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Abfall im Kapitalismus

Es gibt wenig was so alltäglich ist wie Abfall. Da wir gezwungen sind zu konsumieren – Lebensmittel, Wohnraum, Strom, Wasser, etc. – um am Leben zu bleiben, wachsen die Abfallberge kontinuierlich an. Alles was konsumiert wird, muss auch produziert werden. Abfall ist also fest mit dem Wirtschaftskreislauf verbunden.

von Raphael Liebermann (BFS Zürich)

Ein Blick in die Statistik verrät, dass der grösste Teil des Abfalls im Baugewerbe entsteht (84%), danach kommen die Hausabfälle (7%) und der Bioabfall (6%). Auf jede Person in der Schweiz kommen pro Jahr 716 kg an Siedlungsabfällen. Das ist Weltspitze. Dabei werden 47% des gesamten Abfalls nicht recycelt und müssen dementsprechend unsichtbar gemacht werden. In der Schweiz wird der Abfall entweder verbrannt und damit zu einem Teil in die Atmosphäre geblasen, in Deponien verscharrt, oder in ärmere Länder wie China, Nigeria und Ghana exportiert. Von dort gelangt beispielsweise Plastikmüll über Flüsse in die Ozeane, wo mittlerweile unvorstellbar grosse Flächen mit Plastik belastet sind. Die Verschmutzung der Erde hat schon längst globale Ausmasse erreicht und genaue Vorhersagen über die Konsequenzen gibt es nicht. Abfall stellt damit ein globales Problem mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf unsere Umwelt dar. Wie eingangs festgestellt, ist dieses Problem untrennbar mit unserer Gesellschaftsform verbunden. Nachfolgend soll eine marxistische Perspektive auf das Phänomen Abfall eröffnet werden. Die daraus abgeleiteten Forderungen können zur Frage beitragen, was ein ökosozialistisches Projekt leisten muss und wie es aussehen könnte.

Was ist überhaupt Abfall?

Um zu klären, was Abfall ist und welche Funktion er einnimmt, müssen wir uns ein Bild vom Kapitalismus machen, welches uns dabei hilft, das Problem möglichst in seiner Gesamtheit betrachten zu können. Fangen wir mit einem einfachen Warenkreislauf von unabhängigen Produzent*innen an. Jede*r von diesen hat gewisse Bedürfnisse, die durch den Konsum von Produkten befriedigt werden. Da ab einem gewissen Punkt die Produkte zur Bedürfnisbefriedigung zu vielzählig und zu komplex werden, als dass sie jede*r für sich allein herstellen könnte, ist jede*r auf die Arbeit anderer Produzent*innen angewiesen. Es muss also getauscht werden. Hierbei werden im Idealfall Produkte von gleichem Wert getauscht – z.B. den gestrickten Wollpullover gegen fünf Stunden Nachhilfe in Mathe – deren Wert macht sich daran fest, wie lange alle Produzent*innen der Gemeinschaft durchschnittlich brauchen, um ihr Produkt herzustellen.

Es tauschen also alle ihre Produkte gegen etwas ein, was sie mehr benötigen – etwas was für sie einen höheren Gebrauchswert hat. Wenn man noch eine Art Geld, welches den Wert repräsentieren soll, einführt, lässt sich der Prozess auf folgende Form bringen:

Produkt 1 -> Geld -> Produkt 2.

Der Austausch nimmt die Form eines Kreises an, wobei am Ende alle das haben, was sie benötigen. Das Bild dieses Kreises lässt sich jetzt anpassen, denn die Produkte werden aus Rohstoffen hergestellt, die der Umwelt entzogen werden. Es gibt einen Zufluss aus der Umwelt in unseren Kreislauf. Wenn die Bedürfnisse und die Grösse der Gemeinschaft konstant bleiben, bleibt dementsprechend auch die Fliessgeschwindigkeit und die Menge an zirkulierenden Produkten konstant.

Nun sind wir auch in der Lage eine Definition von Abfall zu geben. Denn offensichtlich entsteht beim Konsum und bei der Produktion ein Nebenprodukt, der Abfall. Damit es aber zu Abfall wird, der zurück in die Umwelt abgegeben wird, darf er keinen Gebrauchswert mehr haben. Solange dieses Nebenprodukt für irgendjemanden in der Gemeinschaft einen Gebrauchswert darstellt, ist es kein Abfall.

Unser Kreislauf hat also nicht nur einen Zufluss aus der Umwelt, er hat auch einen Abfluss zurück in die Umwelt. Abhängig von der Wiederaufbereitung des Abfalls oder der Regenerationsfähigkeit der Umwelt, lässt sich nahezu aller Abfall wieder als Ressource für einen neuen Zyklus nutzen.

Abfall und Überproduktion

Der hier kurz skizzierte Kreislauf trifft vielleicht auf ein isoliertes Dorf irgendwo im Nirgendwo zu, aber nur unzureichend auf die derzeit dominante Gesellschaftsform – den Kapitalismus. Dieser hat ein paar Eigenheiten, die dem Bild noch fehlen. Im Kapitalismus gibt es zwar auch Produkte, diese werden jetzt aber von lohnabhängigen Personen hergestellt mit dem Zweck, sie nachher gewinnbringend zu verkaufen. In diesem Szenario haben sich jetzt einige Dinge geändert. Die Produkte werden jetzt nur noch hergestellt, um sie zu verkaufen, nicht um direkt ein Bedürfnis zu befriedigen. Der Tauschwert und eben nicht mehr der Gebrauchswert bestimmt jetzt die Produktion. Das Produkt ist zur Ware geworden.

