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Kolumbien: Proteste und Streiks im ganzen Land

Am Donnerstag, dem 21. November 2019, streikte und demonstrierte die kolumbianische Bevölkerung. Am diesem Tag haben landesweit über 450’000 Menschen am sogenannten «paro nacional» teilgenommen. Der Protest steht in Zusammenhang mit den anderen Aufständen in Lateinamerika wie beispielsweise in Chile und Ecuador. Auch dort geht die lohnabhängige Bevölkerung auf die Strasse um gegen Armut, schlechte Arbeitsbedingungen, ÖV-Preis- und Bezinpreiserhöhungen und vieles mehr zu protestieren. Die Wut richtet sich vor allem gegen die bourgeoise, ausbeuterische Elite, welche sich durch ihre neoliberale Austeritätspolitik und durch Komplizenschaft mit dem Imperialismus bereichert. Und nun erheben sich auch die Menschen in Kolumbien.

von Yara Notz (BFS Jugend Zürich)

Vorgeschichte

Anfang 2019 trat Ivan Duque sein Amt an. Gerade für viele junge Menschen war diese Wahl ernüchternd. Zwar war sie nach den ebenfalls rechten Regierungen von Álvaro Uribe und Juan Manuel Santos (in dessen Tradition auch Duque steht) nichts Neues. Duques Wahlsieg war jedoch besonders enttäuschend, da dieses Mal erstmals ein linker Präsidentschaftskandidat und ehemaliger Guerillero der M19[1], Gustavo Petro, ernsthafte Chancen auf den Sieg hatte.

Kurz nach Duques Amtsantritt kam es zu einer neuen Welle des rechten Terrors. Unzählige ‘líderes sociales’ (Anführer*innen sozialer Bewegungen) wurden ermordet. Durch eine Streikwelle und fehlende Budgets wurden die öffentlichen Unis einiger Städte während mehreren Monaten lahmgelegt. Ein Teil der eigentlich demobilisierten Guerilla FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) kündigte an erneut zu den Waffen zu greifen. Ihr Sprecher argumentierte, die Regierung würde sich nicht an den unter Santos 2016/17 ausgehandelten Friedensvertrag halten. Duque drohte zudem an, das ganze Abkommen für nichtig zu erklären.

In ländlichen Gebieten sind brachiale Gewalt und die Herrschaft von rechten Paramilitärs oder Drogenkartellen immer noch bittere Realität. Die Regierung hält ihre Versprechen aus dem Friedensabkommen mit der FARC bezüglich Schutz, Bildung und medizinischer Versorgung nicht ein. Multinationale Konzerne zerstören ganze Landstriche und Dörfer und schlagen den Widerstand der ansässigen Bevölkerung brutal nieder. Wieso sich Teile der FARC gezwungen sehen, erneut zu den Waffen zu greifen und die Guerilla ELN[2] weiterhin aktiv sind, liegt in obenerwähnten Gründen.

Die Gewaltfrage

Durch Kolumbiens extrem gewalttätige Vergangenheit und dem lang ersehnten Waffenstillstand zwischen FARC und Regierung ist die Diskussion rund um Guerillas und die Proteste sehr heikel. Trotz der Notwendigkeit sozialer Kämpfe von unten, sei es durch Guerillas[3] oder militante Proteste, lehnen grosse Teile der Bevölkerung Gewalt generell ab. Sie würden eine neue Eskalation als Rückschritt sehen. Auch vor den Protesten verbreitete sich über Social Media ein Aufruf, alle maskierten Demonstrant*innen kollektiv aufzufordern, sich zu enthüllen, was übrigens tatsächlich auch passierte. Die Stadt mit der friedlichsten Demonstration wurde gar gerühmt.

Strassenschlachtszene in der Stadt Cali.

Selbstverständlich ist diese Diskussion kulturell und historisch-partikular[4] verankert und deswegen nachvollziehbar. Gleichzeitig trafen die Demonstrant*innen bei den aktuellen Protesten jedoch auf heftige Repression. Nachdem mehrere Todesfälle bekannt wurden und vermutlich bereits weitere Demonstrant*innen starben, wurde der Streik weitergeführt. An manchen Orten radikalisierte sich die Bewegung und wurde militanter. Der Startschuss für eine neue Widerstandsbewegung von unten ist also trotz den damit verbundenen, kontroversen Diskussionen gegeben.

Es bleibt abzuwarten, wie sich der Protest entwickelt und welche Schlagkraft daraus entsteht. Fakt ist jedoch, dass schon lange kein derart breit verankerter, landesweiter Protest mehr stattfand, wo Student*innen, Feminist*innen, Arbeiter*innen, indigene Gemeinschaften, queere Menschen und Migrant*innen zusammen dem Status Quo trotzen.


[1] Die ehemalige Guerilla Movimiento 19 de Abril ist seit 1990 eine Partei.

[2] Das Ejército de Liberacón Nacional ist letzte aktive Guerilla in Kolumbien.

[3] Dies soll ausdrücken, dass die Selbstbewaffnung der Bevölkerung legitim ist, um beispielsweise zu verhindern von Paramilitärs massakriert oder von Bergbaukonzernen vertrieben zu werden. Dabei geht es nicht darum das Teils menschenverachtende Vorgehen der FARC und anderer Organisationen in der Vergangenheit gutzuheissen.

[4] Historisch-partikular bedeutet, die individuelle Geschichte und Entwicklung eines kulturellen Kontextes anzuerkennen.

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1 Kommentar

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