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Österreich: Die FPÖ und der Faschismus in Friedenszeiten

Die Koalitionsregierung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) war für Antifaschistinnen und Antifaschisten weltweit ein Schock. Aber welche Strategie verfolgten die Faschisten der FPÖ in der Regierung?

von David Albrich; aus marx21.de

In einem internationalen Aufruf zum Boykott der österreichischen Regierung, zuerst veröffentlicht in der französischen Zeitung Le Monde, werden die Freiheitlichen zu Recht als »Erben des Nazismus« bezeichnet. Wie viele andere versteht der Autor die FPÖ als eine faschistische Partei. Aber die Freiheitliche Partei Österreichs oder, allgemeiner formuliert, die neuen, maskierten faschistischen Parteien (oft als »rechtspopulistisch« verharmlost), wie der Front National (jetzt: Rassemblement National) in Frankreich, die »Alternative für Deutschland« (AfD), »Lega Nord« in Italien oder die Schwedendemokraten, scheinen nicht Punkt für Punkt in die klassischen Faschismusdefinitionen zu passen – egal ob in die Faschismusanalyse von Leo Trotzki oder in jene, die von anderen politischen Traditionen entwickelt wurden. Dieser Artikel behandelt eine faschistische Partei, die in Zeiten in die Regierung gekommen ist, in denen die Errichtung einer faschistischen Diktatur oder gar nur die Formierung einer SA-ähnlichen Straßenbewegung weit weg zu sein scheint. Ich nenne ihre Strategie, nämlich das Verstecken ihres faschistischen Projekts und die politische Aufbereitung des Bodens für einen faschistischen Straßenflügel, »Faschismus in Friedenszeiten«. Der Artikel versucht, von der österreichischen Erfahrung zu verallgemeinern und einige Schlussfolgerungen für die internationale Entwicklung zu ziehen.

Hintergrund des Aufstiegs der Rechten

Der globale Kontext, in dem ÖVP und FPÖ die Wahlen im Oktober 2017 gewonnen haben (mit 31,5 Prozent beziehungsweise 26,0 Prozent), ist charakterisiert durch die enorme politische Destabilisierung in Europa und den übrigen westlichen Industriestaaten. Sie drückt sich aus in der Polarisierung des politischen Parteiensystems nach links und nach rechts. Hintergrund dieser Entwicklung ist die anhaltende Stagnationskrise des Weltkapitalismus und die mehr oder weniger ungebrochene ideologische und praktische Vorherrschaft des Neoliberalismus. Die politische Dynamik, die hier am Werk ist, ist entscheidend.

Die Entstehung oder das Erstarken bereits bestehender neofaschistischer oder rechtsnationaler Parteien ist vor allem ein Produkt des Rassismus von oben. Rassismus ist eine Herrschaftsideologie, die von der bürgerlich-kapitalistischen Klasse und deren Thinktanks, Medien und Politikerinnen und Politikern produziert und verbreitet wird, um ihre Klasseninteressen zu legitimieren und die große Mehrheit der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen zu spalten. In fast allen Staaten Europas haben die etablierten Parteien und ein Großteil der Medien sich an der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete, Muslime oder andere ethnische oder religiöse Minderheiten beteiligt. Der Aufstieg der radikalen Rechten in Europa stellt die Linke vor große Herausforderungen. Ein große Schwäche der Linken im Abwehrkampf gegen Rechts ist, dass sie – vor allem die sozialdemokratischen Parteien – den Kurs der neoliberalen Austeritätspolitik als Weg zur Krisenüberwindung als Regierungsparteien mitgetragen haben, und, sobald es zu erneuten Regierungsbeteiligungen der Linken kommt, weiter an dieser Politik festhalten.

Die Menschen haben zu Recht die Schnauze voll von leeren Versprechungen der Politikerinnen und Politiker und erwarten sich echte Veränderungen. Oft ist es die Rechte, die diese Wut auf »das Establishment« gegen Muslime, Flüchtlinge und Migranten kanalisieren kann – das haben sowohl FPÖ als auch ÖVP sehr erfolgreich geschafft. Sie haben in ihren Wahlkämpfen und in der Regierung signalisiert, dass mit ihnen kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Wenn man die Wahlkampagnen von FPÖ und ÖVP betrachtet, könnte man nicht sagen, wer von beiden die faschistische und wer die konservative Kraft ist. Das wiederum bestärkt die radikale Rechte und gibt faschistischen Straßenbewegungen Selbstvertrauen. So ähnlich FPÖ und ÖVP auch aussehen und sich in der Regierung verhalten, gibt es doch wichtige Unterschiede zwischen faschistischen Kräften und traditionellen konservativen Rechten, wie ich später aufzeigen werde.