Des Weiteren arbeiten die meisten nicht mehr für sich selbst, sondern für Lohn, den sie von den Kapitalist*innen erhalten – auch die Fähigkeit, Arbeit zu leisten, ist so zur Ware geworden. Dieser Prozess rentiert sich für die Kapitalist*innen, da die menschliche Arbeitskraft mehr Wert schafft als sie selber braucht, um sich zu erhalten. Dies ist die Voraussetzung für die Mehrarbeit, dessen Äquivalent – der Profit – nicht an die Lohnabhängigen, sondern an die Kapitalist*innen geht. Am Ende jedes Zyklus‘ stehen die Kapitalist*innen mit mehr Geld als vorher da, welches sie wieder reinvestieren können. So steigt in jedem Zyklus die Menge an Wert, welche in Bewegung gesetzt werden muss. Der Wert zirkuliert nun nicht mehr in einem Kreis, sondern dehnt sich in einer Spirale immer weiter aus. Dieses Wachstum bedingt eine ansteigende Rohstoffextraktion und erzeugt simultan auch stark ansteigende Abfallmengen. Diese Entwicklung gerät aber recht schnell in Konflikt mit der Endlichkeit der Ressourcen des Planeten und mit der Toleranz der Umwelt gegenüber immer mehr Verschmutzung.

Diese «Produktion, um der Produktion willen» ist dabei weder von einer gesamtgesellschaftlichen Verschwendungssucht oder von einer wachsenden Bevölkerung getrieben, sondern von der dem Kapital einbeschriebenen Tendenz, Tauschwerte zu akkumulieren und Profit zu machen.

Denn im Ideal des freien Marktes zwingt die Konkurrenz zwischen den Kapitalist*innen sie dazu, mehr zu produzieren als nachgefragt wird, um über die schiere Menge den eigenen Marktanteil auszudehnen. Es existiert also ein Belohnungssystem für eine Überproduktion an Waren. Dieses resultierende Überangebot sorgt dafür, dass Waren zu Abfall werden, ohne konsumiert worden zu sein. Das Prinzip der Profitmaximierung bewirkt, dass Gebrauchswerte vernichtet werden. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des food waste: In der Schweiz sind die Hälfte aller weggeworfenen Lebensmittel noch geniessbar. Dies ist angesichts davon, dass jeder neunte Mensch auf der Welt Hunger leidet, pervers.

Ein weiteres Beispiel: Der grösste Anteil des Mülls in der Schweiz geht auf das Konto des Bausektors. Der durch die Immobilienblase angetriebene Bauboom und der damit einhergehende Häuserleerstand ist damit nicht nur aus sozialer, sondern auch aus ökologischer Sicht eine Katastrophe. Es wird nicht für das Bedürfnis nach einer Wohnung gebaut, sondern zur Kapitalanlage.

Das grosse Aufräumen

Es ist aber nicht so, als wäre die kapitalistische Gesellschaft überhaupt nicht in der Lage, die Umwelt «aufzuräumen». Dies passiert dann, wenn Investitionen durch massive Verschmutzung gefährdet werden. Das anschaulichste Beispiel ist der geplante High-Tech-Aufräumeinsatz, welcher Trümmerteile aus dem Orbit des Planeten entfernen soll. Hier wird versucht, unter massivem Aufwand das globale Satellitennetz zu retten, welches durch den hinterlassenen Weltraummüll zu kollabieren droht.[1]

Möglicherweise wird das Kapital eines Tages auch die nötigen investitionstechnischen Anreize verspüren, den Plastikmüll aus den Ozeanen entfernen zu wollen.[2] Nur haben wir keine Zeit auf die Aufräumkünste des freien Marktes zu warten. Denn das Mikroplastik, das schon im Nahrungskreislauf ist und all die Tiere, die daran verendet sind, lassen sich nicht rückgängig machen. Auch in vielen anderen Bereichen scheitert das Kapital ständig. Die Wiederinstandsetzung kontaminierter Böden (Blei, Quecksilber) ist extrem aufwendig und ohne den Einsatz fossiler Energie zum heutigen Zeitpunkt gar nicht möglich. Dann wäre da noch der Atommüll (wohin damit?), und als Konsequenz der Verschmutzungen zehntausende ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten, oder das Verschwinden ganzer Ökosysteme in vielen Regionen (Wälder, Korallenriffe, Inseln).

Eine umweltverträgliche Alternative?

Daher wird ein rascher Systemwandel nötig sein, welcher den individuellen Konsum massiv verändern wird. Versuche, die beim individuellen Konsum ansetzen, werden die gigantischen gesellschaftlichen Produktivkräften nicht umlenken können.

Für den Übergang zu einer umweltverträglichen Alternative zum kapitalistischen Gesellschaftsmodell können wir schon jetzt durchsetzbare Forderungen aufstellen. So müsste z.B. jedes Produkt, was auf den Markt kommt, zu 100% recycelbar sein. Eine intakte Umwelt ist ein Allgemeingut und das Kapital, das mit umweltschädlichen Mitteln angehäuft wurde, muss enteignet werden, um für einen umweltfreundlichen Systemwandel zu bezahlen. Die Entscheidungsmacht darf dabei nicht ein paar wenigen Profiteuren des Status Quo überlassen werden. Umweltzerstörende Unternehmen müssen unter demokratische Kontrolle der Lohnabhängigen gestellt werden, damit der Stoffwechsel zwischen unserer Gesellschaft und der Umwelt rational geplant werden kann.


[1] http://www.esa.int/Our_Activities/Operations/Space_Safety_Security/Clean_Space/in-orbit_servicing

[2]  www.theoceancleanup.com

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