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Iran: Naturkatastrophen und das Versagen der Regierung

Im Iran kam es zu Beginn des Jahres 2019 zu heftigen Regenfällen, was zu Überflutungen ganzer Landteile und der Zerstörung von Infrastruktur und dem Tod von Menschen führte. Dass dieses Unwetter zu einer derart grossen Katastrophe führen konnte, geht allerdings auf das Versagen der iranischen Regierung zurück, die den Einwohner*innen keinerlei Hilfestellung leistet. (Red.)

von Nima Pour Jakub*

Stellt euch vor, ihr macht gerade Urlaub, bereitet euch aufs Neujahrsfest vor oder geniesst die Zeit mit eurer Familie. Plötzlich reisst eine Flutwelle euer Haus weg und ihr verliert alles. Genau das ist im Iran den Einwohner*innen von 269 Städten und 5’148 Dörfern passiert.

Die Überflutungen begannen am 18. März 2019 im Norden des Landes und breiteten sich schnell über 27 andere Provinzen des Landes aus. Am 1. April 2019 erreichten die Überschwemmungen den Westen des Landes und die Provinz Lorestan. Bis heute werden tagtäglich Dörfer in den südlichen Provinzen vom Hochwasser heimgesucht. In jeder Stadt und jedem Dorf hinterlassen die Überschwemmungen zerstörte Häuser und eine Schneise der Verwüstung. Exakte Angaben zur Zahl der Todesopfer gibt es noch nicht; die Regierung spricht momentan von bis zu 70 Todesopfern.

Die erste Welle der Überschwemmung hat circa 70% der Stadt Ag-Ghala unter Wasser gesetzt. Heute ähnelt die Stadt eher einem Meer, da das Wasser auch nach drei Wochen noch nicht versickert ist. Die zweite grosse Welle ereignete sich am 25. März in der Stadt Schiras im Süden und war weitaus tragischer. Dort hatte das Hochwasser eine Hauptstrasse nahe dem Qoran Tor erfasst und dutzende Autos mitsamt Passagier*innen fortgeschwemmt.

Am 1. April erreichte das Hochwasser den Westen des Irans, allen voran die Provinzen Kermanschah, Lorestan und Ilam. Die Hälfte der Stadt Poldochtar wurde komplett zerstört, umliegende Dörfer sind vom Erdboden verschwunden und auch hier gab es Tote zu beklagen. In der Provinz Khuzestan – wo auch Poldochtar liegt – steht das Wasser an einigen Orten gar bis zu drei Metern hoch.

Veranstaltung in Zürich: Iran – aktuelle Situation und Proteste
15. April 2019 um 18:30 – 21:00 an der Universität Zürich, KO2-F-172

Seit anfangs 2018 kam es in ganz Iran zu zahlreichen Protesten. Lehrer*innen, Pfleger*innen, Arbeitern und Arbeiterinnen, Rentner*innen, Basarhändler*innen und Ladenbesitzer*innen, LKW-Fahrer*innen, Landwirt*innen, Arbeitslosen, Student*innen gehen auf die Strassen und wehren sich gegen die herrschende Politik. Die aktuelle Welle der Proteste im ganzen Land signalisieren eine tiefe Krise der Legitimität des Regimes. Einer der dauerhaftesten Slogans, der aus diesen Protesten hervorgegangen ist, bringt den Widerstand der Bevölkerung auf den Punkt: «Fundamentalisten, Reformisten, das Spiel ist vorbei». Im Januar dieses Jahres jährte sich die islamische Revolution im Iran zum 40. Mal. Hinter dem heutigen Regime stehen immer noch die gleichen, die damals die Macht eroberten. Auch in diesem Kontext wollen wir einen Blick auf die aktuelle Situation und die Proteste werfen.

Organisiert von der BFS Zürich und der Kritischen Politik Zürich. Zur Facebookveranstaltung: https://www.facebook.com/events/2142452335841949/

Beispielloser Regen

Der Niederschlag zwischen September 2018 und April 2019 betrug 27cm. Im trockenen Vorjahr waren es knapp 9cm gewesen. Der Regenfall in diesem Jahr fällt aber auch im Vergleich mit anderen regenreichen Jahren sehr hoch aus. Der durchschnittliche Regenfall der letzten elf Jahre betrug 16cm, der Durchschnitt der letzten fünfzig Jahre 19cm. Dieses Jahr fiel also bis zu einem Drittel mehr Regen als im Durchschnitt der letzten fünfzig Jahre. Dabei hat das Jahr erst begonnen.

Die letzten dreissig Jahre hatte der Iran immer wieder mit Dürren zu kämpfen. Dank den ausgetrockneten Böden konnte nun aber viel Wasser aufgefangen werden. Experten weisen darauf hin, dass der starke Regen diesen Dürren wohl kein Ende setzen werde, dazu müsste der Regenfall gleichmässiger verteilt sein, es handle sich eher um ein extremes Wetterphänomen.

Neben den Überschwemmungen und der Zerstörung, hat der starke Regen auch viele ausgetrocknete Seen und Feuchtgebiete wieder zum Leben erweckt. Der Energieminister sprach sogar davon, dass der Iran durch das extreme Wetter 5 Milliarden Kubikmeter Wasser – im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar – „gewonnen“ habe.