»Paradigmenwechsel in der Gesellschaftspolitik«

Die Regierungsbeteiligung der FPÖ als Juniorpartner widerspricht der historischen Erfahrung mit Faschismus. Heute würde man von Faschisten erwarten, dass sie Hitlers Strategie der totalen Macht übernehmen. Hitler bestand auf der Kanzlerschaft und lehnte es ab, als Juniorpartner in eine Koalitionsregierung zu gehen. Der Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, wiederholte diese Strategie, als er meinte, die AfD solle eine »knallharte Opposition« sein und es dürfe keine »Anbiederung an die Regierenden geben«.

Elmar Podgorschek, führender freiheitlicher Politiker und Mitglied des FPÖ-Bundesvorstands, diskutierte genau diese Frage mit dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke auf einem AfD-Treffen im Mai 2018. In seiner Rede »Was die AfD von der FPÖ lernen kann« sagte Podgorschek:

»In der Opposition ist es natürlich wesentlich einfacher, aber auch Regieren ist nicht so schwer, wenn man gewisse Grundregeln einhält und das auch weitergibt … Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, aber dennoch war es für uns so wichtig … Durch die Migrationskrise und die Wirtschaftskrise ist es dringend nötig, dass wir einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaftspolitik einleiten.«

Podgorschek sprach dabei sehr offen über die Diskussionen in der Führung, bevor diese entschied, als Juniorpartner in die Regierung zu gehen. Er gibt einen interessanten Einblick in die gesamte Politik der FPÖ in der Regierung. Sie konzentriert sich darauf, Widerstände im Staat selbst zu brechen (in den Institutionen, den Ministerien, dem öffentlichen Rundfunk), auf Politik für und durch die Polizei, auf den Parteiaufbau und auf die Wahrung ihrer Unabhängigkeit von anderen politischen Strömungen, besonders gegenüber ihrem Koalitionspartner ÖVP. Bis zum Bruch der Regierungskoalition nach Bekanntwerden der Ibiza-Affäre ging diese Strategie auch auf: Alle Umfragen zeigten, dass die FPÖ (und auch die ÖVP) ihre Stimmen ein Jahr nach dem Regierungsantritt hat halten können – andere faschistische Kräfte werden auf die FPÖ und ihre Strategie schauen. Es ist demnach wichtig, hier ein paar allgemeinere Schlüsse aus der FPÖ-Strategie zu ziehen.

Unterwanderung und der Umbau des Staats

Die FPÖ-Führung versuchte bewusst, die Fehler der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 – als Juniorpartner der ÖVP – zu vermeiden und den Staat gezielt zu unterwandern und umzubauen. Konfrontiert mit einer möglichen Regierungsbeteiligung nach dem rasanten Aufstieg der FPÖ drängte der damalige Führer Jörg Haider die faschistischen Kader (eine ausführlichere Diskussion dieser Kader aus den faschistischen Studentenorganisationen, den sogenannten »Burschenschaften«, folgt später im Artikel) in den späten 1990er-Jahren in die zweite und dritte Reihe und stellte ungebundene, neoliberale Quereinsteiger an die Spitze, die letztendlich Minister und Profiteure der Privatisierungspolitik wurden. Nach zahlreichen Konflikten kam es 2005 zur Parteispaltung und die alte Führung wurde von Heinz-Christian Strache und den Parteikadern – den Mitgliedern der faschistischen Burschenschaften – gestürzt.

Seither führte die Spitze ein strengeres Parteiregime ein und schottete die Partei vor »Trittbrettfahrern« und »Quereinsteigern« ab, die »nur das schnelle Geld machen wollen«. Vizekanzler Strache sandte dieses Mal seine harte Elite in alle wichtigen Regierungspositionen: Sein Redenschreiber Herbert Kickl wurde Innenminister; Mario Kunasek, der enge Verbindungen zu der Straßenkampftruppe der »Identitären Bewegung« hat, erhielt das Verteidigungsministerium; der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Mitglied der faschistischen Studentenverbindung »Marko-Germania«, Norbert Hofer, übernahm die Führung im Infrastrukturministerium. Die Parteikader sitzen nun in vielen Staats- und staatsnahen Betrieben und brachten selbstverständlich ihr Büropersonal mit. Elmar Podgorschek bilanzierte erfreut: »Wir haben jetzt bei der Übernahme der Bundesregierung beinhart alle Aufsichtsräte und teilweise, wo es möglich war, die Geschäftsführer der staatlichen und halbstaatlichen Betriebe ausgetauscht.«

Dies geschah nicht nur, um die Fehler von 2000 zu vermeiden. Es ist der Kern einer besonders gefährlichen FPÖ-Strategie. Die FPÖ hatte die Kontrolle über den gesamten Repressionsapparat des Staates erhalten – mit anderen Worten, über die Polizei, den Geheimdienst und das Militär. Dass das Innenministerium schon vor der Regierungsbildung in den Gesprächen mit der ÖVP zur Koalitionsbedingung erhoben wurde, zeigt die strategische Wichtigkeit des Repressionsapparats für die FPÖ. Sie versucht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und den repressiven Kern des Staates neu aufzustellen. Das führte bereits zu einem Geheimdienstskandal: Im Februar führte eine Polizeisondereinheit unter Leitung eines FPÖ-Politikers eine Razzia im österreichischen Geheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), durch und beschlagnahmte Daten, die über Naziorganisationen gesammelt wurden (unter anderem über den Neonazi-Kongress »Verteidiger Europas«, auf dem Innenminister Kickl, damals noch als FPÖ-Generalsekretär, als einer der Hauptredner auftrat). Das offensichtliche Ziel war, unerwünschte Mitarbeiter, welche die rechtsextreme Szene überwachen, einzuschüchtern und den BVT-Chef, der eine nahe Beziehung zur ÖVP hat, zu diskreditieren.

Politik für und durch die Polizei

Das führt uns zu einem zweiten wichtigen Punkt: Die FPÖ richtete ihre Regierungspolitik auf die Polizei – aus mehreren Gründen. Sie kann ihren faschistischen Kaderbestand erweitern, ein weiteres Standbein aufbauen (zusätzlich zur Straßenbewegung, deren Aufbau ihr derzeit noch Schwierigkeiten bereitet) und über mehr Staatsrepression ein gesellschaftliches Klima zu ihren Gunsten schaffen, in dem eine echte faschistische Straßenbewegung wachsen kann. Das macht die FPÖ-Strategie gefährlicher als jene, die von offeneren Faschisten, wie der Goldenen Morgenröte in Griechenland, verfolgt wird. Es ist ebenso denkbar, dass die zukünftige SS – also eine den Faschisten völlig loyale Polizeitruppe – nicht von außen in den Staatsapparat kommt, sondern von innen entsteht. Die Polizeieinheit, die die Razzia im Verfassungsschutz durchführte, die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), wird von einem FPÖ-Polizei-»Gewerkschafter« angeführt, der Beiträge von Neonazis auf seiner Facebook-Seite geteilt hat. Die EGS brüstet sich in Polizeikreisen gerne mit »Negerklatschen«: Gemeint ist, Schwarze zu Boden zu ringen und nach Drogen zu durchsuchen.

Das Innenministerium versuchte gezielt, Neonazis für die Polizei zu gewinnen. Es wurden 4.200 neue Polizisten rekrutiert und Minister Kickl platzierte Inserate für den Polizeidienst auf extrem rechten Websites (eine davon ist eng mit der faschistischen »Identitären Bewegung« verbunden) und antisemitischen, islamfeindlichen Magazinen, die von Neonazis gelesen werden. In denselben Ausgaben gab Kickl Interviews.

Einmal in der Polizei werden die neuen Rekruten (und natürlich die bereits aktiven Beamten) über eine spezielle FPÖ-Polizeigewerkschaft, die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF), das heißt Mitglieder der FPÖ, näher an die Freiheitlichen herangezogen. Einen Mitgründer der AUF, Peter Goldgruber, holte sich Kickl als Generalsekretär ins Innenministerium. Im Februar traf sich die AUF-Führung mit Kickl in seinem Ministerium, um die Arbeit der Gewerkschaft als »Bindeglied« und »Schnittstelle« zwischen dem Ministerium und den Polizeibeamten zu koordinieren, wie es Kickl und AUF-Chef Werner Herbert ausgedrückt haben.

