Die Kinderbetreuer*innen wurden seit Beginn der Corona-Pandemie als «systemrelevant» eingestuft. Trotzdem hat sich an ihren Arbeitsbedingungen und der Wertschätzung, die ihnen zustehen müsste, nichts geändert. Am Samstag, 26. September 2020 organisiert die Trotzphase, eine selbstorganisierte Gruppe von Kinderbetreuer*innen, in Zürich eine Demonstration „Für die Kinderbetreuung“ unter dem Motto «Die Kinderbetreuung ist am Limit». (Red.)
von BFS Zürich
Die Betreuung von Kindern wurde in der Schweiz zu Beginn des Covid-19 bedingten Ausnahmezustands als „systemrelevant“ eingestuft. Das bedeutete für die Betreuer*innen in den Kindertagesstätten (Kitas) und Hortleiter*innen, dass sie weiterhin arbeiten mussten, während weite Teile der Lohnabhängigen ins Homeoffice entlassen wurden. Dies führte zu absurden Situationen: Bei einigen Kitas blieben die Kinder zwar fern, die Kitas mussten aber dennoch geöffnet haben. Andere Kitas waren überlastet, weil die Schutzmassnahmen das Aufrechterhalten des „normalen“ Betriebs stark verkomplizierten oder weil Betreuer*innen wegfielen, da sie zur Risikogruppe gehören und zuhause bleiben mussten.
Und auch im Privaten verschärfte die Corona-Krise die ohnehin bestehende Notlage der Betreuungsarbeit. Viele Eltern im Homeoffice behielten ihre Kinder zuhause, obwohl sie die Beiträge für die Kitas weiterhin bezahlen mussten. Familien mit Kindern im Schulalter hatten gar keine andere Wahl, als die Kinder zuhause zu betreuen. Sowohl zuhause als auch in der ausserhäuslichen Betreuung kümmern sich vor allem Frauen* um die Kinder und hatten somit die Mehrbelastung zu tragen.
Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung!
Die Betreuungsarbeit ist ein Teil der gesellschaftlichen Reproduktion. Im Kapitalismus sind das Tätigkeiten, die dazu dienen, neue Menschen als Arbeitskräfte herzustellen (gebären, ernähren, aufziehen, etc.) und sie nach einem Arbeitstag soweit zu regenerieren, dass sie am nächsten Tag wieder arbeiten können (schlafen, ernähren, Unterkunft sicherstellen, emotional unterstützen, etc.). Die soziale Reproduktionsarbeit ist für das Funktionieren des Kapitalismus also unbedingt notwendig. Denn ohne sie gäbe es keine Arbeiter*innen mehr, die Mehrwert und somit Profit erzeugen könnten. Man könnte denken: wenn diese Arbeit für den Kapitalismus so wichtig ist, dann müsste sie von Kapitalist*innen und der Politik genügend Anerkennung erhalten. Falsch gedacht! Wir leben in einem System, in dem es nur darum geht, möglichst viel Profit zu machen. Daher ist es im Interesse der Besitzenden, dass die Reproduktionsarbeit möglichst günstig oder komplett unbezahlt verrichtet wird. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ermöglicht dies.
Es wird in unserer Gesellschaft als natürlich angesehen, dass Frauen* die soziale Reproduktionsarbeit leisten, obwohl es keine objektiven Gründe dafür gibt. Es wird nicht nur von ihnen erwartet, dass sie dies im Privaten unbezahlt machen, sondern auch, dass sie für einen extrem tiefen Lohn ihre Arbeitskraft verkaufen. Die Vorstellung davon, dass Frauen* «von Natur aus» eher emotional sowie emphatisch seien, und sowieso besser pflegen, sorgen und betreuen könnten als Männer*, findet sich auch in der Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt: überdurchschnittlich viele Frauen* arbeiten heute in der Pflege, der Betreuung, oder dem Detailhandel – in sogenannt feminisierten Berufen. Diese feminisierten Berufe wurden und werden ständig abgewertet:
Sofortige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Betreuung!
In den Kitas sind Missstände alltäglich. Ungenügende Betreuungsschlüssel und Personalmangel, zu wenig Platz, unerträgliche Lärmpegel, viel Personalwechsel und tiefe Löhne sind der Normalfall. Zudem würden die meisten Kitas und Horte ohne Lernende oder Praktikant*innen gar nicht funktionieren.
Es zeigt sich immer wieder: Die gesellschaftlich wertvolle und notwendige Betreuungsarbeit wird im Kapitalismus nicht wertgeschätzt, sondern herabgesetzt und vernachlässigt. Sie wirft kein Geld ab, denn Kinder können nicht direkt verwertet werden. Darum haben diejenigen, die sich um unsere Kinder kümmern, miserable Arbeitsbedingungen und schlechte Löhne oder arbeiten gar gratis, während diejenigen, die sich um unser Geld kümmern, grosse Boni und hohes Ansehen geniessen.
Eltern und Betreuer*innen haben die gleichen Interessen!
Zwar wird die Kinderbetreuung seit dem Ausbruch der Pandemie als ein sogenannt „systemrelevanter“ Bereich anerkannt. Dieser Einsicht folgte bisher aber weder eine Aufwertung zum gesamtgesellschaftlichen Interesse noch die materielle Anerkennung (also mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, etc.). Vielmehr versuchen die bürgerlichen Gegner*innen der Aufwertung von Betreuungsarbeit, die Eltern und Betreuer*innen gegeneinander auszuspielen: Der Anspruch der Eltern auf günstige und qualitativ hochwertige Betreuung wird als Widerspruch zur Forderung der Betreuer*innen nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhne dargestellt. Solange die Kitas privatwirtschaftlich organisiert sind, wird dieses Dilemma in der Tat nicht gelöst werden. Da die Kita-Betreiber*innen dem Profitzwang ausgesetzt sind, werden sie immer mehr Kitaplätze mit weniger Betreuer*innen und niedrigen Löhnen anstreben, was negative Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung hat. Eine wirkliche Veränderung kann nur durch die ganzheitliche Reorganisation der Kinderbetreuung unter gesellschaftlicher Kontrolle erreicht werden.
Die Kinderbetreuung geht uns alle an!
Dazu gehört die Überführung der ausserhäuslichen Kinderbetreuung in den öffentlichen Dienst. Es darf nicht sein, dass die Betreuung von Kindern marktwirtschaftlichem Profitzwang ausgesetzt ist.
Dazu gehört auch eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn für alle. So kann die gesellschaftliche Reproduktionsarbeit unter allen aufgeteilt und gemeinsam organisiert werden, was allen die Beschäftigung mit der Frage ermöglicht, in welcher Welt wir leben wollen. Gleichzeitig stellt die Arbeitszeitverkürzung (und somit geringere Produktion) bei gleichbleibendem Lohn eine Voraussetzung für eine ökologische Gesellschaft dar, was wiederum die Voraussetzung für eine lebenswerte Zukunft der Kinder ist.
Die Bewegung für den Sozialismus unterstützte die Trotzphase in den Demo-Vorbereitungen. Den Text haben wir an der Demo als Flyer verteilt.
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