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Bärn-Rap: Tommy Vercettis Album “No 3 Nächt bis Morn”

Neun Jahre sind vergangen, seit Tommy Vercetti mit seinem Debütalbum «Seiltänzer» nicht nur die Schweizer HipHop-Szene aufgemischt, sondern auch gezeigt hat, wie politisch links verortetes künstlerisches Schaffen weit weg von Plattitüden und Szenenunterhaltung funktionieren kann. Nun ist sein Nachfolgewerk «No 3 Nächt bis Morn» erschienen. Es ist ein Album geworden, das sich nicht nur für Rap-Fans lohnt.

von Matthias Kern & Mats Brunner (BFS Zürich); aus antikap

Der nach eigener Aussage politisch relevanteste Rapper der Schweiz hat am 27. September sein neues Soloalbum – «No 3 Nächt bis Morn» – veröffentlicht. Die 15 neuen Songs auf dem Album sind nicht nur ein künstlerisches Werk, sondern auch ein politisches Manifest geworden. Doch Vercetti unterscheidet sich von bloss Parolen-dreschenden linken Szene-Rapper*innen, indem er Eindrücke aus Kunst und Literatur verarbeitet und sich so einen eigenen lyrischen Zugang zu Themen wie Unterdrückung oder Lohnarbeit schafft. In «No 3 Nächt bis Morn» kommt der Anspruch, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu bilden und zum Denken anzuregen noch besser zur Geltung, als im Debutalbum «Seiltänzer», auch wenn dadurch die Songtexte stellenweise Gefahr laufen, ins Kryptische umzuschlagen. Durch die vielfältigen und teilweise sehr dicht präsentierten intellektuellen Einflüsse ist an gewissen Stellen nicht auf den ersten Blick ersichtlich, wohin Vercetti mit seinen Texten genau will.

«Eui Firme, eui Banke, eue Staat stö uf wiibleche Bei, u die gheiä we si wei!»

Am stärksten ist Vercetti dort, wo er direkt auf politische Bewegungen in der Schweiz Bezug nimmt. Zum Beispiel im Song «Who Cares?», in dem er die Geringschätzung der Care-Arbeit und die Verdrängung der Frau aus der Geschichte thematisiert. Vercetti liefert mit dem starken Track einen schönen Rückblick auf den Frauen*streik und erinnert gleichzeitig an den zentralen Slogan der basisgewerkschaftlichen Betreuer*innengruppe Trotzphase, die sich für bessere Arbeitsbedingungen und grössere Wertschätzung von Betreuungsberufen einsetzt. Auch der Klimastreik findet bei Vercetti eine musikalische Verarbeitung. In «Nordwärts» wird Vercetti zum Klimamigranten, der das unbewohnbar gewordene Bern in Richtung Sibirien verlassen muss. Die dystopische Umsetzung verhindert jedoch, dass inmitten der apokalyptischen Schilderungen eine politische Perspektive erkennbar wird.

Weiter ist auch die Geburt von Vercettis Tochter ein präsentes Thema auf der Platte. So wird im Song «Güetzi» unser Wirtschaftssystem anhand einer Spielplatzszene beschrieben. Da ist dieser kleine Bub, der die Kontrolle über die Güetzi auf dem Spielplatz erlangt und damit die anderen Kinder kontrollieren kann. Bald haben die Güetzi ihren eigentlichen Zweck, dass sie nämlich gegessen werden können, verloren und dienen nur noch der Durchsetzung von Interessen. Trotz der einfachen Metaphorik gelingt es Vercetti auch hier, seine kapitalismuskritischen Ausführungen weder als billig noch als klischiert erscheinen zu lassen.

Musikalisch erweist sich die Zusammenarbeit mit dem Produzenten Pablo Nouvelle als gelungen. Die Beats, bei denen an verschiedenen Stellen Nouvelles Affinität für elektronische Musik zu erkennen ist, sind extrem vielfältig, wandeln sich auch innerhalb der einzelnen Stücke und wirken sehr überlegt auf Tommys Texte geformt.

Insgesamt hat Vercetti ein komplexes Album geschaffen, bei dem gerade die streckenweise durchaus vorhandene Unzugänglichkeit und Sperrigkeit der Texte den Reiz ausmacht.

Zum Glück legt Tommy Vercetti aber grossen Wert auf das Gesamtpaket des Albums, und dazu gehören neben der Musik auch die Gestaltung des Umschlags und ein umfassendes Booklet. Darin finden sich die Songtexte, die jeweils noch mit unterschiedlichen Zitaten von Aristoteles bis Karl Marx erweitert werden.

So lohnt es sich, das Album mehrmals zu hören und gleichzeitig im Booklet zu blättern, weil sich jedes Mal neue Zusammenhänge erschliessen und verborgene Bedeutungsschichten zu Tage gefördert werden. «No 3 Nächt bis Morn» ist daher nicht bloss für Rap-Fans interessant, denn Vercetti hat ein hochgradig politisches Album geliefert, das inmitten der unerbittlichen Verdinglichung des Alltäglichen Hoffnung aufleuchten lässt.


Auf https://tommyvercetti.lnk.to/album kannst du Vercettis Album bestellen und einige Lieder anhören.


Songtext-Ausschnitt «Vorem Gsicht»

Lug, i hane Job, är macht mi kaputt, Houptsach är zaut
fingä ke Schlaf, figgetmer mi Chopf, i wirdä hiä nid aut
schaffe z lang, mache aues, niämer zaut, niämer fragt
obi glücklech wär, obi überläb’, hüt platzt mer dr Hals
i ga zu mim Chef, forderä mi Stutz, si Blick dümmlech fies
glatt rasiert u Schlips, kantige Schnitt, d Huut schwammig wiiss het ke Ziit, nickt nur doof, nid sis Bier, drittä Stock

oberscht Firmeboss, i zittere bim Chlopfe und trittä ii
glatt rasiert u Schlips, kantige Schnitt – det sitzt genau dr Gliich! verarschä die mi iz? fragi mi verwirrt, wo är mi zrächt wiist
figg uf dä, nid mit mir, i ha Rächt, vor Gricht mit däm
Azeig versandt, Achläger-Stand, dr Richter tritt ii
glatt rasiert u Schlips, kantige Schn… – nomau genau dr Gliich! Arbeitsvertrag, erwachsnige Maa, süsch gäbs ke Bewiis
mir wird schwindlig, Fiumriss, Irrsinn, Wahnsinn
verlüüre dr Verstang, tröimä gloub ds aues und flüchtä uf d Schiissi.

Songtext-Ausschnitt «Who Cares?»

Wange heiss, lahmi Bei, lahme Geischt, niemer hiuft lääri Hirni, lääri Männer, lääri Täuer, Gäud ke Wärt Kakerlake, verkackti Lake, nassi Ländä, gfuuleti Huut losi Tribe, liislig tobe, dunkli Wägä, niene Liecht
oni Nöchi, roti Äugli, toti Säugling, steuder vor […]

au Soldate het öpper gwicklet, au Generäu het öpper kläpft aui Banker het öpper zuedeckt, au Aktionäre het öpper pflegt aui Herrscher het öpper tröschtet, aui Götter het öpper gstiut
aune Rapper het öpper gsunge, singt no immer, singt o morn

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