Menu Schließen

Nicht „der Mensch“, sondern der Kapitalismus ist schuld an Pandemien

In der Wochenzeitung (WOZ) erschien am 24. Juni 2021 ein Artikel mit dem Titel «Pandemieprävention. Wenn der Mensch die Biosphäre dominiert». Der Beitrag von Matthias Becker weist zu recht darauf hin, dass die gestiegene Zoonosen-Dynamik auch ökologische Ursachen hat. Neben dem kommerziellen Handel mit Wildtieren und einer intensiveren Landnutzung, die oft mit der Zerstörung von Wäldern verbunden ist, wird die industrialisierte Tierhaltung genannt. Diese Prozesse befördern nicht nur den Spillover tierischer Erreger; sie beschleunigen auch den weiteren Verlust der Biodiversität. Weil dieser eine wichtige «bremsende» Funktion bei der Ausbreitung von zoonotischen Erregern zukommt, nimmt die Wahrscheinlichkeit globaler Pandemien weiter zu, wenn immer mehr Arten ausgerottet werden. So weit, so richtig.

Die im Text zitierten Wissenschaftler fordern, man müsse, um weitere Pandemien zu verhindern, bei «der Quelle des Problems ansetzen». Doch wo genau liegt diese Quelle? Im zerstörerischen Raubbau DES Menschen an der Natur, wie es auch der Titel des Artikels suggeriert? Wohl kaum. Genauso wie die Politik und weite Teile der Wissenschaft, stellt auch der Autor die wirklich entscheidenden Fragen auf dem Weg der Ursachenforschung nicht: jene nach den Akteur:innen und Strukturen, die diesen Raubbau vorantreiben. Es sind Investmentbanken, Fonds oder Pensionskassen – auch aus der Schweiz – , die entweder ins weiter wachsende globalisierte Fleischgeschäft oder in neue Palmölplantagen und Aufforstungsprojekte investieren. Letzteres wird inzwischen sogar als «grünes», also «gutes» und «klimafreundliches» Investment verkauft. Die treibende Kraft, nach der auch die Finanzakteur:innen handeln, ist die Profitorientierung, der die Unternehmen im herrschenden System unter dem Druck der Konkurrenz folgen müssen. Damit sind zwingend eine Wachstumsdynamik, ein steigender Ressourcenverbrauch und eine Ausbeutung von Mensch und Natur verbunden. Um weitere Pandemien zu verhindern, wäre es also notwendig, zunächst eine Ursachenforschung zu betreiben, die diesen Namen auch verdient. Mit der Tagung «Resilient agriculture for global health. Nur eine andere Landwirtschaft hilft gegen Pandemien», die am 4.-5. Juni 2021 stattgefunden hat – die WOZ war als Medienpartnerin dabei – wurde genau dies versucht.

Zwei zentrale Ergebnisse der Tagung sind: Der durch den Zwang des «Immer Mehr» ausgelöste Druck muss raus aus der Landwirtschaft, weil die sozialen und ökologischen Probleme, die dadurch verursacht werden, zu gross und zu gravierend sind. Der auch im WOZ-Artikel erwähnte Ansatz «One Health», der Gesundheit, Mensch, Tier und Umwelt gleichermassen in den Blick nimmt, ignoriert die gesellschaftlichen und ökonomischen Kräfte, die den Raubbau und die Ausbeutung vorantreiben. Er ist daher, wie es der Epidemiologe Rob Wallace fordert, durch das Konzept der «Structural One Health» zu ersetzen.

von Eva L. Blum (BFS Zürich)

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert