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Warum der neue Klimavertrag kein Schritt in die richtige Richtung ist

Am 12. Dezember haben Regierungsvertretende aus allen 195 Ländern einen neuen Klimavertrag unterzeichnet, indem das Ziel formuliert wird, die Erderwärmung auf 1,5°C zu beschränken. Nach vielen ergebnislosen Verhandlungen, konnten sich die beteiligten Staaten nun wieder auf einen gemeinsamen Text einigen. Doch kann dieser Vertrag als Schritt in die richtige Richtung bewertet werden? 

von Milo Caplero (BFS Basel)

„Es ist ein sehr guter Vertrag, der ein wichtiges Signal aussendet. Ich denke nicht, das man objektiv etwas besseres hätte erwarten können.“ Diese Aussage stammt nicht etwa von einem der Regierungsvertretenden, die nach jahrelangen ergebnislosen Verhandlungen die Tatsache hervorheben wollten, dass sich nun endlich wieder alle 195 Staaten auf einen gemeinsamen Text einigen konnten. Diese Aussage stammt vielmehr vom Konzernchef von Total, Patrick Pouyanné. Total ist das weltweit viertgrösste Mineralölunternehmen und macht mit der Förderung von Erdöl und Erdgas einen jährlichen Umsatz von 190 Mrd. Euro. Gemessen an den Klimazielen, die in diesem Text festgehalten werden, müssen jedoch mindestens 80% der bereits bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen im Boden gelassen werden. Würden die festgelegten Ziele eingehalten, müssten alle Erdölunternehmen, darunter auch Total, enorme Gewinneinbussen hinnehmen.
Was aber hat Pouyanné dazu veranlasst, diesen Vertrag derart positiv zu bewerten? Hat er die Tragweite dieses Textes nicht erfasst und übersehen, dass, wie Greenpeace verlauten liess, dieser Vertrag ein „wichtiger Schritt darstellt, um bis 2050 das Energiesystem von fossilen Energieträgern komplett auf erneuerbare Energieträger umzustellen“? Viele weitere Klimaschutzorganisationen stimmten in diese Lobeshymne ein. So beschrieb WWF Deutschland das Abkommen als „Meisterstück der Klimadiplomatie“. Auch das Netzwerk von Klimaaktivist*innen 350.org bewertet den neuen Klimavertrag als „wichtiger Fortschritt“[1].

Die Wünsche der Grosskonzerne wurden erfüllt

Jene, die aus ökologischer Sicht den Vertrag als Fortschritt bewerten, vergessen, dass er weitgehend den Wünschen der Grosskonzerne entspricht. Dass die Einhaltung der im Vertrag genannten Ziele theoretisch eine Abkehr von den fossilen Brennstoffen bedeuten würde, ist für diese Unternehmen kein grosses Dorn im Auge, weil im ganzen Abkommen kein Zeitplan für eine solche „Energiewende“ festgelegt ist und weil die vereinbarten Ziele keinen verbindlichen Charakter besitzen.
Bereits im Vorfeld haben die Grosskonzerne ein Abkommen gefordert, das auf unverbindlichen nationalen Reduktionszielen basiert und welches keine kurz- und mittelfristige Emissionsziele beinhaltet. Weiter haben sie die Förderung des globalen Emissionshandels sowie die Ausklammerung des Luft- und Schiffsverkehrs gefordert. Angesichts der Tatsache, dass alle diese Wünsche erfüllt wurden, wird Pouyannés Begeisterung verständlicher.
Zwar setzten sich die Staaten im neuen Abkommen das Ziel, die globale Erderwärmung „weit unter 2°C zu belassen“ und bis in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Nettoemissionen auf Null zu reduzieren (sprich genauso viel Treibhausgase zu emittieren, wie auch wieder absorbiert werden). Doch der Vertrag bestimmt keinen verbindlichen Zeitrahmen zur Treibhausgasreduktion, obwohl laut den Forscher*innen des UNO-Weltklimarates ein solcher Zeitplan unumgänglich ist. Zudem werden im ganzen Vertrag mit keinem Wort die fossilen Brennstoffe erwähnt und es gibt keinen Artikel, in dem sich die Staaten zu einem Umstieg auf erneuerbare Energien verpflichten.
Diese Diskrepanz zwischen Diskurs und Taten wird in Bezug auf die nationalen Reduktionsziele besonders deutlich. Nach den gescheiterten Verhandlungen in Kopenhagen im Jahr 2009 haben die Staaten in der Klimapolitik ein Paradigmenwechsel vorgenommen. Von nun an wurden keine verbindlichen Reduktionsziele mehr vereinbart, sondern jeder Staat sollte seine eigenen Emissionsziele (genannt INDCs) festlegen. Im Vorfeld der diesjährigen Klimakonferenz hat ein Grossteil der Staaten solche Emissionsziele vorgelegt. Unter Berücksichtigung dieser Ziele steuern wir jedoch auf eine Erwärmung von 2,7-3°C zu. Wie die Distanz zwischen diesen Emissionszielen und den im Vertrag festgelegten Klimazielen überbrückt werden sollte weiss niemand.
Weil dieses Abkommen keinerlei Verbindlichkeit besitzt, können jene Staaten, die sich nicht an ihre Verpflichtungen halten, auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Zwar ist eine (unverbindliche) Bewertung und Revision der Reduktionsziele im Jahr 2023 vorgesehen. Hält man sich aber an die Szenarien des Weltklimarats, sind die nächsten fünf Jahre entscheidend. Kurz, die geplante Revision der Klimaziele der einzelnen Staaten ist nicht nur unverbindlich und dadurch unnütz, sondern kommt auch ca. fünf Jahre zu spät. Darüber hinaus hat Barack Obama bereits erklärt, dass er keine Revision dieser Klimaziele erwarte.[2]
Maximes Combes, Ökonom von Attac Frankreich, beschreibt diese Distanz zwischen medialem Diskurs und tatsächlicher Politik als „schizophrene“ Haltung. Eine Karikatur davon wurde kürzlich vom britischen Parlament geliefert. Nur drei Tage nach dem Klimaabkommen stimmten die britischen Parlamentarier*innen einem Gesetzesentwurf zu, der Fracking-Bohrungen in Nationalparks und anderen geschützten Gebieten erlaubt.[3]

