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Am Rande vermerkt: Die SVP hat kein Demokratieverständnis

Die Demonstration „Trump not welcome“ am 23. Januar 2018 in Zürich sei “verantwortungslos, und vor allem bringts nichts, denn Trump ist demokratisch gewählt, und daher ist sie ein Ausdruck von mangelndem Demokratieverständnis”, meinte Alfred Heer, SVP-Nationalrat im Interview mit TeleZüri am 11. Januar 2018.
Man kann ohne Skrupel feststellen, dass viele Menschen in der Schweiz nicht einverstanden sind damit, wie es in ihrem Umfeld läuft, und überhaupt auf der Welt. Es ist bestimmt auch nicht übertrieben, wenn man sagt, dass viele Leute im Westen ein Gefühl der Machtlosigkeit überkommt, wenn sie über Ungerechtigkeiten in der Welt nachdenken. Und es ist ganz sicher wahr, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen dieser Welt sich mit Problemen konfrontiert sehen, die sie nicht selber lösen können.
Dass bürgerliche Politiker*innen wie Heer in diesem politischen Klima nun also soziale Protestbewegungen als ein Ausdruck von “mangelndem Demokratieverständnis” abtun, zeigt deutlich deren eigenes, beschränktes Verständnis von Demokratie.
Denn sie haben nicht verstanden, dass es ein grosses und ungelöstes Problem westlicher Demokratien ist, dass ihre Regierungen nur Scheinmehrheiten repräsentieren. Eine Mehrheit auf Wahlzetteln ist eine relative Mehrheit und ein Resultat von Machtverhältnissen, die die Mehrheit der Menschen nicht in ihre Prozesse mit einbezieht. Sie ist darum kein repräsentatives Abbild der tatsächlichen Meinungen und Wünsche der Menschen. Trump mag nach dem Wahlsystem zwar der sein, der am Ende am ehesten dem entsprochen hat, was man in den USA als “gewählt” bezeichnet. Trotzdem heisst das noch lange nicht, dass es demokratisch und legitim ist, dass er seine jetzige Position besetzt.
Es zeigt sich auch ein Unverständnis dafür, dass radikale Kritik zur Grundidee einer Demokratie dazu gehören muss. Denn wenn Menschen Zugang zu den Entscheidungsfindungen haben sollen, müssen sie grundlegend und von der Basis her kritisieren und wenn nötig eingreifen dürfen. Man kann es zwar schön finden, dass wir in der Schweiz gefragt werden, ob wir den Atommüll gleich hinter dem nächsten Hügel oder lieber woanders vergraben haben möchten. Doch wenn Menschen sagen, dass sie überhaupt keinen Atommüll wollen, sagen insbesondere bürgerliche Politiker*innen, dass das nicht geht. Auf genau dieselbe Weise werden Menschenmassen übergangen, die keine Ausbeutung, die Einstellung der Waffenproduktion, oder weniger Plastik fordern. Wenn also Menschen massenhaft ignoriert werden, ist es legitim und richtig, dass sie eingreifen, in dem sie protestieren, und es ist wichtig, dass sie als Masse zeigen, dass sie und ihre Forderungen existieren. Eine funktionierende Demokratie muss also radikaler Kritik offenstehen und sich den Herausforderungen stellen, die die Wünsche der Menschen mit sich bringen.
Umso mehr, dass eine Demonstration von Anfang an verurteilt wird, nur weil sie eine Anti-WEF-Haltung einnimmt, zeigt: die Bürgerlichen sind gegen das Demonstrationsrecht an sich, und nicht gegen den Inhalt der Demonstration. Nach ihrem Verständnis ist radikale Kritik nie gerechtfertigt, sondern nur gemässigte. Das zeugt erstens von Kritikunfähigkeit und ist zweitens gleichbedeutend mit einer Einschränkung des Mitspracherechts. Denn diese Haltung will vorschreiben, was man kritisieren kann und was nicht. “Atommüll nicht hier” geht, aber “kein Atommüll” geht nicht. Übrigens ist diese Haltung nicht nur Ausdruck von Unwillen, sondern auch von Unfähigkeit zur Aufgabenbewältigung innerhalb des verkorksten Systems des globalisierten Konzernkapitalismus.
Dass Bürgerliche davon ausgehen, dass dieses System trotzdem funktioniert und man daher nichts grundlegend verändern muss, ist unmissverständlich ein Ausdruck ihrer Ignoranz und Privilegien. Denn für sie funktioniert es tatsächlich: sie müssen nicht täglich mit schlecht bezahlter Arbeit (oder überhaupt keiner Arbeit), schlechter und trotzdem teurer Gesundheitsversorgung (oder überhaupt keiner Gesundheitsversorgung), Diskriminierung und Machtlosigkeit hadern. Nur Leute, die das seltene Glück haben, verschont zu bleiben von all diesen Problemen, mit denen die grosse Masse der Weltbevölkerung fertig werden muss, können so taub und blind sein.
Wenn es also tatsächlich das kümmerliche Kernstück von Heers Analyse ist, dass gegen Trump demonstrieren “nichts bringt”, dann beweist dies nur einmal mehr seine zynische und kurzsichtige Haltung. Es ist eine absurde Fehleinschätzung, dass diese Demonstration “verantwortungslos” sei, denn sie ist – ganz im Gegenteil! – Ausdruck eines richtigen Demokratieverständnisses. Eines, in dem Menschen die Aufgaben und Verantwortungen einer Demokratie wahrnehmen. Nämlich die Aufgabe, sich auseinander zu setzen mit den Problemen aller, solidarisch zu sein und nach Lösungen zu suchen für alle, und sich schliesslich für diese Lösungen einzusetzen, und sei es auch gegen die Interessen und Bemühungen der Machthaber.
von Thaggie Mätscher
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor*innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.

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