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WEF: Der „neue globale Kontext“ (2)

Das diesjährige Weltwirtschaftsforum findet unter dem Motto der “neue globale Kontext” statt. Der zweite Teil der Analyse beleuchtet, inwiefern sich dieser Kontext für die Herrschenden seit 1989 geändert hat und warum sich die imperialistischen Spannungen seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2007/08 verschärft haben. (Red.)


global contextvon BFS Jugend Zürich

Globalisierung und Imperialismus seit 1989

Wenn die Denker des WEF diffus von einem „Neuen globalen Kontext“ sprechen und scheinbar nicht so genau zu erklären wissen, was die neueren globalen Entwicklungen bedeuten, dann beziehen sie sich auf Prozesse, die wir mit einer marxistischen Analyse viel präziser fassen können. Diese Analyse beruht hauptsächlich darauf, das Kapital nicht einfach als Geld, oder wirre Wirtschaftsleistung, sondern umfassender als ein gesellschaftliches Verhältnis zu sehen ist. Die Kapitalist*innen müssen mit ihrem Kapital die Arbeitskraft kaufen, um sie zu erhalten und zu vermehren. Die Arbeiter*innen müssen ihre Arbeitskraft den Kapitalis*innen verkaufen, um zu überleben. Beide sind an das Kapital gebunden. Nur rein ökonomisch betrachtet ist es Geld, das investiert wird, um mehr Geld hervorzubringen.
Es gibt in der marxistischen Tradition eine lange Reihe von Theoretiker*innen, die sich genau mit diesem gesellschaftlichen Verhältnis im globalen Rahmen beschäftigt haben. Angefangen bei Marx, über Rosa Luxemburg, Lenin bis hin zu David Harvey gibt es eine Reihe von Erklärungen, welche die dem Kapital eigenen Bewegungsgesetze, also seine unaufhörliche Suche nach Möglichkeiten zur Akkumulation, als Triebfeder der meisten globalen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen sehen. Die Intensität und die Ausprägungen der jeweiligen imperialistischen Bestrebungen des Kapitals sind demnach immer mit der momentanen Stärke der herrschenden bzw. besitzenden Klassen sowie dem Zustand der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt verbunden. Deshalb lassen sich unter dem Stichwort des Imperialismus, bei Lenin das höchste Stadium des Kapitalismus, auch noch heute viele Prozesse umfassend beschreiben. (àSiehe auch Text 2 in dieser Broschüre.)
Ohne die unterschiedlichen Imperialismustheorien an dieser Stelle genauer zu untersuchen, soll es im Folgenden darum gehen, die Entwicklungen des Kapitalismus seit ungefähr 1989 grob zu skizzieren.

Das Aufkommen des Neoliberalismus

Nach dem 2. Weltkrieg und dem Sieg der Alliierten Streitkräfte trat die Welt ein in eine Phase der Blockbildung, einer Spaltung zwischen „West“ und „Ost“ und der Dominanz des US-amerikanischen Imperialismus (zumindest im „westlichen“ Teil der Welt). Geprägt war diese Zeit von starkem wirtschaftlichen Wachstum, kraftvollen Gewerkschaften und einem Ausbau sozialstaatlicher Errungenschaften. Dadurch konnte der Wohlstand von weiten Teilen der industrialisierten Arbeiter*innenklasse massiv gesteigert werden. Mit der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre kam dieses Modell, das aufgrund von steigenden (Massen-)Konsummöglichkeiten und einer damit verbundenen Steigerung der allgemeinen Nachfrage lange Zeit Überproduktionskrisen verhinderte, in Verruf. Politische Exponent*innen wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan begannen die Macht der Arbeiter*innen, die hauptsächlich auf deren Selbstorganisierung beruhte, zu brechen. Ein neues Dogma, mittels dem in Zukunft wieder Wirtschaftswachstum generiert werden sollte, trat in Erscheinung: Der Neoliberalismus. Kurz gesagt ging es darum, die Arbeitskraft global für das Kapital verfügbar zu machen und möglichst alle Hemmnisse, wie Mindestlöhne und Kündigungsschutz, aber auch Zölle und andere Beschränkungen abzubauen. Die Annahme lautete: Wenn Waren, Arbeitskraft und Kapital nur frei fliessen könnten, dann würden diese optimal produktiv tätig werden.

