In der englischen Stadt Bristol haben #Black-Lives-Matter-Demonstrant*innen eine Statue von Edward Colston im Hafen versenkt. Colston war ein Kaufmann im 17. Jahrhundert und unter anderem durch Sklavenhandel reich geworden. Während 125 Jahren stand sein Bronze-Abbild mitten in Bristol. Bis es nun endlich heruntergerissen, durch die Stadt gerollt und ins Meer geworfen wurde. Auch in der Schweiz gibt es solche «Denkmäler», denen ein ähnliches Schicksal zu wünschen wäre.
von Matthias Kern (BFS Zürich)
Erst vor einem Monat hat das Zürcher Kollektiv vo da darauf aufmerksam gemacht, dass man in der Stadt Zürich an verschiedenen Orten auf kolonial-rassistische Übrigbleibsel stösst. In einem Brief an die Stadtverwaltung erläuterten sie, weshalb die rassistischen Wandmalereien und Häusernamen im Niederdörfli endlich übermalt gehören. Die Stadt hat mit einem längeren Brief geantwortet, in dem sie das Problem zwar anerkennt, aber nichts dagegen unternehmen will. Eine Schande, gerade auch mit Blick darauf, dass sich die Stadt noch nicht einmal darum bemüht hat, mit einer Tafel oder Ähnlichem die Malereien einzuordnen und so dringend notwendige historische Distanz zu schaffen. Und dabei sind die ganz offensichtlich rassistischen Häuserbemalungen sogar nur die Spitze des Eisbergs in der Weigerung der Stadt, sich endlich seriös mit der eigenen kolonialen und rassistischen Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen.
Die Figur Alfred Eschers und seine Statue
Ganz prominent, in der Mitte von Zürich, am Bahnhofsplatz, steht eine meterhohe Statue desjenigen Mannes, der im kollektiven Zürcher Geschichtsbild als «Erzieher» und «Eisenbahnpionier» die Stadt an der Limmat wesentlich geprägt habe: Alfred Escher.
Der bis heute als Vorzeigeliberale gehandelte Escher stammt aus einer Familie, die unter anderem mit Kaffeeplantagen um 1800 grosse Vermögen anhäufte. Auf diesen Plantagen auf Kuba waren, so die Enthüllung 2017, über Jahrzehnte dutzende Sklaven beschäftigt. Die Familie Escher und insbesondere auch Alfred Escher wussten davon.
1853 erbte Alfred Escher von seinem Vater über eine Million Schweizer Franken (Heute ca. 12 Millionen), dazu Immobilien und Land. Wenig später gründete Escher, der massgeblich am Eisenbahnbau in der Schweiz beteiligt war, dann die Schweizerische Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse.
Bereits zeitgenössisch kam es zu Gerüchten, dass Eschers Vermögen und damit seine Finanzkraft zum Teil auf Sklaverei beruhten. Und auch in verschiedener anderer Hinsicht war Escher keineswegs der grosse Modernisierer, als der er heute teilweise noch angeschaut wird. Bei dem massgeblich von ihm vorangetriebenen Projekt des Gotthard-Tunnels, der 1882 eröffnet wurde, starben aufgrund mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen, einem massiven Zeitdruck, katastrophaler hygienischer Bedingungen und der Rücksichtslosigkeit der Projektverantwortlichen 199 Arbeiter. Dazu kamen viele hundert weitere Todesopfer unter den grossteils italienischen Arbeitern, die entweder indirekt an den Folgen der Arbeit im Berg, Unterernährung und chronischen Erkrankungen starben, oder bereits todkrank oder schwerverletzt in die Heimat zurückgeschickt wurden und so gar nie in den Todes-Statistiken zum Gotthardbau auftauchten.
So erstaunt es nicht, dass die Erinnerung an Escher als Pionier und Visionär immer schon heftig umstritten war. Als 1889 die Escher-Statue am Bahnhofsplatz eingeweiht wurde, musste die Polizei und sogar die Armee die Festivitäten und das Denkmal selbst vor der aufgebrachten Arbeiter*innenschaft beschützen. Das Denkmal Eschers galt als Provokation und schon kurz nach der Enthüllung wurde prophezeit, dass es womöglich bald wieder abgetragen werden müsse.
Das geschah dann zwar kurz 1984, allerdings nur für Ausbauarbeiten am Zürcher Hauptbahnhof. Seit 1987 steht das Denkmal wieder dort wo es zuvor stand und tut so unverrückbar wie eh und je.
Was erinnern und wie? Weg mit Rassismus!
Die Stadt Zürich hat auf die Forderung vom Kollektiv vo da, die rassistischen Häusernamen und Gemälde im Zürcher Niederdorf zu entfernen, wie folgt geantwortet:
«Die Hausnamen sind heute ein Hinweis, eine Erinnerung an eine früher selbstverständliche Haltung, von der wir uns inzwischen weit entfernt haben. Indem sie immer noch da sind, können wir uns diesen Weg immer wieder vor Augen führen. Wenn wir sie verschwinden lassen, ist diese Auseinandersetzung nicht mehr möglich. Der aktuelle Rassismus verschwindet deswegen nicht.»
Die Stadt vergleicht in ihrem Schreiben die Gemälde dann mit anderen so genannten «unbequemen Denkmälern», wie dem Reichstagsgebäude in Berlin. Dieser Vergleich ist lächerlich, handelt es sich doch beim Reichstagsgebäude oder ehemaligen Konzentrationslagern aus der NS-Zeit um geführte, kuratierte und aufgearbeitete Erinnerungsorte. Im Zürcher Niederdorf klärt nicht einmal ein Schild über die Malereien auf, geschweige denn würden sie darüber hinaus erklärt oder irgendwie sonst die Auseinandersetzung mit Rassismus begünstigen.
Ein weiteres Beispiel: Weiss heute noch jemand, wer Rudolf Brun war, dessen Name eine zentrale Zürcher Brücke über die Limmat ehrt? Brun war erster «Bürgermeister» Zürichs von 1336-1360, als brutal bekannter Alleinherrscher und sowohl Verantwortlicher als auch Profiteur der Verbrennung grosser Teile der Zürcher jüdischen Bevölkerung, der die Schuld an der Pest 1349 gegeben wurde. Die 1913 erbaute Urania-Brücke wurde erst 1951 Rudolf Brun «zu Ehren» umbenannt. So viel zur kritischen Aufarbeitung der Stadtgeschichte.
Das Argument, dass eine Statue eines Rassisten oder ein rassistisches Symbol die Auseinandersetzung mit Rassismus überhaupt erst ermögliche, wurde auch in Bristol in den letzten Jahrzehnten immer wieder vorgebracht, wenn es darum ging zu verteidigen, dass die Colston-Statue immer noch dort stand wo sie stand. Umso eindrücklicher haben uns die Bilder aus Bristol gezeigt, dass eine Statue meistens mehr zur Aufarbeitung der rassistischen und kolonialen eigenen Vergangenheit beitragen kann, wenn sie innert einer Stunde gestürzt und im Meer versenkt wird, als sie das die vorherigen 150 Jahre tat, die sie auf ihrem Sockel stand.
Es wäre der Statue von Escher zu gönnen, würde ihr dasselbe Schicksal widerfahren. Und noch wichtiger wäre es, würde sich die Schweizer Gesellschaft endlich ernsthaft mit Rassismus – in der Vergangenheit und gegenwärtig – auseinandersetzen.
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