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Katalonien: Von Puigdemont zu Torra

Kurz bevor in Katalonien Neuwahlen fällig geworden wären, wurde nach Monaten der Blockade doch noch ein Regionalpräsident gewählt. Der rechtskonservative Quim Torra wurde am 14. Mai 2018 von der Mehrheit des Unabhängigkeitslagers gewählt, die antikapitalistische CUP[1]enthielt sich ihren Stimmen[2]. Die spanische Zentralregierung weigert sich indes, die Zwangsverwaltung über Katalonien zu beenden, obwohl angekündigt war, dies würde mit der Bildung einer neuen Regionalregierung geschehen. Wir veröffentlichen dazu einen übersetzten Kommentar einer katalanischen Aktivistin von Anticapitalistas. (Red.)
Von Laia Facet; aus vientosur.info
Von einem Tag auf den anderen haben wir einen Präsidenten, dessen Wahl wir –  wie jene anderer Präsidenten in der Vergangenheit – nicht erwartet hatten. In den letzten Monaten hat die PDeCAT[3]ihre Position gestärkt, indem sie zur Straffung des Unabhängigkeitslagers beigetragen und zusammen mit der CUP eine merkwürdige Allianz gebildet hat. Diese Allianz um die Figur von Puigdemont hat aber eine eingehende strategische Debatte über das weitere Vorgehen behindert, die notwendig gewesen wäre, um sich für die Zukunft zu wappnen. Schlussendlich wurde dann aber doch nicht auf Puigdemont, sondern auf Torra gesetzt.[4]
Quim Torra ist ein Exponent jener Strömung des katalanischen Nationalismus, welche Wert auf Folklore legt und sich von anderen Menschen (im spanischen Staat und darüber hinaus, Anm. d. Red.), gestützt auf angebliche ethnische Unterschiede, abgrenzt. Er verteidigt Leute wie Miquel Badia, (in den 1930er Jahren, Anm. d. Red.) Teil des bewaffneten Arms der Partei „Estat català“. Dieser verfolgte, folterte und ermordete Arbeiter*innen und Anarchist*innen. Oder Daniel Cardona, dem Gründer von „Nosaltres sols“[5], welche den katalanischen Überlegenheitsanspruch verteidigte. Dies sind politische Bezüge, die Torra sicherlich verbergen oder sich von ihnen distanzieren muss. Es wird ihm aber auch bewusst sein, dass er nicht der erste katalanische Präsident mit solch einem privaten Hintergrund ist.
Das Problem mit Torra aus linker Perspektive ist nicht nur, dass seine Wahl Wasser auf die Mühlen des rechten, demagogischen und reaktionären spanischen Regimes ist. Vor allem vereint Torra zwei sich bisher gegenseitig einschränkende Fraktionen (der Unabhängigkeitsbewegung, Anm. der Red.); den hartgesottenen, konservativen Teil des katalanischen Nationalismus und den Liberalismus.
Trotzdem ist Torra ist nicht das wesentliche Problem der Linken. Viel problematischer ist das Fehlen einer eigenen Strategie. Es fehlt eine Strategie, die das Potenzial vom letzten Oktober[6]nutzt und die sich danach manifestierten Defizite der Bewegung ernst nimmt. Diese sind die materiellen Schwächen, um den zivilen Ungehorsam aufrechtzuerhalten, das ungleiche Kräfteverhältnis der Bewegung gegenüber dem Staat und die am Rande stehende und/oder misstrauische Haltung vieler Lohnabhängiger in der Metropolregion Barcelona und der Region Tarragona. Nötig wäre ein Linksrutsch, mit einem radikalen, sozialen Programm im Mittelpunkt. Und zwar nicht nur als Anhängsel zur Forderung nach Unabhängigkeit. Eine Bündnispolitik mit politischen Kräften und sozialen Bewegungen im ganzen spanischen Staat wäre notwendig. Dies könnte die Manövrierfähigkeit des spanischen Regimes schwächen, welches sich momentan in der Offensive befindet. Leider wurde dies nicht versucht.
Was getan wurde ist weit davon entfernt. Weder wurde in den letzten Monaten betont, dass es innerhalb des Unabhängigkeitslagers mehr linke Abgeordnete als solche von Junts per Catalunya[7]gibt. Genauso wenig wurde die Möglichkeit diskutiert, den Unabhängigkeitsblock durch die Einbeziehung des Wahlbündnisses „Catalunya en Comú“[8]zu erweitern. Das ganze Unabhängigkeitsspektrum hat sich in ein Dilemma manövriert, welches ich für verkehrt halte: Entweder den Staatsbetrieb blockieren oder zur Normalität zurückkehren. Diese Blockade, verkörpert durch das Festhalten an Puigdemonts Amtseinsetzung (von Dezember 2017 bis Mai 2018, Anm. d. Red.), aber ohne jede materiell nachhaltige Strategie, war nicht gerade das, was das spanische Regime hätte zermürben können. Andererseits würde die „Rückkehr zur Normalität“ die Verhandlungsmacht der Bewegung und die Möglichkeit, das Recht auf Selbstbestimmung zu erkämpfen, schwächen. Die Lage der politischen Gefangenen und Exilierten würde dadurch verschlechtert.
Schlussendlich liegt derzeit aber weder eine Blockade noch eine Rückkehr zur Normalität vor. Es ist vielmehr eine momentane Entsperrung. Die der Situation zugrunde liegenden Dilemmata werden nicht angesprochen. Ganz im Gegenteil, die aktuelle Lage könnte dazu führen die Dilemmata zu chronisieren. Unterdessen setzt die Convergència[9]ihren gewundenen Weg der Neugründung in einem strukturell instabilen Umfeld fort.