Freie Bahn für „Marktmechanismen“

Der neu unterzeichnete Klimavertrag setzt im Kampf gegen den Klimawandel auf sogenannte „Marktmechanismen“. So soll der Handel mit Emissionszertifikaten weiterhin gefördert werden. Anstatt eine tatsächliche Reduktion der Emissionen im Inland vorzunehmen, sollen Konzerne eine finanzielle Kompensation erhalten, wenn sie, dort wo es kostengünstiger ist (in den „Entwicklungsländern“ also), „umweltfreundlicher“ produzieren. Der Erlös aus diesen „Einsparungen“ kann dann dazu verwendet werden, durch den Kauf von Produkten oder die Tätigung von Investitionen neue Emissionen zu generieren. Insgesamt ein Nullsummenspiel also…
Wird der Verbrauch an fossilen Brennstoffen nicht eingeschränkt, bleibt nur noch die breite Anwendung von Technologien, welche das CO2 absorbieren und in tiefen geologischen Schichten ablagern (sogenannte Technologien der CO2-Abscheidung und -Speicherung). Viele dieser Technologien sind noch nicht ausgereift und ihre Risiken und Folgen werden ungenügend beachtet. In Frage kommt beispielsweise der grossflächige Anbau von Bäumen zur Absorption von Kohlendioxid aus der Luft. In der herrschenden Marktlogik kommt diese Technologie unweigerlich einer zunehmenden Enteignung und Monopolisierung der Landflächen sowie einer Zerstörung der Ökosysteme durch Monokulturen gleich.
„Wenn dieses Ziel aber tatsächlich erreicht werden soll, ohne dabei aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, müssen die oben genannten Technologien zwangsweise ausgeweitet werden… All dies in Kombination mit Atomreaktoren, grossen Wasserkraftanlagen, Biotreibstoffen und industriellen Anlagen von erneuerbaren Energien. Dabei bleibt aber die äusserst zentralisierte, ineffiziente und verschwenderische Struktur des kapitalistischen Energiesystems unverändert. Es werden also die Profite der grossen Unternehmen gerettet, obwohl diese für die Klimakatastrophe verantwortlich sind.“[4]
Der Menschenrechtsanwalt Alberto Saldamando bringt es auf den Punkt: „Das Abkommen von Paris ist ein Handelsvertrag, weiter nichts. Es verspricht, Länder zu privatisieren, zu kommodifizieren und zu verkaufen.“[5]

Eine friedliche Revolution?