Entwicklungen des Kapitalismus seit 1989

Ab 1989 verschärfte sich diese Entwicklung noch einmal. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten verschoben sich die geopolitischen Vorteile noch mehr zugunsten der USA, welche fortan eine eigentliche Hegemonie-Stellung innehatten. Zugleich versprachen die Eingliederung der ehemaligen Sowjetunion in den Weltmarkt und die gleichzeitige Öffnung Chinas für westliches Kapital enorme Profitmöglichkeiten. Die Ideologie und die Mechanismen des Neoliberalismus konnten also global und praktisch unangefochten walten. Die Welt trat in die so genannte Phase der Globalisierung ein. Mittels Freihandelsabkommen wie dem GATT (Abbau von Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen), dem GATS (Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen), oder dem TRIPS (Anerkennung von geistigem Eigentum) wurden alle möglichen sogenannten „Handelshemmnisse“ abgebaut und neue Investitionsmöglichkeiten eröffnet. Dem Staat wurde angesichts dieser supranationalen Regelungen eine neue Rolle zugeschrieben, die den sozialen Ausgleich vernachlässigte und ihn zu einem Instrument für Marktöffnungen und Privatisierungsbestrebungen machte. Insbesondere in Ländern des globalen Südens wurden mit wirtschaftlichem und militärischem Druck die Rahmenbedingungen so angepasst, dass der Zugang von Kapital aus wirtschaftsstarken Industrieländern auf keine Hindernisse mehr stiess. Die 1994 gegründete Welthandelsorganisation WTO kann als Dachorganisation dieser Umstrukturierung der Welt angesehen werden.

Die Weltwirtschaftskrise von 2007 und ihre Folgen

Erst die globale Wirtschaftskrise, die ab 2007 ihren Lauf nahm, sollte die Beschränkungen und Unzulänglichkeiten dieser Entwicklungen aufzeigen. Dass die als Subprime-Krise begonnene Kontraktion des Kapitalismus als schwerste seit 1929 gilt, dürfte bekannt sein. Doch gerade weil diese Krise global auftrat und immer noch auftritt, kann es erstaunen, dass sie die globale Ordnung der Welt durcheinander brachte. Doch auch wenn eigentlich alle Teile der Welt, durch ihre Vernetzung in einer integrierten Weltwirtschaft, unter der Krise leiden, waren ihre Auswirkungen wohl doch in den USA (und Teilen Europas) am heftigsten. Dabei wurde nicht nur der US-Kapitalismus geschwächt, sondern eben auch die imperialistischen Bestrebungen der einstmals hegemonialen Supermacht.
Militärisch manövrierten sich die USA schon mit den wenig erfolgreichen, dafür umso kostenintensiveren Interventionen im Irak und in Afghanistan in eine Sackgasse. Scheinbar lassen sich geopolitische Ansprüche auch für die USA nicht mehr so einfach mit Gewalt durchdrücken. Doch militärische Macht und Intervention sind längst nicht die einzigen Dimensionen, in denen sich neuere Imperialismen äussern. Gerade in der Zeit der Globalisierung scheinen wirtschaftlicher Druck und politische Erpressung (u.a. mittels Freihandelsabkommen) ebenso wichtig zu sein. Nur haben die USA auch in diesem Bereich ein Problem.
Schon seit längerem sitzen die USA nämlich auf einem Aussenhandelsdefizit. Das heisst, die USA importieren gemessen am Wert mehr, als sie exportieren. Diese Mehrimporte müssen aber irgendwie bezahlt werden, weshalb die Verschuldung der USA in den letzten Jahrzehnten unaufhaltsam gewachsen ist. Dies ist solange kein Problem, als dass die Erwartung auf zukünftiges Wachstum und das Vertrauen auf eine rechtzeitige Rückzahlung der Schuldensummen einen konstanten Kapitalstrom in die USA aufrechterhalten. Die USA sind mittlerweile mit über 18 Billionen US-Dollar verschuldet. Dazu kommen immense Privatschulden, also beispielsweise Kreditkartenrechnungen, oder Hypotheken. Alleine als Studierendendarlehen sind zurzeit über 1 Billion US-Dollar an Schulden im Umlauf. Gleichzeitig kann eine Krise wie die Subprime-Krise das Vertrauen der Finanzmärke nachhaltig erschüttern und den Kapitalzufluss abreissen lassen.
Erschwerend für die USA kommt noch hinzu, dass deren Handelsdefizit vor allem im Handel mit China entsteht. Sehr viele Konsumgüter (moderne Smartphones sind nur ein Beispiel) werden in China gefertigt und anschliessend auf den Konsummärkten der USA verkauft. Dies hat nicht nur wirtschaftliche Nachteile, sondern schwächt auch die Position der USA in geopolitischen Machtkämpfen. Deshalb versuchen die USA nun seit einigen Jahren, ihr Handelsdefizit abzubauen. Und genau darum geht es in den beiden Freihandelsabkommen TPP und TTIP. Beide Abkommen haben zum Ziel nicht-tarifäre Handelshemmnisse (arbeitsrechtliche Bestimmungen, Umweltstandards etc.) abzubauen, um den US-Konzernen Investitionen im Ausland zu erleichtern und die schon getätigten finanziell abzusichern (u.a. mittels einem Investitionsschutz und damit verbundenen parastaatlichen Gerichten). Die dadurch erhoffte Stärkung der US-Exportindustrie soll sich auch positiv auf die geopolitische Stellung der USA insgesamt auswirken. Insbesondere das TPP-Abkommen (Trans-Pacific Partnership), bei dem China ausgeschlossen bleibt, soll die Importabhängigkeit der USA auf mehrere Länder verteilen und gleichzeitig den Einfluss der USA im Pazifikraum festigen. China antwortete darauf insofern, als es seit 2012 zehn Freihandelsabkommen mit asiatischen Ländern abschloss, mit denen die USA ab 2005 das TPP-Abkommen etabliert hatten. Das TTIP, welches zwischen den USA und Europa gelten sollte, kann wiederum als Versuch angesehen werden, die Konkurrenzfähigkeit der US-Industrie auf dem europäischen Kontinent zu steigern, um so ebenfalls das Handelsdefizit zu bekämpfen.
Was bedeuten nun diese Entwicklungen und inwiefern kann man von einer neuen Phase, einem „neuen globalen Kontext“ seit 2007 sprechen? Klar scheint, dass Prozesse, die David Harvey als „neuer“ Imperialismus beschreibt und die im Kontext der Globalisierung aufkamen, nicht zu Ende sind. In seiner Analyse geht Harvey davon aus, dass es auch heute noch Formen von „ursprünglicher Akkumulation“, wie sie bei Marx beschrieben wurde, gibt. Die sogenannte „Akkumulation durch Enteignung“ (Umweltzerstörung; Kommodifizierung von Arbeit, Kultur, intellektueller Kreativität, Körper; Privatisierung von natürlichen Ressourcen und öffentlichem Eigentum etc.) sei die entscheidende Triebkraft der imperialistischen Bestrebungen im Zeitalter der Globalisierung.

