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Iran: Die Arbeiter*innenklasse unter einer Flut des Elends

Am 1. Mai 2019 versammelten sich Hunderte von Arbeiter*innen, Student*innen und Pensionierte vor dem Parlament in Teheran, der Hauptstadt des Irans. Die Polizei ging gewaltsam gegen sie vor; Dutzende wurden zusammengeschlagen und mindestens 40 Männer und Frauen festgenommen. Am 2. Mai protestierten die Lehrer*innen in verschiedenen Städten vor den Bildungsämtern. Die Polizei hat drei von ihnen bei diesen Protesten festgenommen. Diese Repression ist Ausdruck der tiefen Krise des iranischen Regimes.

von Nima Pour Jakub*

Die Lebenssituation der Arbeiter*innen hat sich gegenüber dem letzten Jahr verschlechtert, die Regierung hat die Repression gegen die unabhängigen Gewerkschaften verschärft und die Hochwasser von diesem Frühjahr haben die Lebensgrundlagen vieler Arbeiter*innen vollkommen zerstört. Im vergangenen Jahr betrug die Inflation 26.9%, der Wert der Landeswährung ist um mindestens 100% gefallen und die Arbeitslosigkeit liegt bei 12.1%.

Nach den Angaben des Statistischen Amtes des Irans waren im vergangenen Jahr 3.26 Millionen Personen arbeitslos; 38.5% davon sind Menschen mit Universitätsabschluss, 1.4% über dem Wert vom vergangenen Jahr. 26.1% dieser universitär Ausgebildeten sind Männer – 1.7% mehr als letztes Jahr – und 63.9% davon sind Frauen – 1.6% mehr als letztes Jahr. Zudem haben viele Arbeiter*innen auch ihre Arbeitsplätze verloren. So wurden beispielsweise 300’000 der 800’000 Arbeiter und Arbeiterinnen der Fabriken für Autoteile vergangenes Jahr aus ihrem Job geworfen.

Hossein Raghfar, ein regierungsnaher Ökonomieprofessor der Teheraner Universität, hat die absolute Armutsgrenze für eine 4-köpfige Familie in Teheran auf 95 Dollar im Monat geschätzt. Er sagte auch, dass 33% der Iraner*innen mit weniger auskommen müssten. Trotzdem beträgt der Durchschnittslohn lediglich 26.36 Dollar im Monat. Nach den Angaben von Herrn Raghfar leben 6% der Bevölkerung, d.h. 5 Millionen, unterhalb der Armutsgrenze und ihr Einkommen reicht nicht aus für eine ausreichende Ernährung.

Aber viele Arbeiter*innen bekommen nicht einmal diesen mickrigen Lohn. Viele Arbeiter*innen im Iran erhielten während zweier Monate bis zu einem Jahr überhaupt keinen Lohn. Hassan Sadeghi, der Vorsitzende einer regimehörigen Gewerkschaft, sagte, dass 97’300 Arbeiter*innen von 400 Firmen unter Lohnausständen leiden würden. Nach den staatlichen Angaben arbeiten 85% der Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Basis von Einzelaufträgen und werden nicht eingestellt.

Zudem ist der Arbeitsmarkt im Iran sehr frauenfeindlich. Im letzten Bericht des Weltwirtschaftsforums vom Jahr 2018 über die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen rangiert der Iran von 149 Ländern gerademal hinten auf Platz 142. Nach diesem Bericht kommen im Iran auf 100 arbeitslose Männer 230 arbeitslose Frauen.

Im Iran ist die Korruption weit verbreitet und tief verankert. Im letzten Bericht von Transparency International über Korruption, ihre Verbreitung und die Massnahmen dagegen war der Iran im Jahr 2018 das 138. Land unter 180 Ländern.

Die Proteste der Arbeiter*innen und die staatliche Repression

Die Arbeiter*innen im Iran weiteten ihre Proteste vergangenes Jahr noch stärker aus. Es kam zu vier landesweiten Streikwellen der LKW-Fahrer und Fahrerinnen, die Lehrer*innen kämpften während 3 zweitägigen nationalen Streiks, die Arbeiter und Arbeiterinnen der Haft-Tappeh Rohrzucker-Fabrik in Schusch und der Stahlfabrik in Ahwaz im Süden des Landes demonstrierten über mehr als einen Monat in ihren Städten. Dies sind nur einige Beispiele aus Hunderten von Protesten von Arbeiter*innen im vergangenen Jahr.