Gleichzeitig werden die Beamten radikalisiert und das soziale Klima verändert. Deportationen von Geflüchteten, besonders von Afghaninnen und Afghanen, werden intensiviert und Berichte über mehr Abschiebungen werden in den Parteimedien, wie Zeitungen, über Whatsapp und auf Facebook gefeiert. Das Innenministerium forderte die Polizeidirektionen per E-Mail auf, künftig »die Staatsbürgerschaft eines mutmaßlichen Täters in … Aussendungen [und Interviews] zu benennen … Außerdem gegebenenfalls bei einem Fremden dessen Aufenthaltsstatus bzw. ob es sich um einen Asylbewerber handelt«.

Seit dem Regierungsantritt ist ein dramatischer Anstieg an täglichen rassistischen Personenkontrollen durch die Polizei (Stop and Search) zu beobachten. Ebenso wie Ethnic Profiling-Maßnahmen entlang von öffentlichen Verkehrsmitteln und regelmäßige Massenrazzien auf öffentlichen Plätzen und in Parks, in denen Geflüchtete und Menschen mit schwarzer oder dunklerer Hautfarbe systematisch von der Polizei zusammengetrieben und nach Drogen durchsucht werden.

Wahrung der Unabhängigkeit der FPÖ

Die FPÖ-Spitze ist sich bewusst, dass sie als unabhängige politische Kraft operieren muss. Wie weiter oben argumentiert, mögen ÖVP und FPÖ über ihren Rassismus und ihre Anti-Establishment-Maske an der Oberfläche ähnlich erscheinen. Außerdem müssen beide ihrer Wählerschaft signalisieren, dass sich mit ihnen alles verändern wird. Aber Faschisten haben ihre eigene Agenda (mehr dazu später). Darüber hinaus barg die Regierungsbeteiligung die Gefahr, selbst als Teil des Establishments wahrgenommen zu werden. Der Wunsch nach Veränderung war das treibende Moment der Nationalratswahl 2017. Wahltagsbefragungen haben gezeigt, dass rund die Hälfte der FPÖ-Wähler der Meinung waren, dass sich Österreich in den letzten Jahren negativ entwickelt hat und 35 Prozent von ihnen waren mit der Vorgängerregierung unzufrieden.

Podgorschek machte diese Unabhängigkeit in seiner Rede vor der AfD deutlich:

»Die Konservativen sind bei uns nicht konservativ. Sie sind nur bei Sonntagsreden konservativ. Wir sagen immer: Sie blinken rechts und biegen links ab … Diese Zusammenarbeit mit Schwarz [der ÖVP] ist keine Liebesheirat, ich sage das immer, das ist eine Vernunftehe … Traue keinem Schwarzen!«

Das bedeutet, wie Podgorschek erklärte, die eigenen Medien auszubauen (Facebook, Youtube-Kanäle, etc), über die sie einen direkteren Kontakt zur eigenen Wählerschaft herstellen können, die »Neutralisierung des öffentlichen rechtlichen Rundfunks« und die Aufrechterhaltung ihres Bildes als vermeintliche Kraft gegen das »Establishment«, zu dem sie auch die ÖVP zählen. FPÖ-Politiker attackieren regelmäßig prominente Journalisten und haben bereits begonnen, den öffentlichen Sender ORF umzubauen. In der bereits zitierten E-Mail an die Polizeidirektionen griff das Innenministerium die Pressefreiheit an, indem es die Order ausgab, die »Kommunikation mit [kritischen] Medien auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken«. Daran wird deutlich, wie die verschiedenen Aspekte der FPÖ-Regierungsstrategie ineinander greifen: Die Unterwanderung und der Umbau des Staates, die Politik für und durch die Polizei und die Wahrung der Unabhängigkeit.

FPÖ: Nachfolgepartei der NSDAP

Bevor ich zeigen möchte, dass das Verhalten der Faschisten in der Regierung absolut Sinn ergibt (was das Argument, dass es sich bei der FPÖ um eine faschistische Kraft handelt, bestätigen wird), soll von einem historischen Standpunkt aus argumentiert werden, warum die FPÖ eine faschistische Partei ist. Ich möchte zuerst einen Blick auf ihre Ursprünge und ihre Kader werfen.