Für den französischen Präsidenten François Hollande stellt dieser Klimavertrag die „schönste und friedlichste aller Revolutionen dar“[6]. Mit dieser Aussage ist er nicht alleine. Nicht nur Politiker*innen sondern auch Vertreter*innen von Umweltschutzorganisationen zeigten sich hocherfreut darüber, dass nun endlich die Staatengemeinschaft den Klimawandel als ernsthaftes Problem anerkennt. Es gelte diesen „Bewusstseinsumschwung“ zu begrüssen und wertzuschätzen, dass sich nun alle Regierungen gemeinsam dem Kampf gegen den Klimawandel verpflichtet haben. Dahinter steckt leider ein illusorisches Bild des Kampfes gegen die Umweltzerstörung.
Zum einen wird die Klimakrise als „Bewusstseinsproblem“ dargestellt. Demnach sei der mangelnde politische Wille dem Umstand geschuldet, dass sich die Herrschenden dieser Welt, den Risiken und Gefahren der drohenden Klimakrise noch ungenügend bewusst seien. Aus dieser Perspektive seien „wir“, ohne es zu bemerken, in die Klimakrise hineingeschlittert. Solche Aussagen lassen jedoch ausser Acht, dass es seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert Wissenschaftler*innen, Intellektuelle und Aktivist*innen gibt, die auf die drohende Umweltzerstörung durch das kapitalistische Produktionssystem aufmerksam machen. Seit Jahrzehnten machen Basisbewegungen auf der ganzen Welt in ihrem Kampf gegen industrielle Grossprojekte, Privatisierungen und Enteignungen auf die zerstörerischen Auswirkungen des kapitalistischen Produktionssystems aufmerksam. Dass diesen Bewegungen kein Gehör geschenkt wird und dass sie nicht selten brutal niedergeschlagen werden ist nicht einem mangelnden Bewusstsein der Herrschenden geschuldet. Anstatt „Überzeugungsarbeit“ bei jenen zu leisten, die kein Interesse an der Umgestaltung der bestehenden Ordnung haben, sollten wir vielmehr den Kampf jener Menschen unterstützen, die bereits heute für ein selbstbestimmtes und nachhaltiges Verhältnis zur Natur einstehen.
Zum anderen wiederspiegelt diese Aussage die Illusion, dass wir angesichts der Klimakrise „alle im selben Boot sitzen“. Dahinter steckt die Idee, dass die sozialen Konflikte und Kämpfe beiseite gelegt werden können und eine „vereinte“ Menschheit die Herausforderungen des Klimawandels gemeinsam meistern könne. Nichts liegt ferner als das: Die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht in allen Ländern und nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleich schwerwiegend. Die wissenschaftlichen Szenarien zeigen deutlich, dass die Länder des globalen Südens überdurchschnittlich von Überschwemmungen, Dürreperioden, starken Unwettern usw. betroffen sein werden. Doch auch in den industrialisierten Ländern sind die Auswirkungen nicht gleich verteilt. Das Beispiel des Wirbelsturms Katrina in New Orleans hat deutlich gezeigt, wie die Armen und Prekären aufgrund der sozialen Ungleichheit und des Abbaus der staatlichen Strukturen den Naturkatastrophen deutlich stärker ausgesetzt sind. Der Kampf gegen den Klimawandel muss daher auch ein Kampf für soziale Gerechtigkeit und für eine Umverteilung des Reichtums sein. Die Forderung nach Klimagerechtigkeit ist folglich unumgänglich für eine emanzipatorische Perspektive aus der ökologischen Krise.
Auch diesbezüglich bringt uns der neue Klimavertrag keinen Schritt weiter. Der Abschnitt über Menschenrechte, Frauenrechte sowie Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen wurde gar aus dem eigentlichen Vertrag gestrichen und in die Präambel verbannt, die keinen rechtlichen Charakter hat. Hinter dieser Operation steckten insbesondere die USA, die Europäische Union sowie Australien.[7]
Für Daniel Tanuro ist die Sache klar: „Die Lösung liegt weniger den je bei der Lobbyarbeit. Unter den 1,5°C zu bleiben ist nur durch Mobilisierung und Kämpfe möglich. Für unsere Kinder und unsere Erde, für die Natur, deren wir Teil sind, müssen wir die Macht der kapitalistischen Unternehmen brechen, die nach Profit und Wachstum dürsten. Ökosozialismus oder Barbarei!“
Schon heute kämpfen unzählige Menschen an verschiedensten Orten auf der Welt gegen die katastrophalen Konsequenzen des Klimawandels, von indischen Landarbeiter*innen-Kollektiven, über Indigene in Südamerika bis zur Braunkohle-Tagbau Blockade in Deutschland. Letztes Jahr gingen Hunderttausende in New York für den Klimaschutz auf die Strasse und in Kopenhagen war der Klimagipfel mit massiven Protesten und zivilem Ungehorsam konfrontiert. Auch vor einer Woche in Paris gingen Zehntausende trotz der repressiven Politik des französischen Staates auf die Strasse. Die Entscheidungen über die Zukunft unseres Planeten sollte nicht bei einer kleinen Elite liegen, lasst uns unsere Zukunft in die eigenen Hände nehmen.
[1] http://350.org/the-paris-agreement-and-what-the-future-holds/
[2] http://www.ft.com/intl/cms/s/0/c0aee1a8-a17d-11e5-bc70-7ff6d4fd203a.html#axzz3ufXwDjdg
[3] http://www.bbc.com/news/uk-politics-35107203
[4] http://www.lcr-lagauche.org/cop21-la-neutralite-climatique-au-prix-du-desastre-social-et-ecologique/
[5] http://indigenousrising.org/indigenous-peoples-take-lead-at-d12-day-of-action-in-paris-official-response-to-cop21-agreement/
[6] http://www.huffingtonpost.fr/maxime-combes/analyse-accord-cop21_b_8825110.html
[7] http://www.theguardian.com/environment/true-north/2015/dec/07/indigenous-activists-take-to-seine-river-to-protest-axing-of-rights-from-paris-climate-pact

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