Vom 21. August bis zum 9. September 2018 fand in den USA ein landesweiter Streik von Gefängnisinsassen statt. Die Gefangenen wehren sich gegen unmenschliche Bedingungen in den Haftanstalten, besonders gegen die weit verbreitete Sklavenarbeit. (Red.)
von Barry Sheppard
Gefangene in vielen Staaten der USA begannen am 21. August – dem Jahrestag der Ermordung des Black Panther-Mitglieds und Gefängnisaktivisten George Jackson, der im Jahr 1971 bei einem Fluchtversuch von einem Gefängniswächter erschossen wurde – einen koordinierten nationalen Streik. Der Streik der Gefangenen endete am 9. September, dem Jahrestag des grossen Gefängnisaufstands im Gefängnis Attica in New York, der ebenfalls 1971 stattfand. Die Rebellion wurde damals blutig niedergeschlagen. Die Repression wurde von Gouverneur Nelson Rockefeller angeordnet, einem Nachkommen der milliardenschweren Ölindustriefamilie Rockefeller. Dieser Vorfall radikalisierte viele Menschen, weil er die Schrecken der US-Gefängnisse aufdeckte. Die zentrale Forderung der aktuellen Aktionen – die von Arbeitsunterbrechungen, Hungerstreiks und Sitzstreiks bis hin zu Boykotten von Gefängnisläden reichen – ist das Ende der Zwangsarbeit im Gefängnis.
Die unvollständige Abschaffung der Sklaverei
Die meisten Menschen in den USA und weltweit wissen nicht, dass Sklaverei in Gefängnissen durch die US-Verfassung erlaubt ist. Der 13. Zusatzartikel der US-Verfassung, der die Abschaffung der Sklaverei nach dem Bürgerkrieg ratifizierte, enthielt ein fatales Schlupfloch. Er erlaubte die Sklaverei weiterhin bei Personen, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden. Sklaverei war deshalb in Gefängnissen weiterhin möglich, obwohl die Gefangenen nicht Eigentum andererPersonen waren.
Fast sofort begannen besonders die Südstaaten, Anti-Vagabunden-Gesetze zu verabschieden, um ehemalige Sklaven zu verhaften und ihre Arbeit zu verkaufen. Diese Möglichkeit wurde in der Zeit unmittelbar nach dem Bürgerkrieg [der Bürgerkrieg endete 1865, Anm. d. Red.] noch eingeschränkt, verschärfte sich aber später in einer Zeit der konterrevolutionären Politik, in der die Jim Crow Gesetze [Gesetze zur Aufrechterhaltung der Rassendiskriminierung nach dem Bürgerkrieg, Anm. d. Red.] im Süden etabliert wurden. Die weissen Herrschenden schufen dadurch einen riesigen Wirtschaftssektor, wie beispielsweise in der berüchtigten Parchman Farm in Mississippi oder in privaten kapitalistischen Unternehmen, wo schwarze Gefangene ihr ganzes Leben lang arbeiten mussten.
Die Sklavenarbeit im Gefängnis wurde auch im Rest des Landes eingeführt, wenn auch nicht so gewaltsam wie im Süden. Während die Bewegung von Afroamerikaner*innen in den 1960er und 1970er Jahren das Jim-Crow-System stürzte, hat sich diese Form der Sklavenarbeit im ganzen Land gehalten.
Die aktuelle Aktion der Gefangenen ist als Teil der Arbeiterbewegung zu sehen, denndie Sklavenarbeit setzt auch die Löhne und Arbeitsbedingungen der gesamten Arbeiter*innenklasse unter Druck.
Zwar werden weisse Häftlinge auch als Sklaven bei der Arbeit innerhalb der Gefängnisse sowie bei der Vertragsarbeit für Firmen ausserhalb der Gefängnisse beschäftigt. Doch sind 60% der Häftlinge Afroamerikaner*innen oder Latinos und Latinas. In Anbetracht der langen Geschichte der Versklavung afroamerikanischer Menschen ist es nicht verwunderlich, dass Afroamerikaner*innen nun bei den multiethnischen Widerstandsformen die Führung übernommen haben.