Die FPÖ wurde 1955 von ehemaligen SS-Offizieren gegründet. Sie war, so der Politikwissenschaftler Anton Pelinka, »von Anfang an erkennbar, ja geradezu demonstrativ eine Gründung von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten«. Sein Urteil ist vernichtend:

»In keinem anderen Land Europas ist eine derartige Kontinuität zwischen einer Partei, die eine barbarische Diktatur verkörperte, und einer in einem postfaschistischen (oder postnazistischen) liberal-demokratischen System als »Normalpartei« agierenden Parlamentspartei festzustellen. Die FPÖ repräsentiert die Fortsetzung der deutsch-völkischen Tradition, deren Höhepunkt der Nationalsozialismus und der von diesem zu verantwortende Holocaust war.«

Mit anderen Worten, die FPÖ muss als Nachfolgepartei der NSDAP verstanden werden. Der erste FPÖ-Obmann war Anton Reinthaller, ein ehemaliger SS-Brigadeführer sowie Reichstagsabgeordneter der NSDAP. 1938, kurz vor der Annexion Österreichs durch Nazideutschland, wurde er NS-Landwirtschaftsminister im »Anschlusskabinett«. In seiner Antrittsrede als erster FPÖ-Obmann sagte Reinthaller: »Der nationale Gedanke bedeutet in seinem Wesen nichts anderes als das Bekenntnis der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.«15 Reinthallers Nachfolger, Friedrich Peter, war SS-Obersturmführer und Mitglied der berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade, die unter direktem Befehl von Heinrich Himmler stand und für die schwersten Kriegsverbrechen im Hinterland der Ostfront verantwortlich war. Im September 1941 vernichtete Peters Einheit das Dorf Leltschitky und erschoss 1.089 Jüdinnen und Juden.

Faschistische Kaderschmieden

Seit ihrer Gründung spielen die sogenannten »Burschenschaften« und ähnliche Organisationen (»Landsmannschaften«, »Corps«,…) eine zentrale Rolle in der FPÖ. Zusammen mit dem Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) und dem Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), derenFührungsmitglieder sich aus den Burschenschaften rekrutieren, bilden sie die Kaderschmiede der FPÖ. In Österreich gibt es nur rund 4.000 Mitglieder von Burschenschaften (und um präzise zu bleiben, von allen deutschnationalen Korporationen), aber sie haben die vollständige Kontrolle über die FPÖ. Führer Strache ist Mitglied der »Vandalia Wien« und vier seiner fünf Stellvertreter sind Burschenschafter. 20 von 33 Mitgliedern des Bundesvorstands und 21 von 51 Abgeordneten im Parlament gehören deutschnationalen Verbindungen an. Die Burschenschaften funktionieren dabei nicht nur als Kaderschmieden für die FPÖ, sondern alle prominenten Neonazi-Führer in Österreich kommen aus diesem Milieu.

In der Zwischenkriegszeit führten ihre Mitglieder die blutige Konterrevolution als Befehlshaber der Freikorps an und bildeten ein wichtiges Standbein der NSDAP in Deutschland und Österreich. Sie machten in der Nazi-Maschinerie schnell Karriere und organisierten den Holocaust und die Auslöschung ganzer Dörfer und Regionen als Teil der »Partisanenbekämpfung«. SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner von der Burschenschaft »Arminia Graz« war Nachfolger des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reinhard Heydrich, und damit Leiter der Naziterrormaschinerie; SS-Untersturmführer Irmfried Eberl von der »Germania Innsbruck« ermordete als Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka hunderttausende Jüdinnen und Juden aus dem besetzten Polen und der Ukraine; SS-Obersturmführer und SS-Arzt Hermann Richter von der »Sängerschaft Skalden Innsbruck« entnahm in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen Lagerinsassen bei vollem Bewusstsein Organe, um zu beobachten, wie lange sie diese Folter überleben konnten. Bis heute ehren die Burschenschaften diese Nazibestien in ihren Mitgliederlisten. 2004 hielt FPÖ-Obmann Strache selbst die »Totenrede« beim jährlichen »Heldengedenken«, um die gefallenen deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu ehren – genau am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai.

Kein Wunder, dass die Burschenschaften noch immer Lieder wie »Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million« singen, wie zu Beginn des Jahres 2018 bei der Burschenschaft »Germania Wiener Neustadt« aufgedeckt wurde.

