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200 Jahre Marx: Krisen und Zusammenbruch (VI)

In seinem Hauptwerk Das Kapital zeigte Marx die Funktionsweise des Kapitalismus auf. Daraus schloss er auch, das ein krisenfreier Kapitalismus nicht zu haben sei, die kapitalistische Funktionslogik würde zu periodisch wiederkehrenden Krisen führen. (Red.)

von Manuel Kellner; aus Sozialistische Zeitung

Vorkapitalistische Wirtschaftskrisen waren Mangelkrisen, weil bestimmte Güter des täglichen Bedarfs (Gebrauchswerte) zu knapp wurden, z.B. wegen Missernten. Mit der kapitalistischen Produktionsweise entsteht das Paradoxon der Überproduktionskrisen, weil bestimmte Güter (Tauschwerte, Waren) «zu viel» produziert worden sind – sei es zu viele Konsumgüter gemessen an der zahlungsfähigen Nachfrage («Unterkonsumtion»), sei es zu viele Güter einer bestimmten Sparte, etwa Produktionsmittel, im Verhältnis zu Gebrauchsgütern des täglichen Bedarfs («Disproportion»).

Waren- und Geldwirtschaft schliesst immer die Möglichkeit ein, dass die grosse Zahl der einzelnen Handlungen auf dem Markt (Kauf und Verkauf von Waren) zu einem unvorhergesehenen Gesamtergebnis führt, z.B. auch zu Stockung und Krise. Ein römischer Kaiser, der betrügerisch mit Blei gefüllte Goldmünzen hatte prägen lassen, wunderte sich anschliessend, dass er damit eine mörderische Inflation auslöste: Nicht, weil die Leute das Blei in den Münzen entdeckt hätten, sondern weil die Münzen ihren angegebenen Wert nicht hatten und daher nach einer großen Zahl von Kauf- und Verkaufshandlungen ihre Glaubwürdigkeit verloren. Mit dem Aufkommen des Papiergelds als Wertzeichen und des Kreditwesens, noch mehr mit dem Ende der Konvertibilität des Papiergelds in Gold und erst recht mit dem Aufkommen elektronischer Ersatzwährungen wurden die Möglichkeiten dieser Art von Krisen auf die Spitze getrieben.

In der kapitalistischen Produktionsweise ist der Profit das Motiv für die Produktion. Die verallgemeinerte Konkurrenz der Einzelkapitale treibt die Akteure dazu, den Lohn möglichst niedrig zu halten und durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität möglichst viele Kosten zu sparen. Wenn dann die Realisierung des Mehrwerts (und damit des Profits) immer schwieriger wird, ist der Aufschwung vorbei, stocken die Märkte, kommen Talfahrt und Krise. Diese zyklischen Krisen, die seit Beginn der kapitalistischen Produktionsweise regelmäßig auftreten, haben auch eine «reinigende» Funktion: Die Grossen fressen die Kleinen, die Arbeitskräfte sind billiger zu haben, und das Ganze geht auf erweiterter Stufenleiter mit einem neuerlichen Aufschwung in die nächste Runde. Der Preis dafür ist die Vernichtung von viel Kapital und Gütern, sowie Erwerbslosigkeit und Verarmung für die abhängig Beschäftigten.

Es gibt aber auch eine zeitlich übergreifende Tendenz zum Fall der Profitrate (p’) – das ist laut Marx der Mehrwert (m) geteilt durch das Gesamtkapital (C). Da für Marx die lebendige Arbeit die einzige Quelle der Mehrwertproduktion ist, stellt er das Gesamtkapital im Nenner dieses Bruchs dar als Summe des konstanten Kapitals (c) und des variablen Kapitals (v), wobei ersteres dem Wert der Rohstoffe, Ausrüstungsgegenstände und Maschinen entspricht, letzteres den Kosten für die eingestellten Arbeitskräfte. Werden nun jeweils Zähler und Nenner dieses Bruchs durch v geteilt, ergibt sich im Zähler die «Mehrwertrate» m’ geteilt durch v und im Nenner die «organische Zusammensetzung» des Kapitals c geteilt durch v plus 1.

Eine solche Formel beweist zwar nichts, ist aber ein wirksames Mittel der Analyse. Sie zeigt, wie dem Fall der Profitrate entgegengewirkt werden kann: durch Steigerung der Mehrwertrate (also durch verstärkte Ausbeutung) und durch Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals (wenn etwa Maschinen ihrerseits maschinell hergestellt werden). Das Einsetzen konkreter Zahlen in die Formel, um die fallende Tendenz der Profitrate empirisch zu belegen, erfordert durchaus verwickelte Überlegungen, weil die kapitalistische Ökonomie die von Marx herausgearbeiteten kritischen Kategorien recht wirksam verschleiert. Darum gibt es in der Nachfolge von Marx immer wieder Kontroversen über den tendenziellen Fall der Profitrate.
Die in unserer Zeit so augenfällige Massenflucht von Kapital in Sphären ausserhalb der materiellen Produktion, vor allem in immer abgehobenere Spekulationsgeschäfte, erhärtet die Diagnose eines säkularen Abwärtstrends aber doch recht spektakulär. Die fortschreitende Verdrängung der lebendigen Arbeit aus dem Produktionsprozess, obwohl sie doch letztlich die einzige Quelle von Mehrwert und Profit ist, ist das Menetekel dieser widersinnigen und unabsehbare Katastrophen heraufbeschwörenden Wirtschaftsweise.

Der langfristige Trend in Richtung Zusammenbruch wurde historisch immer wieder durch ausserökonomische Faktoren gestoppt – durch die Entdeckung der kalifornischen Goldvorkommen, durch Kolonialismus und Imperialismus, durch mörderische Weltkriege, zuletzt durch den Untergang der Sowjetunion. Letztlich muss die kapitalistische Klassengesellschaft untergehen, alleine schon wegen der Plünderung und Zerstörung der Erde. Aber das ist keine optimistische Prognose – es kann ja noch viel schlimmer kommen: etwa durch Rückkehr zu Sklaverei und Warlords, die den bewaffneten Endkampf um die verbliebenen Ressourcen führen. Die Alternative ist der globale Sturz der Macht des Kapitals, die sozialistische Weltrevolution.

Titelbild: Der Streik in Charleroi – Robert Koehler, 1886

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