Wie weiter?

In den letzten Jahren sind allerdings neue Elemente hinzugekommen, weshalb Harveys Analyse nicht mehr genügt und ergänzt werden muss. So scheint sich zum Beispiel die US-Hegemonie dem Ende zuzuneigen, auch wenn die USA mithilfe der EU unbedingt daran festhalten wollen. Sowohl Russland, als auch China, aber auch weitere BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) haben ihre eigenen Machtansprüche ausgebaut und setzen scheinbar auf andere ideologische Ausprägungen der kapitalistischen Produktionsweise, die auch staatskapitalistische Elemente integrieren. Es wirkt paradox, dass sich die rivalisierenden Mächte seit einigen Jahren wieder vermehrt gegeneinander positionieren, scheint doch die global vernetzte Wirtschaft und deren Fortbestand im Interesse aller zu sein. Vielleicht lässt sich dieses Problem eher fassen, wenn wir uns noch einmal auf die Triebkräfte des Kapitalismus besinnen und den Zwang zur Kapitalakkumulation in Erinnerung behalten. Gerade in Zeiten der Krise, die sich sowohl als Überproduktions- als auch als Überakkumulationskrise äusserte, wenn also zu viel Kapital vorhanden ist, als dass die gesamte Menge produktiv eingesetzt werden könnte, scheinen sich die einzelnen Grossmächte wieder vermehrt auf ihre nationalen Kapitale zu beziehen. Es scheint so, als ob wir uns in einer Phase des Wandels befinden, in der Macht und Einflusszonen global neu verteilt werden und dass auch die militärischen Auseinandersetzungen in Syrien oder der Ukraine in diesem Kontext gesehen werden müssen. Auch in den kommenden Jahren dürfte es deshalb zu Spannungen kommen. Dabei ist es wichtig, weder die globalen Machtverschiebungen noch die verschiedenen, sich unter einander konkurrenzierenden Imperialismen einfach als Geopolitik abzustempeln. Imperialistische Bestrebungen sind immer auch Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der lohnabhängigen Bevölkerungen und demnach als Klassenkampf von oben zu verstehen, dem nur Solidarität und internationale Vernetzung von unten entgegengesetzt werden kann. Das TTIP ist dafür das beste Beispiel. Sowohl bei Lenin, als auch bei Luxemburg wurde die Analyse des Imperialismus immer schon mit einer internationalistischen Perspektive für den sozialistischen Kampf verknüpft. Dies wird auch in Zukunft der Weg sein, den wir gehen sollten.

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1 Kommentar

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