Die Umkehrung der Strategie Hitlers

Auch wenn die Regierungsbeteiligung der faschistischen FPÖ sehr bedrohlich war, drohte nicht unmittelbar die faschistische Machtübernahme und Diktatur wie 1933 in Deutschland. Das Verhalten der FPÖ in der Regierung war so, wie ich es von geschickten faschistischen Parteien in Friedenszeiten im Vergleich zu Zeiten von Bürgerkrieg und imperialistischen Kriegen erwarte.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen der Zwischenkriegszeit und heute. In den Analysen von Leo Trotzki wird deutlich, dass der Faschismus zwei Flügel benötigt; einen parlamentarischen Flügel, welcher der Bewegung ein respektables Gesicht gibt und die Gegner lähmen kann, und einen Flügel auf den Straßen, eine wirkliche Massenbewegung als Machtbeweis, die imstande ist, politische Gegner zu terrorisieren. Adolf Hitler musste seine Sturmtruppen, die auf den Straßen bereits stark waren, zähmen und einen respektablen Parlamentsflügel aufbauen sowie bei Wahlen antreten.

Der Historiker Robert O. Paxton betonte in seiner vergleichenden Analyse verschiedener Formen des »klassischen Faschismus« der 1920er- und 1930er-Jahre, dass »einige wenige faschistische Bewegungen«, wie jene von Hitler und Mussolini, »sehr viel erfolgreicher als die übliche Sorte faschistischer Straßenredner und Schlägertypen« wurden. Erstere fühlten sich »(…) nicht nur zur Herrschaft berufen, sondern waren auch von keinem der Gewissensbisse der Puristen geplagt, an bürgerlichen Wahlen teilzunehmen. [Hitler und Mussolini] machten sich daran – mit eindrucksvollem taktischen Geschick und auf durchaus verschiedenen Wegen, die sich über Versuch und Irrtum erschlossen –, zu unentbehrlichen Teilnehmern im Rennen um die politische Macht in ihren Ländern zu werden. (…) Die meisten [der] schwachen Imitate zeigten, dass es nicht ausreichte, ein buntes Hemd überzuziehen, herumzumarschieren und irgendeine lokale Minderheit zusammenzuschlagen, um den Erfolg eines Hitler oder Mussolini zu haben … Die Imitate brachten es über das Gründungsstadium nicht hinaus und unterlagen daher auch nicht den Transformationen der erfolgreichen Bewegungen. Sie blieben »rein« – und bedeutungslos.«

Hitler musste seine Strategie nach dem gescheiterten Putschversuch von 1923 in München anpassen. Er dachte zunächst, dass es genügen würde, bewaffnet auf die Zentren der Macht zu marschieren und die herrschende Klasse würde sich auf seine Seite schlagen. Aber die Polizei eröffnete das Feuer auf Hitler und seine Begleiter, er selbst wurde inhaftiert. Die herrschende Klasse fürchtete, dass – wenn sie sich mit Hitler verbünden würden – ein erfolgreicher Putsch erneut einen Aufstand der Arbeiterklasse provozieren könnte, wie schon beim Kapp-Putsch 1920, als sich Arbeiter in ganz Deutschland gegen die Konterrevolution bewaffneten. Das Ruhrgebiet fiel de facto unter die Kontrolle der Roten Ruhrarmee. Die Regierung brauchte mehrere Monate, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Im Gefängnis in Landsberg zog Hitler den Schluss, dass er seine Bewegung unter Kontrolle halten und einen offiziell wirkenden Parlamentsflügel aufbauen musste:

»Statt die Macht durch Waffengewalt zu erringen, werden wir zum Ärger der katholischen und marxistischen Abgeordneten unsere Nasen in den Reichstag stecken. Wenn es auch länger dauert, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, so wird uns schließlich ihre eigene Verfassung den Erfolg garantieren.«

Wenn er von den deutschen Eliten ernst genommen werden wollte und ihm die mächtigsten Männer Deutschlands die Führung über die Konterrevolution anvertrauen sollten, musste Hitler eine politische Massenbewegung inner- und außerhalb des Parlaments aufbauen. Die SA sollte vor allem unbewaffnet aufmarschieren und Hitlers langfristige Perspektive des parlamentarischen Wachstums der Nazis sollte seine Gegner beruhigen und täuschen. Ein Häufchen Schlägerkommandos, die Terror verbreiten, würde zu wenig sein. Er schrieb an SA-Chef Pfeffer von Salomon in seinem »SA-Befehl Nr. 1«, dass die SA nicht nach »militärischen«, sondern nach »parteizweckmäßigen« Gesichtspunkten zu organisieren sei: »Was wir brauchen, sind nicht hundert oder zweihundert verwegene Verschwörer, sondern hunderttausend und aberhunderttausend fanatische Kämpfer für unsere Weltanschauung. Nicht in geheimen Konventikeln soll gearbeitet werden, sondern in gewaltigen Massenaufzügen.«

Und dennoch, wie Trotzki argumentierte, hatte »Hitler nicht übersehen, dass der Weg zur Macht durch grausamsten Bürgerkrieg hindurchführt«, und »dass seine Reden vom friedlichen, demokratischen Weg eine bloße Tarnung sind, eine Kriegslist.«

Heute drehen manche Faschisten diese Strategie um. Sie sind bereits stark in den Parlamenten, haben aber Probleme, eine Massenbewegung auf der Straße aufzubauen.