[1]CUP steht für Candidatura d’Unidad Popular, einem Wahlbündnis der radikalen Linken, welches seit den 1980er Jahren Kommunalpolitik betreibt und seit 2015 einige, wenige Sitze im Regionalparlament hält. Diese Sitze sind für das Unabhängigkeitslager aber notwendig um ein absolutes Mehr zu haben. Dadurch hat die CUP eine starke Position. (Anm. d. Red.)
[2]Mit der Enthaltung verweigert die CUP Quim Torra ihre Unterstützung. Weiter wurde angekündigt die zukünftige Regierungsarbeit nicht parlamentarisch zu unterstützen falls sie „nicht zum Aufbau republikanischer und sozialer Maßnahmen beiträgt, die den Rechten und Bedürfnissen der Arbeiter*innenklasse und der übrigen Bevölkerungsschichten entsprechen“. (Anm. d. Red.)
[3]Die PDeCAT ist die rechtsliberale Partei innerhalb des Unabhängigkeitslagers. Carles Puigdemont ist ihr bisher bekanntester Exponent. (Anm. d. Red.)
[4]Torra wurde durch die Stimmen von PDeCAT und der sozialdemokratischen, unabhängigkeitsbefürwortenden ERC gewählt. Die CUP enthielt sich der Stimme. Puigdemonts Wahl zum Präsidenten wurde durch Madrid verhindert. Um das Amt anzutreten, muss man persönlich anwesend sein. Wäre Puigdemont aus dem Exil nach Barcelona gereist, hätte die Zentralregierung ihn verhaftet. (Anm. d. Red.)
[5]Nosaltres sols, was auf Deutsch „wir alleine“ bedeutet, war eine rechte, bewaffnete, katalanisch-nationalistische Organisation in den 1930er Jahren. (Anm. d. Red.)
[6]Am 1. Oktober 2017 wurde in Katalonien Unabhängigkeitsreferendum abgehalten, indem sich die Stimmbevölkerung für die Loslösung von Madrid aussprach. (Anm. d. Red.)
[7]„Junts per Catalunya“ (Zusammen für Katalonien) war bei den Parlamentswahlen im Dezember 2017 das fast ausschliesslich aus der PDeCat bestehende Wahlbündnis. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Vorläufer „Junts pel Sí“ (Zusammen für das Ja), wo noch die ERC dabei war. Die ERC ist 2017 eigenständig zu den Parlamentswahlen angetreten, arbeitet aber nach wie vor mit der PDeCat zusammen. (Anm. d. Red.)
[8]„Catalunya en Comú“ (Katalonien Gemeinsam) ging aus Basisgruppen zur Verhinderung von Zwangsräumungen im Zuge der Wirtschaftskrise hervor und stellt derzeit die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau. (Anm. d. Red.)
[9]Convergència war bis 2015 die Vorläuferpartei von PDeCat. Die Convergència war sehr konservativ. Mit der Umbenennung (und der angeblichen Neugründung) zur PDeCat wollte man einen Imagewechsel hin zu einer weltoffeneren Auslegung des Liberalismus bezwecken. Die Autorin verwendet hier vermutlich bewusst den alten Namen, um die konservative und rechtsliberale Kontinuität in der PDeCat zu betonen. (Anm. d. Red.)

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