Für die Bevölkerung des Irans ist dies jedoch kein Grund zur Freude, sondern eine Katastrophe. Viele haben ihre Häuser und ihren ganzen Besitz verloren, landwirtschaftliche Anbauflächen wurden durch den Schlamm und das viele Wasser grossflächig zerstört. Besserung ist für viele nicht in Sicht, vor allem von Seiten der Regierung ist kaum Hilfe zu erwarten. Das Volk müsse sich selber helfen, von der Regierung komme nichts, sagte mir eine Person, die von den Überschwemmungen betroffen ist.

Eine menschengemachte Katastrophe

Ali Chamenei, der „oberste Führer“ der islamischen Republik Iran, verkündete am 2. April 2019: „Dieser Vorfall muss für uns eine Lehre sein, dass bei zukünftigen Projekten wie dem Bau von Staudämmen, Strassen, Eisenbahnen und bei der Stadtentwicklung alle Aspekte betrachtet werden müssen.“ Diese Aussage kommt einem Geständnis gleich. Es ist ein Eingeständnis der Tatsache, dass die Regierung bei ihren Bauvorhaben keine Rücksicht auf die Natur genommen hat, Wälder abholzen liess und die natürlichen Flussläufe ignorierte. Die Umgestaltung der Landschaft ohne Rücksicht auf die natürlichen Begebenheiten sind ein wichtiger Grund dafür, dass die Überschwemmungen ein so grosses Ausmass angenommen haben.

Ein wichtiger Grund für die Überschwemmungen in den Städten Ag-Ghala und Gomischan war beispielsweise der veraltete Staudamm von Voschmgir. Die veralteten Schleusen konnten nicht rechtzeitig geöffnet werde, ein kontrolliertes Abfliessen des Wassers wurde somit unmöglich. Die Schleusen konnten erst nach zwei Wochen geöffnet werden, wodurch solch grosse Wassermengen auf einmal freigesetzt wurden, dass es die umliegenden Dörfer und Städte ganz- oder teilweise fortschwemmte. Der Voschmgir-Damm wurde 1970 erbaut und war auf eine Laufzeit von dreissig Jahren ausgelegt; mittlerweile ist er schon 49 Jahre in Betrieb. Die Regierung hatte auf Wartungsarbeiten oder die Erneuerung des Staudamms aus finanziellen Gründen verzichtet. Den Preis für diese Vernachlässigung musste nun die lokale Bevölkerung bezahlen.

Die Regierung vernachlässigt jedoch nicht nur die Staudämme an sich, sondern auch die Flussläufe. Die Flüsse unterhalb des Staudamms wurden nicht vertieft, womit verhindert wurde, dass eine grössere Menge an Wasser aus den Staudämmen abgelassen werden kann, ohne eine Überschwemmung zu verursachen. Neben den viel zu flachen Flussläufen spielt auch die Habsucht der Behörden eine Rolle. Viel Land an den Ufern der Flüsse wurde illegal verkauft und bebaut, was den Flusslauf zusätzlich geschmälert hat und ein höheres Risiko für Überschwemmungen schafft. Nach staatlichen Angaben gibt es im Iran insgesamt 647 Staudämme, wobei es bei vielen ähnliche Probleme wie beim Voschmgir-Damm geben dürfte. 

Der Staat nimmt nicht nur keine Rücksicht auf die Umwelt, sondern geht auch gezielt gegen Umweltaktivist*innen vor; viele wurden in den letzten Jahren festgenommen und eingekerkert. Der Umweltaktivist Kavus Seyyed Emami beispielsweise wurde am 8. Februar 2018 in einem Gefängnis ermordet (die Regierung hingegen spricht von einem „Suizid“). Ebenfalls im Gefängnis und von der Todesstrafe bedroht sind Sam Rajabi, Houman Jokar, Sepide Kaschani, Taher Ghadirian, Amir Hossein Chalegi und Niloufar Bayani. Sie alle wurden ebenfalls im Februar 2018 festgenommen. Der Vorwurf lautet „Spionage und Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“; ein vager Vorwurf, mit dem man unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen will. Laut Aussagen von ihren Anwälten und Familien wurden die Umweltaktivist*innen in der Haft gefoltert.

Ineffizienz des Staats, Solidarität des Volkes

Neben den etlichen Todesopfern und Sachschäden in der Höhe von circa 72 Millionen Dollar haben die Überschwemmungen auch 50‘000 Häuser zerstört und damit viele Menschen obdachlos gemacht. Die schlechte finanzielle Situation vieler Familien, die Krise des Gesundheitssystems und der unwetterbedingte Jobverlust vieler Lohnabhängiger verschärfen das Ausmass der Katastrophe nur noch. All das sind Probleme, die das iranische Regime nicht so einfach wird lösen können.

