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Am Rande vermerkt: Schlechter und rechter Journalismus

Am 13. September 2018 veröffentlichte die NZZ im Feuilleton einen Artikel von Jesse Eckhard, Politologe und sogenannter «Extremismusforscher». Der Titel «hier Aufmarsch, da Demo» soll laut dem Autor darauf hinweisen, dass Rechtsextremismus hoch- und Linksextremismus heruntergespielt wird – der Umgang manifestiere sich auch in der Sprache, eben: «hier Aufmärsche, da Demos». Der an prominenter Stelle erschienene Artikel ist auf so vielen Ebenen falsch, auf einige möchte ich gerne eingehen.

  1. Schon der Kernaussage, dass linke Gewalt bagatellisiert und rechte Gewalt dramatisiert wird, muss hier heftig widersprochen werden. Wenn mehrere tausend Rechtsextreme und Neonazis durch die Strassen einer Stadt ziehen, Journalisten und umstehende Menschen angreifen, sich den Nationalsozialismus zurückwünschen und Menschen zusammenschlagen, die nicht perfekt deutsch sprechen, dann ist das menschenfeindlich und gefährlich, nichts Anderes. Die Polizei war vor Ort, mit 600 Beamten – gegen 8000 rechte Glatzenköpfe, zum Teil stark alkoholisiert. Sie hatte die Lage natürlich nicht im Griff. Zum Vergleich: im September 2017 nahmen 400 Menschen an einer antifaschistischen Demo in Wurzen teil. Diese Demo wurde von mehreren Hundertschaften Polizei inklusive Hubschrauber und SEK (Sondereinsatzkommando) «abgesichert». Und das in einem Klima in Deutschland von Verschärfung der Polizeigesetze und einer generellen Repression gegen links – Verbot von Indymedia und die Verschärfung der Gesetze wie Paragraph 113 im Strafgesetz sind noch lange nicht alles[1]. Da fragt man sich, wer von wem geschützt wird.
  2. Während diverse Videos kursieren, wie Menschen durch die Strassen gejagt, Hitlergrüsse gezeigt und Naziparolen geschrien werden, erklärt der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen öffentlich, es hätte keine Hetzjagd stattgefunden, es gäbe keinen braunen Mob. Das ist unzumutbar und gefährlich. Doch anstatt Maaßen zu verurteilen, hält Innenminister Seehofer an ihm fest. Da wird rechte Hetze und fremdenfeindliche Gewalt gegen Menschen auf offener Strasse von der Politik schlichtweg akzeptiert, anders ist das nicht zu beschreiben.Was daran hochgespielt sein soll, sehe ich tatsächlich nicht, auch wenn ich mir Mühe geben würde. Eher scheint es mir so als, ob die Politik verharmlost, ignoriert und den braunen Mob in seiner Opferrolle begünstigt – schon fast zynisch das Ganze.
  3. Der Autor spricht von einer unorganisierten und spontanen Rechten gegenüber einer gut organisierten und vernetzten Linken, welche «ein weit höheres Mass an Planungsintensität auf[weist]» Da fragt man sich, welche Grundlage dieser Artikel denn noch hat, wenn der Autor sich scheinbar keine Minute die Mühe gemacht hat, über die rechte Szene zu recherchieren. Denn wer dies tut, dem wird schnell klar, wie organisiert und vernetzt die radikale Rechte tatsächlich ist. Das geht von lokalen Kameradschaften über Bundesweite Organisierungen bis hin zu internationalen Netzwerken[2][3]. Dies unter den Tisch zu kehren. ist schlichtweg Ignorant und zeugt entweder von reinem journalistischen Unvermögen oder aber von absichtlicher Verharmlosung rechter Strukturen.
  4. Jessen führt Zahlen an zum Beweis der bösen Linken: «Insofern gibt es deutlich mehr linke Gewalttaten gegen rechts (2017: 264) als rechte Gewalttaten gegenüber links (2017: 98)». Dazu würde mich noch einiges interessieren. Woher stammen diese Zahlen? Was ist das Kriterium für Gewalt? Gewalt gegen Dinge oder gegen Menschen? Welche Gewalt geht denn von diesen Strukturen gegenüber unbeteiligten Menschen aus? Was dabei ist Selbstschutz? Der Fragenkatalog lässt sich beliebig erweitern. Solche unkommentierten Zahlen als «Beweise» anzuführen, ist Ausdruck von schlechten Recherchen und begünstigt die Hetze nur.
  5. In zwei Nebensätzen erklärt der Autor, dass auch der Fundamentalismus extrem und somit schlecht sei. Dabei sprich er jedoch nur von islamistischem Fundamentalismus. Als wäre das die einzige Religion, die Fundamentalisten hervorgebracht hat. Um zu erfahren, dass dies nicht stimmt, hilf ein Blick in die Geschichtsbücher Herr Jessen. Auch dieses Narrativ von bösen islamistischen Fundamentalisten, die ins Land gelassen werden, fällt in einem vom rechten Rand geprägten Klima auf fruchtbaren Boden. Jede Religion und allen voran das Christentum bringt Fundamentalisten hervor. Dass es diese frauen- und homofeindlichen Strömungen auch in der Schweiz gibt, sehen wir jedes Jahr wieder am «Marsch fürs Läbe».

Dass so ein Artikel an einer prominenten Stelle wie dem Feuillton veröffentlicht wird, zeigt in welchem politischen Lager sich die NZZ sieht. Das ist nicht neu bei der bürgerlichen Zeitschrift und auch nicht neu ist die heuchlerische Position von wegen Links und Rechts ist beides schlecht. Neu ist das Versagen der Journalisten, in dem Fall Eckhart Jessen, sich zu informieren und Fakten einzuordnen. Mit dieser Art Journalismus wird rechte Hetze akzeptiert, in den Diskursmittelpunkt gehoben und begünstigt. Dagegen gilt es sich zu wehren und gemeinsam gegen die Akzeptanz für rechte Ideologien zu kämpfen!
Alerta, Alerta Antifascista!

von Sarah Friedli

[1] https://www.klassegegenklasse.org/kampf-gegen-linksextremismus-sek-mit-sturmgewehren-bei-antifa-demo/
[2] https://www.antifa.ch/category/recherche/organisationen/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=l90MokIcpVY
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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1 Kommentar

  1. Eva Borer

    Hallo Sarah Friedli
    Der Komentar scheint mir verständlich und die Angst und Kritik, dass die Rechtsextreme verharmlost wurde im genannten NZZ-Artikel finde ich berechtigt.
    Der Ton ist insgesamt etwas emotional – die Fakten und Argumente sprechen aber für sich. Wieso geht dieser Kommentar nicht direkt an die NZZ ?

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