Hürden für militante Straßenbewegung

Warum es modernen Faschisten nur in Ansätzen gelingt, Massenaufmärsche auf den Straßen zu organisieren, das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es in vielen Ländern eine lebendige antifaschistische Tradition, die den Versuch der Faschisten, die Vorherrschaft über die Straße zu gewinnen, bekämpft.

Zum anderen existiert der dunkle Schatten von Auschwitz, der dem Faschismus heute im Weg ist. Faschisten bauen vor dem Hintergrund der Schrecken des Zweiten Weltkriegs auf. Seit Auschwitz verbindet man mit Faschismus Krieg und den Holocaust. Alles, was damit verbunden ist, versucht eine faschistische Partei zu verstecken (wenngleich sie von Zeit zu Zeit ihren Anhängerinnen und Anhängern keinen Zweifel über ihre Bewunderung für Hitlers Terror und den Holocaust lassen). Ein weiterer Grund ist, dass die wirtschaftliche Krise noch nicht tief genug ist, dass verzweifelte Massen des Kleinbürgertums und Teile der deklassierten Arbeiterklasse zu einer faschistischen, gewaltbereiten Straßenbewegung strömen würden. Die Gesellschaften in den 1920er  und 1930er Jahren waren radikalisiert durch die imperialistischen Kriege und Aufmärsche der Freikorps, Heimwehren usw. auf der rechten und des Republikanischen Schutzbundes, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold usw. auf der linken Seite.

Faschistisches Projekt der FPÖ

Die Tatsache, dass moderne Faschisten Probleme beim Aufbau einer massenhaften Straßenbewegung haben, ändert nichts daran, dass sie Faschisten sind. Maskierte faschistische Parteien, die sich auf die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zu ihren Gunsten, die Unterwanderung und den Umbau des Staates und die Herausbildung von Parteikadern konzentrieren, sind meinem Verständnis nach noch gefährlicher als offener auftretende Faschisten, wie beispielsweise die Goldene Morgenröte in Griechenland.

Moderne Faschisten versuchen, sich bei dem radikalsten, unzufriedensten Teil der herrschenden Klasse zu beweisen. Aber zwischen der traditionellen Rechten (Republikaner, ÖVP, Konservative, Orbán…) und faschistischen Kräften (Alt-right-Bewegung, FPÖ, Jobbik…) besteht eine besondere Beziehung. Die Arbeitsteilung liegt darin: Ein aggressiverer, gewalttätigerer Neoliberalismus im Gegenzug für die Rehabilitierung von Faschismus. In Österreich agiert die Freiheitliche Partei als Kettenhund für die konservative, neoliberale Rechte. Um seine Gegner zu bezwingen (inner- und außerhalb des Parlaments) und seine neoliberale Agenda (12-Stunden-Tag, Zerschlagung des Sozialversicherungssystems, Kürzungen im Sozialsystem für Langzeitarbeitslose etc.) nutzt Kanzler Kurz die Brutalität und Skrupellosigkeit der FPÖ.

Die FPÖ verfolgt im Allgemeinen eine flexible Wirtschaftspolitik –, in der Opposition forderte sie manchmal sogar Reichensteuern und lehnte den 12-Stunden-Arbeitstag ab. Als vor den letzten Nationalratswahlen absehbar wurde, dass sie mit der ÖVP die nächste Regierung bilden würde, passte sie ihr Wirtschaftsprogramm mehr oder weniger gänzlich der neoliberalen Agenda des bevorstehenden Koalitionspartners an. Aber Neoliberalismus ist nicht ihre Priorität. Es sieht mehr nach einem Gefallen für die herrschende Klasse aus, der die Freiheitlichen ihre Würdigkeit beweisen wollen. Ihre oberste Priorität in der Regierung ist der Umbau des repressiven Staatsapparats und die Wahrnehmung des günstigen Augenblicks, ihre Agenda der Verrohung der Gesellschaft voranzutreiben. Im Gegenteil, die FPÖ ist sich dessen völlig bewusst, dass die neoliberale Wirtschaftspolitik ihre eigenen Wähler (Teile der unzufriedenen, unorganisierten Arbeiterklasse) eher trifft als die bürgerliche Basis der ÖVP. Strache überließ das Finanzministerium der ÖVP und setzte selbst eine unbekannte Figur in das Sozialministerium, die man – falls nötig – leicht absägen und von der Partei trennen könnte.