Wenn diese Arbeiter*innen versuchen, ihre eigenen unabhängigen Gewerkschaften zu bilden, so werden sie unter Anklagen wie «Aktion gegen die nationale Sicherheit» festgenommen und eingekerkert.

So wurde im August 2018 Mohammad Habibi, ein Lehrer, wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten verhaftet und auf zehn Jahre Gefängnis verurteilt. Im September 2018 wurden 6 weitere Lehrer*innen wegen ihren friedlichen Aktivitäten für höhere Löhne ausgepeitscht und mit Gefängnis bestraft. 12 weitere Lehrer*innen wurden im Oktober und November festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Sie hatten kein Recht, sich einen Anwalt zu nehmen, oder Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Nach den Protesten der Arbeiter*innen der Rohrzuckerfabrik in Schusch wurden 18 von ihnen festgenommen. Esmail Bakhshi ist einer unter ihnen, der nach 4 Monaten immer noch in Untersuchungshaft sitzt. Die juristischen und geheimdienstlichen Behörden der Provinz Khuzestan haben 40 Arbeiter der Ahwaz Stahlfabrik festgenommen. Die Islamische Republik ist die Quelle der Armut und der schlechten Lebenssituation der Arbeiter*innen und gleichzeitig reagiert sie auf jeden Protest mit Gewalt und Repression.

Das Hochwasser reisst das Leben der Arbeiter*innen mit!

Während die Arbeiter*innen im Iran mit einer schwierigen Lebenssituation kämpfen müssen, haben die Überflutungen seit dem Beginn des Frühlings Zehntausende von Häusern zerstört und in vielen Städten und Dörfern nur Schlamm und zerstörte Böden hinterlassen. Die Provinz Lorestan gehört zu jenen Regionen, die am schlimmsten vom Hochwasser betroffen worden sind; sie ist zudem eine der ärmsten Regionen des Landes. Letztes Jahr sagte ein Mitglied der Industrie- & Handelskammer der Provinz, dass 68% der Industrie dieser Provinz vollständig bankrott sei. Gemäss einem Parlamentsmitglied lag die Arbeitslosigkeit in dieser Provinz bereits vor den Überflutungen auf 40%. Die Behörden des Arbeitsministeriums sagten, dass zehntausend Arbeiter*innen wegen der Überflutungen ihre Arbeit verloren haben.

Allein in der nördlichen Provinz Golestan haben drei- bis fünftausend Arbeiter*innen in 200 Industriebetrieben aufgrund der Überschwemmungen ihre Arbeitsplätze verloren. In der Provinz Lorestan und vor allem in den Städten Mamulan und Poldokhtar haben mindestens 5300 Arbeiter*innen ihre Arbeit verloren. Nach den stattlichen Angaben waren 1300 dieser Arbeiter*innen auf Baustellen und viertausend in kleinen Betrieben tätig. 300 Arbeiter*innen wurden obdachlos.

Viele Landwirte haben bei den Überschwemmungen ihr ganzes Land verloren. In der Provinz Khuzestan wurde die Rohrzucker-Fabrik vollständig geschlossen und wenn diese Situation andauert, werden weitere sechstausend Arbeiter*innen ihren Job verlieren.

Jegliche Hoffnung auf die Regierung und das Arbeitsministerium ist vergeblich. Denn der Lohnausfall wird nur an diejenigen bezahlt, die schon seit mindestens 24 Monaten versichert sind. Dieser Lohnausfall wird den Verheirateten nur während 12 Monaten und den Unverheirateten nur während 6 Monaten bezahlt. Die Überflutungen, die ein Resultat von 40 Jahren Korruption und falscher Politik der Islamischen Republik waren und nur deswegen viel verheerender ausfielen als bei früheren starken Regenfällen, hat die Arbeiter*innen in vielen Regionen vor die grossen Fragen über ihre Zukunft gestellt. Die Arbeiter*innen im Iran brauchen heute umso mehr die Solidarität ihrer Genoss*innen auf der Welt, um ihre Anstrengungen fortzusetzen, die Islamische Republik zu stürzen und eine neue Gesellschaft aufzubauen, die auf Freiheit und sozialer und politischer Gerechtigkeit basiert. Eine Gesellschaft, die den Reichtum des iranischen Volkes für den Aufbau des Landes einsetzt und nicht für die Unterstützung von Diktatoren wie das Al-Assad Regime in Syrien.


* Nima Pour Jakub ist Menschenrechtsaktivist aus dem Iran und lebt seit einigen Jahren in der Schweiz. Er schreibt regelmässig für sozialismus.ch über den Iran.

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1 Kommentar

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