Ein Grossteil der Arbeit der Gefangenen in vielen Gefängnissen wird überhaupt nicht bezahlt, klare Sklaverei also. Anderorts wird die Sklaverei durch erbärmliche „Löhne“ kaschiert. Folgendes berichten die Gefangenen:
Anthony Forest: „Weil ich weiss, wie man Böden scheuert, wachst oder Kaugummis vom Boden entfernt, begann ich damit. Für 16 Cent pro Stunde.“
Darryl Aikens: „Ich begann als Servierkraft, servierte Essen zum Frühstück und zum Abendessen. Dann wurde ich Tellerwäscher und Reinigungskraft in der Küche. Dafür bekam ich 13 Cent pro Stunde. Ich arbeitete und verdiente 20 Dollar im Monat und sie [die Gefängnisbehörden] nahmen 55 Prozent davon für die Rückzahlung von Kosten [für Essen etc.]“.
Cole Dorsey: „Es ist so etwas wie eine moderne Plantage, wobei besonders arme Menschen betroffen sind, vor allem die am stärksten marginalisierten Gemeinschaften…“
Für einige Gefangene ist der „Lohn“ höher, teilweise bis zu 2 Dollar pro Stunde, aber ein Teil davon wird in Form von „Rückzahlungen“ wieder weggenommen.
Die Forderungen der Gefangenen
Neben einem Ende der Sklavenarbeit stellen die Gefangenen auch anderen Forderungen. Eine davon ist das Wahlrecht. Nur zwei Bundesstaaten, Vermont und Maine, erlauben es Gefangenen, zu wählen. In den restlichen 48 Staaten können sie es nicht. Bei etwa 2,8 Millionen Gefangenen landesweit sind das viele Menschen, die entrechtet sind. Diese Praxis steht im Gegensatz zu derjenigen Kanadas und 14 europäischer Länder, in denen Gefangene wählen können.
Vier Staaten – Iowa, Florida, Kentucky und Virginia – verweigern Straftätern lebenslänglich das Wahlrecht, auch nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurden. Sechs andere tun das Gleiche für einige Verbrecher*innen. Andere wiederum verbieten den bedingt Entlassenen, ihr Wahlrecht auszuüben. Da die Mehrheit der Gefangenen Afroamerikaner*innen oder Latinas und Latinos sind, ist diese Verweigerung des Wahlrechts ein rassistisches Gesetz. In vielen Staaten wird so das Wahlrecht für ethnische Minderheiten, das während den Sechzigerjahren errungen wurde, nach und nach eingeschränkt.
Das System der Masseninhaftierung
Ein wichtiger Aspekt ist die schiere Grösse der Gefängnispopulation in den USA. Die Statistiken sind bekannt: Mit fünf Prozent der Weltbevölkerung leben in den USA fünfundzwanzig Prozent der Gefangenen auf der ganzen Welt. Dies ist das Ergebnis einer bewussten Politik der herrschenden kapitalistischen Klasse, die von beiden Parteien durchgeführt wird. Von 1970 bis 2005 stieg die Zahl der Gefangenen um 700 Prozent und sie ist auch heute noch hoch.
Ein wichtiges Instrument, das die Regierungen für die Masseninhaftierung benutzt haben, ist der angebliche „Krieg gegen die Drogen“. Während diese Politik von Republikanern begonnen wurde, wurde sie unter der demokratischen Regierung von Bill Clinton in den 1990er Jahren intensiviert. Dies führte zu einem Anstieg der Verhaftungen und Verurteilungen aufgrund von Drogendelikten.
Die Clintons prägten die Angst vor dem „Black Crime“, die in den 1990er Jahren geschürt wurde. Hillary Clinton politisierte mit dem Ausdruck „Superpredator“ und meinte damit junge schwarze Männer ohne Nächstenliebe, die einem Raubtier gleich weisse Menschen bedrohen. Unter der Präsidentschaft ihres Manns Bill Clinton wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Möglichkeit der Gefangenen, Misshandlungen vor Gericht zu bringen, einschränkte. Eine der Forderungen im aktuellen Streik ist die Aufhebung ebendieses Gesetzes. Bei den Wahlen 2016 verteidigte die Kandidatin Hillary Clinton die Bezeichnung „Superpredator““, genauso wie ihr Mann, als er für sie warb, ungeachtet der lautstarken Proteste von Black Lives Matter Demonstrant*innen.
