei sind, sollen sich Männer jedenfalls nicht in den Vordergrund drängen, denn es geht an diesem Tag nicht um sie. Wichtig ist auf jeden Fall, dass sie sich auch untereinander kritisch mit ihren Geschlechterrollen auseinandersetzen. Denn schlussendlich wollen wir eine Welt ohne Rollendenken, und da gehören alle dazu.

Gibt es bereits Diskussionen darüber, wie es nach dem Streiktag weitergehen soll?

Ja, es gibt dazu Diskussionen und auch schon Daten für Vernetzungstreffen nach dem Streik. So wie ich das mitbekomme, finden es viele Frauen unheimlich wichtig, die Vernetzung über den Streiktag hinaus beizubehalten. Viele sehen den Streik als Startpunkt und nicht als Ende der Mobilisierung. Wie diese Bewegung weitergehen wird, welche Strukturen und Formen sie annehmen wird, das wird sich zeigen. Es sieht aber so aus, als werde das nicht der letzte Streik gewesen sein. Ich hoffe nur, dass die kommenden Streiks – im Sinne einer internationalen Perspektive – am 8. März stattfinden werden.

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