Nach der Verbreitung von Bildern und Videos, die das Ausmass der Katastrophe zeigen, hat die Bevölkerung an verschiedenen Orten des Landes Kampagnen lanciert, um Hilfe für die betroffenen Regionen zu sammeln. In der Stadt Gomischan und in der Provinz Chuzestan begann die Bevölkerung Dämme zu errichten, doch von der Regierung gab es keine Hilfe. Die iranischen Revolutionsgarden hatten sogar Hilfslieferungen konfisziert, die andere Städte aus Solidarität nach Chuzestan entsandt hatten. Die provisorischen Dämme konnten dem Hochwasser allerdings nicht standhalten und im Moment ist auch Ahwaz – die Hauptstadt von Chuzestan – von einer akuten Überschwemmung bedroht.

Während die Menschen im Iran mit der Zerstörung durch die Überschwemmungen zu kämpfen haben, machte Staatspräsident Hassan Rohani Urlaub auf der Insel Qeschm im Persischen Golf. Der Gouverneur der überfluteten Provinz Golestan verbrachte seinen Urlaub in Europa und der Gouverneur des zerstörten Ortes Ag-Ghala verliess kurzerhand die Stadt.

Trotz Urlaubszeit und Krisensituation hat das Regime seine Hauptaufgabe nicht vergessen: die Repression. In der Stadt Schiras wird das neugebildete „Krisenkomitee“ unter Direktion des Geheimdienstministers geführt. Auf den Strassen von Schiras und Kermanschah hat die Armee gepanzerte Fahrzeuge auffahren lassen. In der Provinz Chuzestan, die an den Irak grenzt, hat der Kommandant der al-Quds-Einheiten – Qasem Soleimani – gar die PMF Milizen mobilisiert (PMF, Volksmobilmachungskräfte: eine Dachorganisation unterschiedlicher schiitischer Milizen, die vom irakischen Staat und vom Iran gefördert werden – Anm.d.Red.). In den betroffenen Gebieten, in denen sich die Behörden des Regimes zeigten, kam es spontan zu Protesten und die Menschen taten ihre Unzufriedenheit mit dem Regime kund. Das Regime hingegen wird immer nur eine Antwort auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung haben: die Repression. Das Regime versucht die Bilder und Berichte der Proteste zu zensierenund zu kriminalisieren. Innenminister Rahmani Fazli liess verlauten: „Diejenigen, die falsche Nachrichten verbreiten und die Probleme mit ihren Lügen vergrössern, sollen juristisch verfolgt werden, damit die Ruhe in der Bevölkerung gewahrt bleibt.“

Die Ineffizienz des Staates mit der Katastrophe umzugehen auf der einen Seite und die spontane Solidarität und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung auf der anderen Seite haben erneut gezeigt, wie tief der Graben zwischen der islamischen Republik und der iranischen Bevölkerung ist. Die Bevölkerung des Irans ist bereit für eine Wende.

Präsident Rohani verkündete am 10. April 2019, dass die betroffenen Regionen bis zum Ende des Jahres wieder aufgebaut werden würden, doch so richtig glauben mag ihm niemand, schliesslich hat die Regierung schon in ähnlichen Fällen nicht Wort gehalten. Als am 25. Dezember 2003 die Erde in der Stadt Bam bebte, starben über 50‘000 Menschen und beinahe alle Häuser wurden zerstört. Auch damals hiess es, man würde die Schäden so schnell als möglich reparieren. Heute, 16 Jahre nach dem Erdbeben, leben die meisten Menschen in Bam immer noch in Frachtcontainern, die damals als provisorischer Hausersatz zur Verfügung gestellt wurden. Auch in der Stadt Sar-Pol-Zahab, in der es 2017 zu einem Erdbeben kam und bei dem 600 Menschen starben, wurde kaum ein Haus wiedererrichtet. Viele Menschen leben bis heute in Zelten. Es gäbe noch etliche gleichartige Beispiele.

Das Regime im Iran kümmert sich weder um den Wiederaufbau der von ihm mitverursachten Katastrophen, noch um die Menschen. Den Mächtigen geht es nur um ihren Machterhalt und darum, die eigenen Taschen auf Kosten der Bevölkerung zu füllen. Um das Land und die zerstörten Orte wieder aufzubauen, muss das Regime weichen. Die alten Eliten müssen gestürzt und durch ein demokratisches Rätesystem ersetzt werden. Nur so wird sich in absehbarer Zukunft etwas für die iranische Bevölkerung zum Besseren wenden.


*Nima Pour Jakub ist Menschenrechtsaktivist aus dem Iran und lebt seit einigen Jahren in der Schweiz.


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3 Kommentare

  1. Christian Baur

    Danke für den sehr informativen Artikel. Ich wünsche allen IranerInnen viel Kraft, Mut und zusätzliche solidarische Unterstützung, um nicht nur die Folgen der aussergewöhnlichen Unwetter zu bewältigen, sondern auch um einem reaktionären und menschenfeindlichen Regime endlich die Zukunft zu entreissen.

  2. verena gantner

    Kann mich den Worten Christian Baurs nur anschliessen! Es kostet Kraft, den Blick auf dieses grosse Unrecht nicht nur zu werfen, sondern dran zu bleiben. Man könnte verzweifeln. Ausdauer, viel Unterstützung und weiterhin den nötigen Mut wünsche ich von Herzen.

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