Die überproportionale Anzahl von afroamerikanischen Gefangenen ist ein wichtiger Aspekt des „neuen Jim Crow Systems“. Diese Bezeichnung wurde von der Autorin Michelle Alexander verwendet, um eine neue Form der landesweiten Unterdrückung von Afroamerikaner*innen zu beschreiben. Diese Unterdrückung reicht weit über die Zeit hinaus, in der Afroamerikaner*innen im Gefängnis eingesperrt sind. Nach ihrer Freilassung ist der Umstand, ein ehemaliger Verbrecher zu sein, mit institutionalisiertem Rassismus verbunden, sodass es für afroamerikanische Ex-Häftlinge schwierig ist, eine Anstellung zu finden. Es gibt also eine grosse Anzahl von Afroamerikaner*innen, die noch lange nach der Haft im System gefangen sind.
Repression gegen die Streikenden in den Gefängnissen
Es ist schwierig, umfangreiche Informationen über den Streik zu erhalten, da die Behörden einfach leugnen, dass in ihren Gefängnissen etwas passiert, oder die Führer der Bewegung auf eine Weise bestrafen, die eine Kommunikation mit der Aussenwelt erschwert.
Amani Sawari, eine afroamerikanische Frau, ist Sprecherin von Jailhouse Lawyers Speak, einem Netzwerk von Gefangenen, die während ihrer Haft die Gesetze studiert haben und nun bei der Organisation des Streiks helfen. Sie ist jetzt draussen und berichtet über die Vergeltungsmassnahmen gegen die Streikenden. Zwei Führer, die sie erwähnt, sind Jason Walker und Genosse Malik, beide in Einzelhaft.
„Genosse Malik durfte nicht duschen. Sie befinden sich im Hungerstreik. Jason Walker hat kein Recht auf Toilettenpapier, Handtücher und keinen Zugang zu einer Dusche oder zu sauberer Kleidung, als Gegenmassnahme zu seiner Organisation des Streiks in Texas.“
Sie erklärt, dass Genosse Malik am 15. August im Rahmen einer Präventivmassnahme in Einzelhaft genommen wurde, übrigens eine international anerkannte Form der Folter. „Er ist in einer Betonzelle in Texas, in der über 100 Grad Fahrenheit [nahezu 38°C] herrschen….. Er wird nur in Handschellen hinausbegleitet. Er darf keine Kommunikation mit der Aussenwelt haben.“
Jason Walker schrieb einen Artikel über die Bedingungen in texanischen Gefängnissen. „Nachdem dieser Artikel erschienen war, wurde er in Einzelhaft genommen. Aber auch anderswo, wie in South Carolina, werden Gefangene im Gefängnis McCormick seit dem 20. August, dem Tag vor Beginn des Streiks, täglich einer Leibesvisitation unterzogen.“
„Außerdem dürfen David Easley und James Ward, sie sind im Staatsgefängnis von Ohio, keinen Kontakt mit der Aussenwelt haben. Sie sind auch in Einzelhaft.“
„So können wir sehen, dass es Vergeltungsmassnahmen gegen einzelne Organisatoren des Streiks gibt. Und jetzt sehen wir, wie Häftlinge, die aufstehen und sich wehren, in Einzelhaft versetzt werden. Sie versuchen, Gefangene davon abzuhalten, sich dem Kampf anzuschließen. Aber das hat einen gegenteiligen Effekt. Gefangene wissen, dass nun eine Atmosphäre herrscht, in der sie tatsächlich aufstehen und sich unterstützt fühlen können. Es gab Solidaritätsdemonstrationen und Kundgebungen in mindestens 21 Städten im ganzen Land.“
Diese mutigen Männer und Frauen, die angesichts der Vergeltungsmassnahmen gegen sie aktiv werden, verdienen nicht nur unsere Unterstützung. Wir müssen der Arbeiterbewegung und allen Arbeiter*innen erklären, dass Gefangene Teil der Arbeiterklasse sind, und dass es im Interesse aller Arbeiter*innen liegt, sie zu unterstützen.
Übersetzung und leichte Überarbeitung durch die Redaktion. Die Zitate stammen aus verschiedenen Beiträgen des unabhängigen Fernsehsenders democracynow.org.