Die Arbeitsteilung konnte man am besten im Deal zwischen FPÖ und ÖVP im Fall von Österreichs Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt beobachten. Wie aufgedeckt wurde, drängte die FPÖ zum Rückzug aus dem Pakt, der bis dahin von Kanzler Kurz begrüßt wurde. Mit dem Ausstieg rollte Strache der Straßenkampftruppe der »Identitären Bewegung«, die wochenlang eine Kampagne gegen den UN-Migrationspakt organisierte, den braunen Teppich aus. Im Gegenzug erhielt Kurz’ ÖVP die Zustimmung der FPÖ bei der Zerschlagung der »Notstandshilfe« (eine Sozialleistung für Arbeitslose). Allerdings förderte dieser Fall auch die Instabilität des Deals zu Tage. Infolge wütender Attacken seiner Wähler musste Strache beteuern, dass niemand enteignet werde. Auf der anderen Seite brach ÖVP-Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sein Schweigen und griff indirekt Kanzler Kurz und seinen Vize Strache an, indem er den Rückzug aus dem UN-Migrationspakt beklagte. Er sagte: »Österreich ist natürlich ein Einwanderungsland.«26

Schlussfolgerungen

Faschismus ist eine flexible politische Bewegung. Die faschistische Bewegung war nach 1945 nie weg, sondern hat nur verschiedene Organisationsformen angenommen. Auch heute agieren Faschisten und haben europaweit Erfolg – vor allem mit parlamentarischen Formationen. Auf dem Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1933 blickte Hitler zurück auf den Weg der Partei an die Macht: »Allmählich entstand im Staat der Demokratie der Staat der Autorität, im Reiche der jammervollen Gesinnungslosigkeit ein Kern fanatischer Hingebung und rücksichtsloser Entschlossenheit. Eine einzige Gefahr konnte es gegen diese Entwicklung geben: Wenn der Gegner (…) mit letzter Brutalität am ersten Tag den ersten Keim der neuen Sammlung vernichtete.«

Entschlossener Widerstand gegen jeden Versuch faschistischer Organisierung ist allerdings nicht nur deswegen nötig, weil in der Zukunft möglicherweise eine große Gefahr lauern könnte.

In der derzeitigen politischen Entwicklung ist Rassismus das entscheidende Element, das den Aufstieg der radikalen Rechten ermöglicht. Rechtsnationalistische und faschistische Parteien, egal ob in der Regierung oder in der Opposition, treiben den Rassismus der traditionellen »Zentrumsparteien«, in den meisten Fällen sozialdemokratische und konservative Parteien, gegen Muslime und Geflüchtete auf die Spitze. Das Zentrum reagiert darauf mit Zugeständnissen oder Übernahme extrem rechter Inhalte. Diese Dynamik stärkt wiederum auch jene, die eine faschistische Straßenbewegung aufbauen wollen. Schon heute bedrohen europaweit Faschisten mit Brandanschlägen und Überfällen Leib und Leben von Geflüchteten, Gewerkschafterinnen und Andersdenkenden, wie beispielsweise der organisierten Linken. Zwar bevölkern noch keine Bürgerkriegsarmeen die Straßen und ebenso wenig setzen die Herrschenden systematisch auf eine Übergabe der Macht an sie. Doch die gegenwärtigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse sind nicht von Ewigkeit. Auch für den »Faschismus in Friedenszeiten« gilt: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!


David Albrich

David Albrich ist Redakteur von »Linkswende jetzt!«, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik in Österreich und Autor von »Das Braunbuch FPÖ« (2015).

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2 Kommentare

  1. Flo

    Ihr habt euch die einzige Gruppe in Österreich ausgesucht, die die FPÖ als Faschistische Partei analysiert. Das ist eine in der österreichischen Linken relativ isolierte Position. Sie führt auch zu falschen Schlussfolgerungen. Ich denke bei http://www.oekosoz.org/ werdet ihr diese Positionen nicht finden. LG aus Wien

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