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Am Rande Vermerkt: Von wegen Demokratie

Diese Tage erschien in der SRF-Radiosendung Zeitblende ein spannender Beitrag über ein eher unbekanntes Kapitel Schweizer Geschichte. Die Sendung «Sieben Diktatoren und ein General» schildert, wie der Bundesrat und General Guisan im zweiten Weltkrieg die Kompetenzen des Parlaments aushebelten und im Alleingang die Schweiz regierten. Diese Macht wurde unter anderem für ökonomische Interessen bestimmter Kapitalfraktionen und zur Unterdrückung politischer Gegner*innen des Bürgertums missbraucht. Hervorzuheben ist hier das Verbot der Kommunistischen Partei der Schweiz von 1940. Nach dem Krieg musste der Bundesrat dazu gezwungen werden seine Vollmachten wieder abzugeben. Wäre es nach den damaligen Bundesräten gegangen, hätten sie weiterhin diktatorisch regiert. Doch welche Bedeutung hat das Vollmachtenregime im zweiten Weltkrieg und das nach wie vor existierende Notrecht für die Gegenwart?

Andere bürgerliche Staaten müssen zuerst im Parlament den Notstand beschliessen, um die eigenen demokratischen Spielregeln auszuhebeln. So geschehen beispielsweise in Frankreich nach den Terroranschlägen von Paris im Jahr 2015. Bekanntlich wurde das Notrecht unmittelbar danach missbraucht, um die Proteste gegen den COP 21-Klimagipfel in Paris zu bekämpfen. Der schweizerische Staat hat dies gar nicht nötig. Lautder Verfassung hat der Bundesrat die Möglichkeit, bestimmte Beschlüsse per Notrecht am Parlament vorbei zu fällen. 2008 kam so zum Beispiel das ‘Rettungs-‘Paket für die UBS zu Stande. Einfach mal so, ohne das Parlament zu konsultieren, hat der Bundesrat 68 Milliarden Franken an eine Grossbank gespendet. Dieses Jahr wurden Forderungen nach Notrechtsmassnahmen laut, um die Interessen des Kampfflugzeugherstellers Pilatus zu wahren. Diese beiden Punkte wurden in der Zeitblende als problematisch betrachtet, ich halte sie für skandalös.

Andreas Kley, der Jus-Professor, welcher in der Radiosendung Auskunft gibt, erläutert ebenfalls die polizeiliche Generalklausel. Kley hält es für unproblematisch, dass der Bundesrat in Notfällen die Polizei tun und lassen machen kann, was sie will. Mit dieser Klausel soll der bürgerliche Staat Gefahren abwehren können. Selbstverständlich ist die polizeiliche Generalklausel nicht nur problematisch, sondern gefährlich! Denn alle, welche sich schon einmal an einer mehr oder weniger radikalen, politischen Aktion beteiligt haben, wissen ganz genau, wer hier bestimmt, ob etwas eine Gefahr ist und wer die Repression zu spüren bekommt.

Dies bedeutet nichts anderes, als dass die in der Verfassung festgelegten Grundrechte massiv eingeschränkt werden können, wenn es dem bürgerlichen Staat und der herrschenden Klasse gerade genehm ist. Oder der Bundesrat kann sich per Notrecht über andere Verfassungsnormen hinwegsetzen, wie bei den 68 Milliarden für die UBS geschehen. Das heisst, wir leben in einer bürgerlichen Schönwetterdemokratie. Sobald sich die politischen Verhältnisse zuspitzen, werden wir die diktatorische Seite des Staates zu spüren bekommen. Und damit müssen wir uns angesichts der momentanen weltpolitischen Lage leider zumindest mittelfristig auseinandersetzen. Kley beendet seine Ausführungen auch mit der Kritik daran, wie schwammig bis gar nicht das Notrecht und die Möglichkeiten für ein erneutes Vollmachtenregime in der Bundesverfassung geregelt sind. Es sei denkbar, dass sich ein zukünftiges Regime per Gewohnheitsrecht auf die diktatorischen Verhältnisse von Bundesrat und General in den 1930er und -40er Jahren berufen könne.

Gerade im Hinblick auf die anstehenden Parlamentswahlen, wo grosse Teile der Klimabewegung und der feministischen Bewegungen sich auf Sitzgewinne zu fokussieren scheinen, ist es wichtig sich diese Umstände vor Augen zu führen. Bestimmt kann ein progressiveres Parlament den ein oder anderen Missstand beheben und höchst dringliche Forderungen nach Umweltschutz oder zum Beispiel gegen Genderdiskriminierung durchsetzen. Doch spätestens dann, wenn sich die Verhältnisse zuspitzen, zählt es, den Herrschenden eine starke Gegenmacht von Unten entgegensetzen zu können. Und das erreichen wir nicht, wenn wir uns auf Nationalratslisten setzen lassen, sondern wenn wir uns an der Basis feministisch, ökosozialistisch und antirassistisch organisieren.

Von Theo Vanzetti (BFS Zürich)

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2 Kommentare

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